Antike und Abendland

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Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Augustus, verhunzt … eine rezensorische Rückrufaktion

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Durch Fahrlässigkeit, wie sie vorkommen kann, aber nicht darf, habe ich zu verantworten, daß heute im Blatt eine ganz unzureichende, weil redundante und...

Durch Fahrlässigkeit, wie sie vorkommen kann, aber nicht darf, habe ich zu verantworten, daß heute im Blatt eine ganz unzureichende, weil redundante und dadurch spannungslose Fassung meiner Rezension des neuen Augustus von Werner Dahlheim steht. Die Redaktion hat’s nicht bemerkt, und so ist es passiert. Mit der Bitte, Leser, Autor und Verlag möchten nicht im Übermaß zürnen, hier die korrekte Version:

Werner Dahlheim: „Augustus“. Aufrührer – Herrscher – Heiland. Eine Biographie. C.H. Beck, München 2010. 448 S., 33 Abb., 11 Karten, geb., 26,95 €

Um die Lebenden mit den Toten ins Gespräch zu bringen, so bemerkte Karl Schlögel kürzlich, müsse der Historiker seine ganze Lebensenergie aufwenden, ja in dieser Anstrengung verbrennen. Und sein Ziel dürfe nicht die Abstand schaffende Generalisierung sein, sondern eine Vergegenwärtigung und Erschließung des Zeit- und Erfahrungshorizontes derer, die nicht mehr von Gleich zu Gleich mit uns sprechen können. Abgesehen von der suizidalen Grenzerfahrung würde Werner Dahlheim diesen Maximen wohl zustimmen, aber auch darauf beharren, zu Augustus einen durchaus selbstbestimmten Weg zu finden. Dabei mit Caesar zu beginnen, zuvor schon Gegenstand zweier Biographien aus der Feder des Berliner Althistorikers, liegt aus zwei Gründen nahe: Nach Caesar gab es, so die herrschende Lehre, keinen Weg mehr zurück in die Oligarchie der Senatoren, und zugleich legte die Ermordung des Diktators dem Sieger im Erbfolgekrieg nahe, einen anderen Weg zu suchen als jener, um seine Herrschaft und den Erhalt der Dominanz Roms über einen Großteil der Welt zu sichern.

Welchen Stempel drückt Dahlheim seinem Protagonisten auf? Zum Glück versucht er nicht, durch extravagante Thesen hervorzutreten. Über Augustus hat sich so etwas wie ein wissenschaftlicher Konsens herausgebildet; Dahlheim klammert deshalb die strittigen Fragen aus, bietet eine durchaus konventionelle Gliederung und vermeidet die verfremdende Intellektualisierung. Sein Hauptinstrument ist die Sprache. Der friedlosen, heroischen, von höchsten Ansprüchen und grenzenloser Egomanie ihrer Führer gekennzeichneten Welt einer sich vulkanisch verausgabenden und dabei die halbe Welt in Brand setzenden Republik verwandelt er den Stil an. Er schreibt hart, nüchtern, wie für die Ewigkeit und zugleich gespickt mit brillanten Aperçus über ein Rom, „das ein Weltreich gewonnen, aber die Fähigkeit verloren hatte, sich darin zurechtzufinden“. Die kenntnisreichen, doch narrativ nicht ausufernden Kapitel folgen zunächst den Etappen der Machteroberung und Machtsicherung durch alle Krisen hindurch; daran schließen sich eher thematische Stücke: „Die Gesichter der Macht“, „Die Wiederkehr des Goldenen Zeitalters“, „Herr über Krieg und Frieden“, „Das Reich und seine Diener“. Ein kurzes Stück berichtet von den letzten Jahren, dann weitet sich der Blick wieder. Dahlheim, der immer wieder den Princeps als Heiland – im Horizont dessen, was der Begriff für Menschen der damaligen Zeit bedeuten konnte – herausgestellt hat, skizziert nun, wie die Christen aus dem zeitlichen Zusammenfallen von Augustus‘ Herrschaft und Jesu Geburt einen Sinn destillierten, der dem Begründer der römischen Monarchie einen Platz in der Heilsgeschichte sicherte.

