Antike und Abendland

Antike und Abendland

Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Gehen wir unter wie einst das späte Rom? Westerwelle und die Dekadenz

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Mit historischen Vergleichen und Analogien treffen Politiker ja meistens daneben. Zum Glück hat Bundesaußenminister Westerwelle vergangene Woche nicht in die...

Mit historischen Vergleichen und Analogien treffen Politiker ja meistens daneben. Zum Glück hat Bundesaußenminister Westerwelle vergangene Woche nicht in die Nazi-Kiste gegriffen. Aber auch mit Verweisen auf die Antike kann man sich schwertun. Unvergessen Ludwig Stiegler (der mit dem roten Pullover), wie er im September 2002 George W. Bush vorhielt, er geriere sich gegenüber den Europäern wie einst Imperator Caesar Augustus. Und nun Guido Westerwelle: Anzeichen „spätrömischer Dekadenz“ meint er in der aktuellen sozialpolitischen Debatte wahrzunehmen. Welche Assoziationen soll das wachrufen? Ob der Minister Edward Gibbon gelesen hat? Der Titel von Gibbons Decline and Fall of the Roman Empire, dessen erster Band 1776, im Jahr der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung erschien, wurde sprichwörtlich, doch in dem Werk selbst ist überraschend wenig von den gängigen Dekadenztopoi zu finden, wie sie auch in phantasmagorischen Historiengemälden, etwa von Thomas Couture, beschworen wurden (Müßiggang, Orgien, nackte Tänzerinnen, Bäder in Eselsmilch, Fettleibigkeit, geistreiche, aber zersetzende Konversationen, Ekstase und Entkräftung usw.). An einer Stelle im zweiten Kapitel, immerhin, referiert Gibbon einen kaiserzeitlichen Rhetor; dieser

„bemerkt und beseufzt die Verkommenheit seiner Zeitgenossen, die ihre Gesinnung verdarb, ihren Mut entnervte und ihre Talente niederdrückte. »Gleichwie Kinder«, sagt er, »deren zarte Glieder zu sehr eingezwängt wurden, für immer Pygmäen bleiben, so ist auch unser zarter, durch Vorurteile und die Gewohnheiten einer verdienten Knechtschaft gefesselter Geist unfähig, sich auszuspannen und jene wohlproportionierte Größe zu erlangen, welche wir an den Alten bewundern, die unter einer Volksregierung lebten und mit derselben Freiheit schrieben wie sie handelten.« Diese geschrumpfte Gestalt des Menschengeschlechts, um bei der Metapher zu bleiben, sank täglich mehr unter ihr altes Maß, und die römische Welt war in der Tat von einem Geschlecht von Zwergen bevölkert, als die wilden Hünen des Nordens einfielen und der kleinwüchsigen Rasse aufhalfen. Sie brachten den männlichen Geist der Freiheit zurück, und diese Freiheit wurde nach Verlauf von zehn Jahrhunderten die glückliche Mutter des Geschmacks und der Wissenschaften.“

Die Rede von der Dekadenz ist nicht zu verwechseln mit der Ansicht, daß früher alles besser war, die Menschen „stärker, als jetzt die Sterblichen sind“ (Homer). Dekadenz ist nicht einfach ein Verlust an Stärke und Qualität. Sie ist vielmehr untrennbar mit dem Luxus verbunden – in Rom begann das schon im 2. Jahrhundert v.Chr., also mitten in der Republik, als Rom seine größte Ausdehnung noch lange nicht erreicht hatte. Und sie hat einen Geruch: den süßlichen Duft einer überreifen Frucht. Dekadent ist man in der Stadt und am Hof, nicht auf dem Land. In der ‘westlichen‘ Sicht ist Dekadenz kulturgeographisch mit dem Orient verbunden; ihr Prototyp in der Antike war Sardanapal, die aramäisch-griechische Fiktionalisierung des neuassyrischen Königs Assurbanipal (669 bis ca. 627 v.Chr.). In der berühmten Weltchronik von H. Schedel (1493, Blatt LV) ist über ihn zu lesen: „Sardanapallus was ein zerrüdrer vnnd vnzüchriger weibischer man. Diser hat zu erst den geprauch der küssen oder pfulgen gefunden, vnd sich in die versamlung vnuerschamter weiber vermischet, darumb ime schand vnd auch der tod nachfolget vnnd sein reich zertrennet wardt.“

