Kürzlich einen elektrisierenden Artikel gelesen. Demnach hat der Pekinger Philosophiehistoriker Liu Xiaofeng, Jahrgang 1956 und seines Zeichens Professor am Institut für Geistesgeschichte an der Pekinger Renmin-Universität, in einem hochschulpolitischen Diskussionspapier gefordert, China müsse eine neue Ebene seines Verständnisses vom Westen erreichen, und um das zu erreichen, müßten Latein und Altgriechisch gelernt werden (Mark Siemons, Die Konfuziuswelt ist nicht genug, FAZ 20.1.2010; hier im Folgenden z.T. wörtlich wiedergegeben). Natürlich nicht von allen, aber doch schon in nennenswerter Breite. Das Argument: Solange China den Westen immer noch nicht verstehe, werde es auch nicht begreifen können, was ihm selbst seit dem neunzehnten Jahrhundert, der Zeit des ersten folgenschweren Zusammenstoßes mit europäischen Mächten, passiert sei. Es geht also Selbstverstehen durch Fremdverstehen. Aufregend ist dabei die Voraussetzung: Anders als namhafte Historiker „des Westens“ hierzulande glauben (s. Blog v. 6.1.2010), gehört die klassische Antike unbedingt zum Westen in seiner heutigen Gestalt und müsse studiert werden, um diesen erkennen zu können. Man muß sich nur einmal überlegen, ob ein solcher Gedanke im islamischen Raum formuliert werden könnte.
In den Vereinigten Staaten ist ein Kanon klassischer Autoren und Gedanken seit langem Bestandteil von Kursen zur „Western Civilization“ (bisweilen als „From Plato to NATO“ karikiert). Aber diese werden in Übersetzung gelesen. Dagegen setzt Liu Xiaofeng die Originale, die er beim Studium in Basel kennenlernte: „Als ich den Urtext der Klassiker lesen konnte“, sagte er unlängst einer Zeitung, „spürte ich erst, wo der Urgrund der westlichen Bildung war.“
Das Diskussionspapier, das Liu in universitären Milieus zirkulieren läßt, sollte rasch übersetzt und auch bei uns verbreitet werden. Es kritisiert an der gegenwärtigen chinesischen Hochschule ihre zunehmend technisch-pragmatische Ausrichtung: Bald würden nur noch „Angestellte auf hohem Niveau“ ausgebildet. Dabei seien die Fragen, die die chinesischen Intellektuellen seit Ende der Qing-Dynastie im späten neunzehnten Jahrhundert umtrieben, noch längst nicht erledigt: Was bedeutet der Westen? Was heißt Modernisierung? Letztere dürfe nicht als unverstandenes westliches Modell importiert werden, weil es damit zu einer bloßen technischen Anwendung verkomme. Richtig! Zu ergänzen wäre, daß der Künder des ‘westlichen‘ Modernisierungs- und Rationalisierungsmodells, Max Weber, der historischen Herleitung dieses Paradigmas sein Lebenswerk gewidmet hat. Er hat sich dabei nicht nur mit der protestantischen Ethik seit der Frühen Neuzeit befaßt, sondern auch mit der antiken und mittelalterlichen Stadt, dem römischen Agrarkapitalismus und – wie vor einiger Zeit Wilhelm Hennis zeigen konnte – mit Thukydides.
Liu Xiaofeng schlägt nun vor, die Wissensgebiete anders zu organisieren und für alle Studenten, insbesondere die der geisteswissenschaftlichen Fächer, eine Grundbildung über die Antike verbindlich zu machen, die zu gleichen Teilen aus chinesischen und europäischen Stoffen besteht. Das Verständnis des heutigen Westens hänge in der Luft, wenn er nicht auch in seiner Beziehung zu seinen griechischen und römischen Ursprüngen begriffen werde. Liu schlägt einen Kanon von zehn Büchern – fünf chinesischen und fünf europäischen – vor, mit denen sich jeder Student befassen solle, wobei der Umfang der Beschäftigung vom Studienfach abhänge: Odyssee, Platon und Xenophon (der bekanntlich schon in der Antike als Bildungsautor geschätzt wurde) stehen da neben Zhuangzi, Konfuzius und den Frühlings- und Herbstannalen. (Allein die Kanon-Idee würde viele didaktische Konstruktivisten hierzulande veranlassen, einen Exorzisten zu rufen, selbst wenn sie nicht katholisch sind.)
