Amerikanische Augenblicke

Amerikanische Augenblicke

Hillary Clintons demütigender Absturz, John McCains wundersame Auferstehung, Barack Obamas märchenhafter Aufstieg: Amerika erlebt den längsten und

Sag hallo zu "Joe the Biden"

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Es läuft nicht gut für John McCain. Barack Obama warnt er davor, jetzt schon die Gardinen im Weißen Haus auszumessen. Sarah Palin ist gedanklich bereits weiter.

Auch wenn Amerikas Herren der Nacht, Comedians wie Jay Leno oder Jon Stewart, jetzt Sarah Palin haben: Bill Clinton und sein erotischer Appetit bleiben, so altbekannt sie sind, für einen Witz gut. Bei „Saturday Night Live“ beispielsweise verlas eine „Nachrichtensprecherin“ vergangene Woche eine Meldung: „Bei einem Wahlkampfauftritt für Barack Obama hat Hillary Clinton jetzt verkündet, die Demokraten hätten einen neuen Slogan: ‚Jobs, Baby, Jobs‘. Bill Clinton bleibt derweil seinem eigenen Slogan treu: ‚Bitte, Baby, bitte.'“

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Für John McCain freilich ist die Lage ernst, auch wenn er bei Kundgebungen oft an den unpassendsten Stellen ein Lächeln im Gesicht trägt. All das, was gemeinhin wichtig ist in einem Wahlkampf, weist seit Ende September, Anfang Oktober immer deutlicher auf einen Sieg von Obama hin: die Umfragen; die Projektionen für die einzelnen Bundesstaaten; das Geld; die Organisation der Kampagne; der Trend.

Natürlich kann immer noch einiges schief gehen in dieser politischen Saison, die so unendlich lang ist – und schon voll so vieler Überraschungen steckte. Werden, nur zum Beispiel, all die jungen Leute, die Obamas Team und diverse befreundete Organisationen dazu mobilisiert haben, sich in die Wahllisten eintragen zu lassen, tatsächlich auch wählen gehen? Dennoch: Im Sommer, vor der Katastrophe an den Finanzmärkten, sei der politische Wettbewerb vielleicht noch offen gewesen, stellt der angesehene Analyst Charlie Cook fest. „Nun ist es für McCain praktisch unmöglich, noch zu gewinnen.“

McCain selbst gibt sich überzeugt, dass er noch siegen kann, was soll er sonst auch tun. Am Sonntag saß er bei „Meet the Press“, der wichtigsten politischen Sonntagmorgenshow im amerikanischen Fernsehen. Nein, den Umfragen glaube er nicht: „Wir stehen gut da“, sagte er. „Wir haben den Abstand in der vergangenen Woche verringert, und wir werden auch in dieser Woche den Abstand verringern.“ Auf Kundgebungen sagt er: „Wir haben sie jetzt genau da, wo wir sie haben wollen.“

So falsch solche Gewissheit auch klingt: McCain hält seinen Gegner ganz offensichtlich für einen Emporkömmling und Präpotenten, der besser nicht zu früh triumphieren sollte. Es ist eine Frustration, die er sicher mit Hillary Clinton teilt, die an Obama ebenfalls verzweifelte. Man muss sich nur daran erinnern, wie McCain während der dritten und letzten Fernsehdebatte mehrfach versucht schien, in den Tisch zu beißen; so sehr prallten seine Angriffe an der kühlen Gleichmäßigkeit seines Gegners ab.

Jetzt warnt er, zu Buhrufen seiner Anhänger, Obama bevorzugt davor, schon „die Gardinen (im Weißen Haus) auszumessen“. Freilich: Eine Untersuchung der griffigen Metapher ergibt nicht nur, dass sie schon seit gut 30 Jahren im Politgeschäft gebräuchlich ist. (Was nun wieder zu McCain passt: Etwa so lange ist er schon in Washington, auch wenn er jetzt so tut, als sei er noch nie dagewesen.) Vor allem zeigt sich, dass die Gardinen-Stichelei eine letzte stumpfe Waffe des Verlierers ist.

