Antike und Abendland

Globale Dunkelmänner, globales Erbe. Zur Debatte um das Eigentum an Objekten aus der Antike

In die endlose Diskussion um die Rückgabe antiker Artefakte an die ‘Herkunftsländer“ ist wieder einmal Bewegung gekommen. Letzten Freitag kündigte der Louvre an, fünf Fresken aus der Pharaonenzeit an Ägypten zurückzugeben. Triumphe wären jedoch verfrüht, denn der Fall liegt anders als in den meisten anderen Streitwiedergängern (am prominentesten: Elgin-Marbles, Pergamonaltar, Nofretete). Denn die Fresken waren vom Louvre erst 2000 bzw. 2003 im Kunsthandel erworben worden, wie sich jetzt herausstellt offenbar aus dunklen Quellen. Man kann sich fragen, ob vor dem Ankauf alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen wurden. Außerdem hat Ägypten zwischenzeitlich offenbar eine Drohkulisse aufgebaut, indem Tagungen abgesagt und Genehmigungen widerrufen wurden – für die etwa sechzig französischen Archäologen, die z.Zt. in Ägypten tätig sind, keine rosigen Aussichten.
Das Problem ist alt. Längst geht es nicht mehr um Einzelaktionen von Kaufleuten und Diplomaten, die aus Antikebegeisterung und robustem Nationalstolz heraus Objekte in die europäischen „Kulturstaaten“ verbrachten, wo sie auf ebenso ausgerichtete Bildungseliten trafen, während die Stücke in ihren Fundregionen unbeachtet blieben oder sogar zerstört wurden. Längst haben Marktgesetze Einzug gehalten und schwer durchschaubare Verflechtungen hervorgebracht, in denen kriminelle Organisationen die Nachfrage von Sammlern bedienen. Die Kette reicht von Bauern und Banden über schlecht bezahlte Bewacher archäologischer Ausgrabungen und Museumsmagazine hin zu Zollbeamten und Schmugglern. Antiken sind in diesem Sinne ein illegales und profitables Wirtschaftsgut, wie Felle geschützter Tiere und Eier seltener Vogelarten; anders als beim Rauschgifthandel sorgt die professionalisierte und organisierte Raub- und Schmuggelpraxis in allen Fällen dafür, daß das ‘Angebot‘ immer knapper und bedrohter wird. Zonen geringer oder chaotischer Staatlichkeit wie vor einiger Zeit im Irak oder z.Zt. in Afghanistan sind für das Funktionieren des Flusses nicht erforderlich, aber selbstredend hilfreich.
Der Schaden der Raubgrabungen für die archäologische Wissenschaft liegt bekanntlich darin, daß Kontexte zerstört werden, die erst in der Zusammenschau Auskünfte über antikes Leben zu geben vermögen. Die Objekte sind der Forschung also primär Mittel, Wissen zu gewinnen. Museen mühen sich mit mehr oder weniger Erfolg, diese Kontexte ebenfalls verstehbar zu machen, aber von ihrer Entstehung aus den fürstlichen Sammlungen her sind sie zugleich vom gleichen Grundgedanken geprägt wie die neureichen Privatsammler: Das einzelne Objekt besitzt Alterswert, Einzigkeitswert und Prestigewert, oft auch Schönheitswert.
Auch dort, wo keine zweifelhafte Herkunft im Spiel ist, gibt es einen Markt für Antiken, und deren Wert ergibt sich aus der Zirkulation zwischen Privatsammlern, Museen, japanischen Banken und amerikanischen Pensionsfonds. Die Beschreibungen in Auktionskatalogen sind aufschlußreiche Texte, schwebend zwischen Schatzfundkribbeln und der Wohlanständigkeit besserer Kreise. In einem vor einiger Zeit erschienenen Buch hat der Archäologe Colin Renfrew nach Durchsicht zahlreicher Auktionsangebote einen einschlägigen Text idealtypisch fingiert (es geht um einen Sarkophag) „A highly important larnax of solid gold, of Hellenistic date and of Macedonian workmanship, with applied and inlaid gold rosettes, supported by four lion’s legs. Found in Macedonia, Thrace or the Euxine coast, reportedly during the First World War. The property of a gentle-man, acquired from a distinguished Greek family in Alexandria.“
Gewiß ist Menschenhandel schlimmer als Pelztierhandel und tötet der illegale Antikenhandel keine lebenden Elefanten. Aber alle gehorchen ähnlichen Mechanismen. Man wird nicht gleich Hemingway und Indiana Jones aus dem Imaginären des Westens streichen müssen. Denn was die Jagd auf exotische Tiere und antike Objekte heute bedeuten, hat mit den Helden unserer Kindheit ohnehin nichts mehr zu tun.

Colin Renfrew, Loot, Legitimacy and Ownership. The ethical crisis in archaeology, London 2001.
Neil Brodie, Jennifer Doole, Colin Renfrew (Hgg.), Trade in Illicit Antiquities. The destruction of the world’s archaeological heritage. McDonald Institute for Archaeological Research, Cambridge 2001.

