Selten, sehr selten kann eine althistorische Vorlesung tages-, ja stundenaktuell sein. In der Tat lag der Termin, an dem im Rahmen eines Kollegs „Römische Geschichte und ihre europäischen Rezeptionen“ über den Gerechten Krieg als Denkfigur zu sprechen war, schon lange fest. Doch just an diesem Nachmittag kamen die ersten Meldungen über die realistische Dankesrede des amerikanischen Präsidenten für die Verleihung des Friedensnobelpreises herein und konnten im Hörsaal gezeigt werden. Obama, so war bei Focus-online zu lesen, ließ bei der Frage nach dem gerechten Krieg keinen Zweifel daran, daß Gewalt manchmal erforderlich sei, um den Frieden zu sichern. Gewaltfreie Bewegungen hätten Hitlers Armeen nicht aufgehalten und könnten auch die El-Kaida-Terroristen nicht bezwingen. Die Welt könne auch den Wettlauf um Atomwaffen im Nahen Osten und in Asien nicht ignorieren. „Die Instrumente des Krieges haben eine Rolle bei der Wahrung des Friedens.“ Und so gerecht ein Krieg auch sein möge, er sei immer ohne jeden Glanz und auch immer ein Ausdruck des Scheiterns der Menschheit. Auch wenn es einen gerechten Grund für den Zweiten Weltkrieg gegeben habe, in dem das Dritte Reich vernichtet worden sei, so seien dabei mehr Zivilisten ums Leben gekommen als Soldaten.
Ursprünglich sollte die Vorlesung mit einem Vortrag enden, den der amerikanische Sozialphilosoph Michael Walzer Ende 2003 vor der Böll-Stiftung gehalten hat. Damals ging es natürlich um den Irakkrieg, und Walzer bemühte sich, aus der Position eines linken Universalismus heraus die Theorie des gerechten Krieges als eine kritische Theorie zu verteidigen. Indem Obama wieder auf das Engagement Amerikas im 2. Weltkrieg verwies, schlug er eine ähnliche Richtung ein.
Gerade die ‘Diskursspur‘ des Gerechten Krieges legt es nahe, noch einmal den Zusammenhang zwischen Antike und Gegenwart zu durchdenken. Benutzt man dafür den Begriff Überlieferung, so legt er eine bestimmte Vorstellung nahe: Etwas wird in der Antike gedacht und ausformuliert oder es entsteht und wird institutionalisiert und tritt dann den Weg durch die Epochen an, wird tradiert, neu entdeckt, kommentiert, verehrt, benutzt, umgestaltet, kritisiert usw. Im Mittelpunkt stehen die antike Substanz und der Prozeß der Tradition. Angemessener erscheint der Begriff der Rezeption; er bedeutet, daß am Anfang die Frage nach den Orientierungsbedürfnissen steht, die es jeweils nahelegten, sich in der Antike zu ‘bedienen‘, weil diese als vorbildhaft galt oder weil nichts anderes zur Verfügung stand.
Es ist vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll, zwischen einem antiken Phänomen und seiner Nachgeschichte zu unterscheiden, sozusagen zwischen dem Stein, der ins Wasser geworfen wird, und den Wellen, die das auslöst. Denn die hinter diesem Bild stehende Vorstellung besagt, daß es immer einen massiven Stein geben muß. Es kann aber auch sein, daß sich die Rezipienten das Vorbild erst sozusagen zurechtmachen. Natürlich nicht aus nichts; irgend etwas muß schon da sein.
