Meine zu lang geratene Rezension von Frank Kolbs Troia-Buch, von dem hier schon einmal vorab die Rede war, konnte gestern im Blatt nur um gut ein Drittel verkürzt erscheinen (dafür bereichert um ein schönes Vasenbild: Kolb als Ajax – doch wen meint Athena?). Wer den ganzen Text lesen mag: Hier ist er.
In der „Geschichte des Peloponnesischen Krieges“ erhebt Thukydides den Anspruch, durch Wahrheitsethos und strenge Methode ein zutreffendes Bild der Vergangenheit zu bieten, überlegen der unreflektierten oder dichterisch überhöhten oder politisch deformierten Rede über sie. Geschichtsschreibung ist seitdem ein Feld von Distinktionen und Definitionskämpfen. Doch auch im eigenen Hause gab es bald Streit. Nur gut zweihundert Jahre später übte Polybios heftige Kritik an anderen Geschichtsschreibern, die für billige Effekte oder tagespolitische Interessen den Anspruch auf die verfügbaren strengen Verfahren der Tatsachenerhebung fahren ließen und allzu oft auch unzureichend geschult seien. Die polemischen Exkurse, dazu ein Hang zur Selbstgerechtigkeit und Pedanterie lassen Polybios nicht eben als Sympathieträger erscheinen, zumal er durchaus nicht immer seinen eigenen Standards genügt – und doch sähen die Gelehrten lieber sein wohlinformiertes und diszipliniertes Werk vollständig erhalten als das eines der Konkurrenten oder gar solcher Autoren, die in die älteste Zeit zurückgingen, um zur Unterhaltung fesselnde, aber unverbürgbare Geschichten erzählen zu können.
Die zweite Vorgeschichte: Just an Homer begann mit Wolfs „Prolegomena“ die wissenschaftliche Historisierung eines klassischen Textes, und Heinrich Schliemann suchte am Hügel Hissarlık nicht nur Schätze und eine greifbare Bestätigung der „Ilias“, er brachte auch die Ausgrabungstechnik voran und trug zur Ausbildung der archäologischen Methode bei. Doch Homer, der Hügel, die Phantasie – sie gehörten weiterhin eng zusammen. In der Philologie wurde die Dichtung Objekt weitgespannter, zugleich gegensätzlicher Thesengebäude, und die Entdeckung mündlich tradierter Epik ließ ferne Zeiten erreichbar erscheinen, die sich zudem mit bronzezeitlichen Funden, ja Texten füllten. Der räumliche Horizont weitete sich, neue Grabungen und Paradigmen versprachen einen niemals endenden Zugewinn an Erkenntnis. Zum Selbstbewusstsein dynamischer Wissenschaftsdisziplinen trat eine seltsame, von Forschern und Publikum geteilte Mythomotorik des Realismus: Homer wäre ein größerer Dichter, die Ruinen und Artefakte in der Troas historisch bedeutsamer, wenn beide Überreste „des“ großen Krieges um das heilige Ilion seien.
Der Tübinger Althistoriker Frank Kolb zeichnet nunmehr nach, wie der vorletzte in einer solchen Konstellation auf die Strecke gesetzte Fortschrittszug nach Troia entgleist ist. Seine Abrechnung kommt freilich spät. Manfred Korfmann starb 2005, sein Gefährte im Streit, der Philologe Joachim Latacz, von Kolb mit Epitheta wie „neuer Homer“, „Korfmann Basler Barde“ oder „Rhapsode der Troia-Grabung“ bedacht, hat zwar 2001 ein höchst erfolgreiches Buch zum Thema vorgelegt, äußert sich aber seit längerem kaum mehr zu den im Streit vor fast zehn Jahren verhandelten Fragen. Dem Tübinger Ajax sind also die Feinde abhandengekommen, und so richtet sich sein gleich zu Beginn freimütig eingestandener Zorn nicht nur auf diese, sondern grundsätzlich „gegen die Vermischung von Wissenschaft mit Politik und wirtschaftlichen Interessen, gegen die Verletzung wissenschaftlicher Standards, gegen den Versuch, wissenschaftlichen Diskurs durch öffentliches Deutungsmonopol zu ersetzen, gegen komplizenhaftes Schweigen“. Im Schlusskapitel wird nachgelegt: Mit der Pseudowissenschaft und ihrer Bereitschaft, willkürlich zu glauben, verbinde sich die postmoderne Irrlehre, alle wissenschaftlichen Aussagen für bloße Meinungen und Validität für irrelevant zu halten. Eine fehlgeleitete Wissenschaftspolitik habe überdies die Universitäten korrumpiert, Dilettanten ins Rampenlicht gestellt und Wissenschaftler daran gewöhnt, Ankündigungen für Ergebnisse, Drittmittel für Erfolge auszugeben. Als eher innerwissenschaftliche Mode betrachtet Kolb hingegen die „dem Zeitgeist des Postkolonialismus‘ huldigende, übertriebene Tendenz zur Herleitung von Anregungen aus dem Orient“ in der griechischen Literatur und Kultur.
