Eine eben erschienene, gelehrte und theoriegesättigte Studie über die Germania als „Repräsentation von Nation, Geschlecht und Politik in der Moderne“ gibt Anlaß, die Spuren dieser Figur in der Antike zu verfolgen.
Die Germania ist Ergebnis einer Personifikation, wie sie in der vielgestaltigen polytheistischen Religion der Griechen und Römer gängig war. Bereiche der Erfahrungswelt und wirkende Kräfte wurden zu Personen und waren als solche für ihren Bereich „zuständig“: Mutter Erde, Uranos der Himmel und Okeanos das Meer sind alte Personifikationen; bekannt auch Nike/Victoria, die Siegesgöttin. Die Römer errichteten früh Tempel für personifizierte ‘Tugenden‘ oder positiv besetzte soziale Phänomene wie Spes bzw. Honor oder Concordia. Geographische Phänomene zu personifizieren war zunächst (männlichen) Flüssen vorbehalten (der gegen Achilles kämpfende Xanthos bei Homer; der römische Tiberis pater). Die Belege für weibliche Verkörperungen von Provinzen, Ländern oder Landesteilen sind gar nicht so zahlreich und zudem relativ spät. Eine kanonische Reihe römischer Provinzpersonifikationen wurde in Gestalt der Podiumsreliefs des Hadriantempels in Rom versucht, ohne daß eine über die Zeiten verständliche Linie erkennbar wäre.
Germania wurde als stehende oder kauernde Frau in langem Gewand und mit langen Haaren dargestellt, was einer sehr vereinfachten Auffassung germanischer Frauentracht entsprach. Die älteste personifizierte Germania, die wir kennen, ist eine Figur auf einem kleinen Weihrelief für Caligula (Kaiser 37-41) aus Kula in Lydien. Weitere Verbreitung fanden die Münzen mit dem Motiv der „gefangenen Germania“ (Germania capta) im Trauergestus, die Kaiser Domitian (reg. 81-96) ausgab, wohl auch, um den ähnlich gestalteten Prägungen seines Vaters und seines Bruder aus Anlaß des Sieges über die Juden etwas Eigenständiges gegenüberstellen zu können.
Hadrian, Kaiser von 117 bis 138, veränderte Ikonographie und Sinn grundlegend. In seiner Münzserie von 134 bis 138 erscheint statt der gefangenen oder trauernden Germania eine der Minerva ähnliche, stehende Frau, die Schild und Speer trägt. Die Umschrift seiner Münzen nennt nur Germania, von einer Germania capta oder subacta ist nicht mehr die Rede. Man wird diese Ikonographie als Ausdruck einer integrativen Reichspolitik Hadrians verstehen, indem die nunmehr befriedeten Provinzen und Vorfeldregionen als Teile des Imperium angesprochen wurden.
Noch weiter ging man in der Zeit der Soldatenkaiser: auf einer Goldmünze des Laelianus von 268 n.Chr. figuriert die mit Speer und vexillum bewehrte Gestalt einer der Germania angeglichenen Frau zum Symbol der virtus militum des römischen Heeres. Germanische Krieger hatten inzwischen im römischen Heer Einzug gehalten.
