Antike und Abendland

Drei Generationen Ben Hur – die letzte entleert?

Es gibt eine neue Verfilmung von Ben Hur. Meine TV-Programmzeitschrift, sonst gern begeistert, gibt sich reserviert: Von diesem Film dürfe man nicht die Opulenz der Hollywood-Version von 1959 erwarten; „abgesehen vom Action-Finale fehlen dem redseligen, in Marokko gedrehten Abenteuer aber auch Spannung und Schwung“. Für die netto knapp 160 Minuten gibt’s nur einen Bewertungspunkt (von drei möglichen). Und in der Tat: Warum muß der Hauptdarsteller fast so blond sein wie ein germanischer Recke?

Das Budget der europäischen Koproduktion kann sich für Fernsehverhältnisse wohl sehen lassen – genannt werden 22,5 Millionen US-Dollar -; als Kinofilm wäre es eine Low-Budget-Produktion. Steve Shill, der Regisseur des neuen Ben Hur, hatte 44 Drehtage, keine zwei Jahre wie vor gut fünfzig Jahren William Wyler. Doch die Zeiten, in denen Zehntausende von Statisten gewaltige Kulissen in Cinecittà füllen, sind lange vorbei; einen Streifen mit realen Menschen und Bauten in diesem Umfang zu drehen wäre unbezahlbar. Also setzen die Macher entweder auf computergenierte Sets wie in Gladiator oder auf kleinere Dimensionen, aber ein Höchstmaß an Authentizität im Detail, so zuletzt und recht erfolgreich in Rome. Shill hat auch an Rome mitgearbeitet und bemüht sich nun erneut um einen „quasidokumentarischen Look“. Das ‘Rom‘ hier ist also nicht länger so imperial und marmorsauber wie in den klassischen Filmepen.

Andere Veränderungen gegenüber dem jedes Jahr zu Ostern wieder zu besichtigenden Cinemascope-Epos betreffen Schauplätze: Ein Teil des Films spielt in der pompeianischen Vorbildern frei nachempfundenen Villa des Tiberius auf Capri (das könnte interessant sein); das Wagenrennen findet nicht in der Arena von Antiochia statt, sondern in einer Oase. Ferner neu – 1959 undenkbar -: Ben Hur geht bei einer griechischen Prostituierten in die ‘Lehre‘.

 

Die erste große Verfilmung unter der Regie von Fred Niblo, heute nur noch wenigen Kennern geläufig, entstand 1925 (schon um 1910 war eine erste Leinwandfassung gedreht worden). Manche halten den Stummfilm (hier die ersten sieben Minuten) für gelungener als das Remake von 1959, weil er konzentrierter erzähle und die Aura der Romanvorlage besser einfange. Er ist auch ‘politischer‘, da Ben Hur (Latin Lover und Rudolfo Valentino-Konkurrent Roman Navarro) hier einen bewaffneten Aufstand gegen die römische Macht plant, bis ihm Jesus zeigt, daß das nicht der richtige Weg ist. Ich habe ihn vor Jahren einmal auf großer Leinwand gesehen, begleitet von einem ganzen Symphonieorchester. Gänsehaut.

 