Eben das ist der Fall beim Gerechten Krieg. Das Orientierungsbedürfnis war hier das der frühen Christen. Bekanntlich pflegten die frühen Gemeinden Distanz zum römischen Staat und zur Mehrheitsgesellschaft, nicht i.S. von Ablehnung oder gar Widerstand, sondern durch Nichtmitmachen. Was den Krieg angeht, so hat man die Feindesliebe (Mt 5,43-48) und den Verzicht auf Gegengewalt (Mt 5,38-42) zunächst ganz wörtlich genommen und den Krieg, ja jede Ausübung von handfester Gewalt abgelehnt. Man blieb dem Krieg fern; auch die für Juden bestehende Möglichkeit eines Heiligen Krieges im Sinne der apokalyptischen Tradition ist bei Jesus nicht gegeben. Als aber das Römische Reich im Laufe des 3. Jahrhunderts in ernste Bedrängnis geriet, und zwar durch Gegner, die keine Christen waren (Germanen, Perser), spätestens aber nachdem die christliche Religion unter Konstantin in ein Bündnis mit dem römischen Staat getreten war, war insofern eine Modifikation erforderlich, als nunmehr die Kriege, die der Kaiser als Verteidiger einer bis ans Ende der Geschichte währenden Weltordnung führte, im Einklang mit dem Willen Gottes standen. Zuvor schon hatte es auch christliche Soldaten gegeben, ein Problem, das nach einer Lösung verlangte. Damit tat sich aber zugleich ein theologisches Problem auf. Wie konnte man den Krieg gegen die Bergpredigt rechtfertigen?
Hier hielt die römische Tradition Bausteine bereit, die sich nutzen ließen. Aber nicht mehr. Unzutreffend ist nämlich die Ansicht, „die Römer“ hätten eine ausgearbeitete Theorie des „Gerechten Krieges“ entwickelt. Denn nach innen bestand für Römer kein Rechtfertigungsdruck durch eine Theologie oder eine Moral, die den Krieg verboten oder auch nur problematisiert hätte. Cicero formulierte in der achten Philippischen Rede nur, was Allgemeingut war (Phil. 8,12): Maiores quidem nostri non modo ut liberi essent sed etiam ut imperarent, arma capiebant – nicht nur, um die Freiheit zu bewahren, sondern auch um zu herrschen, hätten die Altvorderen zu den Waffen gegriffen.
Häufig wird hier nun auf das sog. Fetialrecht verwiesen: Formalismus und Streben nach Korrektheit hätten die Römer u.a. veranlaßt, bei der Kriegseröffnung auf Korrektheit im Ritual zu achten und fremdes Unrecht zunächst durch eine Genugtuung (rerum repetitio) zu beantworten. Allerdings ist das Ritual so genau erst bei Livius beschrieben und dürfte in dieser Form und Prominenz Teil der kreativen Neuformulierung eines religiösen Regelsystems durch Augustus gewesen sein; daß die zugehörigen Praktiken im Kern in eine frühe Zeit gehörten, kann zwar als sicher gelten, aber in welchem Maße sie etwa im 2. Jahrhundert v.Chr. noch verstanden oder praktiziert wurden, ist umstritten. Gewiß ist nur: Die ganze rituelle Dimension um den regelgerecht erklärten Krieg und den ordnungsgemäß als solchen ausgewiesenen Feind (iustus hostis) spielte für Cicero allenfalls eine Randrolle.
