Antike und Abendland

Antike und Abendland

Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

„viscera terrae“ – Ruhm und Fluch des Angrabens der Erde im Altertum

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Konjunktur durch Koinzidenz: Unglück und Rettung der chilenischen Bergleute, der Durchbruch beim Gotthard-Tunnel, der Streit um einen unterirdischen...

Konjunktur durch Koinzidenz: Unglück und Rettung der chilenischen Bergleute, der Durchbruch beim Gotthard-Tunnel, der Streit um einen unterirdischen Großstadtbahnhof – drei fast gleichzeitige Ereignisse haben eine uralte Menschheitsbetätigung wieder einmal ins Blickfeld gerückt.

Der Bergbau hat eine lange Geschichte – zusammen mit seinen Unglücken. In einem anatolischen Zinnober-Bergwerk ereignete sich das größte prähistorische Grubenunglück, bei dem mehr als fünfzig Menschen verschüttet wurden. Im 3. und 2. Jahrtausend bauten ägyptische Expeditionen im Sinai unterirdisch Türkis ab. Bergbau auf gediegenes Kupfer und Kupfererze ist für das 4. Jahrtausend in Anatolien, Iran und im Wadi Arabah belegt. In Ägypten beginnt unterirdischer Gold-Bergbau bereits in vorpharaonischer Zeit. Die ältesten bekannten Untertagebergwerke Europas waren 20000 Jahre alte Gruben bei Limenaria auf der Insel Thasos. In den Minen des Laureion im Süden Attikas schufteten Tausende von Sklaven in 60-100 cm niedrigen, durch Öllämpchen beleuchteten und durch Ventilationsschächte belüfteten Stollen in bis zu 55 Metern Tiefe, um Bleisilber abzubauen und damit Athens Seemacht (mit) zu finanzieren. In Spanien ließen die Römer aufwendige Entwässerungsanlagen bauen und konnten so in den unter dem Grundwasserspiegel liegenden Bergwerken Gold und Silber abbauen lassen. Der zur Zeit des Augustus schreibende Universalhistoriker Diodor stellt den Zusammenhang zwischen technischer Innovation und Kapitalismus klar heraus:

„Dann und wann stoßen die Bergleute auch in der Tiefe auf unterirdische Flußläufe, deren Gewalt sie aber bändigen, indem sie ihre Strömungen ableiten, die nun in die Seitenschächte stürzen. Denn unter dem Druck unerschütterlicher Gewinnerwartungen führen sie ihre eigenen Unternehmen bis ans Ziel, und was das Überraschendste von allem ist, sie holen die Wasserströme mit Hilfe der sogenannten ägyptischen Schöpfräder weg, die Archimedes aus Syrakus gelegentlich seines Besuchs in Ägypten erfand. Mittels dieser Einrichtungen befördern sie das Wasser in eine Reihe von Stufen bis zum Eingang des Bergwerks und trocknen so den «Platz vor Ort» und machen ihn wohlgeeignet für die Durchführung der Arbeiten. Da die Maschine ungemein geschickt konstruiert ist, wird durch die jeweilige Tätigkeit eine erstaunlich große Wassermenge emporgeschafft, und fast mühelos gelangt so das gesamte Wasser derartiger Flüsse aus der Tiefe ans Tageslicht. Mit Recht dürfte man die Erfindungsgabe des Ingenieurs nicht nur an Hand dieser, sondern auch vieler anderer noch größerer Erfindungen bestaunen, deren Ruhm sich über die ganze bewohnte Erde verbreitet hat.“

Ingenieursleistungen dieses Kalibers verschafften auch antiken Tunnelbauern großen Respekt. Herodot verweilt bei Eupalinos von Samos, der Mitte des 6. Jahrhunderts v.Chr. auf der Insel für den Bau einer Wasserleitung den Kastro-Berg von beiden Seiten durchstach (Hdt. 3,60). Archäologische Grabungen bestätigen die Angaben: Als die beiden Bautrupps sich trafen, mußte nur eine geringe Höhenabweichung ausgeglichen werden. Der Tunnel war 1036 Meter lang und durchschnittlich 1,80 Meter hoch und breit. Nicht immer freilich glückten solche Unternehmen auf Anhieb, so im Fall von Saldae (Algerien) um 150 n.Chr., als der Kaiser erst einen im Heer dienenden mensor schicken mußte, um einen ‘verpeilten‘ Tunnelbau mit patientia, virtus und spes (»Geduld«, »Tatkraft«, »Hoffnung«) zum Abschluß zu bringen (Inscriptiones Latinae Selectae Nr. 5795).