Ein dekadentes Reich verfügt durchaus noch über militärische Stärke, aber diese ist geborgt. Der Herrscher, die Eliten und das ‘Kernvolk‘, sie kämpfen nicht mehr (ausdrücklich überliefert ist das von dem genannten Assurbanipal), und wenn, dann nur noch um die schönsten Pfauen und die erlesensten exotischen Speisen. Man lebt von vergangener Größe, akkumuliertem Reichtum, lange zurückliegenden Errungenschaften. Es wird nicht mehr erobert und erfunden, die Kunst ist nicht mehr schöpferisch, sondern kombiniert und übertreibt lediglich vorhandene Formen und Ausdrucksmittel. Enzyklopädien und kurzgefaßte Lehrbücher stehen hoch im Kurs, zur Festigung der Leitkultur, die doch in Wahrheit längst erodiert. Dekadenz ist vor allem aber Teil eines notwendigen zyklischen Prozesses, ein Niedergang in Üppigkeit, dem allerdings – Gibbon sagt es am Ende ausdrücklich – ein Neubeginn folgen kann, freilich mit ganz neuen Akteuren, im spätrömischen Fall passenderweise Migranten. Die aktuellen Zeitdiagnosen von Arnulf Baring und Meinhard Miegel folgen diesem gedanklichen Modell: Deutschland selbstzufrieden, inflexibel, blind gegenüber den sich längst vollziehenden Umwälzungen, nur beim Wahren des Besitzstandes aktiv, gleichgültig den demographischen Wandel und seine Folgen ignorierend.

Dekadenz als Verlust von Orientierung, das dürfte auch Westerwelle gemeint haben: Man weiß nicht mehr, was wirklich wichtig ist, auf welchen Grundlagen und wessen Schaffen das ganze Gebäude ruht, und man redet über die falschen Dinge. Daß im späten Rom – das in der gängigen Periodisierung übrigens erst 284 n.Chr. beginnt – die kleinen Leute durch Gaben des Staates ruhiggestellt worden seien, ist allerdings Unsinn, im Gegenteil: Steuerdruck und staatliche Gängelung nahmen eher zu.

Die Aktualisierung ist übrigens nicht neu. Vor über dreißig Jahren publizierte der damals bekannte und höchst produktive englische Althistoriker Michael Grant (1914-2004) das Buch Der Untergang des Römischen Reiches. In der „Zeit“ nahm Gerhard Prause Ende 1981, in der Spätzeit der Regierung Schmidt/Genscher, dieses Buch zum Anlaß für einen langen Artikel: „Gehen wir unter wie einst die Römer? Ein Vergleich unserer heutigen Situation mit dem Sterben des Imperium Romanum zeigt erschreckende Parallelen“. Verblüffend die ersten und die letzten Absätze des Artikels:

„Untergangsstimmung breitet sich aus. Es wächst die Furcht, daß die heute anstehenden Probleme unlösbar sein könnten: die zu hohe Staatsverschuldung der Bundesrepublik, allgemein die Inflation, die wachsenden Ausgaben für Rüstung und Industrie, weiter – wiederum vor allem bei uns – die steigenden Kosten für das soziale Netz, für das große Heer der Beamten, auch zunehmende Schwierigkeiten mit den Alternativen. Immer mehr Menschen zweifeln die Richtigkeit des bisherigen Weges an, und viele wollen aussteigen. Kann es sein, daß es mit uns, mit der ganzen westlichen Welt zu Ende geht, auf dieselbe Art wie einst mit den Römern?