Dieser nahm vielmehr eine andere Spur auf, die man als die kommunikative Dimension der Kriegseröffnung bezeichnen könnte. Bereits der homerische Achilleus erklärt, warum er Agamemnon beim Zug gegen Troia gefolgt sei: nicht weil ein Trojaner ihn selbst geschädigt habe (etwa durch Viehdiebstahl, eine in homerischer Zeit offenbar häufige und jeden Gegenschlag rechtfertigende Praxis), sondern um das Unrecht zu rächen, das Menelaos widerfahren sei. Selbst für einen Heros wie Achilleus war Töten im Krieg also nicht Selbstzweck, um Ruhm zu ernten und unsterblich zu werden, sondern er konnte unmittelbare oder mittelbare Kriegsgründe nennen. In der griechischen Geschichtsschreibung, so bei Herodot, spielt dann die Frage nach den Verursachern, den aitioi, eine wesentliche Rolle, und im zwischenstaatlichen Verkehr war es natürlich besser, gute Gründe für einen Waffengang anführen zu können als die bloße Habsucht und die günstige Gelegenheit. Die Römer haben das auch so gehandhabt. Aber es wäre falsch, ihnen eine besonders ausgefeilte Rechtfertigungslehre für gerechte Kriege oder eine besondere Sensibilität für dieses Problem zuzuschreiben, noch gar aus dem Fetialrecht heraus, das in der relevanten Epoche der mittelmeerischen Expansion (3./2. Jh. v.Chr.) wahrscheinlich keine Rolle spielte. Cicero hat also ohne besondere Erklärungsnot lediglich einige common sense-Argumente aus der Praxis und der Kommunikation des zwischenstaatlichen Verkehrs aufgegriffen und sie mit Überlegungen verbunden, die in der griechischen Philosophie, genauer: der Ethik angestellt wurden und die man üblicherweise dem Stoiker Panaitios zuweist. Sie finden sich in einem – nicht leicht genau zu verstehenden – Passus in der späten Schrift De officiis: Menschen als Vernunftwesen sollten Streit generell nicht mit Gewalt austragen, sondern durch Verhandlungen; nur wenn Argumente und juristische Klärung nicht zum Ziel führen, dürfe man zu den Waffen greifen. Finalgrund (causa) eines Krieges sei die Wiederherstellung eines gerechten Friedenszustandes durch Abschreckung potentieller Unrechttäter. Und der besiegte Gegner sollte grundsätzlich geschont werden, es sei denn, er selbst habe sich im Kriege grausam und unmenschlich verhalten.
Man wird das nicht für eine ausgebildete „Theorie“ des „gerechten Krieges“ ansprechen wollen. Weder die innenpolitischen Verhältnisse noch die ‘weltpolitische Lage‘ forderten den Römern so etwas ab. Es gab die eigenen, seit langem bewährten völkerrechtlichen Instrumente – foedus, amicitia, deditio usw. -, das war völlig ausreichend. Indem man sich an bestimmte, je nach Lage auch sehr dehnbare Regeln hielt und gute Gründe für die Eröffnung eines Krieges formulieren konnte, zeigte man sich als zivilisiertes Gemeinwesen, das sich von einer Räuberbande abhob.
Christliche Intellektuelle hatten, wie skizziert, da ein größeres Problem und mußten ihre eigene und ganz eigenständige, im Neuen Testament scheinbar klar bestimmte Position mit den Verhältnissen ein Einklang bringen, den Verhältnissen eines im permanenten Krieg befindlichen christlichen Reiches. Origenes ließ im 3. Jahrhundert seine Glaubensbrüder für die beten, „die einen gerechten Krieg fuhren, auch für den rechtmäßigen Kaiser, auf daß alles vernichtet werde, was sich der gerechten Sache widersetzt.“
Am Ende des 4. Jahrhunderts hatte sich die christliche Diskussion um den Krieg die römischen Traditionsbausteine sozusagen einverleibt. Was Cicero im 3. Buch von De re publica dazu geschrieben hat (Kap. 34f.), ist uns nur durch zwei Referate christlicher Autoren überliefert; dabei scheint das, was Isidor von Sevilla um 600 in seiner Enzyklopädie Etymologiae schreibt, schon ‘Cicero + christlicher Kriegsdiskurs‘ zu sein: „Jene Kriege sind ungerecht, die ohne Grund unternommen werden: denn ohne den Grund, sich zu rächen oder die Feinde zurückzuschlagen, kann kein gerechter Krieg geführt werden. (…) Kein Krieg gilt als gerecht außer dem angesagten, erklär-ten, außer nach Stellung der Forderung auf Rückgabe des Eigentums.“ Isidor verbindet hier also materielle Begründungen mit einer formalen Voraussetzung, der aus dem Fetialrecht abgeleiteten, bei Cicero aber bestenfalls randständigen rerum repetitio.