Aus dem simplen Faktum, daß im Griechischen und Lateinischen die Namen von Städten und Ländern in der Regel grammatisch Feminina sind, haben sich in der neueren Geschichte der Germania als nationales Symbol der Deutschen erhebliche Folgen ergeben. Bettina Brandt dröselt in dem eingangs erwähnten Buch, einer geschlechtergeschichtlich ausgerichteten Dissertation, die verwickelten Zuschreibungen geduldig auf. Germania erscheint u.a. als Verkörperung des Volkes, „moralischer Kollektivkörper“, männlicher Kampfgeist, Partnerin von Hermann dem Cherusker, Objekt der Liebe zum Vaterland, als Mutter Natur, Freiheitsbraut, Volksmutter und Kriegerin, als Ausdruck jungfräulicher Erhebung der Nation in der Revolution wie als mütterliche Autorität. Germania als Frau stark herauszustellen führte zu binären Konstruktionen von Paaren und Komplementärbeziehungen. Sie „stellte die prekäre Existenz der Nation mit wechselnden Partnern vor wechselndem Publikum vor“, ihre (Be-)Deutung war Voraussetzung für politische Formierungen und Ausgrenzungen, nicht allein nach außen gegen Frankreich; gleichwohl spielten die Französische Revolution und die durch sie ausgelöste politische Mobilisierung eine große Rolle: „Die Differentsetzung von weiblicher Nation und männlichen Gleichen, von Natur und Geschichte – ausgesöhnt im Motiv der (Vaterlands-)Liebe – war ebenso Voraussetzung für die moderne Semantik der Egalität und Partizipation, wie sie Weiblichkeit aus deren Geltungsbereich, dem Bruderbund männlicher Subjekte, ausschloss. Weiblichkeit verkörperte die Grenzen jener Bedingungen, unter denen sich seit dem 18. Jahrhundert die Konstituierung eines männlichen politischen Subjekts vollzog. Die Bilder von Germania und ihren adeligen und bürgerlichen Helden verdeutlichten aber auch die Besonderheiten der deutschen Beziehungskonstellationen und Familiengeschichten, in denen Frankreich, nach dem revolutionären Vatermord zumal, als Abgrenzungsfolie und Modell stets präsent war.“
Die Prosa des Buches (hier eine erste Rezension) erfordert Konzentration und ästhetische Abstinenz; einen Ausgleich bieten die zahlreichen Abbildungen im Tafelteil, die hier durch eine weitere ergänzt seien: den ‘Blauen Hunderter‚ von 1908, den Michael Stürmer vor fast dreißig Jahren in „Das ruhelose Reich“ so feinsinnig interpretiert hat.
Allein, nicht alle Zeitgenossen des Geldscheins fanden die Grundfigur angemessen. 1906 hielt ein Bonner Germanist eine Kaisergeburtstagsrede und führte darin aus (Brandt hat es ausgegraben): „Das deutsche Land ist heute übersät mit einer Fülle gepanzerter Machtweiber in Marmor und Bronze, die als ‘Germania‘ das Symbol unserer nationalen Einheit darstellen sollen. Ich würde mich dieser undeutschen künstlerischen Ausdrucksform nicht freuen, selbst wenn sie ästhetisch wertvoller geraten wäre. Sie berührt uns nicht das Herz. Die frostige weibliche Personifikation hat für uns nie Blut und Leben gewonnen. Der Deutsche hat von jeher sein Ideal, den Inbegriff seiner Wünsche, in die Gestalt des Helden gekleidet. Der Held aber ist ein Mann.“
Recht so! Im Jahr zwischen der Rede und dem Geldschein wurde übrigens in Winterset, Iowa, Marion Robert Morrison geboren, der als John Wayne zu einem modernen Urbild des Helden werden sollte. Seine wichtigsten Filme gibt es jetzt in einer DVD-Sammelkollektion.
– Ernst Künzl, Germania. Weibliche Personifikation des Landes der Germanen oder geographischer Teilgebiete, in: Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (LIMC), IV 1. (Eros – Herakles), Zürich/München 1988, 182-185.
– Uwe Walter, Germania, Zahnrad, Hansaruhm – Der „blaue Hunderter“ von 1908 als Quelle für die Mentalität der wilhelminischen Epoche (mit Farbfolie), in: Geschichte lernen 54 (November 1996) 55-58.
Die „Germania“ ist...
Die „Germania“ ist matrilinearen Ursprungs, dennoch preußisch-deutsch missbraucht!
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Dieser Beitrag enttäuscht mich jetzt. Anstatt den Germaniamythos neuerer Zeit, speziell der der Mythologisierung Deutschlands gegen den Erbfeind Frankreich gerichtete, von dem antiken Bild der Germania zu trennen, wird das alles zusammen gemischt. So als würde das eine mit dem anderen organisch verbunden sein. Dazwischen liegen nicht nur historische Epochen, gleich mehrere, und auch sprachliche Verschiebungen, sondern auch ein völliger Bedeutungswechsel. Eine Sinnentleerung – letztlich – durch den preußisch-deutschen Missbrauch.