Doch der streitbare Althistoriker hat zum Glück ein nicht nur zorniges, sondern auch kluges und geradezu spannendes Buch geschrieben. Kenntnisreich und sorgfältig wird entfaltet, dass „Troia“ kein historischer Ort ist, sondern ein Konstrukt, Ergebnis poetisch-literarischen, (pseudo-)wissenschaftlichen und politisch-ideologisch motivierten Tuns. Schon das Kapitel über die Instrumentalisierungen des Troia-Mythos seit der Antike fördert Aufregendes zutage. Hektor als anatolischer Nationalheld, Seite an Seite mit Atatürk, nachdem das humanistische Europa schon im Spätmittelalter die Türken aus dem troianischen Sukzessionsgeflecht entfernt hatte, worauf pananatolische Humanisten der modernen Türkei Homer als einen der ihren beanspruchten, das ist nur eine dieser Volten. Kolb bringt auch eine Fülle von Beobachtungen bei, wie sich geschichtspolitische Konstruktionen dieses Kalibers mit den Hauptakteuren verbanden, neigt aber dazu, diesen Begegnungen ihre Sponaneïtät zu nehmen und rein interessengeleitete Netzwerke zwischen einem geltungssüchtigen Korfmann und den hochrangigen Befürwortern eines baldigen Beitritts der Türkei zur Europäischen Union aus beiden Ländern in den Vordergrund zu rücken. Sogar die Kleidung wird symbolisch gedeutet: War Schliemanns Tropenhelm Ausdruck einer Kolonialmentalität, so trug Korfmann einen Indiana Jones-Hut – Symbol für Archäologie als großes Abenteuer, aber auch „Appell an eine ahistorische Gutmenschen-Sicht“ in Gestalt einer Identifikation mit den Interessen der angeblich benachteiligten Türken.
Geduldig sortiert der Autor sodann auseinander, wie die von Homer beschriebene Siedlung Ilios in der Landschaft Troiê schon in der Antike mit den Ruinen auf dem Hissarlık in der Troas identifiziert wurden. Als dann das von antiken Chronographen errechnete, ganz fiktive Datum der Auslöschung von Priamos‘ Stadt zufällig mit einem möglichen archäologischen Datum einer Zerstörung der von Schliemann freigelegten Burgsiedlung scheinbar übereinstimmte, war auch in der Moderne die Grundlage für die folgenreiche Identifizierung gelegt. Poetische Schilderung und antike Datierung leiteten die Deutung der Grabungsbefunde und sollten ihrerseits von diesen bestätigt werden. Das brachte nun wiederum die Homer-Forschung ins Spiel, in Gestalt von Latacz, der zu zeigen suchte, dass die homerische Ilias, obwohl im achten Jahrhundert oder etwas später verfasst, konkrete und genaue Informationen aus der späten Bronzezeit gut vierhundert Jahre zuvor enthalte, etwa in Gestalt des Schiffekatalogs im zweiten Gesang. Akribisch zerpflückt Kolb die Argumente und stellt eine eigene Hypothese vor: Was Homer an dem bekannten Ort im nordwestlichen Kleinasien spielen ließ, der in der Bronzezeit weder Ilios noch Troia hieß, dürfte dichterische Spiegelung von Verwicklungen auf dem mittelgriechischen Festland und im Zuge der Migrationen an die kleinasiatische Küste kurz nach dem Ende der Bronzezeit sein. Der Ort Ilios aber lag, wie ein ägyptisches Dokument nahelegt, entweder auf Kreta oder an der Südküste der Peloponnes und wanderte erst in der mythopoetischen Fiktion in die Troas. Orts- und Personennamen in der Ilias gehören jedenfalls ins griechische Kernland, und Homer verrät keine Kenntnis von spezifisch orientalischen oder kleinasiatisch-anatolischen Gegebenheiten.
