Traurigkeit und Wut klingen langsam ab. Traurigkeit darüber, wie sich ein so begabter, vorzeigbarer, dennoch empathischer junger Politiker durch Dummheit, Arroganz und Eitelkeit ins Abseits manövriert hat. Wut darüber, wie sich nun Oppositionspolitiker zu Verfechtern bürgerlicher Werte aufschwingen, die solche zu haben bislang ganz unverdächtig waren. Traurigkeit über eine Bundeskanzlerin, die gar nicht merkt, wie sie mit einer schnoddrigen Bemerkung die leidenschaftliche und ethisch wie handwerklich tadellose Arbeit zehntausender Wissenschaftler dieses Landes in die Tonne tritt. Wut über eine Opposition, die das (mit Recht) heftig kritisiert, aber vergißt, daß ihr Frontmann erst vor wenigen Jahren ebenfalls und zwar kalkuliert und wiederholt Wissenschaft in toto als marginal, lebensfremd und volksfeindlich verächtlich machte („der Professor aus Heidelberg“). Leises Entsetzen über Wissenschaftsfunktionäre, die offenbar glauben, mit Unterschriftenaktionen und verbalen Exorzismen davon ablenken zu können, daß Titularpromotionen und Dünnbrettdissertationen zum Wissenschaftsbetrieb gehören (ja, ich weiß, ein der Interpretation bedürftiges Wort!), daß die Verantwortlichen der Uni Bayreuth grausam versagt haben und daß gerade heuer die Forschungsförderung mit ihren Exzellenzinitiativen (Zwischenergebnisse der zweiten Runde einen Tag nach dem Rücktritt des Ministers) in mühsamer Arbeit gestylte Ankündigungen und Absichten fördert, nicht solide Ergebnisse, wobei diese Ankündigungen und Absichten dann in reichlich intransparenten Begutachtungsverfahren geprüft werden, während früher die scientific community Ergebnisse durch transparente Instrumente wie Berufungen und Rezensionen bewertet hat.
Eine Rezension hat vor bald vierzig Jahren auf einen eklatanten Plagiatsfall in der Althistorie hingewiesen. Der Anlaß: Vor allem an den neu gegründeten Reformuniversitäten sollte Geschichte, auch Alte Geschichte, anders betrieben werden als in den ausgetretenen Bahnen. Sozialgeschichte war gefordert, also eine Geschichte der Ungleichheiten, der kleinen Leute und Sklaven, der Arbeitswelt, der ökonomischen und sozialen Erzeugung und Festigung von Macht, die Konflikte nicht zu vergessen. Anfang der 1970er Jahre bestand nun aber die peinliche Verlegenheit, daß es für diese Dinge noch keine zusammenfassende Literatur gab, schon gar keine einführende, die man Anfängern in die Hand drücken konnte. Sicher, da war Rostovtzeff, aber dessen endnotengespickten Großwerke zu Gesellschaft und Wirtschaft im Hellenismus bzw. in der Römischen Kaiserzeit taugten nicht für’s Proseminar, zumal der Autor als Emigrant und Antibolschewist auch politisch gegen den linken Zeitgeist stand. Da erschien 1972 in einem renommierten Verlag „Sozialgeschichte der Antike. Ein Abriß“, ein handliches Taschenbuch, verfaßt von einem einschlägig promovierten Lehrbeauftragten an einer der neuen Hochschulen. Das Büchlein wurde offenbar ein Erfolg, zwei Jahre später erschien jedenfalls eine Neuauflage. Die auch oder gar vollständig sozialgeschichtlich ausgerichteten Studienbücher von Gelehrten wie Geza Alföldy, Jochen Bleicken und Fritz Gschnitzer waren noch nicht geschrieben.
Es gab aber einen Spielverderber. Der Kölner Althistoriker Friedrich Vittinghoff (1910-1999), selbst ein herausragender Kenner der römischen Kaiserzeit in all ihren Facetten, publizierte in der Historischen Zeitschrift eine Rezension, wie man sie nicht oft zu lesen bekommt (HZ 217, 1973, 111-113). Hier der Anfang:
„Man nehme wörtliche oder wenig frisierte Exzerpte aus gängigen Handbüchern zur griechischen und römischen Geschichte, mische sie, verschweige ihre Herkunft, gebe sich die Aura eines Fachmannes („Lehrbeauftragter für Antike Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bochum“) und verkaufe das Machwerk in einer bekannten Taschenbuchreihe unter dem Desiderat „Sozialgeschichte der Antike“: so muß sich der Vf. das Ganze wohl gedacht haben. Ich habe die Plagiatsammlung lediglich mit Bengtson (Griechische Geschichte, 41969; Grundriß der römischen Geschichte 1, 21970), Heuß (Römische Geschichte, 21964) und Finley (in: Fischer Weltgeschichte 3, 1966 und 4, 1967) verglichen. Obwohl B. in den Anmerkungsbelegen (…) umfangreiche und gute moderne Literatur anführt, wird nur einmal beiläufig Heuß mit seiner Schätzung von italischen Einwohnerzahlen (…) genannt (…), sonst aber zur Täuschung des Lesers genauso wie Bengtson und Finley unterschlagen.“
Es folgt eine erdrückende Sammlung von Belegen. Vittinghoff skizziert dann, was eine moderne Sozialgeschichte der Antike bieten müßte, und schließt die Rezension, wie dieser Blogeintrag beginnt – mit Traurigkeit:
„Dieser unredliche und unzureichende Abriß einer ‘Geschichte der Antike im Spiegel deutscher Handbücher (ohne Quellenangaben)‘ – so könnte allenfalls der Titel weniger verkaufstüchtig lauten – ist nicht nur auf weiten Strecken ein Plagiat, sondern desavouiert jede ‘Sozialgeschichte der Antike‘. Schade!“
Die Identität von B. ist mit...
