Antike und Abendland

Antike und Abendland

Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Wen stört christliche Chronosemantik? Notizen aus der globalen Provinz der BBC

| 13 Lesermeinungen

In letzter Zeit wurde Mary Beards TLS-Blog hier ein wenig vernachlässigt. Einer ihrer jüngsten Einträge bietet - neben dem neuen Webdesign - Grund, das zu...

In letzter Zeit wurde Mary Beards TLS-Blog hier ein wenig vernachlässigt. Einer ihrer jüngsten Einträge bietet – neben dem neuen Webdesign – Grund, das zu ändern. MB berichtet vor Vorwürfen an die ehrwürdige BBC, eine kleine chronosemantische Kulturrevolution vollzogen zu haben: Statt der alten Bezeichnung BC (Before Christ) und AD (Anno Domini = the year of Our Lord) werde nunmehr BCE (Before Common Era) bzw. CE (Common Era) verwendet.

Ältere Leser deutscher Zunge werden sich erinnern: Bücher über frühe Epochen aus der DDR waren auf den ersten Blick an einem „v. u. Z.“ zu erkennen. Im Lexikon der Antike (letzte Auflage Leipzig 1990) ist unter dem Stichwort „Zeitrechnung“ zu lesen: Während die Mohammedaner vom Jahre 622 u. Z. (Jahr der Hedschra) an datieren, ist für uns die Z. der röm. Christen von Bedeutung geworden, die auf Anregung des Abtes Dionysius Exiguus »Christi Geburt« zum Ausgangspunkt der Jahreszählung nahmen. Diese Form bürgerte sich langsam ein, bis sie sich seit etwa 800 (die Inschrift auf dem Grabmal Karls d. Gr. besagt, er sei im Jahre 814 nach Christus gestorben) durchsetzen konnte, endgültig aber erst seit dem 10. Jh. – Der Gebrauch der christl. Z. für die Zeit vor Christi Geburt stammt von dem französ. Chronologen, Philologen und kathol. Theologen D. Petavius (1583-1652). Mit der Anerkennung dieser Zählung seit dem 18. Jh. war eine einheitl. Z. für die gesamte Weltgeschichte gewonnen. Heute wird die christl. Jahreszählung von den meisten Völkern und Staaten unabhängig von ihrem religiösen Glauben angewandt. Deshalb setzt sich die Bezeichnung »unsere Zeitrechnung« (u. Z.) immer mehr durch.“

Da der Staatssozialismus Länder beherrschte, die zuvor jahrhundertelang die christliche Ära benutzt hatten, kam es nicht in Frage, hier einen ganz neuen Anfang zu setzen. Das Desaster mit der französischen Revolutionsära konnte nur abschrecken. Eher fand das Gegenteil statt, insofern Sowjetrußland 1918 nachholend des Gregorianischen Kalender einführte. In der vernetzten Moderne werden besondere Kalender und Jahreszählungen – etwa in Israel und der islamischen Welt – nur noch neben der globalen Norm verwendet, in den Räumen, in die sie gehören.

Hierzulande ist v. u. Z. Schnee von gestern, nicht hingegen die Unsicherheit mit der Nomenklatur, die sich durchgesetzt hat. Gelegentlich gibt es Leserbriefe, die sich erregen, wenn irgendwo als Auflösung „vor Christi“ zu lesen ist, obwohl es doch eine Überlegung wert wäre, ob damit nicht elliptisch „vor Christi <Geburt>“ gemeint ist, was zudem den Vorteil hätte, exakter zu sein als das sachlich diffuse „vor Christus“. Nicht hinreichend klar scheint auch gelegentlich zu sein, daß es chronologisch kein Jahr Null geben kann. Auf jeder Zeitachse ist die Null ein Punkt ohne Ausdehnung, und auf das Jahr Eins v.Chr. folgt unmittelbar Eins n.Chr.

Zurück zur BBC und in den englischen Sprachraum. Wie meistens ist die Sache etwas komplizierter, als Zeitungsschlagzeilen sie sich machen. Offenbar gab es beim Sender keine generelle Anweisung; lediglich einige Abteilungen im Haus verwenden BCE/CE „to be more appropriate for a multi-cultural/multi-faith audience“.

