Möglicherweise wird die «Imperium»-Ausstellung von den Inszenierungen und Events in Kalkriese ausgestochen werden, was die Besucherzahlen angeht. Und in der Tat: Wer in diesen Tagen nach Haltern kommt, um die Schau in der Seestadthalle zu besuchen, wird auf den ersten Metern nicht überwältigt. Zwei Kassen in einem Container, im nüchternen Foyer des Mehrzweckgebäudes links ein großer Stand als Museumsshop, dahinter ein Abstellraum, der als Garderobe hergerichtet ist. Doch nach dem Durchschreiten des dunkel verhängten Eingangs beginnt eine Sensation – ein grandioses Ensemble von Ikonen politischer Kunst in Rom bis in die frühe Kaiserzeit. Seit „Kaiser Augustus und die verlorene Republik“ (Berlin 1988) war in Deutschland nicht mehr so viel von dem versammelt, was unser Bild von den Römern geprägt hat. Zum Glück haben die Gestalter der Ausstellung darauf verzichtet, ein postmodernes und politisch korrektes Sammelsurium von Politik, Kultur, Wirtschaft und ‘Alltag‘ auszuschütten, wie es zuletzt die Berliner, dann Bonner Ausstellung zur griechischen Klassik den Blick verstellt hatte, als man sich nicht traute, nur das zu zeigen, was an dieser Epoche wichtig war: die Bändigung von Natur und Gewalt durch Schönheit und Teilhabe.
In Haltern ist zu sehen, was an den Römern wichtig war: die Akkumulation von Macht und ihre Transformation in Herrschaft unter der wirkenden Kraft der Kultur. Der Weg war lang. In einem kleinen, schwarz verhängten Vorraum die Dark Ages der frühen Jahrhunderte, erhellt nur durch die beiden Gründungsmythen der Römer: Aeneas, der Flüchtling aus dem brennenden Troja, daneben Romulus und Remus. Der Aufstieg zur Großmacht begann in den Samnitenkriegen, für die in Haltern das Fabierfresko steht, eine Grabmalerei vom Esquilin in Rom. Es ist ein Schlüsselzeugnis. Der Kampf ist in dem Fragment buchstäblich an den Rand gedrückt, im Mittelpunkt stehen ausgestreckte Hände. Sie markieren aber keine Versöhnung, sondern das Bitten des sich Unterwerfenden, das vom römischen Sieger entgegengenommen wird. Darin drückte sich wiederum eine Berechenbarkeit aus, die es dem Schwächeren erlaubte, den Kampf aufzugeben, um in einen (ungleiches) Bündnis mit dem Sieger einzutreten. Wer verstehen will, warum Rom durch Expansion nicht schwächer, sondern stärker wurde, muß bei solchen Schlüsselzeugnissen anfangen. Leider ist auf dem Fresko heute weniger zu erkennen als zur Zeit seiner Entdeckung, weswegen man sich die Erklärung durch eine alte Reproduktion wünschen könnte.
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Kritiker dieses Blogs monieren bisweilen, die Einträge seien zu lang. Deshalb hier nur eine Liste der aus meiner Sicht aufregendsten Exponate: Grabmalerei mit samnitischen Reitern, Statuette eines Kriegselefanten mit Wehrturm und Reiter, der Togatus Barberini, das Turiner Caesarporträt, zwei Fragmente der sog. Laudatio Turiae, der bewegenden Grabrede eines namentlich unbekannten Römers auf seine loyale und tapfere Frau, ein Oktavian im Actium-Typus, das Vatikanische Kriegsschiffrelief (im Katalog leider seitenverkehrt abgedruckt), der Clupeus Virtutis des Augustus aus Arles, das Münchener Schmuckrelief mit Bauer und Kuh, mehrere Handschriftenbände augusteischer Dichter, die Inschrift auf der Basis einer Ehrenstatue für Varus aus Tenos, Abgüsse zweier Platten von der Ara Pacis Augustae, der separat klimatisierte und an einen Andachtsraum gemahnende ‘Kaisersaal“ mit dem Augustus von der Via Labicana, daneben seine Frau Livia (Zuschreibung unsicher; gesichert dagegen ein ebenfalls gezeigter Porträtkopf), deren Sohn Tiberius, ferner klassizisierende Statuen von Gaius und Lucius Caesar, den beiden Enkeln des Augustus, auf denen alle Nachfolgehoffnungen ruhten, bis sie in jungen Jahren starben. Ein Hoffnungsträger, für antike Verhältnisse geradezu ein Popstar, war gewiß auch der ebenfalls durch eine Statue präsente Germanicus, Großneffe des Augustus und Vater des späteren Kaisers Caligula. Als er 19 n.Chr. überraschend und auf etwas undurchsichtige Weise während einer Mission in den Osten des Reiches starb, mußte ihn die Regierung mit Totenehren überschütten, um das aufgebrachte Volk zu beruhigen. Wer beflügelt von den vielen Höhepunkten der Schau dem Ausgang entgegenschwebt, läuft fast Gefahr, rechter Hand eine unscheinbare Vitrine zu übersehen: die Tabula Siarensis, zwei Bruchstücke einer wunderbar lesbaren Bronzetafel, die diese Ehrungen haarklein aufzählt.