Um dieses anspruchsvolle Programm zu realisieren, bedürfe es zuverlässiger Editionen und einer genügenden Menge gut ausgebildeter Dozenten. Deshalb fordert Liu mehr Kurse für Latein und später auch Altgriechisch. Bis jetzt gibt es nur an wenigen Hochschulen Latein-Seminare, neben der Renmin- und der Zhongshan-Universität vor allem an der renommierten Peking-Universität. Jeder Kurs zieht im Jahr etwa dreißig bis vierzig Studenten an. Außerdem hat Liu an seinem Institut ein Übersetzungsprojekt eingerichtet, bei dem ein Netzwerk von befreundeten Gelehrten ausgewählte Klassiker überträgt, bisher unter anderen Platon, Hamanns „Sokratische Denkwürdigkeiten“, Lessing, Novalis und Nietzsche.
Das „Antike-Studien“-(Gudianxue-) Projekt ist unübersehbar euro- und damit auch wieder sinozentrisch: Es kümmert sich nicht um die Antike an sich, die ja auch ägyptische, indische oder mesopotamische Altertümer umfassen könnte, sondern um das Nachwirken jenes vom Westen verursachten Kulturschocks, den China im neunzehnten Jahrhundert erfahren hat. Die Frage ist also die gleiche geblieben, die die Intellektuellen schon damals umtrieb: Wie ist eine chinesische Moderne möglich? Man müsse zum Beispiel auch studieren, sagt Liu, was die Altertumswissenschaften für die Nationwerdung etwa in Deutschland bedeuteten. Auf der anderen Seite ist offensichtlich, daß es ihm nicht um eine kurzfristige Instrumentalisierung geht, sondern um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den im Altertum aufgeworfenen Fragen. Aus Deutschland höre er, bemerkt Liu, daß das Interesse an den alten Sprachen nachlasse. Aber natürlich braucht ihn das nicht weiter zu beunruhigen. Notfalls werde, so die ironische Schlußwendung des Artikels, Europa in China aufgehoben und bewahrt sein.
[KARTE wg. Urheberrecht entfernt]
China und die klassische Antike, das ist in Europa und den USA seit einigen Jahren durchaus ein Thema. Es gibt i.w. zwei Ansätze. Der eine wird seit langem verfolgt: die Kontaktgeschichte, also die Frage, was beide Welten voneinander wußten und welche Verbindungen es gab. Da ist natürlich zunächst die Seidenstraße zu nennen, die auch immer wieder einmal Gegenstand von Ausstellungen ist. Doch die Befunde bleiben begrenzt, so jedenfalls die Bilanz im Neuen Pauly: „Zwar kam es schon im Altertum gelegentlich zu Kontakten zwischen dem römischen Imperium und China; insbes. gab auch die Seidenstraße Gelegenheit zu Waren- und Kulturaustausch, so daß z.B. in Xian nestorianisches Christentum inschriftlich bezeugt ist. Dennoch blieben diese Berührungen im ganzen vereinzelt und folgenlos.“
Der andere Ansatz vergleicht zentrale Phänomene in beiden Welten, etwa die Historiographie oder die ungefähr gleichzeitige Bildung eines Großreiches in Gestalt des Imperium Romanum bzw. des chinesischen Han-Reiches. Im englischsprachigen Raum haben sich „Sino-Hellenic studies“ etabliert, über die ein ausführlicher Rezensionsartikel im aktuellen Band des Journal of Hellenic Studies informiert (s.u.). Der Vergleich, so hat sich ergeben, ermöglicht neue Einsichten auch in die schon so lange erforschte europäische Antike. Zugleich verweist Tanner auf einen Zusammenhang, den auch Liu Xiaofeng betont: Der Aufstieg des Klassischen Studien war in den westeuropäischen Staaten eng verknüpft mit der Formierung neuer sozialer und kultureller Eliten im Zuge der Modernisierung und der überseeischen Expansion. Vor dem ausgehenden 18. Jahrhundert blickten fortschrittliche Intellektuelle in Europa wie Voltaire auch sehr genau auf China. Doch nach dem Opiumkrieg (1839-1842), der die Schwäche des Chinesischen Reiches offengelegt hatte, sank das Prestige dieser uralten Kultur dramatisch und formierten sich stattdessen die Classics. Auch wenn die Kontextualisierung des Arguments etwas kühn (und anglozentrisch) erscheint, stimuliert Tanners abschließender Absatz in jedem Fall, weswegen er hier im Original wiedergegeben sei:
„The eclipse of China was counterpoint to the rise of Greece, concomitant with the orientalist attitudes that informed Romantic Hellenism and the extension of European economic and military power in the Near and Far East. The privileged status of Classics as the ideological cement of the ruling class allowed it to retain its integrity as an educational package, rather than fracturing along disciplinary lines with the establishment of university departments in such fields as art history, archaeology and linguistics in the late nineteenth and early twentieth centuries. The price of that status was a certain intellectual insularity. Although Classics has lost its privileged status in the last generation, this has been compensated for by a broadening of intellectual horizons, as many Classicists teach in non-Classics departments (archaeology, art history, liter-ature, sociology, anthropology) and are as strongly oriented to those disciplines as to Classics itself. The encounter of Western cultures and societies with a rising China will be one of the most pressing issues for the humanities and social sciences in this new millennium. China, like the West, has its own Classical tradition, and the comparative exploration of the roots and character of these traditions ought to play an important role in this encounter. The rise of China and Chinese studies and the opening up of Classical studies offers a particularly favourable conjuncture for the development of comparisons of ancient Greece and early China in which each culture carries equal weight. There is every possibility that Sino-Hellenic studies will become one of the most stimulating disciplinary sub-fields within both Classics and Sinology.“
Jeremy Tanner, Ancient Greece, Early China: Sino-Hellenic Studies and Comparative Approaches to the Ancient World. A Review Article, in: JHS 129, 2009, 89-109.
Weitere Literatur
– Fritz-Heiner Mutschler, »Western Classics« im Reich der Mitte, in: Wiss. Zschr. der TU Dresden, Fakultät Sprach- und Lit. Wiss., 44, 1995, 45-52
– Volker Kästner, Pergamon und die Seidenstraße. Der hellenistisch-römische Kulturtransfer in das Land der aufgehenden Sonne hat Tradition, in: Antike Welt. Zeitschrift für Archäologie und Kulturgeschichte 39, 2008, Heft 6. 33-35
– Kenneth Nebenzahl, Mapping the Silk Road and beyond. 2000 Years of Exploring the East. London u.a. 2004
– Walter Scheidel (ed.), Rome and China: Comparative Perspectives on Ancient World Empires. Oxford Studies in Early Empires. Oxford / New York 2009
– Fritz-Heiner Mutschler (ed.), Conceiving the empire. China and Rome compared. Oxford u.a. 2008
– Maria H. Dettenhofer, Das Römische Imperium und das China der Han-Zeit. Ansätze zu einer historischen Komparatistik. Latomus 65, 2006, 879-897
– Fritz-Heiner Mutschler, Zu Sinnhorizont und Funktion griechischer, römischer und altchinesischer Geschichtsschreibung, in: Karl-Joachim Hölkeskamp u.a. (Hgg.), Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum, Mainz 2003, 33-54.
Dieser Artikel stimmt...
Dieser Artikel stimmt hoffnungsfroh in gleich mehrfacher Hinsicht. Zeigt sich doch, dass der derzeitige Aufbruch in China auch eine intellektulle Renaissance mit sich bringen koennte, bei der die Eibeziehung des westlich antiken Erbes sehr befruchtend wirken koennte. Umgekehrt, aus westlicher Perspektive, gilt das Gleiche – in der Tat scheint die Sinologie ihren Exotenstatus durch die schlichte Menge der Chinesisch Lernenden zu verlieren. Einige von diesen werden sicherlich fuer die Wissenschaft abfallen und die chinesischen Texte im Original lesen und mit den Griechisch und Latein beherrschenden Chinesischen Kollegen in Dialog treten koennen. Im Ergebnis werden wohl mehr die Gemeinsamkeiten als die Unterschiede in Erstaunen versetzen. Der Satz, sofern der Westen nicht mehr die Kraft hat, das eigene Erbe lebendig zu halten, dieses dann eben in China bewahrt werde, koennte sich aber leider als sehr prophetisch erweisen.
