Die gelehrten Experten urteilten über die Kaiserbiographien des Gaius Suetonius Tranquillus meist ungnädig. „Er arbeitete nicht mit dem Geiste, sondern mit den Händen“, ist in der Literaturgeschichte von Schanz-Hosius zu lesen. Doch Suetons zwölf indiskrete Porträts der gekrönten Scheusale und großen Herrscher von Caesar bis Domitian – die auch ihre Eigenheiten hatten – verkaufen sich in wohlfeilen Übersetzungen immer noch weltweit. Offenbar trafen und treffen sie auf ein Interesse. Klatsch und Skurrilitäten machen den Mächtigen sichtbar, selbst wenn sein Machthandeln zunehmend unsichtbar oder mindestens unverstehbar wird (eine stehende Klage ‘ernsthafter‘ senatorischer Geschichtsschreiber wie Tacitus und Cassius Dio). Wenn die Politik im Arcanum verschwindet, muß der Herrscher aus der Sicht des Kammerdieners vorgestellt werden – was nicht bedeuten soll, daß Sueton keine Vorstellung davon gehabt hätte, was ein guter Kaiser ist und was ein schlechter: Nach dem ersten Versuch durch Caesar waren Augustus und Vespasian Modellherrscher, ihre jeweiligen Nachfolger Variationen in peius.
Wie lebendig das römische Reich, seine Kaiser und ihr Biograph in der englischsprachigen Welt immer noch sind, davon zeugt ein vielbesprochenes Buch dieses Herbstes. Der an der University of Massachusetts lehrende Historiker Nigel Hamilton – er hatte zuvor in England eine Professur für Biographie inne und legte 2007 eine Geschichte dieses Genres vor, durchmustert die amerikanischen Präsidenten von Franklin D. Roosevelt bis George W. Bush in einer Sammlung von Kurzbiographien: American Caesars. Nicht allein die Zwölfzahl der Amtsinhaber seit 1933 legt Auswahl und Titel nahe – in der Tat kann man erst seit Roosevelt, den New Deal- und Kriegspräsidenten von einer imperial presidency sprachen, vom Präsidenten als Machtzentrum einer Weltmacht, die diesen Rang auch annimmt. Wie Sueton folgt auch Hamilton einem gewissen Schema: Herkunft und Aufstieg – Politik – Privat-, d.h. in erster Linie: Liebesleben („The Road to The White House – The Presidency – Private Life“). Es gibt Helden: erwartbare wie Roosevelt („the greatest Caesar of all“) und seine Nachfolger Truman und Eisenhower, überraschende (bei einem eher linksliberalen Autor), so Ronald Reagan, nicht unerwartete Schurken (Nixon und Bush jr.), ambivalente Gestalten (JFK, dem seine Libido im Weg stand) und Übergangsfiguren wie Ford, Carter und Bush sr. (der bei Hamilton sehr schlecht wegkommt). Über die letzte Rubrik urteilt ein Kritiker: „As in histories of ancient Rome we quickly become immune to adultery and casual sex. Only the really eye-watering sex lives of JFK and Lyndon B Johnson, described as ‘a human tsunami‘, are still able to shock us.“
Analogien zur römischen Antike vergißt der Autor nicht. Bisweilen liegt er daneben: die Konfrontation zwischen Truman und MacArthur läßt sich schon deshalb schlecht mit der spannungsvollen Partnerschaft zwischen Pompeius und Caesar vergleichen, weil erstens Caesar am Ende gewann und weil zweiten der Präsident und der General für zwei völlig verschiedene Deutungen der Verfassung standen, als es darum ging, Rotchina vielleicht mit Atomwaffen zu belegen, und der so oft unterschätzte, weil uncharismatische Truman hier den Primat der politischen Verantwortung gegen das militärische Abenteurertum des hochdekorierten Kriegshelden durchzusetzen wußte. Bei seinem Abgang aus dem Amt zitierte Truman übrigens Cincinnatus und dessen amerikanischen Wiedergänger George Washington und beschied sich ansonsten mit einer Militärpension von gut hundert Dollar pro Monat. Äußerliche Ähnlichkeiten: Titus und Kennedy erwarben sich Lob für ein Krisenmanagement – Vesuv-Ausbruch bzw. Kuba-Krise -, regierten aber zu kurz für eine echte Bilanz. Die Paranoia von Tiberius und Nixon wurde unter anderem darin sichtbar, daß sie lange von der Hauptstadt abwesend waren und nur ausgewählte Personen an sich heranließen.
