Auch zu diesem Eintrag gab es eine Reihe von Kommentaren und weiterführenden Überlegungen. Mit Recht wurde darauf verwiesen, daß man auch die Herrschaft der sog. Dreißig in Athen kurz nach Ende des Peloponnesischen Krieges als Variante des Staatsterrorismus bezeichnen könnte. Eine kleine Clique hatte 404/03 mit Unterstützung des Spartaners Lysander in Athen die Macht übernommen und eine Oligarchie errichtet. Der Terror war im wesentlichen justizförmig und richtete sich gegen überzeugte Anhänger der Demokratie, besonders wenn diese wohlhabend waren; wie bei den Proskriptionen in Rom war die terroristisch ausgeübte Gewalt eine Dimension eines ‘heißen‘ Bürgerkrieges und hielt daher hier wie dort nur wenige Monate an. Staatlicher Terror und gegenstaatlicher Terrorismus haben dagegen eines gemeinsam: Sie werden über einen längeren Zeitraum ausgeübt und schaffen so selbst durch Aktionen mit einer nur kleinen Zahl von Opfern eine stets gegenwärtige Bedrohung für eine sehr viel größere Zahl potentieller Opfer: Wie vergleichsweise wenige Repräsentanten der Bundesrepublik wurden in den 1970er Jahren von der RAF und verwandten Zellen getötet, aber wie viele andere erhielten gepanzerte Dienstwagen und verstärkten Personenschutz? Das unterscheidet terroristische Handlungen grundlegend von Attentaten, deren bekannteste und wirkungsgeschichtlich wichtigste antike Spielart der Tyrannenmord war – das zu dem Leser, der sich mehr begriffliche Schärfe wünscht.
Asymmetrisch sind übrigens beide von mir unterschiedenen Modi: sowohl der staatliche Terror, weil seine Urheber über mächtige Ressourcen verfügen, die in ‘normalen‘ Systemen legitime Gewalt ausüben (Justiz, Gesetze und Sicherheitskräfte), als auch die Terroristen, die konspirativ vorgehen und mit geringen Mitteln große Verunsicherung auslösen können, während die Kräfte des Staates einen sehr hohen Aufwand betreiben müssen, um wenigstens halbwegs verläßliche Sicherheit herzustellen – und das bisweilen mit Maßnahmen, die erhebliche Eingriffe in das Leben auch von Unbedrohten darstellen. Deshalb können Terror und Terrorismus auch dann wirksam sein, wenn die Urheber keine Konzentrationslager unterhalten bzw. nicht mit modernen Waffen viele Menschen auf einmal töten können. So mit Recht ein Leser: Nicht die Anzahl der Opfer ist das Entscheidende, sondern die Unberechenbarkeit, wer Opfer sein wird (s.o. zu den gepanzerten Dienstwagen).
Ein anderer Kommentar bemängelte das Fehlen einer Analyse des islamistischen Terrors, auf deren Grundlage man dann erst Vergleiche zu antiken Formen des Terrors ziehen könne. In der Tat steht der islamistische Terror im Mittelpunkt des aktuellen Interesses, aber er ist doch nur eine Form des Terrorismus mit einer komplexen Gemengelage von ‘Ursachen‘ und der Besonderheit des Selbstmordattentats. Daran lassen sich vielerlei Überlegungen und auch eine historische Spurensuche anschließen, die vielleicht zurück zu den ebenfalls islamischen Assassinen führen würde, einer von der ismailitischen Schia abgespaltene Sekte. Aber keinesfalls bis in die Antike.
Ich habe auch keinen „direkten Traditionsstrang von der Zeitenwende bis zu unserer Gegenwart ziehen“ wollen; Terror und Terrorismus sind, wie gesagt, moderne Ordnungsbegriffe, die es erlauben, bestimmte Phänomene zu vergleichen und durch Typologisierung besser erklären zu können, auch wenn – zumindest in der Vormoderne – die Späteren von den Früheren in der Regel keine Kenntnis hatten und diese mit Sicherheit nicht zum Vorbild nahmen (im Sinne von Nietzsches monumentalischem Gebrauch von Geschichte).
In einem Punkt muß ich mich aber in der Tat korrigieren: In der Althistorie hat man sich tatsächlich vor kurzem schon einmal mit dem Gegenstand beschäftigt und ihn auszumessen versucht. Die kleine, aber feine Fondazione Niccolò Canussio, eine italienische Privatstiftung zur Förderung altertumswissenschaftlicher Forschung, hat 2005 ihre jährliche Konferenz in Cividale del Friuli dem Thema Gewalt, Einschüchterung und Verschwörung in den Antike gewidmet und ein Jahr später einen stattlichen Tagungsband publiziert, der auch komplett online gestellt wurde. Wie der Untertitel schon sagt, wird hier jedoch ein viel weiteres Feld untersucht. Die sikarioi kommen vor und die Proskriptionen, aber auch gewaltträchtige Figurationen wie die Ständekämpfe in Rom und das Söldnertum in Griechenland. Religiöse Hysterie und Sektentum werden ebenfalls behandelt. Zwei Texte erörtern, welche Rolle Terror im Prozeß der kriegerischen Expansion Roms spielte – und am anderen Ende der Antike aus der Sicht der verfolgten Christen.
Heinz Halm, Die Assassinen 1092 bis 1273, in: Alexander Demandt (Hg.), Das Attentat in der Geschichte. Köln/Wien 1996, 61-74.
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