Freunden der Antike sind sie seit langem vertraute Begleiter: die zweisprachigen Ausgaben der Sammlung Tusculum mit ihren farbigen Leinendeckeln und dem ebenen Rücken. Sie haben sich mit den kleinen Eigenheiten der Reihe abgefunden, etwa der Art der Bindung, die es bei manchen Bänden kaum erlaubt, sie aufgeschlagen auf dem Tisch liegen zu haben. Ernst Heimeran hatte 1923 auf Anregung seines Lateinlehrers den ersten Band für Leser herausgebracht, die trotz verblaßter Schulkenntnisse altsprachliche Originale genießen wollten (und das bei einem Unterricht, der so viel ausführlicher und gründlicher war als heute!).
Unter dem Dach von Artemis und Winkler hatte die Reihe ihre beste Zeit: die 32-bändige Ausgabe der Naturalis Historia des älteren Plinius stellt heute die maßgebliche wissenschaftliche Referenzausgabe dar; ebenfalls konkurrenzlos sind die drei Bände mit Ciceros Briefen, besorgt von H. Kasten. Im Gemischtladen-Programm des Düsseldorfer Patmos-Verlags war die Reihe nicht so gut aufgehoben. Den Vertrieb unterstützte über viele Jahre die Wissenschaftliche Buchgesellschaft mit ihren Lizenzausgaben. Doch die WBG ist dabei, sich ein eigenes Programm dieses Zuschnitts aufzubauen, die Edition Antike, und so ist die Reihe kürzlich beim Akademie-Verlag untergekommen. Dieses Haus gehört zur Oldenbourg-Verlagsgruppe und hat seit jeher einen starken Antikeschwerpunkt, u.a. ablesbar in der großen Reihe der wissenschaftlich kommentierten Schriften des Aristoteles. Die Sammlung Tusculum ins Programm zu nehmen deutet auf das Ziel, ein breiteres Publikum anzusprechen.
Während die vorhandenen Bücher selbstverständlich erst abverkauft werden müssen, sollen Schritt für Schritt neue Bände unter dem neuen Signet erscheinen.
Den Neustart hätte man sich freilich etwas markanter vorstellen können. Für September angekündigt sind lediglich zwei Bände in der Sammlung Tusculum, wobei Niklas Holzbergs Ausgabe von Ovids Liebeskunst eine Überarbeitung darstellt. Die Ars Amatoria hatte zum Urgestein der Reihe gehört; noch im Gründungsjahr 1923 erschien die von Franz Burger bearbeitete Übersetzung von W. Hertzbergs als vierter Band der Tusculum-Bibliothek. Sie erlebte bis 1980 vierzehn Auflagen und wurde 1985 von einer gänzlich neuen Übersetzung aus der Feder von Niklas Holzberg ersetzt. In der dritten Auflage kamen 1992 die Heilmittel gegen die Liebe dazu (überarbeitet 1999), die jetzt, wie es scheint, wieder herausgenommen wurden. Von diesem schmalen Werk ist für November eine separate lat./dt. Ausgabe ebenfalls aus Holzbergs Hand angekündigt – bei Reclam! Auf die Begründung bin ich gespannt.
Die zweite Neuerscheinung: Ciceros Dialog Cato maior de senectute erschien in der Übersetzung des Gymnasiallehrers Max Faltner erstmals 1963 (verbessert 1980); in der Neuausgabe von 1988 kam der kurze Dialog Laelius de amicitia hinzu, nunmehr eingeleitet von Gerhard Fink. Die erneute Ausgabe hat Rainer Nickel bearbeitet und mit einem neuen Vorwort versehen.
Ausschließlich Neuauflagen gibt es in der Reihe der kartonierten Tusculum-Studienausgaben (je € 14,80). Erneut wird hier die siebenbändige Gesamtübersetzung von Manfred Fuhrmann verwertet, mit zweisprachigen Ausgaben der Catilinarischen Reden und der Verrinen (letzte nur in Auswahl: actio prima und actio secunda IV); außerdem erscheinen eine Auswahl aus Plinius‘ Briefen, Tacitus‘ Germania und die Fabeln des Phaedrus. Ob Auswahlausgaben tatsächlich „für Universität und Schule“ so nützlich sind, wird man abwarten müssen. Gleichwohl ist der Reihe auch unter dem neuen Dach viel Erfolg zu wünschen – und vielleicht ein wenig mehr Mut zu Sichtbarkeit.
