Antike und Abendland

Vulkanismus, antiker – eine Lexikonrecherche

Die Ankunft eines neu erschienenen Nachschlagewerkes und die aktuelle Lähmung Europas in der dritten Mobilitätsdimension machen Lust auf eine Probe: Was ist in den Lexika und Enzyklopädien zur Alten Welt über Vulkane und Vulkanismus zu erfahren?

In den älteren Werken wenig. Die mehr als achtzigbändige Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaften (RE) und ihre Kurzfassung, der Kleine Pauly (1964-1975), bieten selbstverständlich ausführliche Artikel zu Vulcanus/Volcanus, dem römischen Gott des Feuers, sowie zu konkreten Vulkanen (und ihren Ausbrüchen), aber einen zusammenfassenden Artikel, der auch die antiken Deutungen des Phänomens, für das es keinen Sachbegriff im Griechischen oder Lateinischen gab, behandelt hätte, den sucht man vergebens. Die Schwierigkeit macht das Wörterbuch der Antike deutlich, von Hans Lamer erstmals 1933 bei Kröner herausgebracht. Es richtete sich an nicht einschlägig ausgebildete, aber interessierte Benutzer; die Altertumswissenschaft sollte als „Gegenwartswissenschaft“ vorgestellt werden, als Weg zu lebendiger Anschauung der antiken Stätten „und dessen, was sie in ihrer denkwürdigen Geschichte bis heute uns, den Menschen des 20. Jahrhunderts, lehren“. Dort findet sich unter „Vulcanus“ der logisch etwas verquere Satz: „Vulkane heißen so (aber nie im Altertum), weil man im Altertum feuerspeiende Berge, besonders den Ätna, für Werkstätten des Schmiedegottes Vulcanus hielt.“ Andeutung einer nachantiken Wortgeschichte also, keine Information zur Sache. (Die von Stefan Link neu bearbeitete zehnte Auflage des Werkes [2002] behandelt nur den Gott.) Das 1965 vorgelegte, schwergewichtige (Artemis-) Lexikon der Alten Welt hatte sowohl das gelehrte als auch das gebildete Publikum im Blick, bleibt beim gewählten Lemma aber faktisch einbeinig: Eine gute halbe Spalte belehrt über den Gott, während die viereinhalb Zeilen „Vulkane“ nur das Dach für Verweise bilden, auf Artikel über Geographie, Meteorologie und den Universalgelehrten Poseidonios, der Vulkane in seinem Werk unter den Ursachen der Veränderung der Erdoberfläche behandelt haben soll. Abhilfe schafft erst Der Neue Pauly; knapp eine Spalte im letzten der Antike gewidmeten Band (12/2, 2002) bietet den gesuchten Überblick: Zwar gibt es für den modernen Begriff Vulkan in der antiken Literatur keine griechische oder lateinische Entsprechung (wissen wir schon), wohl aber für den Lavastrom, darunter der „verflüssigte Stein“ bei Vergil (saxa liquefacta). Dann: „In der seismisch und tektonisch sensiblen mediterranen Welt waren Vulkane zu allen Zeiten ein historisch relevanter Faktor.“ Es folgt ein kurzer Überblick zu den bekanntesten aktiven Vulkanen, die von antiken Autoren erwähnt werden. Neben die mythische Deutung und volksreligiöse Bannung trat die wissenschaftliche Deutung vulkanischer Aktivitäten; hier ist der Hinweis auf Poseidonios mit einer Stellenangabe ergänzt.

In England war Lemprière’s Classical Dixtionary sozusagen der Urvater altertumswissenschaftlicher Nachschlagewerke. Es erschien erstmals 1788 und bot nur antike Namen. Die Neubearbeitung von 1850 ist als Nachdruck zugänglich.

Danach bestand offenbar kaum Bedarf an weiteren eigenen Werken. Die Gelehrten benutzten die RE, die Gebildeten die Encyclopedia Britannica (s.u.) 1949 erschien erstmals das Oxford Classical Dictionary (OCD). Neubearbeitungen wurden 1970 und zuletzt 1996 vorgelegt, immer noch einbändig, aber nunmehr über fünf Pfund schwer. Es ist für Studium, Lehre und Forschung unentbehrlich, elegant geschrieben, gediegen und fast immer sehr anregend. In unserer Stichprobe folgt es freilich der älteren Tradition – Vulcanus ja, Vulkane/Vulkanismus nein.