Systematisch zu einer Lehre vom Gerechten Krieg ausformuliert wurden die Gedanken dann von Augustinus in De civitate dei. Das kann hier nicht im Detail weiterverfolgt werden. Augustinus griff auf Bausteine zurück, die er v.a. bei Cicero fand, und mit anderen Elementen verband, die sich zu einer Formalisierung, d.h. zu einer Auslagerung der moralisch-theologischen Kernfrage in den objektivierbaren Bereich des Juristischen eigneten. Der klassische Satz lautet: „Gerechte Kriege pflegt man als solche zu definieren, die Unrecht ahnden; sei es, daß ein Volk oder ein Staat, die mit Krieg zu überziehen sind, es versäumen, das Unrecht wieder gut zu machen, das von ihnen geschehen ist, oder zurückzugeben, was durch Unrecht weggenommen ist.“ Da ist wieder die altrömische rerum repetitio, aber in einem ganz anderen Zusammenhang. Die mangelnde rechtliche Schärfe der Gründe für einen gerechten Krieg legte zudem nahe, wenigstens eine klare Definition derjenigen Autorität, die zu einem bellum iustum aufrufen kann, zu liefern: Bella iusta – so die zweite Bedingung – dürfen nur auf Anweisung eines Staatsoberhauptes oder auf Geheiß Gottes geführt werden. Drittens müsse der Gerechte Krieg zum Frieden führen; auch diese Formulierung orientiert sich an Cicero. Das Ziel des Friedens beeinflußt schließlich auch die Art der Kriegführung. Cicero hatte gesagt, es müßten gewisse Pflichten gewahrt, ein gewisses Mau der Bestrafung eingehalten sowie Grausamkeiten vermieden werden, und dies besonders gegenüber dem Feinde, bei dem ein politischer Sinneswandel einsetzen soll.
Der moralisch-theologische Ursprung des ganzen Diskurses über den „Gerechten Krieg“ begünstigte einen weiten Interpretationsspielraum. Das Ausmaß der heilsamen Bestrafung der Sünder ließ sich schwer eingrenzen, denn es fehlte hierbei jedes Rechtskriterium. Das bellum iustum augustinischer Prägung konnte sich so zu einem Bestrafungs- oder Eroberungskrieg gegen Sünder aller Art ausweiten – und dazu gehörten später auch alle, die noch nicht vom Wort Gottes gehört hatten oder von ihm abgefallen waren. Ferner hatten die Sünder kein Mitspracherecht bei der Festlegung des bellum iustum, denn dieser wurde ja nicht durch eine „neutrale“ irdische Instanz, sondern auf Gottes Geheiß oder Befehl einer staatlichen Autorität entschieden. Damit war der späteren Legiti-mation Heiliger Kriege und Kreuzzüge der Weg bereitet.
Die zentrale Doppeldeutigkeit blieb in der weiteren Ausgestaltung des bellum iustum bestehen: Die Lehre vom Gerechten Krieg war eine Theorie zur Begrenzung, aber auch zur Rechtfertigung des Krieges.
Weitere Präzisierungen führten der Hlg. Thomas von Aquin und die spanischen Spätscholastiker im 16. Jahrhundert ein. Die Lehre vom Gerechten Krieg erfuhr nun eine weitere Ausdifferenzierung; man unterscheidet seither:
– ius ad bellum, die Gerechtigkeit der Entscheidung, in den Krieg zu ziehen: Welches sind die legitimen Anlässe für einen Krieg?
– ius in bello, die Gerechtigkeit der Kriegführung: Welche Mittel der Kriegführung sind legitim?
– ius post bellum, die Gerechtigkeit nach dem Krieg: Was führt nach einem Krieg zu einer legitimen Einigung?
Der Krieg erscheint hier vollständig eingebettet in eine Rechtordnung des zwischenstaatlichen Verkehrs ohne übergeordnete Instanz, also in das Völkerrecht. Zu einem gewissen Abschluß kam die Weiterentwicklung der Lehre vom Gerechten Krieg durch den niederländischen Juristen und Gelehrten Hugo Grotius (1583-1645) in De iure belli ac pacis. Mit Grotius ist das Problem des gerechten Krieges endgültig eingebettet in das moderne Völkerrecht.
