Der jüngste Eintrag in diesem Blog zur Troia-Debatte hat nicht sehr interessiert; die Zahl der Klicks liegt weit unter dem Durchschnitt. Gleichwohl greife ich das Thema heute und in Kürze nochmals auf, freilich im Sinne einer sekundären Beobachtung: Es geht um die Vermittlung aktueller Forschungsdebatten in den Medien, heute: im Fernsehen. Daß Altertumswissenschaftler damit fremdeln, kann heute nicht mehr als richtig gelten, jedenfalls nicht allgemein. Die zahlreichen und häufig wiederholten, oft mehrteiligen Dokumentationen und Docufictions im Ersten und im ZDF, bei Phoenix, n-tv, N24, Vox und anderen Sendern, zu allen möglichen Themen (Echnaton und Nofretete, Kriege des Altertums, Archimedes, Hannibal, die Akropolis, das klassische Athen und die Demokratie, Metropolen der Antike, die Germanen, immer wieder die Gladiatoren u.v.m.), schneiden zwischen die Spielszenen, die ‘dokumentarischen‘ Passagen, die einen Sprechertext bebildern, und die suggestiven Computeranimationen von Bauten und Stadtanlagen auch immer wieder kurze Äußerungen von Experten. So kann man sehen, wie Professoren, deren Bücher man kennt, aussehen und reden. Doch wer sich für eine solche Produktion zur Verfügung stellt, um seinen Auftrag (neben anderen), Geschichte in die Gesellschaft zu vermitteln, wirksam ernstzunehmen, erlebt bisweilen eine Überraschung. Ein älterer Kollege erzählte mir vor Jahren von seinem Ärger über eine Doku zu Nero. Er stand einem Team für mehrere Stunden Rede und Antwort, um dann in den fertigen 43 Minuten zwei Dreißigsekunden-Statements zu haben. Der Grund für den Ärger war aber nicht verletzte Eitelkeit. Vielmehr war der fertige Film das Vehikel für die angestrengten, in der Sache kaum haltbaren Bemühungen des italienischen Publizisten Massimo Fini, Nero eine Art Ehrenrettung angedeihen zu lassen. Das ist methodisch sehr problematisch, denn eine antike Überlieferung als großenteils feindselig und topisch zu erweisen erlaubt nicht, schlicht das Gegenteil des Überlieferten als geschichtliche Realität zu behaupten. Die Äußerungen des erbosten Kollegen hatten nun mit Finis These gar nichts zu tun, sondern betrafen komplizierte Details der julisch-claudischen Familiengeschichte, aber allein durch die Anwesenheit eines renommierten deutschen Kaiserzeitforschers konnte bei manchen Zuschauern die extravagante, durch Psychologisierung ‘modern‘ erscheinende Sicht des erfindungsreichen Italieners mit dem Siegel der Solidität versehen erscheinen.
Ein ähnlicher Fall ist jetzt zu vermelden, dokumentiert in der immer wieder lesenswerten Zeitschrift des Deutschen Altphilologenverbandes (Forum Classicum 2010, Heft 1). Am 31. Januar 2010 strahlte das ZDF „Der Fall Troia – Homers letztes Geheimnis“ aus (hier anzusehen). Eine Woche später schrieb Prof. Dr. Ernst Pernicka vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen einen Brief an den Programmdirektor des Senders, Thomas Bellut. Die Mainzer hatten den Film in der erfolgreichen Terra X-Reihe ausgestrahlt, aber nicht selbst produziert (was üblich ist).
Pernicka legt „als Leiter der archäologischen Ausgrabungen in Troia und als Wissenschaftler, der sich um wahrheitsgemäße Berichterstattung auch in populärwissenschaftlichen Sendungen bemüht, gegen diese Sendung schärfsten Protest ein“. Allerdings sucht er nicht den Eindruck zu erwecken, er sei naiv in eine Falle getappt: „Die beiden Produzenten haben sowohl mich als auch meinen Kollegen, Prof. Dr. Joachim Latacz, den operativen Herausgeber des Basler Homer-Kommentars, um Mitarbeit gebeten, wobei sie das Konzept folgendermaßen beschrieben: »Thema des Filmes wird Homers Ilias, Troja und eine Auseinandersetzung mit den Kilikien-Thesen von Raoul Schrott sein.« Mein Mitarbeiter, Dr. Peter Jablonka, hat bereits zu Beginn der Kontaktaufnahme gesagt, dass wir uns im Troia-Projekt entschieden haben, mit weiteren Stellungnahmen zu dem Buch „Homers Heimat“ von Raoul Schrott sehr zurückhaltend zu sein. Denn jeder Diskussionsbeitrag würde den falschen Eindruck verstärken, dass sich die Wissenschaft ernsthaft mit Raoul Schrotts Thesen beschäftigt.