Die bekannte Konkurrenz zwischen Oxford und Cambridge und zwischen den beiden Verlagen Oxford University Press und Cambridge University Press hat – mit einiger Verspätung – auch für Konkurrenz auf diesem kleinen, immerhin aber weltweiten Marktsegment gesorgt. 2006 erschien The Cambridge Dictionary of Classical Civilization. Das Werk will moderner und zugänglicher sein als das OCD: „an encyclopedia of antiquity that combined the maturity and depth of classical subjects – some of the oldest university disciplines in the West – with new approaches emphasizing social issues in the ancient world, as well as new sources of information such as archaeology“. Dem OCD wird Respekt gezollt, aber der Wille zur Konkurrenz ist unübersehbar; so gibt es ein eigenes Verzeichnis mit Stichwörtern, die im Oxforder Gegenstück nicht zu finden sind. Ich greife eher selten zu dem Werk, weil es kaum Quellennachweise und Literaturangaben bietet und die etwa 500 Abbildungen ziemlich willkürlich ausgewählt und von teils mäßiger Qualität sind. Auf welchen Benutzer es zielt, ist nicht ganz klar, und es fällt auf, daß schon drei Jahre nach Erscheinen ein preiswertes Paperback auf den Markt geworfen wurde, vermutlich mit Blick auf den auch in England mittlerweile öfter beschworenen als definierten ‘general reader‘. (Oxford University Press hat diesen Schritt nicht getan, sondern erfolgreich eine gekürzte und illustrierte ‘Volksausgabe‘ des OCD herausgebracht: The Oxford Companion to Classical Civilization, 2004.) Doch vielleicht sollte ich die Vorzüge des Cambridge-Einbänders öfter testen. Es gibt nämlich einen Artikel ‘volcanoes‘, der zunächst die antike Deutungsgeschichte seit den Vorsokratikern skizziert, ohne Poseidonios, dafür mit Aristoteles, dann die beiden wichtigsten antiken Vulkanausbrüche erwähnt (Thera/Santorin, ca. 1650 v.Chr.; Vesuv, 79 n.Chr.) sowie den Nutzen vulkanischen Materials, als fruchtbarer Boden und Grundstoff für Zement. Leider keine Literaturangaben.

Und nun, ganz frisch aus der Druckmaschine, The Oxford Encyclopedia of Ancient Greece and Rome. Der Umfang von sieben Bänden täuscht: Die großformatigen und großzügig bedruckten Seiten im Zweispaltensatz sind zwar gut lesbar, aber das Werk enthält ‘nur‘ 1,5 Millionen Wörter, das einbändige OCD – dessen kleine Drucktype die Lektüre längerer Artikel allerdings mühsam macht – 200.000 Wörter mehr. Die neue Enzyklopädie zielt ausdrücklich auf den genannten ‘general reader‘; die Suche nach einzelnen Fakten, Namen und Quellenangaben wird oft enttäuscht. Die Stärken des – freilich mit etwa 600 Euro überteuerten – Werkes liegen woanders. „Emphasis is more on interpretation and significance than on a large quantity of facts“, heißt es im Vorwort. In der Tat liest man sich leicht fest. Eigene Artikel behandeln u.a. ‘Afrocentrism‘, die ‘Cambridge Ritualists‘, Edward Gibbon, George Grote, Arnaldo Momigliano und Ronald Syme. Geographie und „Natural Phenomena“ werden allerdings sehr stiefmütterlich behandelt; zwischen ‘Vitruvius‘ und ‘Votive Offerings‘ sucht man vergeblich nach einem Eintrag zum Vulkanismus; die Verweise im Index helfen ebenfalls nicht weiter. Es wird sich zeigen, wie sich das Werk im Alltag bewährt. Nach dem Auspacken und ersten Stichproben war ich insgesamt etwas enttäuscht.

Und der Vulkanismus? Zum Glück ist man ja nicht ausschließlich auf die allgemeinen Fachlexika verwiesen. In dem von Holger Sonnabend (dem Autor des Vulkane-Artikels im Neuen Pauly) herausgegeben Lexikon zur Historischen Geographie Mensch und Landschaft in der Antike (Stuttgart/Weimar 1999) informiert Friedrich Sauerwein zunächst über Vulkane, mit einem bemerkenswerten Hang zur Objektivierung: „Naturgewalten folgen physikalischen Gesetzmäßigkeiten; nur der Mensch redet von Katastrophen.“ Wovon denn sonst? Dann aber gediegene Information zum Vesuv, Aetna, Stromboli und – zur Eifel. Es folgt ein geologisch-technischer Artikel ‘Vulkanismus‘, mit einem robusten Expertensarkasmus am Ende: „Observationen in der Gefahrenzone sind heute in der Lage, Eruptionen vorherzusagen. Nur ist es oft schwer, die Menschen zur Evakuierung zu bewegen.“

Das unerschöpfliche Hausbuch des englischen Gebildeten vor hundert Jahren: die Encyclopedia Britannica, 11. Auflage 1910/11, letzte Seite von Bd. 27 (s.a. hier).

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