Antike und Abendland

Vorfreude für Leser – die neuen Bücher des Herbstes (I)

Bücherfrühling und Bücherherbst sind wie Weinjahrgänge: Ein gewisses Maß an Qualität und Quantität ist durch die Winzer bzw. Lektorate gesichert; gleichwohl gibt es besonders gute, bisweilen auch eher maue Resultate. Der Bücherherbst 2010 zur Antike verspricht ein gutes Jahr zu werden.

Für Diskussionen dürfte „Tatort »Troia«. Geschichte – Mythen – Politik“ aus der Feder von Frank Kolb sorgen (Schöningh). Die Asymmetrie der um Manfred Korfmann, Joachim Latacz und Kolb selbst zentrierten Debatte war ja zum guten Teil dadurch begründet, daß Korfmann (durch die Ausstellung) und Latacz (mit seinem Homer-Buch und eine weitere Ausstellung) Gesamtentwürfe vorlegten, die allein durch ihre kumulative Konsistenz und Kompaktheit mehr ‘Glauben‘ zu erzeugen imstande waren als die meist nur in Aufsatzform formulierte Kritik (sieht man einmal von Dieter Hertels „Die Mauern von Troia“ [C.H. Beck] ab, das aber seine Herkunft aus einer archäologischen Habilitationsschrift nicht verleugnen kann). Kolbs Dekonstruktion dürfte durch das Buchformat deutlich an Durchschlagskraft gewinnen. Starke Worte sind zu erwarten, verspricht der Autor doch zu zeigen, daß „das Bemühen, den Mythos mit dem Spaten der Archäologen als Geschichte zu erweisen, methodisch verfehlt und erfolglos war und zu wissenschaftlich fragwürdigen Vorgehensweisen führte“. Der „Schicksalshügel der Archäologie“, so die Verlagsvorschau, „wurde zu einem Skandalhügel“.

Vom neuen Interesse an Cicero war ja hier schon mehrmals die Rede. Die neue Biographie aus dem Hause Klett-Cotta trägt den großartigen Titel „Rom, das bin ich“. Der Autor, Francesco Pina Polo (Universität Zaragossa), hat die politische Kommunikation im republikanischen Rom untersucht und hier besonders die öffentliche Rede und die nicht-beschließenden Versammlungen (contiones). Die Rhetorik war die Hauptressource des Aufsteigers aus Arpinum; sie führte ihn zum Konsulat, wurde ihm am Ende, im Kampf gegen Antonius, aber auch zum Verhängnis: Als Antonius das abgeschlagene Haupt Ciceros erhielt, so Cassius Dio (47,8,3-4), befahl er, „es solle noch besser sichtbar als die anderen auf der Rednerbühne ausgestellt werden, damit man es zusammen mit seiner rechten Hand, so wie sie gerade abgehauen war, an eben dem Platze erblicken könne, von wo aus Ciceros Reden gegen ihn so oft zu hören waren. Fulvia [Antonius‘ Frau] aber nahm den Kopf, bevor man ihn wegtrug, in ihre Hände, schändete und bespie ihn und legte ihn auf ihre Knie. Dann öffnete sie den Mund und zog die Zunge heraus, um sie mit ihren Haarnadeln zu durchbohren, wobei sie viele grausige Spaße machte.“

Der Titel des Buches pointiert die überzogene Identifikation Ciceros mit der res publica, die ihn zum Umkehrschluß führte, alle seine politischen Feinde (inimici) seien zugleich höchst gefährliche Staatsfeinde. Eine solche Sicht, gepaart mit einer kohärenzfixierten und philosophisch überhöhten Sicht auf das Gemeinwesen und seine politische Kultur, kann mit gutem Grund unrepublikanisch genannt werden.

Jörg Rüpke widmet sich seit Jahren der Erforschung der Religionen im Römischen Reich. Eine handliche Synthese der Ergebnisse eigener wie angestoßener Forschung kündigt die Wissenschaftliche Buchgesellschaft an: „Von Jupiter zu Christus. Religionsgeschichte in römischer Zeit“. Rüpke ist vom bislang gültigen Markt- und Konkurrenzmodell abgerückt. Das Christentum ersetzte nicht einfach ältere und konkurrierende Religionen; vielmehr fand in der Kaiserzeit eine tiefgreifende Veränderung des Phänomens Religion überhaupt statt. Diese vermochte mehr und mehr, Lebensführung und Zusammenleben der Menschen zu definieren.

Gespannt sein kann man auf den neuen Versuch einer Biographie über Marcus Antonius (Primus Verlag). Helmut Halfmann hat sich des Mannes angenommen, der Caesars Getreuer, Kleopatras Geliebter und am Ende Oktavians Feind war. Gespannt auch deshalb, weil alle sieben bisherigen Versuche, sich des Triumvirn in Form einer Biographie anzunähern, mehr oder weniger gescheitert sind. Das legt die Frage nahe, ob Antonius überhaupt eine historische Persönlichkeit war, über die sich sinnvoll eine Biographie schreiben läßt. Der allgemeine historische Hintergrund ist in zahlreichen bereits vorliegenden Darstellungen und Biographien anderer, auch durch Selbstzeugnisse bezeugter Akteure dieser Zeit (Caesar, Cicero, Augustus) hinreichend ausgeleuchtet. Eine Biographie für ein breiteres Publikum muß eine solche Vergegenwärtigung jedoch wiederholen und darüber hinaus den Versuch unternehmen, aus einer Rekonstruktion nicht nur der Ereignisse, sondern auch der Dispositionen, Erwartungen und Denkhorizonte der Zeitgenossen zu einer abgewogenen Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Antonius zu kommen. Das aber erscheint gar nicht möglich, weil die wesentlichen Stationen seines Lebens, die Zeit unmittelbar nach Caesars Ermordung und das anschließende Agieren als Triumvir im Osten, unter feindseliger zeitgenössischer Propaganda begraben liegen. Man kann nun zwar versuchen, unter den Verzerrungen mit quellen- und sachkritischen Methoden einen rationalen Kern der Politik des Antonius herauszuschälen, indem etwa rekonstruiert wird, wie stark der Römer, der er immer blieb, sich in die komplexen Macht- und Beziehungsgeflechte Ägyptens und des Vorderen Orients einlassen mußte, um dort überhaupt agieren zu können. Aber das würde von der Biographie eher wegführen. Übrigzubleiben droht weniger als ein halber, ein rationalisierter Antonius, der aber mit der historischen Figur nicht mehr viel Ähnlichkeit hätte, denn zu dieser gehören untrennbar eben auch die Verzerrungen, der ganze antike und moderne ‘orientalistische‘ Ballast, gehören ferner die jähen, kaum erklärbaren kontingenten Wendungen. Wie gesagt: Man darf gespannt sein, wie der Autor diese Aporien auflöst.

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