Neulich im Kino gewesen: Der Adler der Neunten Legion, hier vor kurzem vorangekündigt. Ein ansehnlicher, antiquarisch sehr genauer, etwas lederner Antikfilm, mit schönen Landschaftsaufnahmen, schnellen Schnitten, um die Gemetzel FSK 12-kompatibel zu machen, und einer am Ende arg penetranten politisch-korrekten Botschaft. Die Barbaren dürfen ihre antikolonialistische Version der Calgacus-Rede aufsagen, dann bestatten barbarisierte Römer und der edle Brigant gemeinsam die Toten, gute wie böse. Und der Zuschauer fragt sich: Wieso brennt der Scheiterhaufen, wo es doch zuvor geregnet hat?
Warum ist noch niemand auf die Idee gekommen, einen farbenprächtigen Film über Elagabal zu drehen, den aus Syrien stammenden Teenager, der von 218 bis 222 n.Chr. römischer Kaiser war? Ein früher Versuch ist genau einhundert Jahre alt (Louis Feuillade, L‘ orgie romaine). Mary Beard stellt im TLS eine neue Biographie vor. Als die Rede von ‘spätrömischer Dekadenz‘ noch mit klaren Vorstellungen verbunden war, malte der große Alma-Tadema 1888 The Roses of Heliogabalus und hielt dem viktorianischen England damit vor, was es mit Abscheu und Faszination zugleich sehen sollte: Bei einer Orgie läßt der Kaiser ein Gestöber aus Rosenblättern über die Gäste regnen. Sollte dies der Moment sein, in dem einige Gäste unter dem Blütenteppich begraben wurden und erstickten, wie es ein – allerdings wenig glaubwürdiger – antiker Historiograph berichtet? Die Rede über Elagabal erinnert auch daran, daß zur Romantik der Horror gehörte, daß die Antikebegeisterung eines Byron und das Monster des Dr. Frankenstein Zeitgenossen waren.
Elagabals Regierung läßt erkennen, was im Römischen Reich gut zweihundert Jahre nach dem Tod seines eigentlichen Begründers Augustus möglich war. Erstens: Es war kaum noch berechenbar, wer Kaiser wurde. Elagablas Vorgänger Macrinus hatte als erster Nicht-Senator den Thron bestiegen; die Soldaten spielten die allein entscheidende Rolle, und da es mittlerweile mehrere Krisenregionen an den Grenzen gab und die Truppen einen Kaiser wollten, standen bisweilen deren mehrere gegeneinander. Das war ein Kennzeichen der sog. Zeit der Soldatenkaiser, in deren früher Phase Elagabal regierte. Zweitens: Obwohl das Reich von einer in vielerlei Hinsicht einheitlichen Kultur geprägt war, spielten bestimmte Gegensätze und regionale Eigenheiten eine eher wachsende Rolle. Das galt zumal für die Religionen und Kulte. Und drittens: Solange der Kaiser persönlich sicher war, konnte er tun, was er wollte. Die immer wieder chaotische Kaiserrekrutierung ließ es kaum zu, jedem der Despoten das Ethos von Pflichtbewußtsein und Selbstkontrolle einzuimpfen, für das wiederum Augustus als Vorbild stand. Vieles kam, viertens, zusammen, damit die Absonderlichkeiten in der Überlieferung noch verstärkt wurden: Unkenntnis der hinter den Mauern des Hofes verborgenen Vorgänge, Tyrannentopik; eine Machtfülle, die den Schluß zuließ: Wer alles tun kann, tut auch alles, zumal gegen die Aristokratie, die keine Macht mehr hatte, aber immer noch einen Teil des Diskurses bestimmte; schließlich die kulturellen Gräben zwischen Rom im Westen, den Griechen und den ‘Orientalen‘, die keine gemeinsame paideia teilten.