In der akademischen Welt galt lange: Das linke Cambridge meidet die religiös infizierte Terminologie, das traditionelle Oxford verwendet sie umso überzeugter. MB überträgt diese Opposition ins Statistische: Gut 50 % aller wissenschaftlichen Aufsätze verwende mittlerweile die neutrale Terminologie, in den USA noch mehr – „And it hasn’t brought the Christian church down, and certainly not in America.“ Erstaunlich findet sie vielmehr, warum solche Abkürzungen noch eine derartige Erregung verursachen, wo man doch gut argumentieren könnte, daß ihre Aufladung nur zum Ausdruck kommt, wenn man sie ausschreibt. Zudem gilt in diesem Fall das gleiche wie bei v. u. Z.: Der längst getroffenen und eingewurzelten Grundentscheidung kann auch (B)CE nicht entkommen, ‘logisch‘ ist es nun einmal eine christliche Zeitrechnung. Nur Geologen praktizieren es anders, indem sie von „before present“ sprechen – in den Zeithorizonten, mit denen es diese Disziplin zu tun hat, erscheinen 2000 Jahre in der Tat wie ein Wimpernschlag, sind Christi Geburt und 2011 identisch.

MB bringt als letzten Gedanken das Problem eines englischen native speaker ein: Was auch immer gegen BC und AD spreche, im mündlichen Vortrag haben sie den Vorteil, unverwechselbar zu sein. BCE/CE müssen man hingegen immer besonders betonen, um Hörfehler zu vermeiden. „And even then, many a hapless undergraduate fails to register, and gets Nero before Julius Caesar.“

Wie immer erhellend bei MB sind einige Kommentare. Ein Leser schlägt vor, dort, wo die Unterscheidung überhaupt erforderlich ist – das sind faktisch je nur wenige Kontexte im Bereich Schule, Universität und Bildung im weiteren Sinn – die Jahreszahlen mit plus oder minus zu versehen: Sokrates starb -399, Augustus +14. „Jackie“ führt einen gesunden Pragmatismus ins Feld, mit einem angedeuteten Seitenhieb gegen übersteigerte ‘westliche‘ Selbstkritik: „This subject really exasperates me. There are several methods of dating, the Jewish calendar springs to mind but there are several others, but at some time someone decided on counting from the birth of a historical character called Jesus. He existed, whether or not you believe he is the son of a God who may or may not exist. It’s the old Roman attitude ‘if it ain’t broke don’t fix it‘! All this messing around does nothing but confuse things. I haven’t heard many calls from other religions for a change – perhaps they are more tolerant than people give them credit for. Please leave BC/AD alone!“ Ein anderer Leser sekundiert: „I should like to know who are the people that are offended by AD and BC. I have lots of Jewish friends and some Muslim friends and they have never mentioned it to me. On other matters, both groups say that they are fed up with groups who pretend to speak for them and claim they do not like the word „Christmas“ or other such.“ Ein anderer weist auf die Beliebigkeit hin, einen Sprachgebrauch an einer Stelle zu ändern, Anderes aber beizubehalten: „Shouldn´t we also consider getting rid of the references to Nordic Gods on the days of the week and Roman on the months?“

Zum Ende ein Vorschlag zur Güte, erwachsen aus Unkenntnis: Ich habe bisher immer geglaubt (Schande über mich?!), BCE sei „Before Christian Era“ aufzulösen. Darin läge eine gewisse Neutralisierung, im Sinne von: Ich erkenne an, daß die weltweit gängige Zeitrechung kontingent und durch Tradition gefestigt christlichen Ursprungs ist, aber ich muß deshalb nicht an Christus (BC), den Herren (AD) glauben und ich verrate auch nicht meine eigene religiöse Stellung als Agnostiker, Muslim, Buddhist, Hindu oder Jude. Und mit dieser Lesart wäre wenigstens klar, warum zu einem bestimmten Zeitpunkt BCE zu CE umspringt.

