Kürzlich war in der Neuen Zürcher Zeitung ein Artikel des Schriftstellers Thomas Hettche zu lesen: Feindberührung. Versuch über das Soldatische (NZZ 5.2.2010). Der Autor macht sich Gedanken über die angemessene Form des Gedenkens für gefallene Soldaten. Die deutsche Bundeswehr habe seit dem Beginn ihrer Auslandeinsätze vor achtzehn Jahren 270000 Bundeswehrangehörige entsandt; 21 davon, die bei Gefechten oder Anschlägen ums Leben kamen, bezeichnet sie als «Gefallene». Um dem Gedenken an sie einen Ort zu verleihen, wurde das neue Ehrenmal auf dem Gelände des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin errichtet. In Hettche löst es die Empfindung einer seltsamen Ortlosigkeit aus, eine symptomatische Leere. Irgendwann entdecke man, daß auf dem Beton der Zwischendecke projizierte Namen erscheinen, nicht sehr groß und nicht sehr lange, Vor- und Nachnamen, von nichts begleitet als der technischen Perfektion ihrer vergänglichen Aufrufung. Aber kein Todestag, kein Lebensalter, kein Rang, kein Familienstand und keine Erzählung, was geschehen ist, nicht einmal eine Bitte um Gedenken stehe den Menschen bei, die diese Namen trugen, die wohl Soldaten waren und heute tot sind. Daß dies kein Ort der Trauer sei, ja nicht einmal einer der Soldaten, habe damit zu tun, daß Deutschland seinem Selbstbild nach, und in eklatantem Widerspruch zu seiner alltäglichen Praxis, noch immer ein soldatenloses Land sei.
Die weiteren Überlegungen zum Begriff Auslandseinsatz, zu Derrida und Carl Schmitt, zum mittelalterlichen, barocken und englischen Garten, über Exklusionen und den globalen Organismus, können hier auf sich beruhen.
Den kritischen Moment, der sich in einem solchen Ort widerspiegeln müßte, sieht Hettche im Moment der Heimkehr des Soldaten. Hier gewinnt sein zuvor intellektuell etwas verspielter Text Kraft. In diesem Moment gehe es nicht etwa um Sieg oder Niederlage. „Soldaten kehren zurück als solche, die getötet haben oder getötet worden sind, wobei die Vergangenheitsform ihnen habituell zugehört als unaufhebbare Last, die sie auszeichnet. In ihr erfährt die Gesellschaft sich selbst als eine, die den Tod zu geben und zu fordern vermochte, erfährt an dessen Unabänderlichkeit ihre eigene Grenze als absolute Souveränität und, nicht zuletzt, als Schuld. Das ist es, wovon das Ehrenmal der Bundeswehr schweigt.“
Ein Monument, dem es gelinge, genau das vorzustellen, sieht Hettche im Pergamonaltar, kaum eine halbe Stunde Fußweg vom Bendlerblock entfernt, genauer gesagt: im großen Relieffries des Altars: „Obwohl der Sieg der Olympier, den der Fries festhält, unzweifelhaft ist und schön, richtet er unsere Aufmerksamkeit vor allem auf das Leid, das der Preis dieses Sieges ist. Dadurch, dass jeder der Sterblichen, der dort stirbt – zertreten, durchbohrt, gewürgt oder zerrissen -, im Moment seines Sterbens aus der Dichotomie von Freund und Feind herausgelöst wird, wird er wieder zu einem Einzelnen, der keiner Armee mehr angehört, ist in seinem individuellen Tod allein und ergreift uns gerade in dieser Einsamkeit. Eine Einsamkeit, die wir durch unser Mitgefühl als Betrachter über zwei Jahrtausende hinweg zu lindern vermögen. Zugleich sehen wir die Sieger, indem sie überleben, Götter werden und unsterblich und so, als Unsterbliche, schön und traumwandlerisch ungerührt durch das Sterben hindurchgehen, das sie erzeugen. Uns aber gewährt der Pergamonaltar die Einsicht, worin einzig das Glück angesichts des Krieges bestehen kann: sich nicht ergreifen lassen zu müssen von der Gewalt.“