Man könnte diese Vorgänge in...
Man könnte diese Vorgänge in China eine kleine Renaissance nennen. So einfach ist das Erbe der Antike eben nicht totzukriegen, auch wenn sich im Westen so mancher nach Kräften darum bemüht. Auf lange Sicht ist mir da eigentlich auch nicht bange. Nur auf kurze Sicht (so die nächsten 100 Jahre?) könnte man es schaffen, dieses Erbe zum Schweigen zu bringen. Irgendwann bricht es sich doch wieder Bahn. Das Dumme ist: Genau in diesem Zeitraum findet mein Leben statt … – deshalb finde ich es auch immer so seltsam, wenn uns hypertolerante Leute erklären wollen, die Sache mit dem islamischen Traditionalismus sei gar nicht so schlimm, denn irgendwann wachse es sich wieder aus … ja, irgendwann schon … aber bis dahin …?
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Doch genug Trübsal geblasen, hier ein positives Beispiel in Sachen Islam: In Münster hat sich eine Gruppe gebildet, die gerade im Humanismus die Grundlage dafür sehen, dass der Islam sich reformieren kann, ohne sich selbst zu verleugnen! Siehe Link. Ich meine, diese Muslime haben den Nagel auf den Kopf getroffen und sind jeder Unterstützung wert. Ich könnte sie küssen! Dass sie für ihre Ideen angefeindet werden, wen wundert’s?
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Interessant ist, dass Liu das Erlernen der Sprache für wesentlich hält. Für Professoren und Lehrer stimme ich ihm zu. Aber für Schüler, die später ins Leben gehen, reichen meiner Meinung nach motivierte Lehrer, die ihre Erfahrungen mit der Sprache an die Schüler weitergeben, wenn sie Übersetzungen lesen. (Außerdem glaube ich, dass ganz von selbst mehr Schüler die Sprachen lernen würden, wenn das Lesen der Übersetzungen etabliert wäre.)
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Vergleich China-Römisches Reich: Von einem Japanologen habe ich gehört, dass er die japanische Kaiseridee mit Jan Assmanns Arbeiten zur altägyptischen Pharaonen-Idee vergleicht, und ich habe dann selbst ein wenig nachgeforscht und festgestellt, dass die Idee des chinesischen Kaisertums auch ziemlich ägyptisch daher kommt: Der Monarch als der Mittler zwischen Gott und Menschen, der auf Erden für Gerechtigkeit zu sorgen hat und das Böse abwehrt, und diese Weltharmonie dann den Göttern darbringt. Das ist sehr ägyptisch. Aber weniger römisch. Nicht zufällig ist China wie einstmals Ägypten kolonisiert und quasi „hellenisiert“ worden. Andererseits: Konfuzius und Lao Tse passen eigentlich nicht ins Ägyptische Schema. Jeder Vergleich hinkt irgendwo.
Um Welten getrennt
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Das Thema...
Um Welten getrennt
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Das Thema ist sehr komplex, doch eines scheint mir deutlich: die westlich orientierten chinesischen Intellektuellen suchen nun einen neuen Weg in Richtung Westen. Was der „sozialistische Internationalismus“ des Kommunismus gar nicht erst hat schaffen wollen und der Kapitalismus nun erst recht verunmöglicht, wird jetzt über das Ziehen eines noch größeren Bogens, nämlich den über den ganzen Raum (und die Zeit) der Geschichte versucht: die Herstellung einer einzigen kulturellen Identität – auf der Grundlage des Weltkapitals. Dass das scheitern wird, ist einem Marxisten klar, aber was diesem Scheitern eigentlich zu Grunde liegt, ist selbst unter Marxisten umstritten.