Die amerikanischen und europäischen Museen widersetzen sich aus naheliegenden Gründen einer ‘Rückgabe‘ in größerem Umfang: Wer wirkt schon gern an der eigenen Selbstabschaffung mit, wenn nicht einmal sichergestellt ist, daß die eventuell ausgehändigten Stücke in ihrem ‘Ursprungsland‘ auf Dauer ähnlich gut aufbewahrt werden wie jetzt in einem Berliner, Londoner oder New Yorker Museum – selbst Repatriierungsbefürworter dürften schaudern, wenn sie an die Möglichkeit eines radikal-islamistischen Umsturzes in Ägypten denken. Der Widerstand ist teils halbherzig. So haben sich im Juni 2008 die Direktoren der führenden Kunstmuseen in den USA darauf verständigt, nur noch Antiken anzukaufen, die vor 1970 – dem Jahr einer ersten einschlägigen UNESCO-Konvention – aus ihrem wahrscheinlichen Herkunftsland exportiert wurden oder die danach legal exportiert wurden. Nach Einschätzung von Experten haben sich die Museen damit bereits faktisch vom Kunstmarkt verabschiedet. Immerhin hat sich aber eine Reihe von Direktoren erstklassiger amerikanischer und europäischer Museen bereits 2002 auf eine Declaration on the Importance and Value of Universal Museums verständigt, in der die Verwahrung von Antiken in „enzyklopäischen Museen“ energisch verteidigt wird. Ihre Position wäre freilich stärker, wenn sich nicht seitdem das Metropolitan Museum of Art, das Boston Museum of Fine Arts, das Getty-Museum, das Princeton Museum of Art and das Cleveland Museum of Art veranlaßt gesehen hätten, Dutzende wertvolle Objekte an Italien zurückzugeben, weil sie erst jüngst erworben worden waren und offenbar ebenfalls aus zweifelhaften Quellen stammten.
James Cuno, Direktor des Art Institute of Chicago, hat nun ein listiges Plädoyer für Universalmuseen gehalten: Viel besser als die meist partikularen, von anachronistischen nationalen Sinnstiftungsbedürfnissen geleiteten Museen vieler ‘Ursprungsländer‘ seien jede in der Lage, weitreichende historisch-kulturelle Zusammenhänge deutlich zu machen: Diese Museen „direct attention to distant cultures, asking visitors to respect the values of others and seek connections between cultures. Encyclopedic museums promote the understanding of culture as always fluid, ever changing, ever influenced by new and strange things – evidence of the overlapping diversity of mankind.“
Gleichzeitig polemisiert Cuno gegen die Vorstellung vom Kulturerbe. Einschlägige Gesetze in Italien, der Türkei, aber auch in China machten den jeweils aktuellen Staat zum Eigentümer aller antiken Kulturgüter, die vor kurzem oder vor längerer Zeit auf ihrem Boden gefunden wurden. Aber was hätten etruskische Vasen mit Italien zu tun, was hethitischer Schmuck mit dem Kultusminister in Ankara? „Antiquities are ancient artifacts of times and cultures long preceding the history of the modern nation-state. And in all but a very few cases, they have no obvious relation to that state other than the accident of geography: they happen to be found within its modern borders.“ Eine Wertbeziehung bestehe zwischen den Bevölkerungen dieser Länder und den Antiken meist nicht, während es eine solche in der internationalen Gemeinschaft der Kenner und Gelehrten durchaus gebe; deswegen sollten nicht die großen Museen ihre Ankaufpolitik ändern, sondern die ‘Ursprungsländer‘ ihre Kulturerbegesetze abschaffen.
In der Tat können antikebasierte Identitätsfiktionen noch heute politische und kulturelle Konflikte anheizen, wie der Streit zwischen Griechenland und Mazedonien um die antiken Makedonen zeigt, in den zuletzt sogar Präsident Obama persönlich hineingezogen werden sollte (nebenbei: Muß der Friedensnobelpreisträger jetzt zwischen Athen und Skopje pendeln, um wenigstens dort Frieden zu stiften?). Cuno betätigt sich als Kassandra: „I do recognize that nationalistic feelings have bred beautiful music, poetry, and works of visual art…. But all too often they have also hardened into ideologies with roots in fear and hatred of the Other, often with racist affinities. They then become dangerous as reprehensible means of oppressing others, sources of vicious, even barbaric sectarian violence, persuading colossal numbers of people to lay down their own lives in an effort to kill others.“
Cuno zieht auch geschickt die großen Linien, wenn er das Universalmuseum der Aufklärungszeit, das Nationalmuseum dagegen dem Zeitalter des Nationalismus zuschreibt. Dabei muß er allerdings unterschlagn, daß etwa das Britische Museum im 19. Jahrhundert keineswegs dem universalistischen Gedanken huldigte – es sei denn, damit wäre die Herrschaft Britannias rings um die Welt gemeint gewesen. Richtig ist aber, daß es lange Zeit ein auch vertraglich austariertes Gleichgewicht zwischen den Interessen der modernen Staaten mit Museen und archäologischer Wissenschaft und den ‘jungen‘ Staaten gab, die viel Hilfe beim Aufbau einer eigenen Museums- und Sammlungskultur erhielten. – Die Sache bleibt spannend.

James Cuno, Who Owns Antiquity? Museums and the Battle Over Our Ancient Heritage, Princeton 2009.
Ders. (Hg.), Whose Culture? The Promise of Museums and the Debate Over Antiquities, Princeton 2009.
Vgl. Hugh Eakin, Who Should Own the World’s Antiquities?, in: The New York Review of Books 56, 2009, Nr. 8 (14.5.2009).

Die mobile Version verlassen