Antike und Abendland

Claudius und Ronald Reagan – ein satyrischer Epilog zur Imperium-Debatte

Als Schreckbild oder Vorbild für die Vereinigten Staaten von Amerika und die Welt von morgen scheint das Römische Reich erst einmal ausgedient zu haben. Die Debatte ist praktisch erloschen. Bleiben werden die eindringenden historischen Vergleichsanalysen von Peter Bender und Herfried Münkler. Aber jeder weiß, daß großräumige und langfristige Ordnungen Zeit brauchen und ökonomisch zumindest die Aussicht auf stabile Prosperität. Doch das Bankendesaster und alles, was damit zusammenhängt, lassen das Vertrauen in die Prozessualität und annähernde Berechenbarkeit von Entwicklungen rapide erodieren. Dazu paßt, daß die Vorherrschaft von Begriffen für Strukturen und längere Fristen wie „Neue Weltordnung“ oder „Krieg gegen den Terror“ von Codes für sehr kurze Zeithorizonte und rasches Handeln abgelöst sind; der Retter Obama und das Rettungspaket von Regierungen lassen sich so deuten. Der Blick in die fernere Zukunft hat keine Konjunktur mehr, da die Vision einer besseren und friedlichen Welt dem Alp gigantischer Schuldenberge Platz gemacht hat.

Das Imperium Romanum also kein Referenzpunkt mehr, außer vielleicht für den Untergang (wird jetzt eine Gibbon-Renaissance kommen?). Aber für einen satirischen Kehraus taugt es noch. Mary Beard berichtet in ihrem TLS-Blog mit einigem Stolz von ihrer ehemaligen Studentin Natalie Haynes, „novelist, stand-up comedian and young polymath“, die in der „Times“ prominenten Politikern der Gegenwart je einen römischen Kaiser zugeordnet hat. Letztere waren ihr aus Beards Seminar über Konstruktion und Dekonstruktion des Bildes der Herrscher vertraut. Der mürrische, mißtrauische und heuchlerische Tiberius findet seinen modernen Wiedergänger in Gordon Brown, der unterschätzte, als tumb belächselte Claudius in Ronald Reagan – dies eine schwer nachzuvollziehende Projektion, selbst wenn man den Kaiser nicht in der Maskierung von Robert Graves‘ „I Claudius“ zu sehen bemüht ist. Claudius war ein etwas pedantischer, vielschreibender Gelehrter, Reagan las nie Akten. Immerhin, beide verließen sich in höchstem Maße auf ihre Mitarbeiter. Aber von Claudius ist nicht bekannt, daß er ein Äquivalent zu der politischen Intuition besaß, die Reagan zu einem großen Präsidenten machte – und Augustus zum erfolgreichen Baumeister der Monarchie in Rom.

Den bodenständigen, altmodischen und etwas grobschlächtigen Vespasian möchte Beard nicht mit George W. Bush ein Paar bilden lassen, sondern mit Harold Wilson, den aber kaum jemand mehr kennt. Viel aktueller: Nero und David Cameron, der immer noch junge Chef der Konservativen, der wie der Kaiser auf dem Rücken einer nur Verwüstung hinter sich lassenden Frau nach oben gelangt sei – hier Agrippina (die ihren Mann Claudius vergiftete), dort Margaret Thatcher. Mary Beard denkt eher an Boris Johnson, „clever, arty, funny, ambitious, sexy …. and destined, like Nero I’m afraid, to be misunderstood and vilified by history“. Allerdings dürfte, so ist einzuwenden, das moderne London, bauartbedingt, nicht so gut brennen wie das antike Rom.

Ominös und wenig sensibel, selbst als Witz, erscheint Haynes‘ Vergleich von Barack Obama mit Titus. Denn dieser war zwar äußerst beliebt, „everyone’s favourite“, aber seine Regierungszeit verbindet sich v.a. mit dem Vesuvausbruch, dem 79 die Städte Pompeji und Herculaneum zum Opfer fielen, und er starb überraschend nach nur zwei Jahren der Regierung, um seinem Bruder Domitian Platz zu machen, der – obgleich ein guter und realistischer Administrator – von der meinungbildenden Elite als Tyrann geschmäht wurde. Was den amtierenden US-Präsidenten angeht, so empfiehlt es sich angesichts einstürzender Gewißheiten und in ihrer Wirkung fraglicher Maßnahmen, es einstweilen mit Solon zu halten, der keinen Menschen vor seinem Tod (heute: dem Ende der Amtszeit) als glücklich oder unglücklich zu betrachten empfahl.

Und wir? Wir sind zum Glück jeder frechen Zuordnung enthoben, seit ein gewisser Ludwig Stiegler – der im roten Pullover – einst George W. Bush als „Princeps Caesar Augustus“ schmähte (FAZ v. 7.9.2002), nicht wissend, daß er damit keinen bestimmten Kaiser bezeichnete, sondern gleich alle Kaiser zusammen, insofern diese als principes bezeichnet wurden und Caesar Augustus als festen Bestandteil ihres Namens hatten. Diesen Präsidenten GW als ewigen aber hätte die Welt gewiß nicht auch noch verkraftet.

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