In Großbritannien wird Robert Harris‘ Cicero-Roman Lustrum natürlich vor dem Hintergrund der eigenen politischen Kultur gelesen. Der Herausgeber des TLS, Peter Stothard, hat das vor einiger Zeit in einer längeren Rezension vorgeführt. So publizierte Conyers Middleton, der Bibliothekar der Cambridge-University, bereits 1741 eine höchst erfolgreiche dreibändige Cicero-Biographie und widmete sie einem schillernden zeitgenössischen Politiker, John Hervey, Baron of Ickworth (1696-1743), einem Hofmann um King George II., Berater sowohl der Gattin des Königs als auch des Premierministers Robert Walpole und Zielscheibe zeitgenössischer Satiren und Karikaturen. Herwey schrieb seine Memoiren für Leser, die vorzogen, „to see the great ‚dressing and undressing rather than when they are playing their part on the public stage“. Die in dieser Zeit von der schottischen Aufklärung bereits gesamtgesellschaftlich, also sehr grundsätzlich diskutierten Unterschiede zwischen Antike und Gegenwart brach Middleton auf das den Beehrten allein Interessierende herunter: In der Moderne habe ein Genie wenig Gelegenheit und Anstoß, sich zu seiner wahren Größe zu entfalten, während es in Rom Platz gab „for a race of nobles superior than even kings“.
Harris widmete sein Buch Peter Mandelson, „currently Lord President of the Council and the most powerful figure in the Labour government of Gordon Brown, previously the scandal-scarred adviser and admirer of the Princess of Wales in the time of Tony Blair, bouncer in and out of ministerial Office and the butt of satirists quite as savage as Pope and considerably more numerous“. Stothard preist Lustrum unabhängig von solchen eher spielerischen Parallelen als ein ernsthaftes und gutes Stück Erzählkunst, geschrieben mit dem Ton eines politischen Insiders. Dabei folgt Harris dem großen Ronald Syme (The Roman Revolution) darin, die Zeit um 60 als entscheidend anzusehen, die Jahre von der peinlich scheiternden Rückkehr des siegreichen Pompeius in die stadtrömische Politik bis zu Caesars Konsulat, das in einer politischen Totalkonfrontation zwischen diesem und seinen Gegnern im Senat endete und einen Pfad in einen möglichen Bürgerkrieg bahnte.
Stodhard deutet an, warum Cicero in England anders angesehen war und wird als hierzulande. Schon Conyers Middleton sah ihn als Helden im edlen Kampf gegen Gier, Gewalt und Tyrannis. Der Redner, Schriftsteller und Politiker erwies sich als ideales Vorbild in einem sich ausbildenden politischen System, dessen Vertreter Bildung, Umgangsformen, Kraft des Wortes, taktische Finessen und Prinzipienfestigkeit im Grundsätzlichen in sich zu vereinen suchten. Ciceros Selbstzeugnisse, vor allem seine Briefe, gerieten dort nicht zur Munition für Spott und Hohn, wie das bei Drumann und Mommsen der Fall war. «Cicero also sometimes lied, but hated himself when he did so and was overall a „shining example“ for a client to put before a patron like Lord Hervey: „in a nation like ours, which, from the natural effect of freedom, is divided into opposite parties, friendships with certain men will sometimes draw the best citizens into measures of a subordinate kind which they cannot wholly approve“.» Cato erscheint in einem solch pragmatischen Politikentwurf als unflexibler Prinzipienreiter. Harris folgt dieser Einstellung; sein Cato hält sich einen Hausphilosophen, hält sich an die in einem Leitfaden niedergelegten Maximen und geht ausgerechnet in die Wahl zum Volkstribunat mit der Erklärung. er wolle als Politiker ganz anders sein als alle anderen Politiker. Doch die Politik, so Harris ironisch, folge nicht den Ordnungswünschen von Hochschullehrern und Hühnerzüchtern, wie auch die Ereignisse kein „eins nach dem anderen“ kennen.
Literarisch folgt Harris einem gängigen Muster: Eine historisch belegte, aber nicht übermäßig profilierte Gestalt übernimmt den Part des Erzählers. Hier ist das Tiro, Ciceros vertrauter Sklave, 53 freigelassen, Empfänger einiger Briefe, Walter des literarischen Nachlasses, Autor einer umfangreichen Biographie Ciceros, von der sich nichts erhalten hat, und fast vierzig Jahre nach seinem Herren und Freund im biblischen Alter von fast Hundert gestorben. Im Roman ist Tiro ein loyaler, aber durchaus selbständiger ‘Leser‘ von Ciceros Persönlichkeit. Die Erkenntnis aus dessen Leben teilt er dem Leser dankenswerterweise mit: Bei allen Männern, die ihr Lebensziel erreicht haben, gebe es nur eine dünne Linie zwischen Würde und Nichtigkeit, zwischen Zuversicht und Täuschung, Ruhm und Selbstzerstörung.