‘Elagabal‘ hieß bei seiner Geburt i.J. 203 als Sohn von Sex. Varius Marcellus aus Apamea und Iulia Soaemias aus Emesa, einer Nichte der Kaiserin Iulia Domna, zunächst Varius Avitus Bassianus. 217 wurde er Priester des Gottes Elagabalus („Der Gott Berg“) in Emesa. Seiner Großmutter Iulia Maesa gelang es, daß eine syrische Legion den Halbwüchsigen am 16. Mai 218 als angeblichen Bastardsohn des Vetters seiner Mutter Caracalla zum Kaiser ausrief. Der amtierende Kaiser Macrinus wurde von seinen Truppen verlassen, besiegt und getötet. Im Spätsommer kam der neue Kaiser, der nun Imperator Caesar Marcus Aurelius Antoninus Augustus hieß, in Rom an. Schon zuvor hatte er sich einschlägig eingeführt. Gibbon zitiert antike Berichte und stellt die Fronten klar: „Indessen vermittelte ein getreues Gemälde, das seiner Ankunft vorauseilte und auf seinen persönlichen Befehl über dem Altar der Victoria im Senat aufgehängt werden musste, den Römern das wahre aber unwürdige Ebenbild seiner Person und Lebensart. Er war dargestellt in seinem nach Art der Meder und Phönizier lose wallenden Priestergewand aus golddurchwirkter Seide, eine hohe Tiara deckte sein Haupt, und Edelsteine von unschätzbarem Wert schmückten seine zahllosen Halsbänder und Armreifen. Seine Augenbrauen waren schwarz gefärbt und die Wangen künstlich rot und weiß geschminkt. Die ernsten Senatoren bekannten seufzend, dass, nachdem sie lange Zeit die strenge Tyrannei ihrer eigenen Landsleute erduldet, Rom nun schließlich dem verweichlichten Luxus des orientalischen Despotismus unterworfen sei.“
Im Gepäck hatte er den Heiligen Stein aus Emesa, seinen bildlosen Gott Elagabalus, mit und begann sogleich, diesen Kult in der Hauptstadt zu etablieren. 219 heiratete er die vornehme Iulia Cornelia Paula. Die Regierungsgeschäfte leiteten seine Großmutter Maesa und seine Mutter Soaemias, unterstützt von P. Valerius Comazon, der trotz seiner niedrigen Herkunft 220 Konsul wurde. Zahlreiche andere Personen aus den unteren Schichten wurden ebenfalls von zu hohen Posten befördert. Schon Ende 220 begann Elagabal eine markante Religionspolitik: Sein Gott wurde zum obersten Gott des Reiches erklärt, der Kaiser selbst hieß offiziell „Höchster Priester des unbesigten Gottes Sol Elagabal“. Gibbon pflanzt das Banner der Aufklärung auf und faßt zugleich in Worte, was Alma-Tadema malen sollte: „Das einzig ernsthafte Geschäft seiner Regierung bestand in der Schaustellung seiner abergläubischen Dankbarkeit. Der Triumph des Gottes von Emesa über alle Religionen der Erde war das große Ziel seines Eifers und seiner Eitelkeit; und der Name Elagabal (denn als Oberpriester und Günstling erdreistete er sich, diesen heiligen Namen anzunehmen) galt ihm mehr als alle Titel kaiserlicher Größe. In einer feierlichen Prozession durch die Straßen Roms wurde der Weg mit Goldstaub bestreut; der schwarze, in Juwelen gefasste Stein stand auf einem Triumphwagen, den sechs milchweiße, mit prächtigen Schabracken geschmückte Pferde zogen. Der fromme Kaiser hielt die Zügel und schritt, gestützt von seinen Ministern, langsam rückwärts, um der Glückseligkeit der göttlichen Gegenwart fortwährend teilhaftig zu sein. In einem herrlichen, auf dem Palatin erbauten Tempel wurden die Opferfeierlichkeiten für den Gott Elagabal mit allem erdenklichen Aufwand und Pomp begangen. Die köstlichsten Weine, die ungewöhnlichsten Schlachtopfer und die erlesensten Spezereien wurden auf seinem Altar verschwenderisch dargebracht. Um den Altar vollführte ein Chor syrischer Mädchen zu den Klängen barbarischer Musik wollüstige Tänze, während die wichtigsten Persönlichkeiten aus Staat und Heer, in lange phönizische Tuniken gekleidet, mit gespieltem Eifer und heimlicher Entrüstung die niedrigsten Dienste versahen.“
Der Kaiser trennte sich von seiner ersten Frau, um eine Vestalin zu heiraten. Gegen das Verhalten des Kaisers regten sich in Rom heftige Proteste; besonders bei den Soldaten begann er jedes Ansehen zu verlieren. Das mußte tödlich enden. Maesa konnte ihren Enkel zwar noch überreden, seinen jungen Vetter Alexianus (= Severus Alexander) zu adoptieren und zum Caesar zu ernennen, die Ehe mit der Vestalin aufzulösen und eine Urenkelin Marc Aurels, Annia Faustina, zu heiraten, um sein Stellung dynastisch zu stabilisieren. Doch an seinem Gott hielt er konsequent fest. Und er suchte der Leitung durch Mutter und Großmutter zu entziehen: Noch 221 holte er seine zweite Frau, die Vestalin Aquilia, zurück. Den Soldaten aber war vor allem eine berechenbare Nachfolgeregelung wichtig. Seine Versuch, Alexianus zu töten, kosteten ihn und seine Mutter das Leben. Soldaten töteten ihn und warfen die Leiche in den Tiber. Unter den Severern gelang es nochmals, wenigstens eine Dynastie zu bilden und das Reich so zu stabilisieren.