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Wie schon so oft erwähnt, verweise ich auch diesmal auf den marxistischen Altertumsforscher Thomson („Die ersten Philosophen“, „Frühgeschichte Griechenlands“, https://blog.herold-binsack.eu/?p=1314) wie auf den marxistischen Sexualwissenschaftler Bornemann („Das Patriarchat“, https://blog.herold-binsack.eu/?p=1392 ). Und natürlich auf Engels‘ Buch: „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“. Will es Ihnen wirklich nicht aufgehen, dass es eben kein „simples Faktum“ ist, dass die Städte und Länder in der griechischen und lateinischen Antike „grammatisch Feminina“ sind? Die weibliche Gens, nicht der Stamm, nicht das Volk und schon gar nicht die Nation bestimmten die Urgemeinschaften vermutlich aller Völker auf dieser Erde, so auch die der indogermanischen. Die weibliche Linie war indes grammatisch noch bestimmend, während sie politisch längst entmachtet war. Bezogen auf Bachofen und Morgan konnte Engels das wunderbar an den Irokesen beschreiben, wo sich gerade die Grundlage für den Staat, nämlich die Stammesteilung und die Familie, heraus zu bilden schien.
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Bezüglich der Germanen möchte ich Engels selber zu Wort kommen lassen:
„Daß die Deutschen bis zur Völkerwanderung in Gentes organisiert waren, ist unzweifelhaft. Sie können das Gebiet zwischen Donau, Rhein, Weichsel und den nördlichen Meeren erst wenige Jahrhunderte vor unsrer Zeitrechnung besetzt haben; die Cimbern und Teutonen waren noch in voller Wanderung, und die Sueven fanden erst zu Cäsars Zeit feste Wohnsitze. Von ihnen sagt Cäsar ausdrücklich, sie hatten sich nach Gentes und Verwandtschaften (gentibus cognationibusque) niedergelassen, und im Munde eines Römers der gens Julia hat dies Wort gentibus eine nicht wegzudemonstrierende bestimmte Bedeutung. Dies galt von allen Deutschen; selbst die Ansiedlung in den eroberten Römerprovinzen scheint noch nach Gentes erfolgt zu sein. Im alamannischen Volksrecht wird bestätigt, daß das Volk auf dem eroberten Boden südlich der Donau nach Geschlechtern (genealogiae) sich ansiedelte; genealogia wird ganz in demselben Sinn gebraucht wie später Mark- oder Dorfgenossenschaft. Es ist neuerdings von Kowalewski die Ansicht aufgestellt worden, diese genealogiae seien die großen Hausgenossenschaften, unter die das Land verteilt worden sei und aus denen sich erst später die Dorfgenossenschaft entwickelt. Dasselbe dürfte denn auch von der fara gelten, mit welchem Ausdruck bei Burgundern und Langobarden – also bei einem gotischen und einem herminonischen oder hochdeutschen Volksstamm – so ziemlich, wenn nicht genau dasselbe bezeichnet wird wie mit genealogia im alamannischen Rechtsbuch. Was hier in Wirklichkeit vorliegt: Gens oder Hausgenossenschaft, muß noch näher untersucht werden.