Das ist ohne Zweifel eine originelle Interpretation, und so ausdrücklich gegenwartsbezogene Rezeptionen können nicht im eigentlichen Sinn ‘falsch‘ sein. Gleichwohl empfiehlt es sich, an ein paar Tatsachen zu erinnern. Der ca. 170 v.Chr. entstandenen Darstellung des Kampfes der Götter gegen die riesenhaften und ungeschlachten Giganten lag der gängigen Interpretation zufolge durchaus eine klare Freund-Feind-Unterscheidung zugrunde, sowohl historisch-konkret (die Verdienste der pergamenischen Könige bei der Bannung der von keltischen Invasoren ausgehenden Gefahr) als auch symbolisch-verallgemeinert (Vernichtung der anstürmenden Urkräfte des Chaos durch die olympischen Ordnungsmächte). Daß diese im Moment des Todes aufgehoben wird, ist durch kein ikonographisches Detail erkennbar (anders als in Darstellungen Penthesileas im Kampf mit Achilleus). Die unterliegenden Giganten gehörten keiner „Armee“ an und waren zu jeder Zeit Individuen mit Namen. Die Giganten waren ferner keine gewöhnlichen „Sterblichen“, sondern Hesiod zufolge Geschöpfe, die aus Blutstropfen des entmannten Uranos entstanden; als diese zur Erde fielen, erwuchsen aus ihnen die Giganten, sogleich bewaffnet. Einige von ihnen sind auf dem Relief monsterhaft gebildet, mit Schlangenbeinen oder Flügeln. Die Götter dagegen werden durch die Sieg nicht Götter, sie sind es schon. Diese beweisen ihre Macht und „legitimieren sich als Empfänger kultischer Ehren durch die Menschen“ (Klaus Junker). In seiner lesenswerten Einführung in die Interpretation griechischer Mythenbilder (2005) skizziert Junker die verschiedenen, ineinander verschränkten Bedeutungsebenen: „Ihre Wirkung beziehen Denkmäler wie der Große Fries daraus, daß die verschiedenen inhaltlichen Kategorien unauflösbar miteinander verwoben sind, die mythische Erzählung (Gigantomachie), das religiöse Bekenntnis (Anerkennung der Götter als Garanten des Erfolgs) und die politische Metaphorik (das positive Selbstbild der pergamenischen Herrscherdynastie). Wahrnehmung und gedankliche Verarbeitung der Darstellung durch den Betrachter oszillieren unweigerlich zwischen den genannten Sinnbereichen, und das Ergebnis der Erschließung wird immer Anteile aller Bereiche enthalten. Jeder Versuch, den einen oder den anderen davon stark zu privilegieren und den Pergamonaltar deshalb als ausschließlich sakrales Bauwerk oder aber als primär profanes Monument, etwa als reines Siegesdenkmal, zu deuten, würde heißen, das dem Mythenbild eigene Wirkungskonzept zu mißachten.“
Peter Weiss las den Pergamonfries bekanntlich als Zeugnis von Machtkämpfen antiker Machthaber zulasten der einfachen Leute und vor allem – im Sinne Benjamins – als Darstellung aus der Sicht der Sieger in der Geschichte; deren Werke und Zeugnisse bestehen fort. Vor dem Pergamonaltar schießen für die Betrachter Vergangenheit und Gegenwart zusammen, schockartig wird klar, daß Geschichte als Gewaltzusammenhang noch immer keine Unterbrechung gefunden hat. Eben dadurch erhalten gerade affirmative Kunstwerke vergangener Epochen ihre Bedeutung für die Gegenwart; sie vermögen Widerstandspotential zu mobilisieren, sofern sie gegen die herrschende Ästhetik gelesen werden. Hettche würde sich durch diese Aufforderung vermutlich bestätigt fühlen, aber in der Sache ist seine Deutung eine andere als die in Ästhetik des Widerstands (und ist diese wiederum komplexer als ihre Interpretation durch Weiss selbst: „Plötzlich, in der Konfrontation mit diesem Fries, verknüpfte sich vieles miteinander; in einem Konglomerat von Eindrücken und Ideen wurde das Thema ganz weit und bestand nicht mehr allein aus jenem konkreten politischen Kampf. Dieser Eindruck eines Getümmels von Kräften, die unten sind, und die, die oben sind, die erdgebundenen und die göttlichen, erzeugte ein Bild vom ewigen Klassenkampf, das plötzlich sehr, sehr eindringlich wurde.“)