Ein wirkmächtiges Urteil über Elagabal sprach Gibbon: Luxus ist (wir stehen am Beginn des Kapitalismus!) gut, aber Übermaß, Orient und verkehrte Welt sind schlecht: „Ein vernünftiger Wollüstling befolgt mit stetem Respekt die Mäßigkeitsgebote der Natur und erhöht den Sinnengenuss durch Geselligkeit, zärtliche Verbindungen und das sanfte Kolorit des Geschmacks und der Phantasie. Doch Elagabal, verderbt durch seine Jugend, sein Vaterland und seinen Reichtum, überließ sich mit unbändiger Raserei den rohesten Vergnügungen und empfand inmitten seiner Lustbarkeiten bald Ekel und Überdruß. Die aufreizenden Kräfte, ein bunter Wechsel von Frauen, Weinen und Speisen, ebenso wie die vielfältigen, ausgeklügelten Posen und Saucen sollten seine erstorbene Begierde wieder erwecken. Neue Formen und Erfindungen in diesen Künsten, die einzigen, die der Monarch pflegte und förderte, zeichneten seine Regierung aus und brachten seine Schande auf die Nachwelt. Mutwillige Verschwendung ersetzte den Mangel an Geschmack und Eleganz; und während Elagabal die Schätze seines Volkes in den wildesten Ausschweifungen verprasste, priesen er und seine Schmeichler eine Pracht und einen Geist, die seinen maßvollen Vorgängern fremd gewesen waren. Die Ordnung der Jahreszeiten und Landschaften zu verkehren, mit den Leidenschaften und vorgefassten Meinungen seiner Untertanen zu spielen und alle Gesetze der Natur und des Wohlanstandes mit Füßen zu treten, dies alles zählte zu seinen liebsten Vergnügungen. (…) Der Herr der römischen Welt äffte Kleidung und Sitten des weiblichen Geschlechts nach, zog den Spinnrocken dem Zepter vor und entehrte die höchsten Reichswürden, indem er sie unter seine zahlreichen Liebhaber verteilte, von denen einer öffentlich mit dem Titel und der Macht eines Gemahls des Kaisers oder wie er sich zutreffender nannte, der Kaiserin, bekleidet wurde.“
Zeit für eine Ehrenrettung? Leonardo de Arrizabalaga y Prado scheint das zu glauben. In der Tat sind einige der von Cassius Dio, Herodian und der Historia Augusta berichteten Exzesse eher unwahrscheinlich, die o. genannten wie auch weitere, vom massenhaften Kindesmord bis zum Servieren von sechshundert Straußengehirnen bei einem einzigen convivium. Doch eine Entscheidung ist nicht möglich, weswegen man mit Mary Beard sinnvoller fragt, wie derartige Ausmalungen aufkommen konnten: „Embracing rather than rejecting the exuberant fictionality of the narratives of his reign, modern commentators have concentrated instead on the ways that ‘Elagabalus‘ (as an imaginative construct, rather than a real emperor) exposed the anxieties of Roman culture, imperial power and politics.“ In der Tat. Syrien gehörte zum Reich, aber konnte ein syrischer Gott im Mittelpunkt des römischen Kultes stehen? Latein sprechende Spanier, Nordafrikaner konnten Kaiser werden. Aber auch ein aramäisch und griechisch redender Syrer?
Doch der Autor des neuen Buches ist an solchen Fragen wenig interessiert. Ihm geht es wieder um faktische Wahrheit. So trug ‘Elagabal‘ diesen Namen offiziell wohl niemals. Auch das Machtgeflecht am Kaiserhof und die Rolle der Garde werden besser als bisher analysiert.