Kritik an derartigen Aktivitäten blieb vereinzelt und auf geschichts- bzw. popularphilosophische Diskurse beschränkt. So läßt Ovid das letzte der vier Weltalter, das eiserne, von Habgier, Betrug und Gewalt geprägt sein. Bergbau und Krieg gehören in dieser zivilisationskritischen Lesart zusammen:

„Und man forderte vom ertragreichen Boden nicht nur Saaten und die Nahrung, die er uns schuldig war, sondern man wühlte sich in die Eingeweide der Erde. Und die Schätze, die sie nah bei den Schatten der Styx verborgen hatte, gräbt man aus – Anreiz zu allem Bösen. Schon war das gefährliche Eisen erschienen und das Gold, das noch gefährlicher ist als Eisen. Da erscheint der Krieg, der beides zum Kampf verwendet und mit blutiger Hand klirrende Waffen schüttelt.“ (Metamorphosen 1,138ff., Übers.: M. v. Albrecht)

Ambivalent erschienen Bauprojekte, wenn sie durch ein privates Luxusbedürfnis ausgelöst wurden und zugleich als Ausdruck von Hybris erschienen. „Lucullus“, so notiert Plinius d.Ä. (Naturalis Historia 9,170), „ließ sogar einen Berg bei Neapel ausstechen, was ihn mehr kostete als die Erbauung seiner Villa, und leitete einen Kanal vom Meer aus hinein; darum nannte ihn Pompeius den römischen Xerxes. Nach seinem Tod wurden aus den Teichen für vier Millionen Sesterze Fische verkauft.“

 

= Helmuth Schneider, Die Gaben des Prometheus. Technik im antiken Mittelmeerraum zwischen 750 v.Chr. und 500 n.Chr., in: W. König (Hg.), Propyläen Technikgeschichte Bd. 1, Berlin 1991, 17-313

= Klaus Grewe, Licht am Ende des Tunnels. Planung und Trassierung im antiken Tunnelbau, Mainz 1998

= Hermann J. Kienast Die Wasserleitung des Eupalinos auf Samos, Bonn 1995

= Boris M. Rebrik, Geologie und Bergbau in der Antike, Leipzig 1987 (zuerst russ. 1984; anschaulich, mit sozialistischem Zorn gegen die Ausbeutung der Sklaven).

 

Zeitgenössische Abbildungen antiken Bergbaus sind sehr selten. Am bekanntesten ist noch eine archaische Tontafel in Berlin, die wahrscheinlich Tontagebau zeigt.


1 Lesermeinung

  1. gerthans sagt:

    Mutter Erde hat die...
    Mutter Erde hat die chilenischen Eindringlinge wieder freigelassen. Was in den meisten Medien als Triumph gefeiert wird, veranlasst Dr. Walter zu einer nachdenklichen Betrachtung mit zivilisationskritischem Akzent und Nennung des Begriffs „Hybris“, der aus der Antike stammt, aber bis heute seine Gültigkeit nicht verloren hat. Denn der Mensch hat, seit er sich kraft der Entwicklung von Bewusstsein und Verstand von der Natur entfremdet hat und sie ausbeutet und vergiftet, ein uraltes Schuldgefühl. Und da die Erde, die ihn nährt, für ihn schon immer Mutter Erde war, ist das goldgierige Eindringen in ihre Tiefen Sünde, die Inzest gleichkommt. Ja, als eine dem Inzest ähnliche Sünde wird schon empfunden, dass der ackerbauende Mensch Mutter Erde mit dem Pflug aufreißt. Eine Art Katalog der menschlichen Sünden gegenüber der Natur ist die berühmte Anklage in Sophokles‘ Antigone „Vieles ist ungeheuer…“:
    Erde selbst,
    die allerhehrste Gottheit,
    ewig und nimmer ermüdend, er schwächt sie noch,
    wenn seine Pflüge von Jahr zu Jahr, wenn
    seine Rosse sie zerwühlen.
    (Übersetzung: Wilhelm Willige)
    Man könnte noch viel mehr Zitate aus der Antike bringen, aber schließen möchte ich mit einem Zitat von Sigmund Freud:
    „Ein anderer (Patient), der in seiner Neurose nach dem Tode des Vaters den ersten Angst- und Schwindelanfall bekam, als ihn die Sonne während der Gartenarbeit mit dem Spaten beschien, vertrat selbständig die Deutung, er habe sich geängstigt, weil ihm der Vater zugeschaut, wie er mit einem scharfen Instrument die Mutter bearbeitete.“ – GW VIII, 290f.

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