Hamilton ist mit abwertenden Urteilen und pikanten Details nicht sparsam. Doch, so bemerkte ein amerikanischer Rezensent, „don’t write off his Roman echoes as gimmicks contrived for facile effect. You find humility and rapaciousness, madness and brilliance here, just as you found them in the days of another empire, and thus you learn the most basic lesson of all.“
Eine Annahme muß ein solches Unternehmen in der Tat machen, sollen die Analogien über bloße Gags hinausgehen: eine Konstanz des Strebens in welchen Strukturen auch immer: „Thousands of years may come and go, but power, and the people who seek it, sometimes ordinary people, sometimes maniacs, sometimes somewhere in between, remain much the same.“
Sueton endet mit Domitian, einem Kaiser mit schlechtem Image und ordentlicher Regierungsbilanz (wenigstens in der Reichspolitik). Ihm folgte Nerva, ein Übergangskaiser, der den Weg ebnete für Trajan, den vielgepriesenen Erneuerer des Prinzipats, der jedoch wie kein Kaiser vor ihm und nach ihm das Potential Roms für große Eroberungen überschätzte und überdehnte. Ob Barack Obama in einer künftigen Neuausgabe von Hamiltons Buch nur eine Appendix oder doch ein neues Großkapitel bekommen muß, ist noch lange nicht entscheiden.
Nigel Hamilton, American Caesars. Lives of the US Presidents – from Franklin D Roosevelt to George W Bush. Bodley Head, 608 S., £ 25.
Unter den deutschen Übersetzungen der Caesares verdient die von A. Lambert klar den Vorzug gegenüber H. Martinet. Brauchbar sind auch die Übertragungen von A. Stahr (überarb. von F. Schön und G. Waldherr) und von O. Wittstock. – Im englischen Sprachraum war R. (v. Ranke-)Graves lange stilprägend; eine neue Übersetzung stammt von A. A. Barrett.
Interessant wäre zu erfahren,...
Interessant wäre zu erfahren, ob Hamilton seinem Vorbild Sueton auch darin folgt, dass er die Objekte seiner biographischen Neugier mit unterschiedlicher Intensität beobachtet und seine Untersuchungen in unterschiedlicher Länge zu Papier bringt. Soweit mir bekannt, ist Hamilton als Biograph von John F. Kennedy und Bill Clinton hervorgetreten, bei der Darstellung derer Leben wird er also aus reichem Vorrat schöpfen. Was aber geschieht mit den restlichen zehn Präsidenten? Wie hoch ist der Anteil eigener Forschung an deren Lebensbeschreibung?
Hamilton ist ohne Zweifel ein Könner, und wer nicht an dickleibigen Lebensschilderungen interessiert ist, wird doch seinen Leitfaden zum Verfassen von Biographien mit Gewinn lesen: “How to do biography: a primer”.
“Imperial presidency” hin oder her, von American Caesars zu sprechen, mutet obszön an, wenn man sich vor Augen führt, wie peinlich genau die Gründungsväter darauf bedacht waren, selbst in Zeiten der Krise an dem von ihnen geschaffenen Novus ordo saeculorum festzuhalten. Diese neue Ordnung grenzt sich von Monarchie ebenso ab wie von einer Diktatur der Tüchtigen. Das System der checks and balances, welche die Verfassungsorgane untereinander ausüben, und das Mißtrauen, das man phasenweise George “Cincinnatus” Washington entgegengebrachte, legen Zeugnis von einem unbeugsam republikanischen Geist ab, der einer Tyrannis nichts abgewinnen konnte, auch wenn es manchmal eng wurde: im Abgeordnetenhaus von Virginia scheiterten während des Unabhängigkeitskrieges 1776 und 1781 zwei Anträge nur knapp, wonach ein Diktator mit umfassenden Vollmachten eingesetzt werden sollte.
Das Spiel mit der Antike war beliebt in der Generation der Gründungsväter: Latein und Griechisch wurden von vielen beherrscht, unter den Ausnahmen war Benjamin Franklin, der geniale Autodidakt, dessen Autobiographie übrigens zum Lesenswertesten gehört, was der Welt an Lebensbeschreibungen vorliegt. Politische Pamphlete wurden oft unter antikem Pseudonym veröffentlicht: Aristides, Brutus, Camillus, Cato, Helvidius Priscus, Phokion etc. Griechische und römische Geschichte war den Vätern der amerikanischen Verfassung vertraut und entsprechende Lehren flossen in die Ausgestaltung der Verfassungsnormen ein.
Viel eher als das amerikanische Präsidentenamt ist die Institution des französischen Präsidenten als Wahlkönigtum aufzufassen. Amerika hat die repräsentative Demokratie erfunden, und dennoch scheint der Atlantikgraben viel breiter, als unverdrossene Transatlantiker wahrhaben wollen: der “Starr-Report” inklusive der Aussagen von Bill Clinton vor dem Lewinsky-Ausschuss ist ein bizarres Zeugnis amerikanischen Rechts- und Politikverständnisses und der moralischen Ansprüche der Öffentlichkeit. Als nach dem Ausscheiden von Hillary Clinton aus dem Vorwahlkampf um die Präsidentschaftskandidatur im Juni 2008 ein biographischer Abriss von Edward Klein unter dem Titel “The Truth about Hillary” verramscht wurde, griff ich natürlich zu: denn wer will nicht die lautere Wahrheit erfahren, und sei es die über Hillary? Was der als liberal geltende Journalist an charakterlichen Abgründen der Gattin des Ex-Präsidenten “enthüllte”, war so harmlos, wie das, was Dr. Jekyll anstellte, wenn er sich in Mr. Hyde verwandelte: aber zur Skandalisierung puritanischer Gemüter offenbar allemal ausreichend.