Die Identität von B. ist mit Googlen nicht ganz leicht zu lösen, weil es heute einen völlig namensgleichen Prof. N.B. an derselben Uni gibt – in Medizin. Mein Link zeigt den richtigen B.
Lieber Herr Walter,
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Sie...
Lieber Herr Walter,
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Sie haben ja recht, wenn Sie monieren,
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„…daß gerade heuer die Forschungsförderung mit ihren Exzellenzinitiativen … in mühsamer Arbeit gestylte Ankündigungen und Absichten fördert, nicht solide Ergebnisse, wobei diese Ankündigungen und Absichten dann in reichlich intransparenten Begutachtungsverfahren geprüft werden…“
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Aber darf man diese Kultur der Schaumschlägerei wirklich den Akademikern selbst zum Vorwurf machen — oder nicht viel eher bei den Wissenschaftspolitik der letzten 20 Jahre? Und müsste man dann nicht auch fragen, unter welchem ideologischen Vorzeichen dieser Exzellenzwahn zur Norm erhoben wurde? Ich kann mich ja täuschen, aber nach meiner Wahrnehmung war das der selbe neoliberale Ungeist, der allüberall nur dreiste Hochstapelei fordert und fördert, in der Wissenschaft ebenso wie in der Verteidigungspolitik und im Finanzwesen. —
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Eine Kritik des deutschen Wissenschaftsbetriebs wäre dringend notwendig, und die oberfränkische Plagiatsaffäre hätte für Sie ein guter Anlaß sein können, eine solche Kritik zu versuchen.
Aber Ihr läppisches Fazit lautet einfach nur: „Was regt Ihr Akademiker Euch denn so auf, Euer ganzer Wissenschaftsbetrieb ist doch eh nur Schaumschlägerei“.
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Und darüber ärgere ich mich wirklich, denn letztlich geben Sie den Opfern die Schuld. Ich wundere mich darüber auch sehr, denn ich hätte angenommen, dass Sie es besser wissen.
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Das Herauskehren eigener parteipolitischer Präferenzen kann so einem Text eigentlich nicht guttun.
Aber wenn Sie es nun einmal für angebracht hielten, uns Ihre Sympathien für Herrn zu Guttenberg mitzuteilen, dann klären Sie uns bitte auch darüber auf, warum eigentlich Sie ihn für einen guten Politiker halten?
Hätten Sie ihn sich womöglich auch als Wissenschaftsminister (oder bayerischen Kultusminister) vorstellen können?
Ihr Unmut in allen Ehren,...
Ihr Unmut in allen Ehren, franket, allein die damnatio memoriae ist in diesem Fall mehr als angebracht. Vor allem deshalb, weil B. offensichtlich nicht einmal Pöhlmann kannte. Ein Offenbarungseid ganz besonderer Art. Rostovtzeff ist freilich anstrengend. Davon abgesehen wünschte ich mir als Leser und bekennender Anhänger der Annales-Schule schon eine neue Sozialgeschichte der Alten Welt. Ich grummele immer ein wenig, wenn ich höre, daß die überwiegende Anzahl der Keilschrifttexte sich auf wirtschaftliche Probleme bezieht, aber es trotzdem nicht eine einzige Mikrostudie über ein entsprechendes Beispiel (einen Tempel, einen Wirtschaftshof, was auch immer) gibt. Ganz davon abgesehen, daß die Geschichte des Vorderen Orients offensichtlich auf Schmökels Horizont stehengeblieben ist. Ich als Leser lechze jedenfalls danach. Um näher an die Antike zu rücken: Wo ist die Studie über eine Villa wie es Iris Origo über Francesco Datini oder Barbara Tuchman über Enguerrand de Coucy gestaltet haben? Ich kann nicht glauben, daß die heutigen Diplomanden und Doktoranten so ganz unfähig wären. (Für entsprechende bibliographische Hinweise wäre ich dankbar.)
Ich erinnere noch an eine...
Ich erinnere noch an eine literarische Verarbeitung des Themas: Dietrich Schwanitz hat seinem Bestseller „Der Campus“ noch einen zweiten Band folgen lassen: „Der Zirkel“.
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Darin geht es um einen Linken, der seine Doktorarbeit ebenfalls plagiiert hat – aber nicht von irgendeiner Quelle, sondern von einer Doktorarbeit an der Stasi-Hochschule Potsdam. Der gute Mann war nämlich West-IM des MfS, und damit er an der Hamburger Hochschule ordentlich linke Karriere im Sinne seiner Auftraggeber machen konnte, hat eben die Stasi dafür gesorgt, dass sich seine Doktorarbeit „von selbst“ schrieb.
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Aber dann kam 1989 … und die Handlung des Romans nimmt ihren Lauf.
"Wut darüber, wie sich nun...
„Wut darüber, wie sich nun Oppositionspolitiker zu Verfechtern bürgerlicher Werte aufschwingen, die solche zu haben bislang ganz unverdächtig waren.“
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Jemandem, der sich auf solches Kindergartenniveau begibt, sollte man die passende Antwort nicht schuldig bleiben:
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Selber, selber, sagen alle dummen —-
Sind das die bürgerlichen...
Sind das die bürgerlichen Werte, die Sie bei Herrn Gabriel oder Steinmeier vermissen?
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https://www.fr-online.de/rhein-main/bouffier-clan-haelt-zusammen/-/1472796/8276972/-/index.html