Die Sprachdenkmäler lassen uns im Zweifel darüber, ob bei allen Deutschen ein gemeinsamer Ausdruck für Gens bestand und welcher. Etymologisch entspricht dem griechischen genos, lateinischen gens das gotische kuni, mittelhochdeutsch künne, und wird auch in demselben Sinn gebraucht. Auf die Zeiten des Mutterrechts weist zurück, daß der Name für Weib von derselben Wurzel stammt: griechisch gyne, slawisch ~ena, gotisch qvino, altnordisch kona, kuna. – Bei Langobarden und Burgundern finden wir, wie gesagt, fara, das Grimm von einer hypothetischen Wurzel fisan, zeugen, ableitet. Ich möchte lieber auf die handgreiflichere Herleitung von faran, fahren, wandern, zurückgehn, als Bezeichnung einer fast selbstredend aus Verwandten sich zusammensetzenden, festen Abteilung des Wanderzugs, eine Bezeichnung, die im Lauf der mehrhundertjährigen Wanderung erst nach Ost, dann nach West, sich allmählich auf die Geschlechtsgenossenschaft selbst übertrug. – Ferner gotisch sibja, angelsächsisch sib, althochdeutsch sippia, sippa, Sippe. Altnordisch kommt nur der Plural sifjar, die Verwandten vor; der Singular nur als Name einer Göttin, Sif. – Und endlich kommt noch ein andrer Ausdruck im „Hildebrandslied“ vor, wo Hildebrand den Hadubrand fragt,
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„wer sein Vater wäre unter den Männern im Volk … oder welches Geschlechtes du seist“ (eddo huêlihhes cnuosles du sîs).“
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(Friedrich Engels – „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ in: Karl Marx/Friedrich Engels – Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 21, 5. Auflage 1975, VII. Die Gens bei Kelten und Deutschen, S.131, siehe auch: https://www.mlwerke.de/me/me21/me21_127.htm, letzter Zugriff: 23.2.2011)
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Auch die Trennung der Verwandtschaft nach der weiblichen wie männlichen Linie, wie wir das zum Beispiel in der türkischen Sprache heute noch finden, aber auch in der persischen (allerdings oftmals nicht im identischen Sinne – so ist der Daeij (persisch ausgesprochen: Da:ji, vergleiche: https://www.learn-persian.com/deutsch/002719.php , türkisch: dayı) im türkischen der Onkel väterlicherseits (Bruder des Vaters), der Onkel mütterlicherseits ist der „Amca“, doch im persischen ist er der Onkel mütterlicherseits (Bruder der Mutter, der „Amu“, hingegen ist der Bruder des Vaters, was auf das arabische „amo“, da ebenfalls Onkel väterlicherseits zurück zu führen ist) ist ein Indiz für die matrilineare Verwandtschaft. In der türkischen Sprache, welche zur mongolischen Sprachgruppe gehört, finden wir diese Hinweise in der Sprache noch sehr sauber erhalten. Was darauf schließen lässt, dass das Patriarchat im türkischen (im mongolischen) noch neueren Datums, hingegen im persischen wohl schon älteren Datums ist, mal ganz abgesehen von der arabischen Überformung des ursprünglich indogermanischen persisch, was dann aber in Bezug auf die genannten Bedeutungsveränderungen einer näheren Untersuchung bedarf.
Wie verhält es sich...
Wie verhält es sich eigentlich mit der Helvetia?
Die kräftige Dame lümmelt in Basel auf der Mittleren Brücke über dem Rhein und bewacht ansonsten manch kleine Münze der Eidgenossen. Ikonographisch scheint sie mir sehr an die Germania angelehnt zu sein. Liegt hier ein pangermanischer Anschlag deutschtümelnder Schweizer gegen die multikulturelle Republik vor? Heute würde man das wahrscheinlich sogar begrüßen, wird Multikulti in infantilisierter Betonung mittlerweile ja nicht nur in den Alpen, sondern leider auch in der Bundeswaschmaschine vis-a-vis der Schweizer Botschaft zu Berlin in allerhand konservativem Munde geführt.
Dem Blogger sei auch herzlich gedankt für sein ehrendes Gedenken an John Wayne (den ich in meiner privaten Hagiographie nie ohne sein „Westernschlachtermesser“ denken kann, das ihm der Giesinger Sänger Peter Jacobi in den 70er Jahren nebst dem genialen Refrain „So a Sau wia da Wain mog i sein!“ angedichtet hat). Neben manch ordinär-reaktionärem Unfug spielte John Wayne durchaus auch Glanzrollen, wie die des Sheriffs John T. Chance in “Rio Bravo”. Vor dem langen Speer der Germania/Helvetia hätte er wahrscheinlich trotz der Überdosierung von machismo in seinem Blut einen Heidenrespekt gehabt, obwohl er in seinem Filmheldenleben kaum je eine Gelegenheit ausgelassen hat, sich mit matrilinear organisierten, atavistisch bewaffneten Rothäuten zu fetzen!