Sie scheint gerade zur rechten Zeit zu kommen, die neue WBG-Weltgeschichte in sechs handlichen Bänden. Denn die kultur- und nationenübergreifenden Zusammenhänge, sozusagen die historischen Globalisierungen vor der aktuellen, spielen mittlerweile auch in der deutschen Geschichtswissenschaft eine wichtige Rolle, und der Erfolg von Jürgen Osterhammels Monumentalwerk über das globale 19. Jahrhundert zeigt, daß damit auch ein breiteres Lesepublikum anzusprechen ist.
Auskunftsuchende werden also erwartungsfroh zu dem neuen Werk greifen. Und die Ankündigungen versprechen viel; erscheine hier doch „erstmals eine Darstellung der Geschichte der Menschen auf dem Planeten Erde unter Berücksichtigung aller Zeiten und Kulturen“, eine zugleich „knappe, aber umfassende Darstellung“. Verlag und Herausgeber haben sich für eine Aufteilung des gewaltigen Stoffes unter zahlreiche Autoren entschieden. Eine fokussierende Perspektive, wie sie Werke aus der Hand eines einzigen Autors auszeichnet – man mag neben den Arbeiten von Osterhammel und seiner Schule zumal die Bücher von William H. McNeill anführen -, ist unter diesen Voraussetzungen kaum zu entwickeln. Die WBG-Weltgeschichte steht also eher in der Tradition älterer universalgeschichtlicher Sammelwerke. Von diesen hatte seinerzeit nur die heute vergessene, siebenbändige Saeculum-Weltgeschichte den Versuch gemacht, die Autoren durch vorbereitende Tagungen und intensive Beratungen auf ein gemeinsames Paradigma zu verpflichten, ohne großen Erfolg übrigens.
Das neue Werk kehrt nun zur reinen Buchbindersynthese zurück. Am ehesten ist noch im ersten Band (Grundlagen der globalen Welt. Vom Beginn bis 600 v.Chr. Hrsg. von Albrecht Jockenhöfel) der Versuch wahrzunehmen, „die verschiedenen Kulturen und Ereignisse der Geschichte (…) nicht isoliert nebeneinander, sondern in ihren wechselseitigen Beziehungen und vielfachen Verflechtungen“ zu sehen (Umschlagtext). Das liegt aber weitgehend in der Natur der Sache, denn die Entwicklung des Menschen seit den Anfängen vollzog sich bekanntlich in mehreren Regionen, und die Ausbreitung und Ausdifferenzierung der Gattung Homo Sapiens war durch Wanderungsbewegungen größten Ausmaßes bestimmt. Besonders instruktiv ist in diesem Sinne der Abschnitt über das Neolithikum.
Doch die Frühen Hochkulturen (Ägypten, Mesopotamien, die Indus-Kultur, das Hethiterreich sowie Kreta, Mykene und Zypern) werden äußerst konventionell in separierten Kapiteln abgehandelt; etwas verloren wirkt dazwischen ein kurzes Stück über die Arabische Halbinsel. Die ganze Ratlosigkeit und Widersprüchlichkeit der Konzeption zeigt sich im Kapitel „Afrika – Ein Kontinent im backwater der Geschichte?“. Temperamentvoll schreibt der Verfasser (P. Breuning) gegen alle Klischees vom ungeschichtlichen, seit früher Zeit rückständigen Kontinent an und verweist darauf, daß der Mensch nach aktuellem Kenntnisstand wohl in Afrika seinen Ursprung hatte. Indem er die früheste Menschheitsgeschichte und den afrikanischen Weg zur komplexen Gesellschaft – Phänomene, die im Band an anderer Stelle breit behandelt sind – hier aus afrikanischer Sicht erneut darstellt, bestätigt er jedoch geradezu die Isolierung, in der die Geschichte Afrikas noch immer gesehen wird. Das Afrika-Kapitel findet sich außerdem zusammen mit Darstellungen des prähistorischen und frühdynastischen China und der Kulturen des Alten Amerika unter der Abschnittsüberschrift „Ferne Lebensräume“ – ein nomenklatorischer Eurozentrismus, der verwundert.