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Man kann am Thema Gerechter Krieg schließlich auch schön sehen, wie die Rezeptionsgeschichte auf die Interpretation des antiken Phänomens zurückwirkt. Hier ist von der altertumswissenschaftlichen Forschung die Systematisierung durch Grotius, der ja Latein schrieb, noch dazu ein schönes, klassisches Latein, bisweilen in das antike Phänomen zurückgetragen worden. Manches von dem, was in der Forschung mit scheinbar antiken Begriffen und Wendungen bezeichnet wird, ist gar nicht antik, sondern Grotius. In der vorchristlichen Antike gab es, noch einmal, wahrscheinlich gar keine ausgearbeitete und kohärente Theorie des gerechten Krieges.
– Helga Botermann, Ciceros Gedanken zum „gerechten Krieg“ in de officiis 1,34-40, in: Archiv für Kulturgeschichte 69, 1987, 1-29
– Dies., Gallia pacata – perpetua pax. Die Eroberung Galliens und der „gerechte Krieg“, in: J. Spielvogel [Hg.], Res Publica Reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft der römischen Republik und des frühen Prinzipats. Studien zum 75. Geburtstag von Jochen Bleicken. Stuttgart 2002, 279-296
– Silvia Clavadetscher-Thürlemann, Polemos dikaios und bellum iustum. Versuch einer Ideengeschichte. Zürich 1985
– Elmar Siebenborn, Bellum Iustum. Spät- und nachantike Positionen, in: Der altsprachliche Unterricht 34, 1997, Heft: 1+2. 75-92 (mit latein. Texten)
– Raimund Schulz, Augustinus und der Krieg, in: Millennium 4, 2008, 93-110
– Gerhard Beestermöller, Thomas von Aquin und der gerechte Krieg. Friedensethik im theologischen Kontext der Summa Theologiae. Köln 1990
– Heinz-Gerhard Justenhoven, Francisco de Vitoria zu Krieg und Frieden. Köln 1991
– Benjamin Straumann, Hugo Grotius und die Antike. Baden-Baden 2007
– Reiner Steinweg (Hg.), Der gerechte Krieg. Christentum, Islam, Marxismus. Frankfurt am Main 1980
– Georg Kreis (Hg.), Der „gerechte Krieg“. Zur Geschichte einer aktuellen Denkfigur. Basel 2006
– Michael Walzer, Just and Unjust Wars. A Moral Argument with Historical Illustrations. New York 1977, dt. Ausgabe: Gibt es den gerechten Krieg? Stuttgart 1982.
Die Antike war auch hier...
Die Antike war auch hier vielleicht weiter als man meint: In seiner Schrift „La Guerre, La Grèce Et La Paix“ hat der französische Historiker Pierre Vidal-Naquet die Entwicklung nachgezeichnet, bis zur Herrschaft der Makedonen, die einen dauerhaften Frieden durch Hegemonie herstellten. Allerdings ist Vidal-Naquet kein ganz zuverlässiger Historiker, wie ich aus meinen Atlantis-Studien weiß, sondern ein Essayist, dennoch sollte man sich anhören, was er zu sagen hat.
Hegemonie oder Demokratie
Seit...