 


13 Lesermeinungen

  1. franket sagt:

    Geniale Lösung, das C...
    Geniale Lösung, das C wahlweise als „common“ oder „christian“ zu deuten, dann kann es jeder halten wie er will. Es entspricht auch ganz meiner Meinung, dass man die politische Korrektheit nicht dadurch bekämpfen sollte, dass man zum Sprachrüpel wird und sich im Ton vergreift, sondern dadurch, dass man die politische Korrektheit konsequent zu Ende denkt und von innen heraus aushöhlt. Ich sollte mir BCE und CE angewöhnen, glaube ich …

  2. Kolma_Puschi sagt:

    @franket

    Sie begründen Ihren...
    @franket
    Sie begründen Ihren (halbherzigen) Vorsatz mit einer Kritik an der „politischen Korrektheit“.
    Ich sehe das genau andersherum. Gerade weil ich Sprach- und Denkvorschriften kritisch gegenüberstehe, werde ich „den Teufel tun“ und mich an kommunistisch inspirierte Umbenennungen halten!
    .
    Die Sprache prägt das Bewußtsein. Und da es kein Zufall ist, daß Menschenrechte, Gleichberechtigung der Frau, Demokratie, Aufklärung, Abschaffung der Sklaverei und – nicht zuletzt – allgemeiner Wohlstand und eine gewisse Bildung sich in den christlich geprägten Ländern (und nirgends sonst) durchgesetzt haben, halte ich es nicht nur für undankbar, sondern auch für leichtsinnig, unsere Wurzeln zu vergessen.
    Für einen „Fan“ der Antike sollte das ohnehin nicht in Frage kommen.

  3. Jeeves3 sagt:

    Stefan Niggemeier hat das...
    Stefan Niggemeier hat das Gerücht, dass BBC „jetzt“ von BC abgerückt ist, doch längst (vor über zwei Wochen) widerlegt.
    Die BBC-Regelung, die diverse (!) Möglichkeiten der Bezeichnung erlaubt, ist zudem schon einige Jahre alt.
    Ich würde mal beim Niggemeier oder Bildblog reinschauen.
    https://www.stefan-niggemeier.de/blog/search/BBC/
    oder
    https://www.bildblog.de/33770/urbane-legenden-von-der-political-correctness/

  4. franket sagt:

    @Kolma_Puschi:

    Hm, warum...
    @Kolma_Puschi:
    Hm, warum sollte sich ein Antike-Fan für die christliche Zeitrechnung begeistern können? Das verstehe ich nicht. Wie wäre es alternativ mit Olympiaden oder ab urbe condita?

  5. Kolma_Puschi sagt:

    @franket

    Hm, warum sollte ein...
    @franket
    Hm, warum sollte ein Antike-Fan nicht auch überzeugter und begeisterter Christ sein können (ich z.B. „kann“)? Warum sollte man so tun, als hätte der „Ur-Knall des Christentums“ NICHT in der Antike stattgefunden, als hätte es sich NICHT in einer von griechischer Philosophie und römischer Jurisdiktion geprägten Welt entwickelt …?
    Tatsache ist, daß bei aller Freude an „Brot und Spielen“ doch die Bedeutung der Menschwerdung Gottes ein ganz anderes „Kaliber“ hat als diese oder auch als die Gründung eines noch so interessanten und zeitweise mächtigen „Welt“-Reiches.
    Übrigens auch für Nicht-Christen. (Durch die o.e. positiven Folgen des paulinischen „Hier ist nicht mehr Jude und Heide, nicht Freier und Sklave, nicht Mann und Frau, sondern ihr seid alle eins in Christus.“ Und der Revolutionierung der Nächstenliebe durch das „Liebt eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen!“ und durch das „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“)
    Es gab mal Zeiten, da wäre sowas zu banal gewesen, um erwähnt zu werden. Die Spät-Antike gehört da sicher dazu.

  6. franket sagt:

    @Kolma_Puschi:
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    Ich bringe...

    @Kolma_Puschi:
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    Ich bringe viel Verständnis auf für die Jubelarien eines Christen auf das Christentum, aber in dem Moment, wo Sie anfangen über das Christentum zu reden wie ein nur mäßig gebildeter Muslim über den Islam, steige ich aus.
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    Muslime wollen mir auch immer einreden, dass ihre Religion die „Toleranz“ für Christen und Juden in die Welt gebracht hätte, und natürlich auch für die Frauen endlich „Gleichwertigkeit“ und „Schutz“ vor der bösen Männerwelt, und was dergleichen Errungenschaften des Islam mehr sind.
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    Ich pfeife auf die Beglückung durch Menschen, die so sehr in ihre Weltanschauung verliebt sind, dass sie die eigene Zwangsjacke nicht mehr sehen können, und dann auch noch glauben, Nichtgläubige müssten sich ebenfalls darüber freuen.
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    Meine Versuche, Liebe für die Menschen zu empfinden, sind jedenfalls in 99,9 Prozent aller Fälle gescheitert. Ich lebe besser, seit ich auf Distanz und Neutralität achte. Liebe ist was Exklusives.
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    Jesus hatte keine Ahnung von Liebe. KEINE Ahnung hatte der! 🙂
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    Guten Tag!

