Antike und Abendland

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Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Italia einig Vaterland? Zum Ausbruch des Bundesgenossenkrieges vor 2100 Jahren

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Der Jubiläumsbetrieb in diesem Jahr - neben der Varusschlacht bekanntlich noch 60 Jahre Grundgesetz und 20 Jahre Mauerfall - dürfte die Sättigung mit...

Der Jubiläumsbetrieb in diesem Jahr – neben der Varusschlacht bekanntlich noch 60 Jahre Grundgesetz und 20 Jahre Mauerfall – dürfte die Sättigung mit rundezahlbedingtem Erinnern bis zum Jahresende sicherstellen, weswegen zuvor (und etwas verfrüht) noch auf ein durchaus folgenreiches Ereignis der antiken Geschichte verwiesen sei: Vor 2100 Jahren, im Herbst des Jahres 91 v.Chr., begann der Krieg zwischen Rom und einer Koalition seiner Verbündeten in Italien, kurz Bundesgenossenkrieg (bellum sociale) oder nach einer Ausbruchsregion Marsischer Krieg genannt. Vor allem wegen der schlechten Überlieferungslage hat er sich, anders als der Hannibalkrieg oder der Gallische Krieg, nicht ins historische Bewußtsein eingesenkt; gleichwohl gehört, so Barthold Georg Niebuhr, „der Bundesgenossenkrieg zu den größten, sowohl in Hinsicht auf die Leidenschaften womit er von beiden Seiten geführt wurde, wie der Glücksfälle und der ausgezeichneten Führung im einen wie etwa im anderen Heere“. Die geringe Beachtung mag aber auch mit der von Theodor Mommsen begründeten Auffassung zusammenhängen, die politische und kulturelle Vereinheitlichung der Halbinsel unter römischen Vorzeichen zu einer ‘italischen Nation‘ sei ohnehin notwendig gewesen, weswegen der Bundesgenossenkrieg lediglich eine kurze Verzögerung bewirkt habe, die dann von einer um so schnelleren, durch Caesar mit einer einheitlichen Kommunalverfassung vollendeten Integration und Romanisierung abgelöst wurde. Doch diese Ansicht kann heute nicht mehr als zutreffend gelten.
Die Römer hatten ihre militärische Dominanz in der gesamten Mittelmeerwelt seit dem 3. Jahrhundert v.Chr. nur gewinnen können, weil sie neben ihren eigenen Bürgern in gleicher Zahl auch Truppen aus vielen Städten und Regionen Italiens ins Feld stellen konnten, die – meist nach Niederlagen – in vielfältigen Rechtsformen an Rom gebunden worden waren. In Sprache und Sitten hatten die meisten von ihnen Eigenständigkeit bewahrt, und die Römer kümmerten sich zu normalen Zeiten eher wenig um sie. Doch der Erfolg der Wehrgemeinschaft und das Machtbewußtsein der Führungsmacht veränderten Erwartungen hier und Verhaltensweisen dort. Ein Teil der Bundesgenossen strebte eine größere politische Selbständigkeit an neben Rom an, ein anderer Teil einen erleichterten Eintritt in den römischen Bürgerverband, unversöhnte Besiegte wie die Samniten hingegen die vollständige Loslösung.
Langfristige Entwicklungen und Fehlentscheidungen der Römer verschärften die Erbitterung selbst bei den Loyalen. So wurden die italischen Geschäftsleute im Ausland als Römer wahrgenommen, ohne indes dort zuverlässig den Rechtsschutz durch die römischen Autoritäten zu genießen; ihr Ziel mußte in erster Linie die soziale und privatrechtliche Gleichstellung mit den Römern sein. Am öffentlichen Land hatten die socii teilgehabt, für die Landverteilung nach dessen teilweiser Umwandlung in Bauernstellen durch die Gracchen galt das nicht. Benachteiligungen wurden auch in den Kriegen sowie generell bei der Beuteverteilung offenkundig. Gegen Übergriffe römischer Amtsträger gab es keinen Schutz; diese behandelten die Bundesgenossen ihrerseits immer öfter wie die Unterworfenen außerhalb Italiens und „blickten auf sie wie auf Ausländer und Fremde verächtlich herab“, so der Geschichtsschreiber Velleius Paterculus. Das spielte den Sezessionisten in die Hände. Die Bürgerrechtspolitik der Römer war dagegen uneinheitlich und schwankend, da vom innenpolitischen Machtkampf dominiert. Mag sie auch von der unausgesprochenen Einsicht geleitet gewesen sein, daß die politische Architektur des Stadtstaates Rom und die aristokratische Regierung eine übermäßige Ausdehnung des Bürgergebietes auf weite Teile Italiens nicht vertrugen und daß ein schlagartiges Anwachsen der klientelen Anhängerschaften das inneraristokratische Machtgefüge massiv verschieben würde, so bestand ihre für die Partner der Römer erkennbare Außenseite doch nur aus Egoismus und Willkür. Zudem ließen sich mit dem Menetekel, die Neubürger würden den Römern ihre Plätze in den Volksversammlungen und bei Spielen und Festen wegnehmen, Fremdenfeindlichkeit und Sozialneid schüren.
Als zwischenzeitlich geweckte Hoffnungen auf das Bürgerrecht in der Arena der römischen Innenpolitik endgültig abgeblockt worden waren, fand sich eine Koalition aus den in ihren Orientierungen sehr unterschiedlichen Italikern – los von Rom; organisiert neben Rom; hinein nach Rom – zusammen. Sie formierte sich, als alle Hoffnungen auf eine evolutionäre und einvernehmliche Besserung der Lage durch Willkürakte der Römer zerstört schienen. Nicht zufällig war der erste Akt des Krieges der Lynchmord an einem herrisch auftretenden römischen Amtsträger in der Stadt Asculum.
Der Krieg lief für die Römer anfangs schlecht, denn sie hatten an mehreren, voneinader abgeschnittenen Schauplätzen zu kämpfen, und ihre Gegner waren nach römischem Standard ausgerüstet, ausgebildet und geführt. Die Bundesgenossen bildeten sogar ein föderative politische Organisation, einen Bundesstaat Italia mit einem eigenen Senat, Oberbeamten und Münzen. Ihr Symbol war das (junge) Rind (viteliu, latein. vitulus → Italia, „Rinderland“), das die römische Wölfin niedertritt. Die Römer mußten alle Kräfte mobilisieren; sogar der inzwischen 67 Jahre alte Marius wurde als Truppenführer reaktiviert. Unterschiedliche Interessen bei den Gegnern ermöglichten es den Römern bald, die Front der Aufständischen politisch zu spalten. So verstanden sich die Römer, vereinfacht gesagt, bald dazu, den Integrationswilligen das Bürgerrecht zu geben, während gegen die Samniten ein veritabler Vernichtungsfeldzug geführt wurde, bei dem sich besonders Sulla hervortat. Die Angehörigen der dritten Gruppe, die größere Selbständigkeit gegenüber Rom in Form eines Bundesstaates angestrebt hatte, erhielten am Ende das römische Bürgerrecht aufgezwungen. So endete der Krieg im großen und ganzen im Jahr 89 v.Chr.