1968 verspottete der Demokrat Hubert Humphrey auf diese Weise Richard Nixon – der ihn am Ende deklassierte. Vor McCain der letzte Kandidat in einem Präsidentschaftswahlkampf, der von Gardinen redete, war George Bush der Ältere, damals der Amtsinhaber, der 1992 über seinen Herausforderer Bill Clinton sagte: „Als ich ins Oval Office ging, habe fast erwartet, dass ich dort auf ihn treffen würde, wie er gerade die Gardinen ausmisst. Nun, ich habe eine Botschaft für ihn: Immer langsam mit den Gardinen. Ich meine es ernst.“ Ein paar Monate später durfte Clinton dann aber die Maße im Weißen Haus nehmen.

Doch während McCain nach dem 4. November womöglich nur die Rückkehr in den Senat bleibt, haben zwei seiner Geschöpfe Ambitionen auf eine lichtere Zukunft. Dank Amerikas bekanntestem Klempner, den McCain als „Joe the Plumber“ zu einem Musterbeispiel für den amerikanischen Unternehmergeist gemacht hat, gibt es nun ein neues Gib-mir-einen-Namen-Spiel bei den Kundgebungen der Grand Old Party: Sarah Palin etwa bejubelt inzwischen „Chuck den Lehrer“, „Karina die Krankenschwester“ und „Tito den Bauhandwerker“. In Mesilla, New Mexico, rief eine junge Mutter vor einigen Tagen McCain zu, er möge doch bitte „Brittany das Baby“ begrüßen. (Er erhörte sie nicht.) Einer von McCains republikanischen Kollegen aus dem Senat spricht von Obamas Vize-Kandidaten als „Joe the Biden“.

Joe der Klempner aber will offenbar mehr als seine 15 Tage Ruhm. Wie CNN meldet, denkt er darüber nach, 2010 „Joe the Congressman“ zu werden. Er sei offen für eine Kandidatur für den Kongress, im Neunten Distrikt in Ohio, verriet er am Freitag einer konservativen Talkshowmoderatorin.

Auch Sarah Palin denkt ganz offensichtlich bereits über den 4. November hinaus. Sowohl CNN als auch die Website „Politico“ berichten unter Berufung auf Insider, sie sei unglücklich mit der Art, wie McCains Leute ihre Kandidatur managen. Der Vorwurf: Sie sei durch deren Ungeschick öffentlich beschädigt worden.

Die Berater des Spitzenkandidaten schlagen zurück: Palin sei undiszipliniert und habe mehrfach die vereinbarte Linie verlassen. „Ihr Mangel an einem grundlegenden Verständnis zentraler Themen“, so ein McCain-Mann, „war dramatisch“; noch bei keinem anderen Vizepräsidentschaftskandidaten „in der Geschichte“ sei es derart schwer gewesen, ihn auf seine Aufgabe vorzubereiten.

Derartiges gegenseitiges Fingerzeigen ist in Wahlkampfteams gar nichts Ungewöhnliches; auch etwa in Hillary Clintons Mannschaft gab es Streit, der immer wieder in die Öffentlichkeit schwappte, vor allem am Ende des gemeinsamen Weges. Oft bereiten sich professionelle Politikberater und Politiker so auf eine drohende Niederlage vor: Sie weisen schon mal alle Schuld von sich, um politisch zu überleben.

Palin sei, so werfen McCain-Loyalisten Palin jetzt über die Medien vor, eine „Diva“, die nur an ihre eigene Karriere denke – und an eine eigene Kandidatur 2012. Ob sie dann am Ende ihrer Kundgebungen, wenn sie die letzten Hände schüttelt, noch immer Shania Twains Song „She’s Not Just a Pretty Face“ spielen lässt?


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