Einige grundsätzliche und übergreifende Fragen, etwa nach der Rolle des Krieges, der Größe der Wandergruppen, dem Nebeneinander von traditionellen und innovativen Lebensformen, behandelt der Herausgeber in einem sehr knappen Ausblick. Schmerzlich vermißt wird dagegen eine theoretische und historiographische Reflexion auf den Zuschnitt einer tauglichen Globalgeschichte. Die eher allgemeinen Bemerkungen in der Einleitung geben jedenfalls ganz unzureichend Auskunft, ja, sie erwecken den Eindruck, als sei zwischen der Universalhistorie der Aufklärungszeit nichts mehr passiert, da das 19. und 20. Jahrhundert „noch überwiegend im Lichte einer Nationalgeschichtsschreibung die Geschichte zu verstehen suchte“. Kein Wort von der alten, vor achtzig Jahren erschienenen Propyläen-Weltgeschichte, für die Hans Freyer ein heute noch lesenswertes Stück über die „Systeme der weltgeschichtlichen Betrachtung“ schrieb, nichts über Arnold Toynbee und seinen Schüler McNeill, nichts über die außerordentlich spannenden und hochdifferenzierten amerikanischen Forschungen zur „Global History“. Welt- oder Globalgeschichte als Orientierungsaufgabe einer globalisierten Gegenwart, schön und gut. Aber ohne gründliche Reflexionen und Kenntnis der Debatte, nur pragmatisch und arbeitsteilig, kann man sie schlicht nicht mehr schreiben.
Noch enttäuschender fällt in diesem Sinne der zweite Band aus. Er könnte genausogut „Geschichte des Altertums“ heißen; der Leser bekommt eine schlichte Addition der bekannten Einzelgeschichten geboten, vom Neuassyrischen Reich über die iranischen Großreiche bis zu den Griechen und Römern. Zehn Seiten über das attische Drama, fünfzehn Seiten über die Vollendung der klassischen griechischen Kunst, zwölf Seiten über den Peloponnesischen Krieg, kenntnisreich alles, gewiß, doch zugleich beliebig wirkend und gemessen am Anspruch des Werkes geradezu öde und gedankenlos. Nur ein Autor, Ernst Baltrusch, nimmt implizit ein globalgeschichtliches Paradigma auf, indem er die ‘Kontaktgeschichte‘ der Römer und der Juden skizziert. Man hätte rigoros auf das verzichten müssen, was anderswo schon zigmal (und differenzierter) nachzulesen ist und statt dessen den Lichtkegel auf die globalgeschichtlichen Konstellationen und Phänomene der antiken Geschichte richten müssen: die vieldiskutierte Rolle des Mittelmeeres (das vieldiskutierte Werk „The Corrupting Sea“ von Horden und Purcell fehlt in der Bibliographie), die antiken Migrationen, die wechselseitigen Einflüsse von Religionen aufeinander, aber auch Seefahrt und Häfen, Entdeckungsfahrten und mobile Personengruppen wie Söldner, Ärzte und Weise. Die Vorstellungen der Griechen von der Welt erhalten eine einzige, belanglose Seite im Kontext einer Skizze der hellenistischen Wissenschaft.
Auch die asiatischen Reiche werden nebeneinander abgehandelt; die Chance zu einem Vergleich etwa des Han-Reiches mit dem Imperium Romanum wird vergeben. Allein H. Schmidt-Glintzer setzt mit dem Kapitel „Die Religionen der Seidenstraße“ einen interaktionsgeschichtlichen Akzent. Auch in diesem Band bietet der Ausblick einen kleiner Lichtblick.
Insgesamt aber wurde hier – jedenfalls nach den beiden ersten Bänden zu urteilen – die Chance vertan, eine anregende und zeitgemäße Globalgeschichte vorzulegen. Die Propyläen-Weltgeschichte aus den 1960er Jahren ist über weite Strecken, zumal in den beiden Bänden zur griechischen und römischen Antike, intellektuell und literarisch anspruchsvoller, die immer noch sehr brauchbare Fischer-Weltgeschichte, gerade für die nichteuropäischen Teile der Welt, ausführlicher, die Brockhaus-/ZEIT Welt- und Kulturgeschichte besser illustriert.
[Inhaltsverzeichnis wg. Urheberrecht entfernt]
WBG Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert. Hrsg. von Walter Demel u.a. in Verbindung mit der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz
Bd. II: Antike Welten und neue Reiche. 1200 v.Chr. bis 600 n.Chr. Hrsg. von Gustav Adolf Lehmann und Helwig Schmidt-Glintzer. 500 S., zahlr. s/w-Abb. und Karten, geb. mit Schutzumschlag, WBG Darmstadt 2009. Das sechsbändige Werk ist nur geschlossen beziehbar (pro Band € 49,85, im Buchhandel € 58,20).