Der Artikel in meiner Fernsehzeitung enthält eine aufschlußreiche Bemerkung: Im Vordergrund stehe nunmehr, wie aus der Freundschaft zwischen Ben Hur und Messala erbitterte Feinde werden. Der religiöse Kontext trete demgegenüber in den Hintergrund. Hier liegt vielleicht ein Schlüssel zu der Frage, ob die neue Version funktionieren kann. Denn die Romanvorlage (hier der komplette Text) erzählt ja nicht einfach eine antike Abenteuergeschichte, sondern „A Tale of the Christ“, wie der Untertitel lautet. Ihr Autor, Lewis Wallace (1827-1905), hatte als General im Bürgerkrieg Washington verteidigt und war später Gouverneur von New Mexico und amerikanischer Botschafter in der Türkei gewesen. Sein 1880 erschienener Roman ist von einem tiefen religiösen Pathos und einer dazu passenden Sprache geprägt. Judah Ben Hur wird durch sein eigenes Leiden und die veräußerlichte Erlösung – die Heilung seiner Mutter und seiner Schwester vom Aussatz – zum Christentum bekehrt. Was die Verfilmungen aus dramaturgischen Gründen dann weglassen: Als reifer Mann lebt er mit Frau und Kindern in der Nähe von Rom, bemüht sich auch dort um die Verbreitung des Christentums und stiftet den größten Teil seines Vermögens für den Bau der Katakomben. Gewiß hat Kindlers Literatur Lexikon recht, wenn es feststellt, der Roman war „dank der romantischen Schilderung menschlicher Konflikte, der bunten Szenen aus dem orientalischen Leben und der spannenden Beschreibung von Seeschlachten und Wagenrennen jahrzehntelang auf der ganzen Welt eines der meistgelesenen Bücher“. Das gilt noch mehr für die Verfilmungen. Aber die christliche Grundfabel und die Inbrunst, mit der wesentliche Bausteine der amerikanischen Interpretation eines gelingenden Lebens – Begabung und Wohlstand, Absturz, Leiden und Prüfungen, Errettung, Bekehrung und Erhöhung, erneuter Wohlstand, doch nun verantwortungsbewußt und im Dienste einer großen Idee verwendet – hier ausgespielt werden, waren doch wesentliche Gründe, warum die Filme von 1925 und 1959 so gut funktioniert haben. Im letzteren verkörperte bekanntlich Charlton Heston die Titelrolle; drei Jahre zuvor war der hagere Hüne, dem man den Strahle- und den Schmerzensmann gleichermaßen abnahm, Moses gewesen, später sollte er Johannes den Täufer spielen. Dem heutigen Konsumenten der deutsch-spanisch-kanadisch-britischen Koproduktion hingegen sind die religiöse Gestimmtheit und die Bereitschaft zur Akzeptanz bestimmter Haltungen und Begründungen, die Wallace, Niblo und Wyler bei ihren amerikanischen Adressaten noch selbstverständlich voraussetzen konnten, ganz fremd. So wichtig die sportiven, martialischen und orientalischen Schauwerte auch sind, ohne den emotionalen Kitt, den die christliche Fabel bietet, funktionieren sie möglicherweise nicht mehr richtig, weil ihnen der Kontext fehlt. Nicht einmal zu einem Sendeplatz an einem der hohen christlichen Feiertage hat es gereicht: An einem Freitag, immerhin dem vor Pfingsten, ist der Versuch einer Wiederbelebung zu besichtigen (10. Juni, 20.15 Uhr, Pro 7).

 

Drei Generationen? Ja, in der Tat. William Wyler (1902-1981), der Regisseur der gewiß berühmtesten Verfilmung, war gut dreißig Jahre zuvor bereits Regieassistent Niblos gewesen. Und sein Sohn David hat als Produzent die neue Version (mit) ermöglicht.

Nachtrag: Offenbar gibt es die Produktion schon auf DVD mit Making of. Hier ein Artikel in der NZZ dazu: https://www.nzz.ch/magazin/buchrezensionen/ben_hur_eine_christen-saga_1.10840825.html.

 

Zum Thema ‘Antike im Film‘ gibt es mittlerweile eine kleine Bibliothek, wobei Ben Hur, soweit ich sehe, noch nicht monographisch behandelt wurde. Verwiesen sei auf:

Jon Solomon, The Ancient World in the Cinema. New Haven 2. Aufl. 2001

Gary A. Smith, Epic Films. Casts, Credits and Commentary on over 350 Historical Spectacle Movies. Jefferson/London 2. Aufl. 2004

Arthur J. Pomeroy, ‘Then It Was Destroyed by the Volcano‘. The Ancient World in Film and on Television. London 2008

Lloyd Llewellyn-Jones, Hollywood’s Ancient World, in: A. Erskine (ed.), A Companion to Ancient History. Oxford 2008, 564-579

Karl Galinsky, Film, in: Kallendorf (ed.), Companion Class. Tradition (s. allgem. Lit.), 393-407 (sein Univ.-kurs zum Thema: https://www.utexas.edu/courses/ancientfilmCC304)

Maria Wyke, Projecting the Past. Ancient Rome, Cinema and History. London 1997

Marcus Junkelmann, Hollywoods Traum von Rom. Gladiator und die Tradition des Monumentalfilms. Mainz 2004

Monica Silveira Cyrino, Big Screen Rome. Oxford, 2005

Martin Lindner, Rom und seine Kaiser im Historienfilm. Frankfurt/M. 2007

Martin M. Winkler, The Roman salute. Cinema, history, ideology. Columbus 2009

Mischa Meier, Simona Slanicka (Hgg.), Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion, Köln u.a. 2007

Margaret Malamud, Swords-and-Scandals: Hollywood’s Rome during the Great Depression, in: Arethusa 41, 2008, 157-183

 

Zu Wallace und seinem Roman:

R.E. u. K. M. Morsberger, Lewis Wallace: Militant Romantic, NY 1980

A. S. Phy, Lewis Wallace and »Ben Hur« (in The Romanist, 6-8, 1982-1984, S. 2-10)

L. S. Theisen, »My God, Did I Set All of This in Motion?« General Lewis Wallace and »Ben Hur« (in Journal of Popular Culture, 18, 1984, S. 33-41.

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