Auch von der zeitweise so intensiv diskutierten Annahme, die Siedlung auf dem Hissarlık sei in einen bronzezeitlichen hethitisch-luwischen Hintergrund einzuordnen und als Wiluša zu identifizieren, hat nichts der Prüfung standgehalten. Für eine Materialisierung der Ilias-Geschichte bieten die hethitischen und sonstigen altorientalischen Texte keine Handhaben, weder Informationen über einen Krieg gegen eine große Stadt noch auch nur eine Kulisse für einen solchen. Über die Hintergründe der Zerstörung von „Troia VIIa“ wissen wir nichts.
Die Grabungen auf dem Hissarlık vor Beginn von Korfmanns Kampagne 1988 resümierend stellt Kolb alte, problematische Muster heraus: die Verführung, voreilig sensationelle Ergebnisse zu melden und so im Publikum einen Erwartungshunger nach mehr auszulösen, ferner die Neigung, greifbare Bodenfunde „für sich sprechen zu lassen“, obwohl selbstverständlich die Ausgräber und Historiker auch sie interpretieren müssen, wie dies die philologisch-historische Quellenkritik gegenüber den Texten hält. Doch seine Durchschlagskraft gewann Korfmanns neuer Troia-Mythos erst aus zwei Ereignissen: dem Bündnis mit Latacz, dessen Beginn dieser selbst reichlich kitschig dargestellt hat, und der großen Troia-Ausstellung, die zunächst in Stuttgart, dann in Braunschweig und Bonn zu sehen war.
Die wichtigsten Behauptungen der Ausgräber selbst, geeignet, im Umfeld der Schau Kolbs heftige, öffentlich geäußerte Polemik auszulösen, können rasch abgemacht werden – sie sind allesamt vollständig widerlegt. Nichts bleibt nach den dürftigen Funden ganz überwiegend lokaler Keramik übrig von der angeblichen Handelsmetropole an den Toren zum Schwarzen Meer. Die schriftlose Siedlung auf dem Hügel Hissarlık entwickelte keine Hochkultur; sie war allenfalls ein politisches und militärisches Zentrum für einen Teil der Troas, an Größe und Bedeutung etwa mit dem zeitgenössischen Milet nicht zu vergleichen. Für die Existenz einer ummauerten und dicht bebauten Unterstadt, die Homers Schilderung nahekäme und die zweiundvierzig Grabungskampagnen seit Schliemann rechtfertigte, gibt es keine tragfähigen Indizien, und Kolb spricht unter Verweis auf das in der Ausstellung gezeigte, suggestive Modell und – schlimmer noch – die Planzeichnung eines Mauerstücks zurecht von Fiktion und Fälschung. Ein angeblicher Verteidigungsgraben vor der Siedlung entpuppte sich als eher unbedeutendes Bauwerk zur Wasserregulierung.
Doch Korfmann war es, wie er selbst einmal einräumte, ohnehin einerlei, ob man Troia als Stadt, Dorf oder sonst etwas bezeichne – Hauptsache, man grabe und die Karawane ziehe weiter. Darin liegt vielleicht ein Schlüssel für das ganze Desaster. Kolb spricht von einem strategischen Netzwerk und unterstellt Planung und Absicht. Doch interessanter ist der sich selbst beschleunigende Prozess, der gegen kritische Einreden immunisierte, um am Ende Korfmann und Latacz eine ausgeprägte Wagenburgmentalität an den Tag legen zu lassen. Die Grabung wurde von Anfang an maßgeblich vom Daimler-Chrysler-Konzern (vormals Mercedes Benz AG) finanziert, und diese Seite benannte die politischen Impulse für ‘große‘ Ergebnisse sehr deutlich, zumal vom Konzernchef Edzard Reuter. Auch der Unternehmenssprecher lobte Korfmann freimütig: Weil dieser es verstehe, „die Geschichte Troias auch immer wieder als ‘anatolische‘ Geschichte zu erzählen, fällt auch auf den Sponsor DaimlerChrysler ein Gewinn an Glaubwürdigkeit, der angesichts des wirtschaftlichen Engagements des Konzerns in der Türkei, aber auch angesichts von drei Millionen in Deutschland lebender Türken gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann“. Die „Image-Affinität“ zwischen Projekt und Konzern öffnete dessen Taschen für organisierte Journalisten-Reisen und Event-Management. Erwartungen zogen Erfolgsmeldungen nach sich, jede Kampagne musste bestätigende Erkenntnisse produzieren. Bedenken können in einer solchen Konstellation als bloße Störversuche erscheinen, ihr Ton und nicht der Inhalt zum Gegenstand von Abwehr und Entlastungsangriff werden.