Barbarengesänge
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Ovids...
Barbarengesänge
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Ovids „Heilmittel gegen die Liebe“ war ja nie ganz inaktuell, das verrät einem schon der Titel. Doch wie inspirierend geradezu, das erschließt sich auf Anhieb nicht einmal dem aufmerksamen Genießer solcher Werke. Nicht nur, dass gerade die Moderne uns diesbezüglich den Blick verstellt, die Romantik mal kurz ausgeblendet, war doch auch diese eher geblendet als erleuchtet, nein: der Wechsel in den Perspektiven, soweit er gelingt ruft sofort neue Täuschungen hervor. Wir lesen solche Werke als wissenschaftliche Werke, obwohl sie seinerzeit der Erbauung dienten. Dabei verlernen wir uns aktuell zu erbauen. Wie können wir dann noch sicher sein, dass wir dieses Werk auch in wissenschaftlicher Hinsicht verstehen? Eine wirklich moderne Antizipation muss da völlig neue Wege gehen. Was sollen wir mit Weisheiten, die wir nicht verstehen, die uns nicht erbauen? Wer weiß, vielleicht ist das der Grund für die vorläufige Herausnahme und die angekündigte Erscheinung bei Reclam.
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Ich selbst schaffe mir daher so manche Bücher in verschiedenen Ausgaben, von verschiedenen Verlagen, an. So ist z.B. „Amor und Psyche“ von Manesse für meine „ganz großen Gefühle“ reserviert. Also jenen, die bei Feiertagsstimmung auftauchen (sollten) und dabei sicherlich auch eine Art ästhetische Voraussetzung sind, für den einen oder anderen „wichtigen“ philosophischen/wissenschaftlichen Gedanken. Die Taschenbuchausgabe vom Walterverlag ist immer bei mir, auf dem Weg zur Arbeit, von dort kommend. Aus dieser lasse ich mich inspirieren, wenn ich in ganz konkrete geistige oder auch ganz materiale Händel verwickelt bin.
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Diese Unterscheidung hat sich bewährt, denn ich neige dann weniger dazu meine ganz persönliche Perspektive all zu wichtig zu nehmen. Sie sozusagen wie eine Wissenschaft vor mir her zu tragen. Dazu neigen wir doch alle, nicht wahr? Mich selber also nicht so wichtig zu nehmen. Das verhilft mir dann zu leichteren Werken (https://blog.herold-binsack.eu/?page_id=17).
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Und das hilft mir überhaupt. Nicht nur in Liebesdingen!
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So habe ich mir mithilfe dieses dualistischen Vorgehens eine Dialektik erschlossen, die ich wohl mit Zizek teile. Bei Zizek heißt das parallaktische Verschiebung (https://blog.herold-binsack.eu/?p=1737). Mir ist dieser Begriff noch zu Konkretistisch. Dennoch halte ich seine Beschreibung für phänomenal. Und es war die Buchbesprechung, bzw. das Interview in der „Zeit“ mit Charlotte Roche, anlässlich der Veröffentlichung ihrer „Schoßgebete“, die mich dazu inspirierte, das noch ein wenig zuzuspitzen (https://blog.herold-binsack.eu/?p=1756).
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Ovid wäre vielleicht irritiert. Denn will doch sein Werk als unmittelbarer Beleg verstanden sein, dass die römische Antike zumindest in Liebesdingen von der Barbarei in die Zivilisation (https://blog.herold-binsack.eu/?p=1356) hinüberwuchs. Wo ihr dieser Übergang ansonsten nicht so glatt durch die Finger gehen wollte. Wir hingegen scheinen nun den diesbezüglichen Rückzug begleiten zu müssen. Mit fast denselben Weisheiten. Die Epoche, in die wir da solchermaßen sanft hinein gleiten (die Anzüglichkeit ist bewusst gesetzt), nennt man vielleicht irgendwann „Barbarei auf höchstem Niveau“.
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Und vielleicht wird dann der eine oder andere Schlaumeier – der Zizek in der Zukunft – das dann dahingehend kommentieren – nachträglich, natürlich -, als dass er feststellt, dass somit auch schon Ovids Gesänge Barbarengesänge waren. Insgesamt war die Menschheit wohl noch nicht der Barbarei entwachsen.