  7. Kolma_Puschi sagt:

    @franket

    Na, sowas -...
    @franket
    Na, sowas – „einreden“ will ich doch gar niemandem was. Wo ist denn Ihrer Ansicht nach der Punkt oder Moment erreicht, wo ich anfange, „über das Christentum zu reden wie ein nur mäßig gebildeter Muslim über den Islam“?
    Wenn Sie das nicht überzeugend finden, was Muslime Ihnen einreden wollen, dann verstehe ich Sie gut. Schließlich kann man sich ja selbst davon überzeugen, daß die Realität mit den Behauptungen nicht übereinstimmt (übrigens ist die oft behauptete völlige Rechtlosigkeit der Frau in vorislamischer Zeit eher eine Legende. Es gibt mehrere Beispiele, wo Mohammed bzw. seine Anhänger von Frauen offen kritisiert und verspottet wurde(n). – Was sie übrigens mit ihrer Ermordung zu büßen hatten. Bei Interesse: googeln Sie mal „Asma bint Marwan“ – In einer Zeit der völligen Rechtlosigkeit wäre ein so selbstbewußtes öffentliches Auftreten und überhaupt der Beruf „Dichterin“ kaum denkbar.)
    Das, was ich über das Christentum und seine positiven Folgen gesagt habe, sind dagegen doch geschichtliche Tatsachen. Oder bezweifeln Sie, daß sich die o.e. positiven Entwicklungen in christlich geprägten Ländern vollzogen haben?
    Halten Sie es für Propaganda, daß das Christentum in der Antike entstanden ist?
    Inwiefern ist es eine „Jubelarie“, die Staatsgründung eines Reiches, das längst versunken ist, für weniger (mindestens) historisch bedeutsam zu halten als die Entstehung eines Glaubens, für den auch heute immer noch (nicht nur täglich, sondern stündlich) Menschen als Märtyrer sterben (nein, ich meine nicht: Menschen mit sich in den Tod reißen, sondern wegen seines Glaubens umgebracht zu werden)? Und der, wie oben erwähnt, Gleichberechtigung der Frau, Meinungsfreiheit, Demokratie und Aufklärung möglich machte?
    Ist es in sich stimmig, als jemand, dessen Versuche zu lieben in „99,9% der Fälle gescheitert“ sind, von Jesus zu sagen, er hätte „KEINE Ahnung“ von Liebe – wo dieser immerhin aus Liebe für uns gestorben ist ? (Daß er auch aus Liebe zu uns überhaupt erst Mensch geworden ist, lasse ich als Glaubenstatsache hier mal außen vor.)
    Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber vielleicht ist es ein Fehler, immer schon dann „auszusteigen“, wenn sich Verständnisschwierigkeiten auftun – sowohl in Beziehungen (Liebe) als auch bei der kritischen Beschäftigung mit Weltanschauungen. Letztere mögen sich in bestimmten Phasen ähneln, weil Menschen nunmal Menschen sind, aber deshalb das unterschiedliche Fundament und das andersartige „outcome“ („an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ – raten Sie mal, wer das gesagt hat) zu übersehen, spricht schon für eine gewisse Bequemlichkeit im Denken.

  8. franket sagt:

