Antike und Abendland

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Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Un-geiziges Altertum – eine Leerstelle?

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Volker Reinhardt hat kurz nacheinander zwei Bücher vorgelegt. Auf die „Tyrannei der Tugend" Johannes Calvins in Genf folgt jetzt „Mein Geld! Meine...

Volker Reinhardt hat kurz nacheinander zwei Bücher vorgelegt. Auf die „Tyrannei der Tugend“ Johannes Calvins in Genf folgt jetzt „Mein Geld! Meine Seele! Die größten Geizhälse und ihre Geschichten“. Der superlativische Untertitel im Duktus der RTL-Hitshows mag dem Marketing geschuldet sein. Der Inhalt des Buches selbst erweckt aber vor allem einen hier vornehmlich interessierenden Eindruck: In der Antike gab es offenbar niemanden, der in die Galerie hineingehört. Die Reihe beginnt – nach Einleitung und einem Kapitel über die Visualisierung des Geizes bei Hieronymus Bosch – mit Francesco Datini (ca. 1335-1410). Nun ist Reinhardt Frühneuzeithistoriker; da er die Reihe aber bis Paul Getty führt, kann disziplinäre Beschränkung kein maßgeblicher Grund gewesen sein.

Bild zu: Un-geiziges Altertum – eine Leerstelle?
In der gedankenreichen Einleitung verknüpft der Autor Geiz, Geld und Gott:
„Geld macht glücklich, weil es Beständigkeit, in den Worten Georg Simmels: «eine einzigartige und mit Worten nicht weiter ausdrückbare Einheit» bedeutet. Diese höchste Einheit ist für den Gläubigen Gott; sein höchstes Ziel besteht darin, mit seinem Schöpfer eins zu sein. Insofern haben die Theologen doch wieder Recht. Der Geizige vergöttert sein Geld, weil es ihm innerweltliche Ewigkeit verspricht.
Und eine weitere Ähnlichkeit zur Religion tritt hervor: Genuss durch Verzicht. Der Geizige zieht Befriedigung daraus, sich die für Geld erhältlichen Freuden des Lebens zu versagen; das Bewusstsein der Selbstüberwindung verschafft ihm eine bei weitem größere Genugtuung als der in seinen Augen sündhafte Akt, der Versuchung nachzugeben. Dabei steigert sich diese Selbstzufriedenheit, je inten-siver das verachtete Begehren ausfällt; dann nämlich umkleidet sich die Verweigerung mit «jenem feinen Reize der Resignation», dem Glückserlebnis des Geizigen schlechthin. Den Konflikt zwischen den Kräften, die das Verbot auferlegen, und denen, die ihm Großzügigkeit gegenüber sich selbst einflüstern, erfährt der Geizige als heroisch, die erfolgreiche Bekämpfung seines hedonistischen Triebes hält er für einen Sieg der Disziplin. Ähnlichkeiten zu religiös motivierter Selbstgeißelung und zum Eremiten in der Wüste, der allen Anfechtungen widersteht, stechen ins Auge.“

Spielte Geiz, spielten Geizige in antiken Gesellschaften, die (in vorchristlicher Zeit) keine Theologie des Verzichtens kannten, sondern nur eine Ethik des individuellen Maßhaltens, keine Rolle? Die soziale Norm des Wohltätertums (Euergetismus), von dem an dieser Stelle kürzlich die Rede war, scheint die Frage zu bejahen. Doch liegen die Dinge komplizierter, wie eine etwas skurrile Fußnote in Webers „Protestantischer Ethik“ nahelegt:
„Ich erinnere mich – neben vielen anderen Beispielen – speziell eines in seinem Geschäftsleben ungewöhnlich erfolgreichen und in seinem Alter sehr begüterten Fabrikanten, der, als ihm ärztlicherseits bei einer hartnäckigen Verdauungsschwäche der Genuß von einigen Austern täglich angeraten wurde, dazu nur mit der größten Schwierigkeit zu bewegen war. Sehr erhebliche Stiftungen zu wohltätigen Zwecken, die er schon bei Lebzeiten vornahm, und eine »offene Hand« zeigten andererseits, daß es sich dabei lediglich um einen Rückstand jenes »asketischen« Empfindens handelte, welches den eigenen Genuß des Besitzes für sittlich bedenklich hält, nicht etwa um irgend etwas mit »Geiz« Verwandtes.“