Der Bundesgenossenkrieg führte ohne Zweifel zu einer weiteren Militarisierung und Brutalisierung des Denkens und Handelns. Dieser erste römische Bürgerkrieg ließ Schleusen brechen und zeigte den Römern, wozu sie ineinander verkeilt fähig waren. Insgesamt hatten auf beiden Seiten zusammen zeitweise fast vierzig Legionen unter Waffen gestanden, alle in Italien, was seit dem Hannibalkrieg nicht mehr vorgekommen war, und Soldaten, die vielleicht zuvor gemeinsam gegen Kimbern und Teutonen gekämpft hatten, standen sich jetzt als Feinde gegenüber. Es war nicht allein die Loyalität der halbprofessionellen Freiwilligenarmee zu ihrem Feldherren, was es in Zukunft denkbar werden ließ, daß römische Heere auf Rom marschieren und römische Bürger töten könnten, sondern es waren auch die Metzeleien des Bundesgenossenkrieges. Dieser hat einen fatalen Präzedenzfall geschaffen. Hinzu kam: Er ging nahtlos über in Sullas Marsch auf Rom im Jahr 88, den ersten innerrömischen Bürgerkrieg mit Todeslisten und die zweite Eroberung der Stadt durch Sulla, der anschließend Dictator wurde und gezielte terroristische Gewalt gegen innerrömische Widersacher wie gegen die letzten Mitglieder der antirömischen Koalition übte (82).

(BILDER wg. Urheberrecht entfernt)

Zum Weiterlesen:
Bernhard Linke, Die römische Republik von den Gracchen bis Sulla. Darmstadt (WBG) 2005.
Martin Jehne, René Pfeilschifter (Hgg.), Herrschaft ohne Integration. Rom und Italien in republikanischer Zeit. Frankfurt/M. (Verlag Antike) 2006.


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