Am Freitag Anruf vom Campusradio Bielefeld: Am Montag ist der Todestag Ciceros, ob wohl ein kleines Interview aus diesem Anlaß möglich sei. Tatsächlich, Cicero wurde am siebten Tag vor den Iden des Dezember ermordet. Kein rundes Jahr, es war vor 2052 Jahren. Aber was für ein Tod! Die Überlieferung ist relativ gut, man hat sich im Altertum dafür interessiert.
Cicero hatte nach der Ermordung Caesars einen zweiten politischen Frühling erlebt. Für kurze Zeit erschien es möglich, zur alten politischen Ordnung zurückzukehren; sogar mit dem Konsul Marcus Antonius, einem engen Gefolgsmann Caesars, schien eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht ausgeschlossen zu sein. Viel Symbolpolitik: die Dictatur wurde abgeschafft, ein falscher Enkel des Marius rasch hingerichtet. Doch dann das Unerwartete, das alles veränderte: Mit dem achtzehn Jahre alten Gaius Octavius, dessen Adoption in Caesars Testament vorgesehen war und der sich daher bald Gaius Iulius Caesar nannte, trat jemand auf, der nicht zur Tagesordnung übergehen wollte. Mit dem Namen des Ermordeten und dem Ruf nach Rache zog er Veteranen an sich, und der nun einsetzende Wettbewerb der caesarianischen Führer ließ das Wohlverhalten des Antonius nicht länger zu. Doch in Antonius‘ ersten ‘autokratischen‘ Akten sah Cicero eine neue Alleinherrschaft heraufziehen, und fortan warf alles, was er hatte, in die Waagschale, um den Konsul zum Staatsfeind zu erklären und zu bekämpfen. Mit Erfolg, denn Anfang 43 stand eine seltsame Front gegen den Prokonsul Antonius: zwei ehemalige Gefolgsleute Caesars als Konsuln, eine laue, verängstigte Mehrheit im Senat, der neunzehnjährige junge Caesar und voran Cicero, unermüdlich antreibend und zusammenhaltend. Doch die Freude über den ersten militärischen Sieg währte nicht lange: Die beiden Konsuln waren gefallen, und der junge Caesar – modern meist Oktavian genannt – wechselte die Seiten: Feldherr der Republik zu sein hatte ihm die Legitimation seines revolutionären Auftritts gebracht, aber viele Sympathien der Caesartreuen gekostet. Ciceros Junge zu sein war nun gefährlich, und Oktavian beendete die seltsame Mesalliance.
Das Bündnis mit Antonius (und einem dritten General, Lepidus) erforderte viele Deals. Doch Oktavian scheint keine großen Bedenken gehabt zu haben, dem neuen Verbündeten einen besonderen Wunsch zu erfüllen: Ciceros Kopf mußte fallen.
Cicero selbst hatte lange zwischen Flucht und Verharren geschwankt, und als er dann floh, tat er dies halbherzig – wie immer, hätte Mommsen wohl gesagt. Ob er sich noch einmal in das Lager der Freunde im Bürgerkrieg nach Griechenland begeben sollte, wie schon 49 in das des Pompeius? Das war damals schlecht ausgegangen, und nunmehr sah die Lage noch trostloser aus; Cicero war als Staatsfeind geächtet und konnte keine clementia erwarten.