Selbstverständlich behandelt Kolb breit die auch im Feuilleton dieser Zeitung ausgetragene Debatte, die indes stark abebbte, als die öffentliche Tagung in Tübingen Anfang 2002 zeigte, wie unzureichend Argumente und Performanz der Anhänger von Groß-Troia waren. Gleichwohl behauptete sich dieses in weiten Teilen der Medien, stabilisiert durch ständige Wiederholung und wohl auch, weil es dem Publikum ein gleichsam positives Bild bietet, das zudem für Weiterungen offen zu sein scheint. Ob Kolb dieses Publikum erreichen kann? Bei den gelehrten Kollegen rennt er in der Sache ganz überwiegend offene Türen ein, an sie richtet sich freilich auch die Warnung vor Verharmlosung eines Wissenschaftsskandals. Doch selbst wer aus dem „Tatort Troia“ nicht gleich die Allgegenwart des Verbrechens folgern möchte und dem Autor überdies etwas mehr Nachdenklichkeit wünscht, wird aus der Lektüre dieses klar formulierten und profund dokumentierten Buch reiche Erkenntnis und geschärfte Sinne mitnehmen.
Frank Kolb: „Tatort »Troia«. Geschichte, Mythen, Politik“. Ferdinand Schöningh, Paderborn u.a. 2010. 320 S., zahlr. Abb. und Tafeln, geb., 29,90 €.
Korrekturhinweis: Joachim Latacz hat kürzlich in einem ausführlichen Vorwort zur erweiterten Neuauflage von „Troia und Homer“ vorweg auf Kolb repliziert.
Ein hehrer Wahn
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Ist es doch...
Ein hehrer Wahn
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Ist es doch gerade jene Festung, da an den Dardanellen, die das schaffen, was es für uns sein soll: Teil des Gründungsmythos, dem des Abendlandes. Der „listenreiche Odysseus“, der antike Held, obsiegt dank der Überlegenheit des Wissens über religiösen Aberglauben. Noch sind sie anwesend, die Götter, und das Schicksal scheint dem Menschen unumgänglich, als Streit der Götter vorhergezeichnet, doch beim Tod einer Kassandra: nur ein Apollon scheint allmächtig.
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Es ist dies der Sieg der Griechen über ihre anatolische Vorgeschichte, ja schon des einen Gottes, den der Sonne, über die vielen, des Patriarchats über das Mutterrecht, der Klugheit über die Vorsehung, der Strategie über blanke Heeresmacht und Fürstenglanz. Es ist der Beginn eines neuen Zeitalters: Die Barbarei trennt sich von der Vorgeschichte, die Geschichte vom Mythos.
Sie ist für uns Abendländer undenkbar, die Annahme, dass Ilios irgendwo weiter in der Ferne liegt, im Nebel eines asiatischen „Avalon“ gar, an der Schwarzmeerküste, an ihrem äußersten Osten.
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Wir pfeifen auf die Geschichte, wenn der Mythos uns den Stachel löckt, den nach dem Wunsch der Geburt des Abendlandes, nämlich aus dem Kopfe eines antiken Helden, gleich der Athene, aus dem des Gottvater Zeus.
Ja, die List ist uns gegeben, und mit ihr diese, die uns selbst überlistet.
Bleibt der Mythos und weicht die Geschichte, dann kehrt sie zurück, in des Mutters Leib: die Frucht, die keine sein wollte.
Das Morgenland, es ist uns so fremd, wie die Rippe, aus der Adam einst Eva gebar. Kein Stück von uns, einfach nur ein Knochen, den wir zum Fremden gemacht.
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Und da stehen wir nun, wir Helden, ursprungslos und zielverloren, mutterverachtend wie vatermordend. Das Abendland, ein schlechter Ersatz für der Mutter Leib, ein Hort des Wahns, der Kopf, aus dem das entstieg.
Lieber Herr Binsack,
könnten...
Lieber Herr Binsack,
könnten Sie vielleicht diese Thesen und Antithesen ein wenig in l e i c h t f a ß b ar e Hexameter gießen und unseren lautsprecherischen „Integrations“/ Migrationspolitikern applizieren?
Die schnallens irgendwie nicht, daß es eben einen Unterschied gibt. Macht ja auch nichts, ist doch gut so.
