Besucher der Detmolder Teilausstellung zum Varusschlachtjahr bekommen im Untergeschoß, das den „Mythos“ in der Moderne präsentiert, neben Erwartbarem auch einige überraschende, ja kuriose Facetten der Hermann-Rezeption zu sehen. Dazu gehört sicher ein großformatiges Zertifikat der Loge der „Sons of Herman“ nebst einigen Photographien des Hermannsdenkmals in New-Ulm.
1854 gründeten deutsche Einwanderer die etwa 120 Kilometer südlich von Minneapolis am Minnesota gelegene Siedlung und holten sich mit dem Namen ein Stück ihrer Heimat in die neue Welt. Ein Denkmal im Zentrum der kleinen Stadt (etwa 14000 Einwohner) erinnert an die Kämpfe gegen aufständische Sioux im Jahr 1862. Wahrzeichen aber ist ein weithin sichtbares Denkmal für Hermann den Cherusker.
Die Spendenbereitschaft der Bürger muß erheblich gewesen sein, denn 1897, als das Denkmal fertiggestellt war, zählte die vom Handel mit Agrarprodukten lebende Stadt nur gut 5000 Einwohner. Landsmannschaftlich mögen sich die überwiegend aus dem Württembergischen stammenden Neu-Amerikaner Neu-Ulms den Anhängern des dröhnenden Hermann-Lokalpatriotismus im fernen Lippeland nicht sonderlich verbunden gefühlt. Aber auch ihr Hermann war ein protestantischer Held – die 1884 eröffnete College von New-Ulm trägt den Namen von Martin Luther, der die Eindeutschung des Arminius zu Hermann nicht erfunden, aber populär gemacht hat.
Urheber des Denkmals war der Architekt, Vermesser und Ingenieur Julius Berndt. Er beschaffte sich Pläne und Bilder des Detmolder Denkmals und begann 1888 mit dem Bau. Der New-Ulm-Herman ist nicht nur kleiner als das Original (die Statue mißt vom Flügelende des Helms bis zu den Füßen knapp acht Meter, das Denkmal insgesamt ist 31 Meter hoch), sondern auch bärtiger, wodurch er – gegen die historische Richtigkeit – älter wirkt. Eine andere Abweichung gereicht sehr zum Vorteil: Die Kuppel, über der die Bronzestatue prangt, ruht lediglich auf einem Kranz aus Säulen, was das ganze Denkmal leicht und luftig erscheinen läßt, ganz anders als das massiv-trutzige Original.
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Zur Eröffnung kam der Gouverneur und gebrauchte in seiner Eröffnungsrede eine Formel, die damals im Teutoburger Wald gewiß für Empörung gesorgt hätte: Man müsse den Kindern die Geschichte all der Helden – unabhängig von Zeit und Raum – erzählen, die ihr Leben für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gegeben haben. Das ist das Schöne an Mythen, selbst dem des Arminius: Sie können mit Sinn gefüllt werden, wie es den Bedürfnissen derer, die mit ihnen leben, entspricht.
Herman the German blickt übrigens nach Osten. Da es aber bis ins alte Europa recht weit ist, kann sich jeder ersinnen, an welchem Punkt des Blickfeldes das wachsame Auge des Recken verharrt; es muß nicht Rom sein.
Demnächst im September gibt es jedenfalls erst einmal ein dreitägiges Gedenkfest, mit eigenem Bier, einem Gedenklauf, der Nachstellung der Schlacht, einer Schau deutscher Autos und der in den USA üblichen großen Straßenparade mit mehr als hundert teilnehmenden Gruppen.
Die Detmolder Schau ist wegen ihrer Exponate unbedingt sehenswert. Allerdings mangelt es an Platz, die zahlreichen Objekte sind gerade im besagten Untergeschoß so eng gehängt und gestellt, daß es stellenweise aussieht wie im Kuriositätenkabinett eines Sammlers. Viel Platz wird beansprucht von den Stücken zum realen Leben der Germanen. Hierzu sollte es, wie zu hören ist, eigentlich eine eigene, vierte Ausstellung in Osnabrück geben. Als diese nicht zustande kam, hat das Landesmuseum Detmold, das auch eine eigene, beachtliche vor- und frühgeschichtliche Sammlung sein eigen nennt, diesen Part übernommen. Aber der hat nicht nur nichts mit dem „Mythos“ zu tun, er raubt dem Mythos leider auch den Raum.