Der Ältere Seneca referiert, was Livius im 120. Buch seines Geschichtswerkes über Ciceros letzte Tage schrieb – ein kleines Drama im großen der untergehenden Republik:
„Marcus Cicero hatte kurz vor der Ankunft der Triumvirn die Stadt verlassen, wobei er es für gewiß hielt, was ja auch stimmte, daß er dem Antonius ebensowenig entkommen könne wie Cassius und Brutus dem Caesar. Zunächst war er auf seinen Landsitz bei Tusculum geflohen, von wo er auf Nebenwegen zu seinem Landsitz bei Formiae aufbrach, da er in Cajeta ein Schiff besteigen wollte. Als er von dort einigemal auf das offene Meer hinausgefahren war und ihn bald widrige Winde zurückgetrieben hatten, bald er selbst das Schlingern des Schiffes, wenn eine unberechenbare Welle es hin und her warf, nicht ertragen konnte, wurde er schließlich sowohl der Flucht als auch des Lebens überdrüssig, kehrte zu seinem etwas höher gelegenen Landsitz zurück, der wenig mehr als eine Meile vom Meer entfernt ist, und sagte: »Ich möchte in meinem Vaterland sterben, das ich oftmals gerettet habe.«
Es steht hinreichend fest, daß seine Sklaven bereit waren, tapfer und treu zu kämpfen. Er selbst forderte sie aber auf, die Sänfte abzusetzen und ruhig zu ertragen, was ein ungünstiges Los aufzwinge. Indem er sich aus der Sänfte herausbeugte und seinen Nacken unbewegt darbot, wurde ihm das Haupt abgeschlagen. Aber das reichte der brutalen Grausamkeit der Soldaten noch nicht: sie schlugen ihm auch noch die Hände ab mit dem Vorwurf, sie hätten gegen Antonius geschrieben. So wurde sein Haupt zu Antonius gebracht und auf dessen Anordnung zwischen den beiden Händen auf der Rednertribüne ausgestellt, wo man ihn als Konsul, wo man ihn oft als Konsular, wo man ihn noch gerade in diesem Jahr gegen Antonius mit einer Bewunderung vor seiner Beredsamkeit gehört hatte, wie man sie noch nie einer menschlichen Stimme gezollt hatte. Vor Tränen konnten die Leute nur mit Mühe ihre Augen erheben und die Glieder ihres hingemordeten Mitbürgers anschauen.“ (Übers.: Hans Jürgen Hillen)
Der Tod eines Prominenten fand in der Antike meist ebenso viel Interesse wie sein Leben – nicht weil beide zusammengehören, sondern weil es erst der Tod erlaubte, die Bilanz zu schließen und zu beurteilen, was die zuvor gelebten und verkündeten Maximen wert waren. Schon im Hellenismus waren Schriften und Sammlungen mit einschlägigen Schilderungen verfaßt worden. In Rom hieß diese Kleingattung exitus ilustrium virorum („Tode berühmter Männer“). Opfer von Gewaltherrschaft wie der Jüngere Cato und der Jüngere Seneca standen hier neben den Tyrannen; diesen wurden dann nicht selten schreckliche Tode zugeschrieben, als noch innerweltliche Vergeltung zum Troste aller künftigen Opfer von solchen Gestalten. Der christliche Apologet Laktanz ließ viel später in de mortibus persecutorum die Christenverfolger gleich reihenweise exquisit scheußlich zu Tode kommen.
Auch Livius verrechnete Tod und Leben Ciceros nüchtern miteinander – de mortibus nil nisi bene ist zwar lateinisch, aber keine wirklich römische Maxime:
„Er wurde 63 Jahre alt, so daß sein Tod, wäre da nicht die Gewalt gewesen, nicht einmal als verfrüht angesehen werden kann. Ein in seinen Leistungen und der Anerkennung seiner Leistungen begnadetes Talent! Er war lange vom Schicksal begünstigt; doch bei der langen Dauer seines Glücks wurde er bisweilen von schweren Schlägen getroffen: der Verbannung, dem Zusammenbruch der Partei, zu der er gehalten hatte, und dem so traurigen und schmerzlichen Tod seiner Tochter. Von allem Unglück trug er nichts, wie es einem Manne ansteht – bis auf seinen Tod; und der könnte einem, wenn man die Dinge im rechten Licht betrachtet, weniger empörend vorkommen, weil er von seinem siegreichen Gegner nichts Grausameres erlitt, als was er in der gleichen Lage dem Besiegten angetan hätte. Wenn man jedoch seine Vorzüge und Schwächen gegeneinander abwägt, so war er ein großer und bemerkenswerter Mann und ein Mensch, dessen Lob zu künden ein Cicero als Lobredner nötig wäre.“ Der letzte Satz ist mehrdeutig: Oft genug hatte Cicero Angeklagte und Mandanten so übermalt, daß von den Betroffenen nichts übrigblieb: Aus dem politischen Bankrotteur Catilina hatte er den Staatsfeind Nr. 1 gemacht, aus Milo, dem Anführer einer illegalen Privatarmee, den Retter der res publica. Wie tief in den Schminktopf mußte greifen, wer Cicero loben wollten? Seine Identifikation mit dem Gemeinwesen ließ fast jeden seiner persönlichen Gegner als gefährlichen Brandstifter erscheinen.