Die Frage mag überraschen, mag vielleicht allzu einfach klingen. Aber daß die gegenwärtige Situation der westlichen Welt erstaunliche Ähnlichkeiten, ja Parallelen mit der Untergangsphase des Römischen Reiches zeigt, ist nicht zu bezweifeln. Und daß der Untergang jenes riesigen Imperiums auf eine angebliche Verweichlichung und sittliche Verkommenheit seiner Kaiser zurückzuführen sei, ist eine zwar oft wiederholte, aber, haltlose Behauptung. In Wahrheit starb das Römische Reich, weil seine Bürger vor gut anderthalb Jahrtausenden mit eben solchen Problemen, vor denen wir heute stehen, nicht fertig geworden sind.Jener scheinbar überraschende Untergang, der den Nachfolgenden stets von neuem zu denken gab, erfolgte nicht auf einen Schlag und nicht in einem bestimmten Jahr.

(…)

An seinen vielen inneren Gegensätzen ist das Römische Reich zerbrochen. An ganz ähnlichen Gegensätzen, sagt Grant, könnte auch unsere moderne Welt zerbrechen. Grant ist überzeugt, daß die Römer die Gefahr zwar frühzeitig erkannten, daß sie es aber versäumten, sich von überholten Denkmodellen zu lösen und den Veränderungen gegenüber allzu gleichgültig blieben. Und er warnt: »Auch wir reagieren heute oft mit ähnlich unverständlicher Gleichgültigkeit auf die Ereignisse, besonders in der Wirtschaft und Industrie. Wir glauben, jede neue Krise gliche der vergangenen und könnte mit altbekannten Heilmitteln überwunden werden.« Das aber kann, wie die Geschichte Roms zeigt, katastrophale Folgen haben.

Es ist allerdings hinzuzufügen, daß von jenem Untergang zwar viele Menschen betroffen wurden, daß aber ja nicht die Menschen selber untergingen. Untergegangen ist eine Staatsform. Das Leben ging weiter. Damals.“

 

= Michael Grant, Der Untergang des Römischen Reiches. Mit einem Vorwort von Golo Mann, Bergisch-Gladbach 1977

= Henri-Irénée Marrou, Die Dekadenz des klassischen Altertums, in: Karl Christ (Hg.), Der Untergang des Römischen Reiches (Wege der Forschung 269), Darmstadt 1970, 396-403

= Alexander Demandt, Zeit und Unzeit. Geschichtsphilosophische Essays, Köln u.a. 2002; darin:

– Biologistische Dekadenztheorien (1985)

– Zum Dekadenzproblem (1985)

– Europessimismus. Ein Überblick zum Dekadenzproblem (1987).

Ausgaben von Gibbon, Decline and Fall of the Roman Empire: London 1776-1788, 6 Bde. – London 1896-1900, Hg. J.B. Bury, 7 Bde.; 31926-1929 [komm.]. Hg. D. Womersley, 3 Bde., London 1994 (jetzt maßgebliche Ausgabe) – Geschichte des Verfalls u. Untergangs des Römischen Reiches, F.A.W. Wenk u. C.G. Schreiter, 19 Bde., Leipzig 1779-1806. – Geschichte des ehemaligen Sinkens und endlichen Untergangs des Römischen Weltreiches, J. Sporschil, ebd. 1835-1837. – Geschichte des Römischen Weltreiches, ders., 12 Bde., ebd. 31854. – Neue Übersetzung der Bde. 1-3 (= Kap. 1-38): Edward Gibbon: Verfall und Untergang des römischen Imperiums. Bis zum Ende des Reiches im Westen, Aus dem Englischen von Michael Walter, 6 Bde., München: dtv 2003 (Bd. 6 enthält eine ausführliche Einleitung von Wilfried Nippel, Auszüge aus Gibbons Autobiographie, weitere Texte und viel Literatur); dazu meine Rezension FAZ Nr. 256 v. 4.11.2003, L 10.

