Antike und Abendland

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Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Demokratisches Amphitheater?

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Referenten und Redenschreiber sind auch nicht mehr, was sie früher waren. Wie hätte sonst im gedruckten Grußwort des Berliner Regierenden Bürgermeisters...

Referenten und Redenschreiber sind auch nicht mehr, was sie früher waren. Wie hätte sonst im gedruckten Grußwort des Berliner Regierenden Bürgermeisters Wowereit, das die Premierengäste von Mozarts Zauberflöte in der Inszenierung von Katharina Thalbach beim Strandbad Wannsee kürzlich empfing, von den „demokratischen Theatertraditionen der antiken Amphitheater“ die Rede sein können (FAZ v. 13.8.2011, 33)? Daß der wie immer frohgemut, zur Zeit wahlkämpfende Regierende das selbst geschrieben haben könnte, wollen wir nach einer Schrecksekunde ausschließen.

Wie dem auch sei, ich finde es nicht oberlehrerhaft, auf den Unterschied hinzuweisen. Das Theater zunächst in Athen, dann in der ganzen griechischen Welt hatte als Zuschauerraum einen Kreisausschnitt, und blutige Ereignisse wurden dort berichtet, nicht gezeigt (außer vielleicht viel später, bei Seneca, aber das ist umstritten). Das Geschehen spielte sich auf einer erhöhten Bühne vor einer Gebäudekulisse ab; in dem kleinen ebenerdigen Halbrund vor der untersten Zuschauerreihe (Orchestra) sang und tanzte der Chor. Generell wurde viel geredet und wenig gehandelt. Jeder athenische Bürger durfte sich die drei an einem Tag aufgeführten, anspielungsreichen und in kunstvoller gebundener Sprache verfaßten Tragödien und das anschließende Satyrspiel ansehen, was ein gewisses Maß an Bildung und innerer Gespanntheit voraussetzte. In der Sprache von Herrn Wowereit oder seinen Adlati heißt das heute, für „breite Bevölkerungsschichten“ werde „Hochkultur niedrigschwellig“ angeboten.

Das Wort Amphitheater kommt in der Zeit des Augustus auf. Es bezeichnet einen geschlossenen elliptischen Bau, der von jedem Sitz aus einen ungehinderten Blick auf die Arena bot. Das erste aus Stein und auf Dauer errichtete Amphitheater stand wahrscheinlich in Pompeji, etwa 140 Jahre vor dem Flavischen Amphitheater, besser bekannt als Colosseum. Die Forschung ist sich darüber einig, daß sowohl die Spiele als auch der Bautyp eine italische Erfindung sind, obwohl einige Elemente wie die Form des Zuschauerraumes, der cavea, wohl  vom Theaterbau übernommen wurden; die ovale Arena und das sie umgebende Podium sind aber rein italischer Herkunft. In der Arena wurde nicht geredet, sondern gehandelt: Tiere wurden gejagt, Verbrecher hingerichtet, professionelle Kämpfer, die Gladiatoren (von gladius, Schwert) hießen, kämpften kunstvoll und stets mit dem Risiko, vom Ort des Geschehens in horizontaler Körperlage an einem Haken hängend weggeschafft zu werden. Mit Demokratie hatte das eher weniger zu tun, auch wenn der Eintrittspreis so niedrig war, daß sich wohl sehr viele Bürger Roms einen Besuch leisten konnten, und die Zuschauer durchaus lebhaft Anteil am Geschehen nahmen (habet, hoc habet – „Den hat’s erwischt!“).

In der hohen Kaiserzeit wurden vielerorts Theater in Amphitheater umgebaut: dabei wurden die Bühne und die ersten Sitzreihen entfernt und eine Podium-Mauer eingezogen; die Orchestra wurde so zu einer ovalen Arena. Solche théatres à arènes sind nicht allein aus dem Osten des Reiches, etwa aus Korinth, sondern auch aus nördlichen und westlichen Provinzen bekannt. – Die Verbreitung der Gladiatur im griechischen Osten behandelt eingehend eine in Kürze erscheinende Studie: Christian Mann, „Um keinen Kranz, um das Leben kämpfen wir!“ Gladiatoren im Osten des Römischen Reiches und die Frage der Romanisierung. Berlin 2011.

Bild zu: Demokratisches Amphitheater?

Das Dionysostheater in Athen (aus: H. Luckenbach [Hg.], Kunst und Geschichte. Große Ausgabe, 1. Teil: Altertum. München/Berlin 9. Aufl. 1913, S. 42 Abb. 88)


1 Lesermeinung

  1. Devin08 sagt:

    Noch weniger Demokratie (2....
    Noch weniger Demokratie (2. Versuch!)
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    „Mit Demokratie hatte das eher weniger zu tun, auch wenn der Eintrittspreis so niedrig war, daß sich wohl sehr viele Bürger Roms einen Besuch leisten konnten, und die Zuschauer durchaus lebhaft Anteil am Geschehen nahmen (habet, hoc habet – „Den hat’s erwischt!“)“
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    Das ist jetzt wirklich die spannende Frage: Worin liegt das Wesen der Demokratie? Hat diese gar eine besondere Moral, eine demokratische Ethik? Oder ist es das politische Geschäft, welches letztlich ja auch das wirtschaftliche ermöglichen soll, was ihr am Herzen liegt? Und gehört nicht die Veranstaltung unter dem Banner „Brot und Spiele“ unbedingt dazu. Ist das nicht recht eigentlich der Vorläufer des heutigen Marketings?
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    Das mag Ihnen jetzt alles zu zynisch klingen. Aber ich bin überzeugt, dass ein Herr Wowereit, gerade vor dem Hintergrund jenes Berliner Zirkus, er ist einer der dortigen Hauptakteure, will sagen: er ist bekannt dafür, dass er kein diesbezügliches Event auslässt, das alles so sehr verinnerlicht hat, dass ihm wirklich nicht Zynismus im Sinn ist. Und mir auch nicht. Ich bin eigentlich eher amüsiert. Ob jenes Wowereits naiver Weltsicht, die dennoch so zutreffend scheint, und damit auch ein wenig, ob Ihrer Entrüstung, die so heroisch wie auch – naja – komisch daherkommt.
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    Aber natürlich haben Sie ein wenig Recht. Zumindest sollte man ihn davon in Kenntnis setzen, resp. seinen Schreiber, dass Antike nicht gleich Antike ist, Athen nicht gleich Rom, die Barbarei nicht gleich Zivilisation. Und so weiter und so fort. Vielleicht kommt er dann auch auf die Idee, sich bessere Redenschreiber zu suchen. Doch was hätten wir davon? Nur noch mehr äußeren Schein, mehr demokratische Pseudokultur, mehr inhaltslose Lobhudeleien. Noch mehr dumme Politiker, die sich nämlich dann voll und ganz auf ihre Redenschreiber verlassen. Kurzum: noch weniger Demokratie.

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