In der HBO-Serie „Rome“ wird Ciceros Tod bebildert (sechste Folge der zweiten, insgesamt schwächeren Staffel). Von manchen Albernheiten abgesehen haben die Macher gut daran getan, die Überlieferung weitgehend zu ignorieren. In „Rome“ wird die Szene in der Manier eines Gangsterfilms erzählt, mit einer der beiden Hauptpersonen der Serie als Killer. Titus Pullo, der schlichte und durchaus sympathische ehemalige Zenturio in Caesars Heer (vgl. den Zenturionenwettstreit Bellum Gallicum 5,44) macht mit seiner Familie ein Picknick und entschuldigt sich; er habe noch etwas in der Nähe zu erledigen. Dann reitet er Ciceros Landhaus und findet den alten Mann (zu nervig und sehnig: David Bamber im Garten. Dieser weiß, zu welchem Zweck der Besucher gekommen ist. Das Ende ist unabweisbar, man macht Konversation, es fällt kein böses Wort. Ein Bestechungsversuch scheitert („Du bist zu prominent, das könnte ich in Rom schlecht erklären, mußt du verstehen.“). Cicero versteht und kündigt dem Killer an, dessen Name werde mit dem seinigen unsterblich werden. Ach, nur der Name? Pullo bemerkt die reifen Pfirsiche an einem Baum und bittet Cicero, sich einige davon pflücken zu können, für die Familie. Cicero ist einen Moment lang überrascht. Dann hat er sich gesammelt, Pullo zieht sein Schwert. Er solle sich hinknieen, dann sei es leichter. Cicero gehorcht. Pullo setzt das Schwert an, wie es von Gladiatoren am Unterlegenen geübt wurde: von oben zwischen Hals und Schlüsselbein. Ein kurzer Stoß, das Blut spritzt, Cicero fällt. Pullo kehrt zur Familie zurück, gleichmütig wie immer. Man freut sich über die Pfirsiche. In einer etwas späteren Szene sieht man kurz, wie er nächtens die Hände Ciceros an eine Tür (des Senatsgebäudes?) annagelt.
[BILD wg. Urheberrecht entfernt]
Warum die weitgehend freie Erfindung, wo doch dieses Ereignis so gut überliefert ist und wir wahrscheinlich sogar die Namen der Mörder kennen (Gaius Popilius Laenas und ein Zenturio namens Herennius)? Das entscheidende Argument lautet: Weil die Szene funktioniert.
Wilhelm Drumann hat dagegen in seiner stoffreichen, aber ungefügen Darstellung der späten Republik das Decorum zum Maßstab der Quellenkritik gemacht (W. Drumann, Geschichte Roms in seinem Übergange von der republikanischen zur monarchischen Verfassung, hrsg. von Paul Groebe, Bd. 6, 2. Aufl. Leipzig 1929, 326f. [zuerst 1844]):
Wer es genau wissen möchte:
Helene Homeyer, Die antiken Berichte über den Tod Ciceros und ihre Quellen. Baden-Baden 1964.
Hier ist die Szene aus "Rome"...
Hier ist die Szene aus „Rome“ auf youtube.
Gelungener Beitrag, wie immer!...
Gelungener Beitrag, wie immer! Die Hinrichtung ereignete sich allerdings vor 2052 Jahren.
Lieber wddw, ja, natürlich....
Lieber wddw, ja, natürlich. Danke für die Korrektur.