 

Im den beiden aktuell besten Büchern zum antiken Substrat ist von Dekadenz gar nicht mehr die Rede:

Bild zu: Gehen wir unter wie einst das späte Rom? Westerwelle und die Dekadenz

Bild zu: Gehen wir unter wie einst das späte Rom? Westerwelle und die Dekadenz

(Urheberrecht: Buchcover sind offenbar kein Problem)

 


12 Lesermeinungen

  1. asuetter sagt:

    Oh Du armer deutscher...
    Oh Du armer deutscher Außenminister, hast in der Schule nicht richtig hingehört: Nicht die Spätantike umgibt Dich in Berlin, nein Du umgibst uns mit Deinem Cäsarenwahn. Den darfst Du gerne im Vergleich strapazieren; bis zum Untergang unseres Staates durch Fehlschaltungen in der Sozialpolitik mag es noch eine Weile dauern: Mögest Du Dich bald als Nur-Vorsitzender einer kleineren Partei der Lächerlichkeit preisgeben, wir gebildeten Humanisten wußten schon immer, daß aus Dir nichts Gescheites werden kann.

  2. melursus sagt:

    Clodius und Hartz
    Herr Walter...

    Clodius und Hartz
    Herr Walter schreibt gut und ich lesen die Kolumne gerne. Aber Westerwelle hat nicht unrecht: Die planlose Versorgung großer Teile der Wohnbevölkerung ohne Gegenleistung auf Kosten der schmaler werdenden Mitte erscheint auch mir dekadent.
    In Rom nahmen sich die Mächtigeren große Teile des Ackerlandes und der Einkommen aus Import und Verwaltung. Die kleinen Leute bekamen von Clodius einen Anspruch auf regelmäßigige Versorgung mit Brot – und die Bauern verarmten zwischen Militärdienst, importiertem Getreide und Latifundien der Reichen. So fehlten die italischen Bauernsöhne Soldaten und füllten die Städte als Proles. Der Vergleich mit Rom scheint auch sonst lohnend: Zuerst versorgen die Patrizier ihre Klienten. Dann die Heerführer ihre Veteranen. Von Amts wegen gibt es Unterstützung nur an manchen Feiertagen. Mit mehr Einkommen des Staates steigen die Mittel und die Programme werden ausgeweitet. Der Staat muß dann nur noch für weiter steigende Einnahmen sorgen. Ob Schäuble noch zur Rolle eines Vespasian findet? Der hat auch an den Ausgaben des Staates gedreht.

  3. gerdmaas sagt:

    Zu den faszinierenden...
    Zu den faszinierenden Parallelen zwischen der Geschichte des Römischen Reichs und der westlichen frühindustrialisierten Welt auch sehr empfehlenswert:
    Ralph Bollmann: Lob des Imperiums. Der Untergang Roms und die Zukunft des Westens, Berlin 2006
    Dass Dekadenz durchaus eine moderen Bedeutung haben kann – durchaus im Sinne Westerwelles nicht der Luxus einer kleinen Elite, sondern der massenhafte Verlust der Angemessenheit des Verhaltens für ein gedeihliches Fortbestehen einer Gesellschaft – habe ich versucht darzustellen; quasi das Buch zu Diskussion: Gerd Maas: Dekadenz. Und wider die Dekadenz: Eine neue Anstrengung für Deutschland, Norderstedt 2009

  4. dunnhaupt sagt:

    Über den Untergang des...
    Über den Untergang des Abendlandes wird schon seit Spengler immer wieder disputiert. Der Haken ist nur, dass sich derartige Prozesse so langsam und unmerklich vollziehen, dass man erst nach Generationen einen Unterschied feststellen kann. Dante glaubte um 1300 noch an die nahtlose Übertragung der römischen an die deutschen Kaiser. Die Idee eines „Mittel“alters wurde bekanntlich erst von der Renaissance erfunden.