In der Antike aber konnte man Geiz in der Tat am Lackmustest der erwarteten Großzügigkeit (eleutheria / liberalitas) des Reichen messen. Das zeigen die Verhaltensweise, die der Aristoteles-Schüler Theophrast in seiner Galerie der Charaktere vorstellt. Dort heißt es vom „Geizigen“ (aneleútheros):
„Die Knauserei ist ein Übermaß an Geldliebe, das aus Mangel an Ehrgefühl Ausgaben spart, der Knauser aber etwa von folgender Art: Hat er mit einem tragischen Chor gesiegt, so weiht er dem Dionysos eine nur mit seiner Namensinschrift versehene Holzkrone (d.h. um die ohnehin aufwendige Leiturgie nicht noch weiter zu verteuern). Wenn vom Volke eine außerordentliche freiwillige Steuer beantragt wird, steht er auf und schleicht sich stillschweigend aus der Volksversammlung davon. Wenn eine seiner Töchter Hochzeit hat, verkauft er alles Opferfleisch mit Ausnahme der Stücke, die für die Priester bestimmt sind (d.h. er verteilt es nicht an die Gäste und Mitbürger, die nicht selten auf solche Gelegenheiten angewiesen waren, wollten sie überhaupt einmal Fleisch essen).“
Theophrast läßt dem unwürdigen Verhalten noch eine negative Steigerung folgen, die schmutzige Gewinnsucht (aischrokérdeia). Ein solcher Mensch pumpt den Gastfreund an, der bei ihm abgestiegen ist, verkauft gepanschten Wein auch an Freunde, behält als Gesandter Spesengelder und leiht sich das Nötige statt dessen bei den Mitgesandten, er verringert mit falschem Maß die Essensrationen seiner Sklaven, zieht bei der Rückzahlung von Schulden Skonto ab, kürzt das Schulgeld für seine Söhne, wenn diese einige Tage krankheitshalber nicht zum Unterricht kommen können, und verreist, wenn ein Freund heiratet und ein Hochzeitsgeschenk fällig wäre. Die Beispiele bewegen sich, anders als bei der aneleuthería, fast alle im geschäftlichen oder privaten Bereich.
Die griechischen Wörter für das Bedeutungsfeld Geiz/geizig zeigen, welche Vorstellungen sich mit diesem Verhalten verbanden: eine dem freien Mann (eleútheros) unwürdige Gesinnung; die Neigung, alles ins kleinste zu zerlegen (knipós, von knízein – reiben, kratzen, schaben, vgl. das alte deutsche Wort Knicker, von abzwacken, knausern); geldliebend (erasichrêmatos); kleinlich, pedantisch (mikrológos); schmutzig (rhyparós, vgl. latein. sordes); auf einem niedrigen Schemel sitzend (skólythros). Tenacitas bedeutet im Lateinischen so viel wie übertriebenes Festhalten am Erworbenen.
Aristoteles hielt den Geiz für unheilbar. Cicero definierte avaritia als „heftige, (fest) anhaftende und tief eingesenkte Vorstellung vom Geld, als wäre dieses außerordentlich begehrenswert“ (est autem avaritia opinatio vehemens de pecunia, quasi valde expetenda sit, inhaerens et penitus insita, Tusc. 4,26). Das entspricht der Sicht der Stoiker, die „Geldliebe“ (philargyría) zur krankhaften Sucht erklärten, die sie näher bestimmten als „zu einer dauernden Haltung entwickelten und verhärteten Meinung“.
Schwierig ist semantisch wie sachlich die Abgrenzung von Geiz und Habsucht; die Urteile der antiken und frühchristlichen Schriftsteller zu beidem sehr schön bei Karl Suso Frank, Habsucht (Geiz), in: Reallexikon für Antike und Christentum Bd. 13, Stuttgart 1986, 226-247.