Dahlheim urteilt als ein Historiker, der sein herrscherliches Temperament weder verleugnen kann noch will. Nicht verschwiegen wird die Bigotterie des monarchischen Sittenwächters, dessen stets waches Misstrauen biographisch erklärt: Augustus habe „vom ersten Tag seines politischen Aufstiegs an lernen müssen, Haken zu schlagen, Mord und Totschlag zu planen, kalten Herzens Terror zu üben und zu lügen und zu betrügen, wann immer es ihm nützlich erschien“. Die Geschichte saß ihm im Nacken, weil die alte Ordnung zwar gescheitert, aber keine neue denkbar war, der die alte nicht mindestens als Referenz diente. Deshalb war die rechtliche Einkleidung der Herrschaft auch „kein Akt mildtätiger Heuchelei“.

Am Ende eines Herrscherlebens Bilanz zu ziehen, also die Zeit kurz anzuhalten, ist gewiss nicht weniger willkürlich, als dies in einem beliebigen anderen Moment zu tun. Es ist aber auch nicht unvernünftig. Doch die Wertungen, die Tacitus als Sprecher einer in seinen Augen gekrümmten Aristokratie im bekannten ‘Totengericht‘ den Zaungästen von Augustus‘ Begräbnis in den Mund legte, verfehlen das Gros der Wirklichkeit. Dahlheim hört auf die Vielen in Rom, Italien und dem Reich, die am Ende den zu den Göttern erhobenen Princeps ehrlich betrauerten, und spricht in ihrem Namen von einem mit menschlichem Maß kaum auszumessenden Erfolg, nämlich der lange währenden Befriedung der römischen Welt, welche die Usurpation der Macht auf lange Sicht annehmbar machte. Immer weniger Menschen zweifelten daran, dass der Friede und das allgemeine Glück für immer auf die Erde zurückgekehrt waren. Dieses Maß an Zustimmung beantwortet für den Autor die Frage nach der Legitimität der Herrschaft des Augustus eindeutig. Doch bevor solche Urteile sub specie aeternitatis formuliert werden, entfaltet Dahlheim ein Leben, dessen einzige gerade Linie der nie zu brechende Wille des Hauptakteurs war, sich zu behaupten.

Gar keine Einwände? Doch. Bestrebt, den Akteuren möglichst nahezukommen, zugleich dann aber doch die Urteilssouveränität eines wenn nicht Alles, so doch Vieles wissenden Historikers beanspruchend, vergaloppiert sich Dahlheim hier und da. „In der Brust des kaltschnäuzigen neuen Caesar begann in seinem 28. Lebensjahr ein Herz zu schlagen, das sich für das Wohlergehen seiner Mitbürger erwärmte.“ Woher weiß er das? Den kleinen Leuten räumt der Autor wenig Ehre ein. Vor Zeiten hatten bürgerliche Historiker vielleicht noch Anlass, in den Massen vergangener Epochen das rote Gespenst oder die entfesselte Soldateska ihrer eigenen Zeit zu bekämpfen. Aber heute? Bei Dahlheim gibt es noch Soldaten- und Offiziersräte, und als der Lärm der Waffen nach dem Bürgerkrieg verstummt war, hörte man „über lange Jahre hin das Schmatzen der Sieger, die ihren Raub verzehrten“. Das hauptstädtische Proletariat „war überzeugt, Kaiser, Senatoren und Notabeln seien dazu da, ihm das Leben angenehm, unterhaltsam und sorgenfrei zu machen“ – abgesehen davon, dass diese Behauptung sachlich unhaltbar ist, liest sie sich vor dem Hintergrund aktueller Debatten etwas seltsam.

Doch an anderer Stelle wieder mit das Beste, was ein Historiker beim Leser auslösen kann: Stutzen, spontanes Nicken, Nachdenken, am Ende geklärte Zustimmung: „Von der Sonne Andalusiens bis zu den Nebeln des Nordmeeres hatte das römische Schwert nicht die stolzen Pforten eines Paradieses, sondern die morschen Türen eines Armenhauses gesprengt.“ Genau. Aber ist das nicht ein ideologischer Satz, der jeden Imperialismus zu rechtfertigen geeignet ist? Stimmt auch wieder. Aber falsch ist es trotzdem nicht. Für diesen Moment der Irritation – und viele andere – verdient Dahlheim großen Dank. Zumal er ihn fand, ohne zu verbrennen.


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