Wahres Menschentum
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Lieber...
Wahres Menschentum
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Lieber Adolar: Ich kann es nicht besser, und eigentlich gefällt es mir so. Und ich gestehe meine diesbezügliche Heimtücke: Ist doch die Rezeption nur dem verständlich, der meine Sicht der Dinge teilt. Aber das vielleicht zur besseren Klarheit:
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So wie Abendland und Morgenland nicht geographisch geschieden werden können, ich referiere da auf Ernst Jüngers „Der gordische Knoten“ (siehe auch: „Hegel wäre an ihm wahnsinnig geworden“, https://blog.herold-binsack.eu/?p=1212), so ist auch der Unterschied zwischen dem Migrant und dem „Autochthonen“ kein nationaler, gar „rassischer“, resp. also kein äußerlicher. Nehmen wir da zunächst mal das extreme Beispiel der USA. Wer möchte dort einen Migranten von einem „Einheimischen“ unterscheiden? Nennen Sie mir ein Kriterium, wonach das möglich sein sollte! Und nun zum scheinbar schwierigen Fall. In Deutschland leben mittlerweile 40 %, die in den letzten 50 Jahren zugewandert sind (wenn wir die unmittelbare Nachkriegszeit mitrechnen, werden es wohl noch mehr). Wie viele von diesen würden Sie als (mittlerweile) autochthon bezeichnen? Wo verläuft die Grenze? Dieser Prozess wird sich noch beschleunigen. Und wenn ich diese Frage in 10 Jahren stelle, wird man diese Frage wahrscheinlich gar nicht mehr verstehen. Ich sage es ganz offen: In dieser Hinsicht zumindest ist die von manchen bis in die Moderne hinein geschleppte Antike erledigt.
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Was mir allerdings die Antike nicht verleidet. Ich liebe sie geradezu. Aber nicht aus dem Grund, der sich da vielleicht aufdrängt. Es ist nicht die Differenz, der Unterschied, ja die Klarheit vielleicht bzgl. der Dinge, das ganz und gar nicht. Sagte da nicht schon ein Sokrates, dass er nur wüsste, dass er nichts wisse? Nein, es ist die „Unschuld“, die ich da noch vorfinde, gleich dem Kinde, das noch nicht herangereift. Die Barbarei, das Morden, ja das Abschlachten in Kriegen wie um Troja, gleich ob Mythos oder nicht, das kommt mir wie das Kind vor, dass da genüsslich einen Regenwurm zerlegt. Es weiß ja nicht, was es da tut. Es testet quasi noch den Stoff, aus dem das Leben ist. Natürlich, in dem es diesen vernichtet.
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Wer sich allerdings dieser Unschuld zu bedienen sucht, um eigene Schuld zu tarnen, heute, missbraucht die Antike. Ein Zurück gibt es nicht. Wir sind alle längst im Zeitalter der Schuld geboren. Soweit dies auch zur Behauptung „der Gnade einer späten Geburt“. Das Gegenteil ist der Fall. Wir können auch schuldig werden, als späte Geburt, wenn wir die Schuld der vorher Geborenen nicht sühnen, nicht bereit sind diese zu übernehmen.
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Das unterscheidet uns von den Leuten in der Antike. Sie waren alle unschuldig, gleich ob Verbrecher oder Opfer. Sie waren die Kinder in der Menschheitsgeschichte.
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Dies erkannt zu haben, unterscheidet hoffentlich den Abendländer vom ewigen „Morgenländer“, dem der sich von der Antike noch nicht gelöst. Das zumindest wäre mein Anspruch. Es ist lediglich ein kultureller Unterschied, vielleicht auch nur einer in der Bildung, aber einer, der nicht auf Kultusministerkonferenzen oder gar in Bologna auf der Tagesordnung steht. Diesen müssen wir uns selber aneignen. Den müssen wir lernen, am Beispiel der Antike, in ihrem möglichst umfassenden Verständnis, in ihrer Würdigung, in ihrer Kritik, im schließlich und endlich Erkennen dessen, worin wir Sokrates unbedingt weiter entwickelt haben müssten. Steht doch nicht mehr die Liebe zur Weisheit auf der Agenda, sondern die Liebe zum wahren Menschentum ist, zur unteilbaren, nicht mehr differenzierbaren Menschheit. In diesem Punkt sind wir aber alle noch Migranten, stehen wir an den Toren des „Abendlandes“ und fordern Einlass.