Die Differenzierung, d.h. die dem heutigen Sprachgebrauch entsprechende weitere Verengung des Geiz-Begriffes, vollzog erst Kant (Metaphysik der Sitten, Tugendlehre § 10): „Ich verstehe hier unter diesem Namen nicht den habsüchtigen Geiz (den Hang zur Erweiterung seines Erwerbs der Mittel zum Wohlleben über die Schranken des wahren Bedürfnisses): denn dieser kann auch als bloße Verletzung seiner Pflicht (der Wohltätigkeit) gegen andere betrachtet werden; sondern den kargen Geiz, welcher, wenn er schimpflich ist, Knickerei oder Knauserei genannt wird, und zwar nicht insofern er in Vernachlässigung seiner Liebespflichten gegen andere besteht, sondern insofern, als die Verengung seines eigenen Genusses der Mittel zum Wohlleben unter das Maß des wahren Bedürfnisses der Pflicht gegen sich selbst widerstreitet»

Große Geizhälse der Antike? Sicher nur ein kleiner war, wenn man den spärlichen Quellen glauben mag, Quintus Aelius Tubero, Enkel des Makedonensiegers Aemilius Paullus und Neffe des Scipio Aemilianus. Mit seiner Bewerbung um die Prätur fiel er in den 120er Jahren v.Chr. beim Wahlvolk durch, angeblich wegen seines Geizes bei der Ausrichtung des Leichenschmauses für Scipio. 193 n.Chr. ermordeten die Prätorianer Pertinax, weil sie ihn für geizig hielten und fürchteten, daß er ihnen strikte Disziplin auferlegen wolle.
Kaiser Vespasian (reg. 69-79 n.Chr., s. hier) wird in den Quellen gelegentlich avarus genannt. Doch in erster Linie suchte er die Einnahmen zu erhöhen, um die von Nero ruinierten Staatsfinanzen zu sanieren; bei den Ausgaben sparte er auf einigen Feldern (z.B. gegenüber den Soldaten, was nicht ohne Risiko war), baute aber andererseits das Colosseum. Sueton (Vespasian 17ff.) bescheinigt ihm ausdrücklich Großzügigkeit gegenüber in Not geratenen Senatoren, ferner Gelehrten und Künstlern. „Aber auch so vermochte er den alten Ruf der Habgier nicht zu tilgen. Die Alexandriner fuhren nämlich fort, ihn »Kybiosaktes« zu nennen, Beiname einer ihrer Könige, der für seinen schmutzigen Geiz bekannt gewesen war. Selbst bei des Kaisers Begräbnis fragte der Oberpantomime Favor, der Vespasians Maske trug und, wie es Brauch ist, seine Gesten und Reden nachahmte, vor allen Leuten die Prokuratoren, wieviel das Begräbnis und der Leichenzug kosteten. Als diese ihm antworteten, zehn Millionen Sesterzen, rief er aus, sie sollten ihm hunderttausend Sesterzen geben und ihn dann seinetwegen in den Tiber werfen.“

 


1 Lesermeinung

  1. franket sagt:

    Zum Reichtum in der Antike...
    Zum Reichtum in der Antike fallen mir spontan ein:
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    Anekdote bei Herodot: Ein Reicher spendet dem persischen Großkönig, will seinen Sohn vom Wehrdienst freikaufen, woraufhin dieser getötet wird.
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    Cato maior (minor?) sieht die Macht in der Republik an die Geldsäcke wandern.
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    Verres rafft in Sizilien und wird von Cicero angeklagt.
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    Crassus finanziert Caesar.
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    Geiz und Raffsucht dürfte am ehesten bei Verres zu finden sein.

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