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Die Rede ist hier von der Teilung der Welt schon vor dem Kapitalismus. Nicht die in Orient und Okzident, denn die ist weder eine geographische noch eine sozioökonomische, denn eigentlich nur eine kulturelle und als solche eine recht spät entstandene, sondern die, wie sich nach dem Ende des Urkommunismus in ihren ersten Klassendifferenzierungen schon heraus entwickelte. Marx erwähnte dies nur am Rande, und seitdem wird darüber heftig gestritten, aber der Kapitalismus ist, wenn er überhaupt ontologisch zu verstehen ist, nur aus dem Feudalismus des Westens heraus zu begreifen. Und dieser wiederum enthält Bestandteile einer gewissen „abendländischen Kultur“ (die eine solche Entwicklung geistig schon sehr früh, aber doch wohl mehr ahnend, antizipiert haben mag), wie sie sich als hellenistische, bzw. römische dann heraus gebildet hatte. Griechisch-römische Antike, europäischer Feudalismus und moderner Kapitalismus sind die eine Linie in der Entwicklung der Klassengesellschaft (wie gesagt: vielleicht ontologisch, ganz sicher aber nicht zufällig!). Die andere wäre jene, die wir als „asiatische Produktionsweise“ seit Marx heftig diskutieren (siehe hierzu auch den kritischen Beitrag von Maria Scalet, die sich mit diesem Thema im Kontext der türkischen Geschichte – im Rahmen einer Diplomarbeit – befasst hat, https://othes.univie.ac.at/1477/1/2008-09-24_9920666.pdf).
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Erste diesbezügliche Strukturen waren auch im Westen schon durchgesetzt, wie z. B. in den „hydraulischen Kulturen“ Ägyptens bzw. zuvor schon Mesopotamiens, welche aber durch die griechisch-römische Dominanz von dort wieder verdrängt wurden und dann später von westlichen Abenteurern wieder in China, Japan, Indien (eingeschränkt auch in Russland) und evtl. noch in gewissen vorkolumbianischen Hochkulturen Südamerikas entdeckt wurden, und dann als „asiatische Produktionsweise“ in die Geschichte gingen.
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Ich sagte „überlebt hatten“, denn mit dem westlichen Kolonialismus wurden auch diese Sonderentwicklungen gestoppt, wenn nicht gar ausgerottet, auf jeden Fall aber durch den westlichen Feudalismus bzw. dann Kapitalismus überformt. Und auch wenn die „asiatische Produktionsweise“ für die Analyse sozioökonomischer Strukturen heute daher zu vernachlässigen sein wird, hat sie in der Kultur irreversible Spuren hinterlassen, und sei es auch nur noch quasi als „Minderwertigkeitskomplexe“ in den Köpfen dekolonisierter Völker.
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Denn solche Komplexe infolge der durchlittenen Überformung sind es, die den chinesischen Intellektuellen, die ich hier glaube zu sehen, und weniger ein neutrales Bildungsinteresse. Das Trauma lässt sich so vielleicht besser ertragen, aber die Geschichte lässt sich nicht revidieren.
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Der Marxismus, wie gesagt, versuchte da den revolutionären Weg. Nachdem dieser in China gescheitert ist, geht man nun den umgekehrten Weg – den der Anpassung, der Adaption, der Integration, als Teil der dort längst vollzogenen Konterrevolution. Das moderne Subjekt eines Kapitals wird aber von einem Konfuzius nicht mal in Ansätzen voraus geahnt, hingegen aber durchaus von einem Aristoteles (wie zuvor schon von einem „Homer“ in der Figur des Odysseus, vgl. „Das Patriarchat in Hellas“, https://blog.herold-binsack.eu/?p=632), wenn auch weder Homer noch Aristoteles natürlich die „abstrakte Arbeit“ gekannt haben (vgl. https://blog.herold-binsack.eu/?p=206.)
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Es hilft den chinesischen Intellektuellen da nichts wirklich, wo sie schon ihre eigene Entwicklung nicht begreifen können oder wollen. Weder der moderne Kapitalismus noch eine west-östliche Antike schaffen da die Einheit der Welt, die doch da einer klassenlosen Zukunft vorbehalten sein wird, und von der sie nunmehr (wieder) um Welten getrennt sind.