  5. Der Unterschied zwischen der...
    Der Unterschied zwischen der Niedergangskrise des Römischen Reichs, 1789 in Frankreich zu der heutigen ist entscheidend: heute verfügen wir über ein Steuerungssystemwissen über die Übergangsmuster solcher Entwicklungen – Stichwort: Evolutionsprozess- und Chaosphysik.
    Unsere Bundeskanzlerin und einige andere Politiker wie Wladimir Putin/Medwedew haben den hinreichenden Erkenntnisstand der Evolutionsprozess- und Chaosphysik drauf, mit dem der Absturz des Weltindustriesystems via ‚Evolutionsprojekt‘ verhindert und der Übergang in die folgende Weltordnung des KREATIVEN gesteuert werden kann.
    Diese Lage hat schon Friedrich Hölderlin vorhergesagt: Nah ist, /Und schwer zu fassen der Gott. /Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.

  6. franket sagt:

    Dekadenz - wörtlich...
    Dekadenz – wörtlich „Verfall“. Verfall von was? Von Kultur. Was ist Kultur? Das Höherschrauben von Vernunft. Dekadenz ist also ein Verfall des Vernunftgebrauchs. Vielleicht etwas simpel gedacht, aber auch nicht wirklich falsch.
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    Mal sehen, wie weit wir mit dieser Defintion kommen:
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    Warum verfällt die Vernunft? Wollen die Menschen nicht mehr vernünftig sein? Anscheinend doch. Jeder sieht sich mit guten Gründen im Recht. Es scheint wohl eher so zu sein, dass das Wissen um den richtigen Vernunftgebrauch abhanden gekommen ist.
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    Man will vernünftig sein, weiß aber gar nicht mehr so recht, wie das geht.
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    Zwei Dinge scheinen mir besonders defizitär zu sein:
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    a) Die Fähigkeit, den eigenen Standpunkt kritisch zu hinterfragen. Das fällt jedem schwer, aber viele versuchen es noch nicht einmal.
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    b) Ein umfassenderes Weltwissen, das genügend Erfahrungen und Informationen und Analogien bereithält, anhand derer man Situationen einschätzen kann.
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    Geduld wäre vielleicht eine Tugend, die helfen würde. Manche Einsicht braucht einfach Zeit, um zu reifen. Wer sich täglich von den Medien am Nasenring herumführen lässt, hat diese Geduld natürlich nicht.
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    Geduld benötigt man auch, um Weltwissen anzuhäufen. Fleiß. Konzentration.
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    Warum ist das abhanden gekommen? Es gibt mehrere Gründe.
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    a) Die erweiterten Möglichkeiten der Menschen ziehen Aufmerksamkeit vom Wesentlichen ab. Wer öfter in Urlaub fährt, fernsieht, am Computer spielt, liest seltener ein Buch, selbst wenn er ein Leser ist.
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    b) Zuwanderung von Menschen, die das Niveau noch nie hatten, es also gar nicht erst verlieren mussten.
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    c) Die Erziehung zum Konsumenten. Der ideale Konsument ist nicht gebildet, nicht bürgerlich und liest nicht Bücher, sondern ist ein flippiger Linksliberaler mit Hang zum Hedonismus: Diese Leute bringen Cash in die Kasse, ihnen sitzt das Geld locker, und sie machen jeden Trend mit.
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    d) Der Angriff auf die Bürgerlichkeit, um den Sozialismus zu fördern. Der Sozialismus ist gescheitert, die ehemaligen Agenten des Ostblocks häufig schon in Rente, der Angriff läuft aber immer noch weiter, ist zum Selbstläufer geworden. Die Auflösung der traditionellen Wählermilieus der CDU ist gelungen, was an sich vielleicht nicht mal ein Fehler ist, aber was nun?
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    e) Die Intellektuellen versagen darin, nach Aufklärung, Christentum und Sozialismus nun eine neue „große Erzählung“ in Gang zu bringen oder zu reaktivieren, die geistige Kräfte mobilisieren könnte. Die Menschen hausen in weltanschaulichen Trümmern, da wächst nur noch Gestrüpp zwischen Ruinen und motiviert zu nichts. Das war schon die Klage von Albert Schweitzer.