Das möchte ich gerne unseren Politikern sagen, besonders jenen, die sich da als Gralshüter verstehen, als „Torwächter“ des Abendlandes und gar nicht bemerken, dass sie der „Höllenhund“ geworden sind, der, der die Moderne in die Grube begleitet.
Danke für diesen Artikel,...
Danke für diesen Artikel, lieber Herr Walter, das ist ja ein heftiges reinigendes Gewitter! Ja, da spricht Kolb vieles an, was mich auch so schockiert.
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Am tiefsten getroffen hat es mich bei Raoul Schrott, ich schrieb vermehrt davon, aber auch bei Korfmann fiel es mir auf. Korfmann bekam ja die türkische Staatsbürgerschaft, und musste dazu einen türkischen Vornamen annehmen. Das erinnerte mich dann fatal an die Politik der Nationalsozialisten, jüdischen Bürgern einen Vornamen vorzuschreiben, oder an die Politik von Staaten wie Marokko, die auch den längst in Europa lebenden Bürgern noch vorschreiben, dass nur islamische Vornamen erlaubt sind. Und Korfmann war da mitten mit ihm Spiel.
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Fast ist es schade um Troja: Ist da wirklich gar nichts dahinter? Alles falsch? Auch die Wilusa-Nachrichten aus der hethitischen Hofkanzlei bezgülich eines gewissen Fürsten Alaxandu – was ja so gut auf (W)ilion und Paris (Alexander) gepasst hatte. Wir müssen uns das Thema Späte Bronzezeit wohl noch einmal ganz anders im Kopf zusammenwürfeln, als wir dies bislang getan haben.
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Lassen Sie mich raten: Die Passagen, die in der FAZ-Printausgabe gekürzt wurden, sind die, wo es um die Türkei geht? 🙂
Ergänzend fand ich noch einen...
Ergänzend fand ich noch einen online verfügbaren Artikel:
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Erich Bethe, Troia, Mykene, Agamemnon und sein Grosskönigtum, Rheinisches Museum für Philologie RhM Nr. 80 / 1931; S. 218-236.
https://www.rhm.uni-koeln.de/080/Bethe.pdf
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Darin heißt es: Die Funde der Ausgrabungen von Troja mit den Epen Homers zu kombinieren sei falsch. Und: „Wer diese Behauptung wiederholt, muss wissen, dass sie nicht nur unbewiesen und unbeweisbar, dass sie widerlegt ist.“
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Ein ganz anderes Beispiel, wo gerade die nächste Wissenschafts-„Blase“ aufgeblasen wird, und wir alle schauen zu: https://www.welt.de/kultur/history/article10948791/Mose-wird-das-grosse-Vorbild-fuer-Mohammed.html
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Zunächst macht die Frau etwas sinnvolles: Sie veröffentlicht die erste historisch-kritische Ausgabe des Koran. Daumen hoch! Aber dann Daumen runter: Sie verwischt die Grenzen zwischen westlichem Denken und dem Orient auf eine Weise, die man so leider nicht akzeptieren kann. Und: Ihre Konkurrenz von der Uni des Saarlandes um Prof. Karl-Heinz Ohlig wird als unwissenschaftlich diffamiert! (Das ist erstaunlich platt, ist ihr nichts besseres eingefallen?).
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Wie kommt es?
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Nun: Prof. Ohlig sagte es auf einem Vortrag, bei dem ich zugegen war: Der Dame werden die Fördergelder des Staates nur so zugeschaufelt! Warum? Weil das, was sie sagt, politisch gern gesehen wird. Politiker setzen in diese Frau die Hoffnung auf einen reformierten Islam. Hier siegt nun wahrlich Glaube über Wissenschaft. Hoffen wir, dass wenigstens diese historisch-kritische Ausgabe des Koran nicht „geglättet“ ist. Das wäre dann ein Skandal allererster Ordnung. Das wäre dan endgültig die Axt an die Wurzel unserer Gesellschaftsordnung gelegt.
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Die wissenschaftliche Arbeit an der Uni Saarland passt hingegen überhaupt nicht ins Konzept unseres Staates, der alles, was mit Islam zu tun hat, mit Samthandschuhen anfasst. Da passt ein Ohlig nicht ins Konzept, der nachweist, dass im Koran sogar Laktanz verarbeitet wurde …!
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Ein anderes Forschungsgebiet, dieselbe politisch gewollte Blase.
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Vom Treibhauseffekt fange ich jetzt nicht auch noch an …