    Jesus ist nicht aus Liebe zu...
    Jesus ist nicht aus Liebe zu uns gestorben, sonst wäre er nämlich ganz heimlich still und leise gestorben, und hätte nicht so ein Bohei darum herum gemacht. Der hat sich nur eingebildet, dass er lieben würde. Diese Form der „Liebe“ beobachten wir bei jedem neu auftauchenden Sekten-Guru. Außerdem will ich nicht, dass jemand „aus Liebe“ für mich stirbt – was ein Quatsch! Am Ende erwartet so jemand noch Dankbarkeit von mir oder wer weiß was sonst noch! Das ist ja eine ganz subtile Erpressung, das Ding mit der Liebe, … eine Frau hätte es nicht perfider hinbekommen 🙂
    .
    Dass Sie die Gleichberechtigung der Frau auf das Christentum zurückführen, ist lächerlich. Das Neue Testament sagt klar: Der Mann ist das Haupt der Frau, die Frau schweige und bedecke sich. Gleichberechtigung gab es erst in dem Moment, wo das Christentum für die Aufklärung Platz machte.
    .
    Ihre Ausführungen zu Mohammed bewegen sich im Rahmen der traditionalistischen Auslegung der überlieferten Schriften. Dieses ist unzulänglich. Es glaubt ja auch kein vernünftiger Mensch, dass die Evangelien Berichte sind. Ich empfehle zur Verbesserung der Einsicht „Mohammed, eine Biographie“ von Hans Jansen.

  9. DerMersch sagt:

    Kennerhaft streut der Blogger...
    Kennerhaft streut der Blogger in seinen Text ein: „Nicht hinreichend klar scheint auch gelegentlich zu sein, daß es chronologisch kein Jahr Null geben kann. Auf jeder Zeitachse ist die Null ein Punkt ohne Ausdehnung, und auf das Jahr Eins v.Chr. folgt unmittelbar Eins n.Chr.“ Seine Apodiktik – die wahrscheinlich der Bildungserinnerung aus dem Geometrieunterricht geschuldet ist („ein Punkt ist ein definierter Ort ohne Ausdehnung“) – geht durchaus in die Irre. Selbstverständlich k a n n es nicht nur ein Jahr Null auf einer definierten Zeitachse geben, sondern es gibt es auch, nur eben nicht in dem System, dem die Zeitrechnung nach Dionysius Exiguus in der Interpretation von Beda Venerabilis zugrunde liegt. Ob das nun daran gelegen haben mag, dass die Null als mathematische Einheit dem Westen damals unbekannt war, sei einmal dahingestellt, heute ist das jedenfalls längst nicht mehr der Fall und so kennt die gegenwärtig gängige – wenn auch nicht unumstrittene – astronomische Jahreszählung (ISO-Norm 8601) das Jahr Null. In der Zählung unserer Lebensjahre gehen wir übrigens stillschweigend ebenfalls von einem Jahr Null aus, nämlich dem unserer Geburt. Das Jahr 1 ist das erste vollendete Jahr unseres Lebens. Wenn wir geboren werden, sind wir – anders als (der rechnerische) Jesus – noch nicht ein Jahr alt.
    Da Blogs und ihre Kommentarfunktion immer wieder zu Selbstentblößungsritualen anregen, möchte ich nicht hintanstehen und bekenne, ein lauer Geselle zwischen Agnostizismus und Atheismus zu sein. Recht eigentlich aber bin ich Konfuzianer, denn Konfuzius – befragt nach seiner Einstellung zu den Göttern – erteilte die weltweise Auskunft, er beschäftige sich nicht mit dem Himmel solange er noch ein Laie in den Fragen der diesseitigen menschlichen Verhältnisse sei.
    Ich lege dieses Bekenntnis nur ab, damit man meine Verwendung der Kürzel v.Chr./n.Chr. nicht als theologische Äußerung missversteht. Bis zur Lektüre des Blogs ging mir jegliches Problembewusstsein in dieser Frage ab, aber @Kolma-Puschi belehrte mich darüber, dass man v.Chr./n.Chr. als fundamentales Bekenntnis zum Christentum deuten kann, weshalb der Praxis der BBC also durchaus Berechtigung zukommt.
    Um den Kreis alternativer Zählweisen noch ein wenig zu erweitern, sei auf Japan hingewiesen. Dort wird auch heute noch neben der modernen Zeitrechnung eine alltagstaugliche Jahreszählung nach dem Regierungsjahr des Kaisers gepflegt. Das Jahr der Inthronisierung ist dabei das erste Jahr der Regierungsperiode, die nach der vom Kaiser gewählten Devise benannt wird. Die Umrechnung setzt eine Grundkenntnis der Gegenwartsgeschichte voraus, wurde aber in den letzten hundert Jahren dadurch erleichtert, dass es seit 1912 insgesamt nur drei Kaiser gab, von denen sich zwei sehr langer Regierungszeiten erfreuten bzw. noch immer erfreuen.
    Ich fand die Formulierung v.u.Z. aus einer Reihe von Gründen stets höchst lächerlich, wie übrigens auch das gesamte Staatswesen, in dem sie im offiziellen Gebrauch stand.
    Anders als @Kolma-Puschi halte ich die Formulierung v.Chr. beziehungsweise n.Chr. nicht für die Äußerung eines religiösen Statements, v.u.Z. hingegen schon, weshalb sie mir wahrscheinlich zusätzlich Unbehagen bereitet. Aber das ist natürlich Geschmackssache, die nicht dazu geeignet ist, zur Norm erhoben zu werden. Hier kann uns – wie so oft im Leben – die Witwe Bolte eine gute Ratgeberin sein, denn die machte es bekanntlich wie sie´s wollte! Die BBC ist also vernünftigerweise auf die Boltelinie eingeschwenkt. Die Praxis der Witwe ist auch eine gute Remedur gegen eine zu konsequente Abarbeitung von Katalogen religiöser Pflichten, mag da nun „Liebe“ mit aufgelistet sein oder nicht.