  7. "Die Intellektuellen versagen...
    „Die Intellektuellen versagen darin, nach Aufklärung, Christentum und Sozialismus nun eine neue „große Erzählung“ in Gang zu bringen oder zu reaktivieren…“
    Das Versagen der Intellektuellen liegt in deren praktischer Ignoranz gegenüber (wirtschaftlichen) Machtstrukturen und deren Steuerungsgeheimnissen, mit denen diese alle gesellschaftlichen Bereiche fehlentwickeln lassen – nur um ihre Existenz zu stabilisieren und ihre wirtschaftlichen Ziele zu verfolgen. Stichwort : Wachstumszwang-Regime der KAPITALSTOCKMAXIMIERER, um diese ganz konkret zu bennen.
    Selbst Sie, ‚franket‘, scheinen mir zu der kritisierten Gruppe der Intellektuellen zu gehören, denen ‚das Wissen um den richtigen Vernunftgebrauch abhanden gekommen‘ ist. Statt allgemein von Vernunftgebruach zu reden, könnten Sie auch davon sprechen, dass es darauf ankommt, die existierenden Machtstrukturen zu erkennen, um diese aushebeln zu können. Mit eionem solchen Ansatz würden Sie über Chaosphysik und Evolutionsprozess-Physik zu den Hebeln gelangen, mit dem wir auf der Höhe der Evolutionsstufe zu handeln in der Lage wären.
    Kurz: Wenn man ‚weltanschauliche Trümmer‘ lokalisieren will, dann bestehen sie aus jenen postmodernen Denksystemen, die eine Gesetzlichkeit im Evolutionsproizess ausschließen – gegen die z.B. Papst Benedikt XVI. so sehr zu Felde zog. Aber die Irreführung des Systemdenkens durch die Postmoderne hat gerade die Ignoranz bezogen auf Machtstrukturen im Gepäck.
    Wie ich oben sage, ist nun aber das hinreichende Steuerungwissen für den Exodus aus dem Ancien Machtrégime des Wachstumszwang-Absolutisten vorhanden – und trivial einfach, weil es evolutionsprozess-logisch daherkommt.
    Die von Ihnen geforderte ‚Große Erzählung‘ kann nur eine über die alles organisierende Gesetzlichekeit im Evolutionsprozess und über die Geschichte des kulturellen Evolutionsprozesses sein. Ich denke, dass diese Erzählung über den Sturz des Wachstumszwang-Regime in die Welt kommt – also nicht durch Theoriediskussionen, sondern durch machtstürzende Ereignisse … Ganz im Sinne von Karl Marx‘ Feuerbach These Nr. 11.

  8. everwood sagt:

    Werter asuetter,

    wenn ich...
    Werter asuetter,
    wenn ich Ihren Kommentar richtig verstehe, ist er ironisch gemeint und kritisiert also einen humanistischen Hochmut, der auf den Bundesaußenminister herabsieht, weil dieser über die Realschule zu Abitur und ‚Brotstudium‘ gekommen ist. Für mich kann ich nur sagen, daß mir ein solcher Hochmut ganz und gar fern liegt. Im Gegenteil: Das Anliegen des Ministers, die Debatte über das soziale System und die Gerechtigkeit nicht überwiegend von den Hilfebedürftigen und Leistungsempfängern einerseits, den Bonusempfängern und Steuerhinterziehern andererseits her zu führen, während die den Staat im wahrsten Sinne tragende Mittelschicht nur noch als zu melkende Kuh wahrgenommen wird, dieses Anliegen teile ich durchaus.
    Das Wort von der spätrömischen Dekadenz war nur falsch gewählt, weil Dekadenz aus Sicht des Historikers gar kein Zustandsbegriff ist, sondern eine Zuschreibung, die durch eine jahrtausendealte Begriffsgeschichte so aufgeladen ist, daß sie weder zur Beschreibung noch gar zur Analyse aktueller gesellschaftlicher Tendenzen taugt. Nicht mehr habe ich klarzustellen versucht; den Minister zu belehren überlasse ich gern anderen.
    Beste Grüße
    Ihr
    Uwe Walter

