Antike und Abendland

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Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Scharfes Auge, scharfe Zunge – zum 75. Geburtstag des Archäologen Klaus Fittschen

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Eine akademische Disziplin ist auch darin lebendig, dass manche ihrer führenden Vertreter so gar nicht dem Klischee entsprechen, das aus dem vermeintlichen...

Eine akademische Disziplin ist auch darin lebendig, dass manche ihrer führenden Vertreter so gar nicht dem Klischee entsprechen, das aus dem vermeintlichen Charakter des Faches leicht abgeleitet wird. Gewiß gab und gibt es Klassische Archäologen, die als Humanisten und Schöngeister gelten können und denen ihre Freude an der schönen Form in schwungvolle Beredsamkeit fließt. Klaus Fittschen, der am 31. Mai 75 Jahre alt wurde, gehört nicht zu diesem Typ. Sein Habitus als Kritiker, schneidende Fragen wie „Haben Sie das geprüft?“, spontane Examinationen in der Vorlesung und der berühmt-berüchtigte Gang durch die Göttinger Abgußsammlung im Zuge der Zwischenprüfung haben viele Studierende abgeschreckt (leider auch mich) und die Mutigen in ständiger Spannung gehalten. Wer es aushielt, bekam die beste denkbare Schulung im Sehen und im Prüfen. Sein ausgeprägter Realitätssinn verlangte vom Nachwuchs eher fundiertes Wissen als Gewandtheit im Theoretischen. Ein unbändiger Fleiß war selbstverständliche Voraussetzung und konnte es sein, weil der Lehrer selbst ihn lebte. Von letzterem zeugen an die 200 Publikationen.

Klaus Fittschen, 1936 in Salzhausen bei Lüneburg geboren, wurde 1964 in Tübingen mit „Untersuchungen zum Beginn der Sagendarstellungen bei den Griechen“ promoviert. Nach dem Reisestipendium wurde er Assistent an der neugegründeten Ruhr-Universität Bochum und habilitierte sich dort 1970 mit einer Arbeit zur „Chronologie der römischen Plastik im 3. Jahrhundert n. Chr.“ 1976 wurde er nach Göttingen berufen.

Fittschen hat wesentlich dazu beigetragen, die Klassische Archäologie von einer Kunstwissenschaft der Antike in eine breite angelegte historische Wissenschaft zu überführen. Ausgehend von der Bildkunst griechischer Vasen wurde er in den 1970er- und 1980er-Jahren zum profilierten Vertreter der Erforschung römischer Porträts. Durch seine Arbeiten wurde die Benennung der Kaiserporträts auf eine sichere Grundlage gestellt. Zusammen mit Paul Zanker entwickelte er wichtige historische Valenzen des römischen Porträts, die Erklärung der Vervielfältigung des Kaiserporträts im Römischen Reich, das Phänomen von Moden im Privatporträt und das sog. Zeitgesicht. Der monumentale „Katalog der Römischen Porträts in den Capitolinischen Sammlungen“ ist das Dokument eines neuen Wissenschaftsbegriffs in der Archäologie. Fittschen hat sich auch mit griechischen Portraits sowie mit der Chronologie und Deutung römischer Sarkophage befaßt.

Die Berufung ans Deutsche Archäologische Instituts in Athen, dem er von 1989 bis 2001 vorstand, war in den Augen vieler Beobachter wenig glücklich, da in Griechenland die strengen Ansprüche an jegliches Tun, denen Fittschen sich selbst zuerst unterwarf, vielfach noch weniger erfüllt werden konnten als anderswo und nachsichtige Liebe zu Land und Leuten hier besonders unentbehrlich sein dürfte. Gleichwohl hat Fittschen wissenschaftlich die Herausforderung durch die neue Wirkungsstätte angenommen und sich auf langen Erkundungen die Topographie und die historische Landeskunde von Hellas erschlossen.

Seit seiner Rückkehr widmet er sich wieder der Skulpturforschung und – neu – der Geschichte und der Tradition des Sammelns und der archäologischen Studien seit dem 18. Jahrhundert. Hierher gehört z.B. die Studie „Die Bildnisgalerie in Herrenhausen bei Hannover. Zur Rezeptions- und Sammlungsgeschichte antiker Porträts“.

Altersmilde erschiene dem Emeritus wahrscheinlich als sachfremdes Sentiment. Seine Rezensionen zu lesen ist nach wie vor ein Vergnügen, wenn auch nicht immer für die Rezensierten. So beschied er die Autorin einer Studie über römische Kinderporträts u.a. so: «Enttäuschend und auch etwas dürftig ist das, was B.-D. nun zu den Bildnissen selbst zu sagen hat. Sie betrachtet sie unter der folgenden Prämisse: „Das Wesen der römischen Porträts liegt darin, daß es typische Qualitäten, Merkmale und Ideale zeigt, weniger als getreues Abbild der Realität … zu verstehen ist“. Deshalb sei „ein besonders hoher Grad an Realitätstreue auch im Fall von Kinderbildnissen, die ja immer auch eine Ehrung des/der Dargestellten beinhalten, nicht anzunehmen“ (S. 106). Wäre es nicht besser, einfach hinzusehen, statt den verbreiteten Klischees über „die“ römische Porträtkunst zu folgen?»

 

Für fachliche Hinweise danke ich Johannes Bergemann (Göttingen)


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