“ Doch das Schweigen als lauter Kommentar funktioniert nur, wenn es zu einem solchen erklärt wird, im Sinne von Ciceros cum tacent clamant. Als Grund für seine Mitwirkung gegen den Rat von Kollegen reflektiert der Briefschreiber freilich nicht die komplexen Regeln von Kommunikation in der Öffentlichkeit, sondern besteigt ein schwer gepanzertes Roß: „Ich habe mich dennoch zur Mitarbeit an dem Film entschlossen, weil ich bisher der Auffassung war, dass wir der Öffentlichkeit berichtspflichtig sind und dass dies am besten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit seinem Qualitätsauftrag geschieht (s. Punkt 6 der Standortbestimmung der Gremienvorsitzenden der ARD vom 27.11.2001: »Die Bürger/innen dürfen vom gebührenfinanzierten Rundfunk einen professionellen Journalismus erwarten, der sorgfältige Recherche, Seriosität, unabhängige Standpunkte und Fairness beinhaltet.« Ich gehe davon aus, dass diese auch für das ZDF gilt). In diesem Film ist dieser Qualitätsauftrag schwer verletzt worden. Meine Kollegen und ich, die sich mit Troia ernsthaft wissenschaftlich beschäftigen, haben sich unter der Voraussetzung zur Verfügung gestellt, dass es um »Einschätzungen zu Raoul Schrotts Thesen« von außen, und zwar aus der Sicht der Wissenschaft, ging. So wurde es von der Produktionsfirma dargestellt (…).“ Was folgt, belegt zumindest, daß der Empörte die Eigengesetzlichkeit des Mediums und die Regeln des Marktes, auf dem sich, wie angedeutet, mittlerweile viele Anbieter von Infotainment tummeln, nicht berücksichtigt hat: „Entstanden ist das genaue Gegenteil: Eine Hymne auf den persönlich als Hauptdarsteller ins Zentrum gestellten (und mit filmischen Fantasy-Elementen unterstützten) Schrott unter Einstreuung winziger, aus dem Zusammenhang gerissener und daher schwächlich wirkender (und offensichtlich zu genau diesem Zweck ausgewählter) Interview-Fragmente der um ‘Einschätzung‘ der Schrott-Thesen gebetenen Wissenschaftler. Es liegt also ein klarer Fall von (möglicherweise arglistiger) Täuschung vor. Wir haben dem Produktionsteam viele Stunden geschenkt und geduldig die Positionen der Wissenschaft (ein seltsamer Anspruch auf Uniformität, auch wenn er in der causa Schrott berechtigter sein mag als bei anderen Fragen – U.W.) zu den Thesen von Herrn Schrott erklärt. Im Film sind nur mehr (sachlich unrichtige bzw. sachfremde) Argumente zu seiner Unterstützung gezeigt und die von uns aufgezeigten wissenschaftlich fundierten Gegenargumente weggelassen worden. Die auf diese Weise verbreitete Fehlinformation kommt der berüchtigten Terra-X-Sendung über den ‘Chiemgau-Meteoriten‘ nahe mit dem Unterschied, dass die beteiligten Wissenschaftler als scheinbare Kronzeugen für die falsche Information gezeigt werden.“
Die Produktion habe seinen Glauben an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nachhaltig zerstört. Wahrscheinlich hat Pernicka sein TV-Gerät vor Jahren abgeschafft oder benutzt es kaum mehr. Da hätte er von seinem Vorgänger, dem verstorbenen Manfred O. Korfmann, lernen können. Der ging nur ins Fernsehen, wenn er die Agenda bestimmen und seinen Gegnern den genau berechneten Part der abgeschnittenen Wadenbeißer zuweisen konnte.
Die Konsequenz für Pernicka: „1) Ich werde nie mehr mit der Produktionsfirma zusammenarbeiten. 2) Ich werde meine Zeit nie mehr der Redaktion von Terra-X zur Verfügung stellen, wenn nicht ein Vertrag abgeschlossen wird, der mir Einsicht in das Endprodukt erlaubt und mit einer Ausstiegsklausel versehen ist. 3) Ich werde insgesamt gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seinen Mitarbeitern Zurückhaltung üben, weil ich nicht mehr sicher sein kann, dass meine Aussagen richtig und fair verwendet werden. 4) Ich werde diese Erfahrung im Kollegenkreis verbreiten, um sie vor dieser Produktionsfirma und dieser Redaktion zu warnen.“
Gut, das mußte einmal gesagt werden. Aber es erinnert mich irgendwie, weiß nicht, warum, an einen alten, kleinen Film, den ich sehr schätze: Die Maus, die brüllte. Könnte eigentlich ‘mal wieder gezeigt werden. Im Fernsehen.
p.s. Die Tübinger Troianer sind zweifellos abgestiegen. Korfmann hatte es noch fertiggebracht, in ähnlichen Sendungen die Hauptrolle einzunehmen, die jetzt Schrott zugebilligt wurde (s.o.). Dabei hat er sich auch immer wieder auf eine trügerische Evidenz berufen: Die skeptischen Althistoriker (und viele Philologen) brüteten über ihren Büchern und wendeten Texte immer wieder um, während der Archäologe die greifbaren Beweise vorweisen könne. Der neue Terra X-Film billigt dem Literaturwissenschaftler Schrott, der in Karatepe nicht gegraben hat, sondern vor der Kamera nur dekorativ durch die Landschaft streift, nunmehr zu, „frischen Wind in die Studierstuben der Altertumswissenschaftler“ gebracht zu haben. Aber um derlei logische Brüche schert sich nicht, wer eine flotte Schlußformel braucht, die Lust auf neue Sendungen macht. Mit neuen Experten.