Hegemonie oder Demokratie
Seit Clausewitz fragen wir, welche Politik da im Krieg fortgesetzt wird. Eine Fragestellung, die sich die Römer nicht wirklich stellen mussten, denn die Politik ihrer Epoche ging durch ihr Reich hindurch. Von der Oberstufe der Barbarei zur Zivilisation, genau das war diese Politik, die da solange fortgesetzt wurde, bis sie in den Aufständen der Barbaren ihr Ende fand. Und dann war es auch zu Ende mit ihrem Recht, mit ihrer Berechtigung auf einen Krieg, ob gerecht oder nicht. Ab da an verloren sie ihre Kriege. Und Kriege, die nicht mehr zu gewinnen sind, sind ein untrügliches Zeichen dafür, das sie nicht gerecht sein können. Es wird den USA daher wenig nützen, sich auf einen Krieg zu berufen, der definitiv ein gerechter war, der einzige vielleicht, den diese USA nach ihrem Begründungskrieg gegen die Engländer überhaupt je geführt haben. Und dass die Demokratie, die westliche Demokratie am Hindukusch verteidigt werde, ist so trügerisch wie die Hoffnung der Sowjets gewesen war, nämlich, dass ihr hegemonialer „Sozialismus“ dort vorangetrieben werde. Heute stellen wir uns nämlich eine weitere Frage, nämlich die nach der Politik, die einem solchen Krieg folgt. Soll sie eine unilaterale Weltherrschaft begründen, oder wird sie gar zum Grab der bürgerlichen Demokratie, d.h. wird sie das Streben nach Hegemonie beenden. Der Sozialismus mag geschlagen sein, doch wenn uns gerade der Krieg der Sowjetunion in Afghanistan eines lehrt, dann, dass das Streben der Völker nach wahrer Demokratie, nach wirklicher Volksherrschaft, nicht mehr zu brechen ist. Kein Krieg kommt daran vorbei, es sei denn, er wär ein ungerechter. Und das ist der wesentliche Unterschied zum Reich und den Kriegen der Römer, denen nicht mal ein Sklavenkrieg, wie der unter Spartakus, einen gerechten Krieg entgegen zu setzen vermochte.
Während das Reich der Römer den Beginn der Hegemonie kennzeichnet, und mit dieser den Eintritt in die Zivilisation, so wird heute im antihegemonialen Kampf das Ende einer solchen Zivilisation eingeläutet.
Hegemonie oder Demokratie, das ist der Schlachtruf der Völker, und nur dort wird ein gerechter Krieg geführt.
Obamas bewundernswerte...
Obamas bewundernswerte Rhetorik ist weniger ciceronisch als vielmehr moraltheologisch. Er lehrt und predigt zugleich von hoher Warte (bully pulpit, wie das Theodore Roosevelt nannte). Wiederholt — nicht nur in Oslo — brechen seine Hörer in Tränen aus. Mit diesem Stil ist er prädestiniert, seinen Hörern jene unangenehmen Wahrheiten beizubringen, die unsere Politiker nie auszusprechen die Stirn hätten, selbst wenn sie ihn intellektuell erreichten. Wer sonst, wenn nicht Obama, könnte die schwarze Bevölkerung Amerikas ermahnen und scharf kritisieren? Seine berühmte Rede von 2008 gegen den Rassismus wird einst in die Schulbücher eingehen.
Was er in Oslo dozierte, lässt sich als Lehre für uns dekadente Deutsche in einem Satz zusammen fassen: Ein Land, das nicht bereit ist, seinen Frieden gegen Angreifer zu verteidigen, verliert des Recht, ihn zu besitzen.
Es gehört zur Ironie des...
Es gehört zur Ironie des Christentums, dass die Kompromittierung durch den Willen zum Leben und Überleben, den es sich aber nicht eingestehen kann, weil er verrät, woran es glaubt – an das Primat einer heiligen Moral, die noch über dem Leben steht und wenn ernst genommen, das darwinistische Treiben zugunsten der Erhaltung dieser Moral überwindet – eine Zivilisation der Genozide, Massenmorde und Endloskriege begünstigt hat, die sich nicht mit der bloßen militärischen Unterwerfung seiner Gegner begnügte. Sie machen vor, dass man gleichzeitig radikal und kompromissbereit sein kann. Ihre Doppelmoral hat sich als anpassungsfähig und widerstandsfähig erwiesen. Ein erfolgreiches Beispiel für „survival of the fittest“.