In Zeiten der nuklearen Erregung Überlegungen zur Sprache anzustellen ist vielleicht nicht die nächstliegende Option. Aber nicht jeder wird sich an den Spekulationen beteiligen wollen, welches Ereignis nun genau „das“ Ereignis ist und ob „das“ Ereignis schon eingetreten ist oder noch bevorsteht. Und nicht jeder wird die Opfer von Erdbeben und Tsunami links liegenlassen wollen, um sich der sehr deutschen Angst vor dem Atomtod hinzugeben. Bis vor ein paar Tagen kannte noch kaum jemand hierzulande einen Ort namens Fukushima. Seitdem ist dieser Ort „überall“.
Sprache entwickelt sich. Sie folgt Mitteilungsbedürfnissen, in diesen Tagen denen nach maximaler Erregung. Und so entsteht der Super-GAU, wobei auch Journalisten, denen doch bisweilen eine gewisse Aufmerksamkeit für Sprache nachgesagt wird, tapfer ignorieren, das der „größte anzunehmende Unfall“ bereits ein Superlativ ist, eine Höchstform, die eigentlich nicht mehr gesteigert werden kann. Aber ja, es geht immerhin darum, eine Maßnahme durchzusetzen, die der von Planung und Prozessualität bestimmten industriellen Moderne so gar nicht zu entsprechen scheint: abzuschalten, und zwar sofort, ohne Rücksicht auf Folgen wie steigende Strompreise und prekäre Netzstabilität.
Wie dem auch sei, das sprachliche Phänomen ist nicht neu. Der/die/das „optimalste“ ist seit langem gängig, weil aus dem Bewußtsein gefallen ist ist, daß optimus ebenfalls bereits einen Superlativ darstellt. Aber das Bedürfnis nach immer neuer Distinktion hat bereits im antiken Latein ähnliche logisch unmögliche Formen hervorgebracht. Perfectus – „vollendet“ wurde gesteigert zu perfectissimus, extremus – „der letzte, äußerste“ zu extremissimus; in beiden Fällen war das wohl möglich, weil die beiden Ausgangsformen durch ihre Endungen nicht als Superlative zu erkennen waren. Ähnlich bei minimissimus. Im Griechischen findet sich die Steigerung eines Superlativs durch mallon schon bei Platon.
373 v.Chr. wurde die Stadt Helike in Achaia auf der Peloponnes durch ein nächtliches Erdbeben mit Flutwelle zerstört und versank im Meer. Aber damals gab es noch keine Atomkraftwerke.
Yves Lafond, Die Katastrophe von 373 v.Chr. und das Verschwinden der Stadt Helike in Achaia, in: E. Olshausen, H. Sonnabend (Hrsg.), Naturkatastrophen in der antiken Welt (Geographica Historica 10), 1998, 118-123.
Lieber Herr Walter, auch ich...
Lieber Herr Walter, auch ich finde Ihre Beiträge immer wieder äußerst lehrreich. Ich fände es aber auch großartig, wenn Sie uns trotz unseres beschränkten Wissens und der offensichtlichen Tatsache, dass wir nichts anderes zu tun haben, als in Internetforen herumlungern, als Gesprächspartner auf Augenhöhe ernst nehmen würden.
Es ist mir klar, dass das für einen offensichtliche fleißigen akademischen Lehrer eine Zumutung bedeuten kann. Aber nicht alle Blogeinträge ziehen gleich eine Flut von Kommentaren nach sich. Man merkt ziemlich schnell, ob ein Beitrag auf hohe Resonanz stößt und kann dann je nach Lage sich wichtigeren Dingen zuwenden oder ein bißchen moderieren. Es schreit auch nicht jeder Kommentar nach einer Antwort, aber manchmal kann schon ein kleiner Einwurf belebend wirken und den Leser durch Wertschätzung erfreuen. Wenn Sie einmal oder zweimal am Tag nachschauen, kann das kurz nach einem Eintrag völlig ausreichend sein.
Die deutsche Wissenschaft ist nicht gerade bekannt dafür, dass sie sich die Mühe macht, ihre Forschungsergebnisse immer wirkungsvoll zu vermitteln. Das liegt nach meinem Gefühl auch an der Verachtung bestimmter Medien und der Angst, in der Verdacht zu geraten, „Populärwissenschaft“ zu betreiben. Auf einem Kolloquium zu Thomas Mann, dem ich vor Jahren beiwohnte, hielten viele Vortragende es für opportun, regelmäßig Witze über Hans Küng zu machen. Das fand ich seltsam. Der Mann hatte mehr öffentliche Wirkung als jeder von ihnen. Die wirkungsmächtigsten Historiker der letzten Jahrzehnte sind meines Erachtens Sebastian Haffner und Joachim Fest gewesen. Ich glaube, das liegt daran (wenn es denn stimmt), dass beide sich mehr auf den Leser eingelassen haben. Na, gut, beide waren ja auch von Haus aus Journalisten.