Antike und Abendland

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Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Aktionsarten und Prozeßhaftigkeit: vom Glück, Griechisch gelernt zu haben

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Zufällige Begegnung am Aufzug. Eine Mitarbeiterin fragt nach dem Stand der aktuellen ‘Baustellen' in der Universität - Exzellenzinitiative,...

Zufällige Begegnung am Aufzug. Eine Mitarbeiterin fragt nach dem Stand der aktuellen ‘Baustellen‘ in der Universität – Exzellenzinitiative, Studienstrukturreform, Neubau und so weiter. Der organisationslogische Begriff, den ich als ein angelerntes kleines Rädchen in der Maschine dann als verkürzte Antwort geben müßte, lautet selbstverständlich: „Prozeß“. Aber ich sage, spontan eine Faustformel meines Griechischlehrers im Kopf habend, wir seien in der Aktionsart des Imperfekts: Versuch, Wiederholung, Dauer. Kein Aorist als abgeschlossene punktuelle Handlung, schon gar kein Perfekt in Sicht: ho gegrapha gegrapha – „was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben, und so steht es jetzt da“.

In der Tat, die Lehre von den sog. Aktionsarten des (alt-)griechischen Verbs ist eine schöne Metapher auf Tätigkeiten ohne Erfüllung und die Sehnsucht nach dem Abgeschlossenen, Beendeten, mit Glück sogar bis jetzt, wenn auch vielleicht nicht in alle Zeiten Weiterwirkenden. Früher wurde dieser Reichtum noch ganz unbefangen emphatisch gepriesen: „In der vollkommenen Entwicklung und Ausbildung der Verbalformen zur Bezeichnung der Zeit- und Modusverhältnisse“, so heißt es in der umfangreichen Grammatik von Kühner und Gerth, „bekundet der Genius der griechischen Sprache seine schöpferische Kraft am herrlichsten, und es findet sich keine Sprache, in welcher jene Beziehungsverhältnisse mit so bewunderungswürdiger Klarheit, Schärfe und Feinheit ausgedrückt werden könnten wie in der griechischen.“ Im gleichen Sinne zitiert Jacob Burckhardt die Griechische Geschichte von Ernst Curtius: Zumal das Gebäude der Verbalformen sei „ein für alle Zeiten gültiges System der angewandten Logik, deren Verständnis noch heute die volle Kraft eines geübten Denkers in Anspruch nimmt“.

Die Grammatiken, zumal die zum Lernen bestimmten, müssen naturgemäß vereinfachen und auf den Begriff bringen. Aber selbst dann noch faszinieren die Differenzierungsmöglichkeiten und die Präzision, mit der durch verschiedene Formen eines Verbs Differentes ausgedrückt werden kann:

Bild zu: Aktionsarten und Prozeßhaftigkeit: vom Glück, Griechisch gelernt zu haben

Natürlich haben die griechischen Autoren in lebendiger Rede die Unterscheidungen nicht immer so streng wie im Lehrbuch geübt (einst konnte man einen Philologen karikieren, indem man ihn sagen ließ: Hier hat Cicero nicht korrekt formuliert!). Aber das Imperfekt findet sich doch in der Regel bei der Schilderung von Sitten und Gewohnheiten, um zu erklären, zu veranschaulichen oder begleitende Nebenumstände zu benennen. In jedem Fall fordern die verschiedenen Formen in einem Textzusammenhang immer wieder auf, nach ihrer konkreten Funktion an einer bestimmten Stelle zu fragen.

Wer im Selbststudium ein wenig in die griechische Sprache eindringen möchte, besorge sich antiquarisch: Hans Poeschel, Die griechische Sprache. Geschichte und Einführung (1950 erstmals in der Sammlung Tusculum, 5. Auflage 1968, später noch einmal bei dtv). Brauchbar ist auch der Abschnitt in der wikipedia.


4 Lesermeinungen

  1. Collobriere sagt:

    Respekt! - Aber sollte man...
    Respekt! – Aber sollte man nicht im Gegenzug auch ein Rechenbuch auf die Peloponnes schicken? Sie wissen schon – wegen des Berechnens von Haushalten.
    Bis dahin: horao, opsomai, eidon, heoraka…., na ja halt das ganze Programm des Durchkonjugierens. Schau´n mer mal! Wegen der Unregelmäßigkeiten – auch bei Haushaltsführungen – besonders in Hellas.

  2. ThomasD1 sagt:

    Vielen Dank für diesen netten...
    Vielen Dank für diesen netten Impuls, der auch dazu beiträgt sich diese Sprache warm zu halten!

  3. franket sagt:

    In der von mir immer wieder...
    In der von mir immer wieder beklagten Veranstaltung mit Raoul Schrott im Liebieghaus in Frankfurt am Main (siehe Link), kam die Sprache auch darauf, ob es denn wahr sei, dass das Griechische dem Deutschen besonders nahe stehe.
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    Die Antwort der Runde war klar: Mit so etwas mache man sich lächerlich, hier würde etwas konstruiert, was nicht im Geringsten der Fall sei. Das seien obsolete ideologische Auffassungen. Diese postmoderne Verbrecherbande ewiggestriger Grauköpfe klopfte sich gegenseitig auf die Schultern, und das anwesende Publikum, das Frankfurter Bürgertum, lachte mit ihnen über die verklemmten Dummköpfe, die das immer noch glauben. Hach, was fühlte sich das Frankfurter Bürgertum doch erhellt und modern in diesem Moment, hach!
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    Aber fällt es nicht jedem Schüler auf, dass sich Griechisch viel leichter ins Deutsche übersetzen lässt, als das Lateinische, weil der Satzbau recht ähnlich ist? Und hat nicht das Griechische eine Eigenschaft, die man sonst nur vom Deutschen her kennt: Nämlich die Fähigkeit, durch Zusammensetzung von Worten neue Worte zu kreieren? Eine Eigenschaft, die für das Philosophieren von ungeheurer Bedeutung ist. Und dann die vielen nuancierenden Wörtlein, gibt es die wirklich in anderen Sprachen genau so, wie im Deutschen und Griechischen? Man kann ja alles übertreiben, auch die Affinität zwischen deutscher und altgriechischer Sprache, aber ist da wirklich gar nichts?
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    Diese Veranstaltung mit Raoul Schrott war ein einziges Trauma.

  4. Plindos sagt:

    Wie trostreich zu wissen, dass...
    Wie trostreich zu wissen, dass sich Philipp Melanchthon so segensreich für das Griechische eingesetzt hatte. Dr. M. Luther, ob der wohl ein solch fulminanter Gräcist wie er war? Die sog. Modernen wissen garnicht wie sehr er sich für die Reform, weit vor A. Humboldt, der deutschen Universitäten eingesetzt hatte. Hölderlin oder Heidegger, Schiller, Hegel, sie alle sind ohne die Kenntnis des Griechischen nicht denkbar.Φίλος μεν Πλάτων, φιλτέρα δε ἀλήθεια

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