  9. franket sagt:

    ...
    @ruediger_kalupner:
    .
    Verschonen Sie mich bitte mit Ihrer sozialistischen Esoterik.
    Danke.
    .
    Die neue große Erzählung sehe ich in der Verbindung von Atheismus mit Humanismus. Bisher lautete die Verbindung: Christentum und Humanismus. Aber das Christentum ist lahm geworden.
    .
    Das neue Ergebnis wird etwas sein, was in die gegenwärtigen Denkschemata noch nicht hineinpasst: Ein Atheismus, der bürgerlich ist.
    .
    Falls das nicht klappt, wird der Humanismus erst einmal verlieren, und in 500 Jahren dann könnte sich eine neue Verbindung ergeben: Islam und Humanismus. Dann sind wir aber alle nicht mehr.

  10. @franket
    Wenn Sie meinen...

    @franket
    Wenn Sie meinen Erkenntnisstand nicht vorbeigingen, würden Sie sich Ihre Denkarbeit wohl erleichtern können. Es geht Ihnen doch um reale Früchte für den kulturellen Evolutionsprozess, die schon in der aktuellen Evolutionsstufe herangereit sind und nur gepflückt werden müssen.
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    Für eine evolutionsprozesslogische Wahrheit halte ich die Vorstellung: an ihren Früchten wird man den richtigen Vernunftgebrauch erkennen. Und meine Erfahrung ist: es gibt nichts Fruchtbareres als eine steuerungssystemisch modellierte, wahre Evolutionsprozess-Theorie. Sie rückt z.B. die Macht-Nr.1 im Evolutionsprozess in den Blick, die wir KREATIVITÄT nennen. Sie muß nur operational inform eines global-gesellschaftlichen Steuerungssystems erkannt und in die politische Konkurrenz gebracht werden – gegen die Akteure gesellschaftlichen Übermachtstrebens mit ihren Gewaltoptionen.
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    Die humanstische Utopie einer machtsystemfreien Gesellschaft allseits sich entwickelnder Menschen kann ich mir nur als Herrschaft des KREATIVEN Akzelerationswegs real vorstellen, und dieser Weg kann nur von den speziellen wirtschaftlichen Steuerungsinstrumenten dieses KREATIVEN Entwicklungspfades realisiert werden. Das sind die wichtigsten Erkenntnisbestandteile einer konkreten Utopie, die wir sicherlich für den Exodus aus der Krise des Industriesystems brauchen. Wer die hier genanne KONKRETISIERUNG ignoriert, ist in der Gefahr, weitere luftige Denkschlösser hochzuziehen. Es gilt, die evolutionsprozess-eigenen Entwicklungspotenziale zu erkennen und zu nutzen. Das ist doch trivial.
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    Zu Ihrer Kritik: Mein KREATIVER Evolutionismus erscheint mir gerade die evolutionsprozess-logische Synthese aus Marxismus (= gesellschaftliches Befreiungs- und menschliches Erleichterungsprojekt) und Christentum (= Erleuchtungsprojekt) zu sein, d.h. eine Synthese der Prozessgesetzlichkeit von MATERIE und GEIST. Unter ’sozialistischer Esoterik‘ kann ich mir nichts vorstellen.

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