Eine erweiterte Fassung dieses Textes erscheint 2010 in Geschichte für heute. Zeitschrift für historisch-politische Bildung. Heft 3/2009 dieser Zeitschrift enthält instruktive Skizzen zum Thema Globalgeschichtliche Perspektiven im Geschichtsunterricht: Jürgen Osterhammel, Weltgeschichte: Von der Universität in den Unterricht; Frank Kolb, Das Imperium Romanum: ein antikes Modell einer globalisierten Wirtschafts- und Werteordnung?; Katja Naumann, Das Entstehen von Welt- und Globalgeschichte als universitäres Lehrfach in den USA.
S. ferner Christoph R. Hatscher, Alte Geschichte und Universalhistorie. Weltgeschichtliche Perspektiven aus althistorischer Sicht. Stuttgart 2003.
Ihre Rezension kommt mir sehr...
Ihre Rezension kommt mir sehr gelegen, Herr Walter. Ich hatte ernsthaft erwogen, die WBG-Weltgeschichte anzuschaffen. Seit dem Erscheinen der Propyläen-Weltgeschichte haben sich doch etliche Prämissen der Geschichtswissenschaft geändert und als Leser erwartet man heutzutage auch andere Blickwinkel. Es ist schade, daß offensichtlich die WBG-Weltgeschichte den erwünschten komparativen Ansatz verfehlt. Gerade die aktuelle Qatna-Ausstellung „Schätze des alten Syrien“ hat nachdrücklich die Interdependenzen der vorderasiatischen Welt und des Mittelmeerraums sichtbar gemacht. Das Nebeneinander von kretisch-minoischen, ägyptischen und mesopotamischen Einflüssen in der Palastarchitektur von Qatna ist wahrhaft verblüffend. Es wäre äußerst interessant, dieses gegenseitige Durchdringen der Kulturräume in einen größeren Zusammenhang zu stellen und nicht nur jede Kultur für sich zu betrachten. Ich wünschte mir, daß ein Autor das Projekt unternähme, die Welt des Mittelmeers so umfassen darzustellen, wie das Fernand Braudel dies für die Frühe Neuzeit unternahm. Offensichtlich ist die Zeit noch nicht reif dafür. Hermann Müller-Karpe hatte ja vor einigen Jahren mit den „Grundzügen früher Menschheitsgeschichte“ etwas ähnliches unternommen. Leider ist das Werk eher ein Steinbruch als eine überzeugende Analyse. Immerhin ist Material genug vorhanden. Es müßte aber meines Erachtens, so schwierig die Aufgabe auch wäre, das Werk eines einzelnen Autors sein. Sammelbände haben immer etwas Eklektizistisches und werden Stückwerk bleiben.
Ihr Bericht, Herr Walter, ist...
Ihr Bericht, Herr Walter, ist schockierend. Sollte es möglich sein? Ich habe die Probe auf’s Exempel gemacht und in das Inhaltsverzeichnis des ersten Bandes gesehen … mal sehen, dachte ich, wie sie die Seevölkerkriege und das Ende der Bronzezeit verwurstet haben, da kenne ich mich aus. Und siehe da: Die Seevölkerkriege und das Ende der Bronzezeit sind am Inhaltsverzeichnis nicht ablesbar! Dabei ist dies ja nun wahrlich ein völkerverbindendes Ereignis epochalen Ausmaßes. Nun ja.
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Die Explosion des Geistes in Athen (und anderswo) lässt sich auch nur an einem Unter-Unter-Kapitel erahnen. Man muss ja nicht gleich den Mythos der „Achsenzeit“ beschwören, aber dass man so darüber hinweg geht …? Auch die Erfindung der Schrift hätte sich als Verbindendes angeboten – nichts davon zu sehen. Ich stimme auch darin zu: Eine Integration der Teilgeschichten zu einer Gesamtgeschichte kann nur durch einen zentralen Spiritus Rector geschehen.
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Die WBG sollte sich das vielleicht noch einmal überlegen, wie sie ihr neues Produkt bewirbt.