Soldatenehrung und Pergamonaltar sollten übrigens schon einmal zusammengehen: Deutlich inspiriert von der Grundstruktur des Großen Altars waren sowohl der Entwurf des Architekten Wilhelm Kreis für die sog. Soldatenhalle beim Oberkommando des Heeres in Berlin (1937/38) als auch der Plan für ein Kriegerehrenmal am Fuß des Olymp (!). Beide Entwürfe übernehmen die von vorstehenden Risaliten gerahmte Treppe, das Kriegerehrenmal zusätzlich die auf einem sockelartigen Unterbau umlaufende Halle. An der Soldatenhalle sollten nur die Stirnseiten der beiden Risalite Reliefs tragen, von der Hand Arno Brekers, 18 Meter breit, 6 Meter hoch. Die Entwürfe griffen den Charakter des Pergamonaltars als Kultbau auf, und auch die Botschaft der antiken Bilder – Sieg des Guten über das Böse und Ewigkeit der dadurch gestifteten Weltordnung – paßte in die Vorstellungswelt der NS-Ideologie.
Dualismus –...
Dualismus – einstweilen
Machtkämpfe der da oben zu Lasten der da unten, ja! Aber „e w i g e r Klassenkampf“, nein! Der Klassenkampf dauert nun vielleicht schon 5000-10000 Jahre, je nach dem wie man ihn definiert, aber was heißt hier „ewig“?
Die Menschheitsgeschichte hat noch nicht mal richtig begonnen, nach Marx befinden wir uns ehe noch in der Vorgeschichte, eben wegen der Klassen. Und ich würde noch weitergehen: solange uns solche Bilder noch was sagen, gleich ob Bewunderung oder Abscheu mitvermittelt, sind wir noch Barbaren.
Sehr wohl denkbar ist, dass ein späteres Geschlecht ob solcher Bilder daran zweifelt, dass da ihre Vorfahren abgebildet sind. Vielleicht in etwa so, wie wir uns heute Knochen von irgendeinem „Missing Link“ anschauen: berührt werden sie sein, doch mit einem überwältigenden Gefühl der Distanz.
Leben wir nicht in einer merkwürdig geteilten Welt? Die Affirmation einer Götterwelt ist einerseits noch voll gültig, andererseits längst obsolet. Wir trösten uns – einstweilen – mit dem „Dualismus“, damit jeder darin zu seinem Recht kommt, der „Primitive“, wie auch der „Moderne“. Doch was beide vereint, sind doch eben solch emphatische Gefühle für einander, Respekt dem anderen gegenüber, das Gefühl, ja die Gewissheit, zu einer Spezies zu gehören.
In dem Moment, wo der eine zu dem anderen dann schaut, ohne ihn, ohne sich, darin zu erkennen, beginnt die Trennung von der Vorzeit, die eigentliche Geschichte.
Ein gutes Kriegerdenkmal...
Ein gutes Kriegerdenkmal erfüllt folgende Bedingungen:
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a) Es ist von Dauer, wird noch nach Generationen ein Denkmal sein, zur Erinnerung.
b) Es zeigt, wofür die Soldaten fielen: Demokratie, Menschenrechte, Aufklärung, das kleinere Übel, was immer es für ein gutes Ziel war.
c) Es zeigt, welche Opfer dafür gebracht wurden: Das Leid der gefallenen und verwundeten Soldaten und deren Angehörigen.
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Ein solches Kriegerdenkmal habe ich aber noch nie gesehen. Dass die BRD in ihrer nationalen Verklemmtheit nicht in der Lage ist, ein ordentliches Kriegerdenkmal auf die Beine zu stellen, ist fast schon selbstverständlich.
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Die Idee, Schuld in einem Kriegerdenkmal zu zeigen, ist Unsinn. Für schuldig gewordene Soldaten baut man keine Denkmäler. Sondern für tapfere Soldaten, die ihre Bürgerpflicht getan haben.