  10. Kolma_Puschi sagt:

    @Franket

    Ihre beschimpfende...
    @Franket
    Ihre beschimpfende Art der Diskussion („lächerlich“ ) verdirbt ein wenig den Spaß an der Sache – aber vielleicht wollen Sie genau das ja erreichen, um keine „Widerworte“ mehr zu bekommen. Fallen Ihnen denn keine Gegenargumente ein? Ich meine: wirkliche.
    Die Paulus-Zitate sind aus mehreren Gründen keine wirklichen Gegenargumente.
    1. Wir sind „Christen“ – und keine „Paulaner“, Jesus Christus ist für uns maßgeblich, Paulus nachrangig. Er ist nur einer der Apostel, und dazu auch noch derjenige, der Jesus (und seine gleichberechtigende Art des Umgangs mit Frauen) nicht persönlich kennengelernt hat.
    2. Die Paulus-Worte zum „Weib, das in der Kirche zu schweigen hat“, sind selbst für ihn singulär. Da er selbst in seinen Briefen Frauen als Gemeindeleiterinnen begrüßt oder grüßen läßt, wäre das ein Widerspruch in sich. Die historisch-kritische Exegese meint das erklären zu können, indem sie auf die Adressaten hinweist: die Korinther waren Hafenstadtbewohner, die sich weder durch höhere Bildung noch durch vornehme Zurückhaltung im Benehmen auszeichneten. Es wird angenommen, daß Frauen in Korinth mehrmals bei Gottesdiensten mit Verständnisfragen und/oder emotionalen Zwischenrufen gestört haben.
    3. Selbst wenn Paulus die o.e. erwähnten Ermahnungen allgemein für Frauen gedacht hätte (wogegen wie gesagt einiges spricht), ließe sich das ebenfalls von der historisch-kritischen Exegese (die im Islam verboten ist – einzig ist die Bezugnahme auf den Zusammenhang mit dem Leben Mohammeds möglich) problemlos erklären: Paulus war Grieche. Bei den Griechen waren die Frauen weit unterdrückter als in Galiläa und Judäa. Zusätzlich ging er nach seinem Damaskus-Erlebnis auch noch für mehrere Jahre zu den Arabern – wo seine Ansichten über die Stellung der Frau vermutlich auch nicht in Richtung Feminismus beeinflußt wurden.
    Es erscheint mir aber als wenig reizvoll, mit jemandem zu diskutieren, der – einem Proteus gleich – sich ständig anders zeigt, sich mal als inkompetent „in Sachen Liebe“ bekennt und sich dann wieder in gleicher Angelegenheit als Oberlehrer aufspielt, der meint beurteilen zu können, ob Jesus „Ahnung“ von Liebe hatte oder nicht, und gar, wie er hätte sterben müssen, um Ihrer Verachtung zu entgehen.
    Das ist ebenso läppisch wie offensichtlich provozierend gemeint, so daß ich es für überflüssig halte, inhaltlich darauf einzugehen.
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    Lediglich Ihre Ratschläge bezüglich meiner Islam-bezogenen Lektüre möchte ich noch einer Antwort würdigen:
    Die Unterscheidung zwischen „traditionell“ und „traditionalistisch“ ist im Islam genauso sinnvoll wie die zwischen „islamisch“ und „islamistisch“. Es war bislang noch keiner imstande, die Trennlinie zwischen den beiden letztgenannten Begriffen zu zeigen. Weniger als 10% der gläubigen Muslime glauben, daß der Koran NICHT Wort für Wort diktiert und Mohammed das große Vorbild ist – auch wenn sie „Islamisten“ schrecklich und böse finden.
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    Die übrigens genau das gleiche glauben, aber im Unterschied zum netten „mainstream muslim“ vom Koran nicht bloß zwei, drei Suren kennen, sondern z.B. auch die, die dem Gläubigen bei Androhung der Hölle den Dschihad befiehlt, auch wenn er ihm zuwider sei, weil „Allah es besser weiß“ (Sure 9, 81).