Unerwünschte Aktualität gibt es auch. Zugesagt war die Ausleihe der Fasti Amiterni, eines in Stein gemeißelten Kalenders wohl aus der Zeit des Kaisers Tiberius, auf dem sehr schön die Zeitrhythmen der Römer ablesbar sind: zwölf Monate, dreihundertfünfundsechzig Tage wie bei uns, dann aber eine Achttagewoche, ablesbar an den Nundinalbuchstaben A bis H, Kalenden, Nonen und Iden als Ankerpunkte der Tageszählung, dazu unterschiedliche Tagesqualitäten. Die Tafel hängt im Museum in L’Aquila; sie wurde durch das Erdbeben im Frühjahr zum Glück nicht beschädigt, an Demontage und Abtransport war aber aufgrund der Umstände natürlich nicht zu denken.
Hohes Lob verdienen die Bildschirmanimationen. Sie machen aus rätselhaften Buchstaben – manchmal eher Ritzungen – auf Münzen, Bleimarken und Inschriftensteinen lesbare Texte, indem Sie farbig hervorheben und übersetzen, was wichtig ist – in diesem Fall: die Karrierestationen des P. Quinctilius Varus. Und ein Führer nimmt sich sogar die Zeit zu erklären, was ein Abklatsch ist und wie Epigraphiker durch diese alte Technik immer noch unlesbar Erscheinendes entziffern. Eine Computeranimation zeigt Waldgirmes, jene erst kürzlich ergrabene römische Zivilsiedlung an der Lahn, die den Willen der Römer, ihre Zivilisation mit hohen Kosten auch nach Germanien zu bringen, eindruckvoll unterstreicht. Aber mit Recht zeigen die Bilder eine Stadt under construction, viel Holz, viel Grün ringsherum, sicher noch ein langer Weg, selbst wenn die Varusschlacht nicht geschlagen oder anders ausgegangen wäre.
Der Katalog hingegen läßt Wünsche offen, nicht bei den höchst instruktiven Texten, sondern bei den Bildern. Sie sind zahlreich, und für fünfundzwanzig Euro wird auf gutem Papier viel geboten. Aber wer die Objekte auch zu Hause noch einmal genauer studieren möchte, wird sich oft größere und besser reproduzierte Abbildungen wünschen (und dafür auch gern mehr bezahlen). In den Essays finden sich, um eine ‘Bleiwüste‘ zu vermeiden, Bilder eingestreut, die anschließend – etwas kleiner – auch im Katalogteil auftauchen. In der Summe ist aber keines des Bilder so groß und qualitätvoll, daß man es im Detail betrachten kann und mag. Das gilt für den Togatus Barberini, aber auch für einen etruskischen Bronzespiegel, dessen Deutung vorn als sicher, weiter hinten als strittig angegeben wird und dem in jedem Fall eine Umzeichnung fehlt. Die Abbildungen der Hand- und Inschriften sind hier und da nicht lesbar, dienen also nur der Illustration. Wer eine gute Kamera hat, sollte versuchen, von der Tabulas Siarensis (ohne Blitz!) gute Aufnahmen zu machen.
Doch genug der Marotten und Monenda. Für „Imperium“ kann nur eine Maxime gelten: Kommt und macht die Augen auf!
Bis 11. Oktober, Einzelticket € 9,00, ermäßigt € 6,00.