Doch Mary Beard ist mit dem Ergebnis am Ende nicht glücklich. Ein buchhalterischer Anhang listet über achthundert Behauptungen über den Kaiser und seine Familie auf, davon seien 24 wahr, 43 wahrscheinlich wahr, 13 nachweislich falsch, 16 Ansichtssache, die restlichen 744 nicht verifizierbar. „This is a blinkered, if not plain silly, approach to historical evidence and to what might count as a „fact“ about a teenaged, puppet emperor in the early third century.“ Zumal deshalb, weil die überwältigende Zahl der nicht verifizierbaren Behauptungen den Autor letztlich zum Spekulieren verführe. Immerhin räumt dieser ein, er habe eigentlich einen Roman schreiben wollen. Womit wir wieder am Anfang wären: Warum gibt es keinen Film über Elagabal?
= Edward Gibbon: Verfall und Untergang des römischen Imperiums. Bis zum Ende des Reiches im Westen, Aus dem Englischen von Michael Walter. München (dtv) 2003. Hier das einschlägige sechste Kapitel des englischen Originals.
= Michael Sommer, Die Soldatenkaiser (Geschichte kompakt). Darmstadt 2004.
= Leonardo de Arrizabalaga y Prado, The Emperor Elagabalus. Fact or fiction? Cambridge 2010.
Zur Rezeption nicht zu...
Zur Rezeption nicht zu vergessen Gilbert&Sullivan’s Meisterwerk „The Pirates of Penzance“, wo der Major General behauptet „I quote in elegiacs all the crimes of Heliogabalus“…
Anmerkungen zu Elagabaal (auf...
Anmerkungen zu Elagabaal (auf Grundlage ausschließlich dieses Blogbeitrags):
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1. Wirkliche Verbrechen hat er gar nicht begangen, die ihm mitunter zugeschriebenen Gewalttaten sind nicht glaubwürdig verbürgt.
2. Seine Missetat bestand nur darin, dass er das von Augustus erfundene Spiel, so zu tun, als existierte die Tugendrepublik immer noch, nicht mitspielte. Er beleidigte die Empfindlichkeit der altrömischen Römer durch sein fremdartiges Auftreten und die Geringschätzung ihrer Kulte wobei nicht ganz klar wird, inwieweit das auch als Provokation gemeint war.
4. An Politik im engeren Sinn war er offenbar nicht sehr interessiert.
5. Die ihm zugeschriebenen GEwalttaten sind nicht seriös belegt und offenbar nur Gräuelpropaganda der Gegenpartei.
6. Völlig unklar bleibt, warum man ausgerechnet ihn zum Kaiser ausgerufen hat. Für einen Soldatenkaiser war er nicht sehr soldatisch. Wenn er aber nur eine Marionette sein sollte, warum hat man ihm dann die Party nicht gegönnt?
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7. Das populäre Bild des alten Rom wird immer noch von Autoren des 19. Jhs. geprägt, die ihre viktorianischen Moralvorstellungen auf die Antike applizierten. Nachrichten von Elagabals wilden Parties konsumierten sie mit pornographischer Wollust, welche sie dann mit moralischen Verdammungen in Schach halten wollten, wobei sie dann unfaßbaren Schwurbel produzierten: „Doch Elagabal, verderbt durch seine Jugend, sein Vaterland und seinen Reichtum…“
Die solches verzapften gehörten zur Generation, die ernsthaft geglaubt hat, man könne durch Masturbation erblinden.
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8. Warum es den Film nicht gibt? Ganz einfach, weil es überhaupt keine Filme mehr gibt bzw. weil selbst eine weniger hirntote Filmindustrie als die unsere für so etwas erst einmal eine gute Romanvorlage bräuchte, die es aber auch nicht gibt, weil die Romanautoren dafür gut erzählte Geschichtsbücher brauchen, die es aber auch nicht gibt, weil sich keiner mehr so recht daran versucht hat seit Gibbon, der aber 40 Jahre nach Abschaffung des § 175 niemandem mehr zumutbar ist.
Was wissen wir eigentlich...
Was wissen wir eigentlich über die poliitische Willensbildung innerhalb der Legionen „die den Kaiser bestimmten“. Wer genau bestimmte da eigentlich was? Wenn so eine Legion (oder mehrere davon) sich zu politischen Subjekten mauserten, hatten sie dann auch eine Identität, eine Symbolik eine poltische Ideologie?
Wie stark waren da die wirtschaftlichen Intreressen, der Zugriff der Offiziere auf die in den jeweiligen Provinzen erhobenen Steuereinnahmen?
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Die sensationspornographische Berichterstattung über das „unsägliche Treiben im Buckinghampalast“ war wohl schon damals eher Ablenkung.