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    Übrigens war Muhabbet, der Rapper, mit dem der damalige Minister Steinmeier einen „Integrations-Rap“ gesungen hat, auch ein „mainstream muslim“. Trotzdem (?) hat er öffentlich zu Esther Schapira gesagt, Theo van Gogh habe doch noch Glück gehabt. Hätte er ihn in die Finger gekriegt, dann hätte er ihn erst noch stundenlang im Keller gefoltert. Die FAZ berichtete:
    https://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~E201E2DB08DBD4352B7E26530DC148F29~ATpl~Ecommon~Scontent.html&cid=1107114792
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    Im Westen veröffentlichte Bücher … ach ja. Papier ist geduldig. Es geht nicht darum, was einzelne nette vernünftige oder aber heuchlerische (googeln Sie mal Bassam Tibi „Selig sind die Belogenen“ – aber wer Jesus über die Liebe belehren will, der erklärt wahrscheinlich auch einem säkularen Muslim die Taqiyya…) Leute über den Islam oder Mohammed schreiben.
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    Ibn Ishaq, 8. Jahrhundert, war noch am nächsten dran und seine Biographie wird von über 90% der Muslim für wahr und maßgeblich gehalten. Sie ist im Internet frei verfügbar und ein bißchen langatmig, aber äußerst aufschlußreich.
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    Vor allem auf dem Hintergrund dessen, daß er von Allah als das große Vorbild, das leuchtende Beispiel („al insan al kamil“ Sure 33,21) bezeichnet wird. Da er persönlich die Steinigung einer Ehebrecherin angeordnet, Meuchelmorde (u.a. wegen Spottversen) in Auftrag gegeben, gefangene Feinde zu Hunderten geköpft und in einem Racheexzeß Kamelräubern die Arme und Beine abgehackt, die Augen mit einer glühenden Nadel zerstört und den hilflos in der Sonne verblutenden sogar den Schluck Wasser verweigert hat, um den sie gebeten hatten, erklärt das so einiges im Verhalten seiner Anhänger.
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    Daß es Islamgelehrte und „säkulare Muslime“ (ich frage da nicht nach Definitionen, weil es immer gleich um Leben und Tod geht, was die Offenheit verhindert) gibt, die versuchen, den Koran friedlich zu interpretieren, ist mir durchaus bekannt. Allerdings auch, daß gegen die sofort Todesfatawa ausgesprochen werden. Nasr Hamid Abu Zaid (googeln Sie mal) wurde zum Apostaten erklärt, zwangsgeschieden (eine Muslima darf nicht mit einem „Ungläubigen“ verheiratet sein) und an Leib und Leben bedroht. Im modernen Kairo unter dem Regime von Mubarak. (Auch der konnte nichts gegen die Scharia tun – sonst wäre er noch eher einem Aufstand zum Opfer gefallen.)
    .
    Dabei hatte Abu Zaid lediglich versucht, den Koran einer ebensolchen historisch-kritischen Exegese zu unterziehen, wie ich es oben mit dem Paulus-Zitat in groben Zügen angedeutet habe. Er wollte die Abrogation (nach Sure 2,106) loswerden (die „daran schuld“ ist, daß die friedlich-toleranten Verse mekkanischer Zeit durch die später offenbarten, zu Gewalt aufrufenden medinensischen Verse null und nichtig sind).
    Aber mein brennendes Interesse am Thema läßt mich ausführlicher werden, als es meine Absicht war. Und Ihrem Post zukommt.

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