Antike und Abendland

Caesar, der Schnee und Europa

In einem Kapitel seines ansprechenden neuesten Buches Rom sei Dank bringt Karl-Wilhelm Weeber den Lesern Caesar nahe. Er tut dies als Philologe, das heißt über die Schriften Caesars, und – zufällig – mit einem der Jahreszeit angemessenen Beispiel (das Buch erschien Ende 2010):

Etsi mons Cebenna, qui Arvernos ab Helviis discludit, durissimo tempore anni altissima nive iter impediebat, tamen discussa nive sex in altitudinem pedum atque ita viis patefactis summo militum labore ad fines Arvernorum pervenit. quibus oppressis inopinantibus, quod se Cebenna ut muro munitos existimabant ac ne singulari quidem umquam homini eo tempore anni semitae patuerant, equitibus imperat, ut, quam latissime possint, vagentur et quam maximum hostibus terrorem inferant.

Die Arverner wähnten sich sicher hinter den sechs Fuß hoch verschneiten Cevennen. Im tiefen Winter war da kein Durchkommen, nicht einmal für einen einzelnen Menschen und schon gar nicht für eine Armee. Doch Caesar schafft es, in einem Satz, der in wenigen Worten erst die Topographie skizziert und die Hindernisse benennt. Dann wird im Ablativus absolutus der Schnee durchschlagen, durch härteste Arbeit der Soldaten ein Weg gebahnt und gelangt der Feldherr in der bekannten dritten Person zum Gebiet der Feinde. Die Ökonomie der vierzeiligen Periode aus dem Bellum Gallicum (7,8,1-3) mag – zusammen mit vielen anderen ähnlichen Schilderungen – Pate gestanden haben, als europäische Eliten Effizienz, Schnelligkeit, Arbeit und Rationalität zu ihren Leitbildern erkoren und deshalb Caesar im Neunzehnten Jahrhundert Schullektüre am Gymnasium wurde. Zu unterwerfenden Völkern durch Streifzüge Schrecken einzuflößen war im Zeitalter der Kolonialisierung auch kein unvertrauter Gedanke. Doch wie käme das heutige Europa mit einem Meter achtzig Schnee zurecht, wo doch schon wenige Zentimeter flächendeckend Infrastrukturen lahmzulegen vermögen? Karl-Wilhelm Weeber macht auf die kleine Episode aus dem vorletzten Kriegsjahr aufmerksam, ohne den Vergleich mit uns Erben Caesars freilich. Generell finden sich in diesem Buch im Vergleich mit früheren weniger Aktualisierungen, die ja meistens platt sind, und auch kaum Anbiederungen.

Die strategische Bedeutung der Operation erläutert der für Lehrer bestimmte Kommentar von Kraner, Dittenberger und Meusel zum Bellum Gallicum (Band 2, 17. Auflage, Berlin 1920, 256f.): „Der Plan, im tiefsten Winter die selbst im Sommer schwer zu übersteigenden Cebennen zu überschreiten, war von einer erstaunlichen, ja fast wahnwitzigen Kühnheit. Der Feldzugsplan des Vercingetorix, mit einem Heere die römische Provinz zu überfallen, das angesehene und starke Volk der Bituriger zum Anschluß zu bringen, sich dadurch die Verbindung mit den verbündeten Stämmen im Norden zu verschaffen, die Haeduer einzukreisen und womöglich auch zum Abfall von Rom zu zwingen, dann die führerlosen Legionen anzugreifen, war außerordentlich geschickt. Aber Caesars Gegenzug war doch noch viel geschickter und großartiger. Er sichert mit überraschender Schnelligkeit alle gefährdeten Punkte der Provinz, dringt, als man ihn noch in der Provinz vermutet, auf einem für unmöglich gehaltenen Wege in das Herz des feindlichen Landes ein, zwingt dadurch den Vercingetorix, seinen Feldzugsplan zu ändern, und ist plötzlich, als man ihn noch im Arvernerlande wähnt, zu allgemeiner Überraschung bei seinen Legionen.“

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