Harris‘ Leistung? Nick Rennison, Rezensent von Lustrum in der Sunday Times, sieht sie in einer echten Wiederbelebung Ciceros. Generationen von Schülern hätten durch das Übersetzen ciceronischer Perioden den Eindruck gewinnen müssen, der Verfertiger dieser Perioden müsse vor allem eines gewesen sein: langweilig und alt. (Ich selbst erinnere mich, wie in Stephen Saylors erstem Roman, der im Jahr 80 spielt, Cicero erstmals auftritt und vom Autor beschrieben wird. Eigentlich erst bei der Lektüre dieser Schilderung ist mir wirklich bewußt geworden, daß Cicero jung war, 25 Jahre, als er seine Karriere als Redner mit politischen Ambitionen begann.) Die gewollten oder hineingelesenen Anspielungen auf die aktuelle britische Politik seien demgegenüber weniger wichtig. Das Buch stehe auf eigenen Füßen, das republikanische Rom mit all seiner Größe und Verderbtheit sei kaum je so lebendig vorgestellt worden wie in diesem Buch; das gleiche gelte für die Verführung der Macht und die Abgründe, die sie umgeben.
Abb. (wg. Urheberrecht entfernt) des Titelkupfers einer Ciceroausgabe aus dem 17. Jh. aus dem Katalog der Ausstellung „Antikes Leben“, Bad Arolsen (s. Blog-Eintrag vom 19.10.2009). Die eintretende Person rechts könnte als Tiro gemeint sein.
Wird nicht immer der Fehler...
Wird nicht immer der Fehler gemacht, Geschichte aus dem jeweilig vorherrschenden und aktuellen Blickwinkel zu deuten? Von daher ist eine unterschiedliche Sichtweise nicht verwunderlich. Es wird jedoch wohl keine Sichtweise für sich alleine dem Menschen Cicero gerecht. So wie wir auch alle inkonsequent und nicht immer logisch handeln, so ist auch er eben nur eins: ein Mensch mit Fehlern und guten Seiten. Ich finde sowieso, dass sich Geschichte am besten verstehen lässt, wenn man das Wissen und die Weltsicht der damals lebenenden Menschen in die Interpretation mit einfliessen lässt.
Hier wird doch wohl im Grossen...
Hier wird doch wohl im Grossen auch gezeigt, dass Romane kaum zur Geschichtsdarstellung geeignet sind. Nicht in fortdauernden Ränken alleine spielen sich die Auseinandersetzungen ab, sondern sehr wohl auch auf einer anderen Ebene.
Im ersten Teil wurden richtig die sehr kritischen Anmerkungen Theodor Mommsens zu Cicero zitiert. Mommsen, beeindruckt von 1848, war an der römischen Republik interessiert und an der Frage, wie sie sich selbst zerstören konnte.
In der Republik war Cicero ein Vertreter eines Verfahrens vor Gericht, das Kläger und Beklagten gleichermassen vernichtet, wohl aber Richter und Anwälte gut dotiert, dies im Gegensatz zur republikanischen Auffassung, dass zuerst der Geschädigte in seinen früheren Stand gesetzt werden müsse.
Die ciceronische Rechtsübung wurde später von Bartolus de Saxoferrato und seinem Nachfolger Baldus de Ubaldis (14. Jhd.) und ihrer erfolgreichen und folgenreichen Schule beim Wiedererwachen des Interesses für das römische Recht vertreten. Es erhob sich aber auch immer wieder Abwehr dagegen, wie bei jenem überlieferten schweizer Landamman der einem gelehrten Anwalt im Gericht die Tür wies mit dem Ausruf, das er keine „Bartele und Baldele“ brauchen könne und ihm zeigte, wo Bartel den Most (Moos) holt: nicht bei ihm.
(Literatur: Ernst Spangenberg: Einleitung in das Römisch-Justinianeische Rechtsbuch, 1817, Digitalisat)
Gut zu wissen, daß in...
Gut zu wissen, daß in Großbritannien die Beschäftigung mit römicher Gechichte nicht mit Derek Jacobi geendet hat. 🙂
Wenn man also hierzulande die Rede für Sextus Roscius mit dem Hintergrund der eigene polit. Kultur läse, würde man mgl.weise zwischen „Anfangsverdacht“ und Proskription Unterschiede sehen. … mgl.weise auch nicht …