Nicht überraschend kommt in der Debatte um die sog. Bundestrojaner immer wieder einmal, am Rande, der mythologische Hintergrund zur Sprache. Ein prominenter Archäologe empörte sich neulich gesprächsweise: Obwohl doch im Mythos die Griechen die Angreifer waren, würden in diesem Ausdruck die armen Trojaner zu den Bösen; das entspreche dem orientalistischen Reflex des Westens, alle Übel aus dem Osten kommen zu lassen – ein Skandal.
Etwas weniger heftig in die Tasten griff in der WELT kürzlich Michael Stürmer in einem locker-belehrenden Artikel, Überschrift: „Nicht die Trojaner, die Griechen sind die Täter. Seit der Entdeckung des Bundestrojaners gelten sie wieder einmal (!) als Inbegriff für Spionage und unberechtigtes Eindringen.“ Doch selbst Stürmer, einst ein bekannter Neuzeithistoriker, der in Marburg u.a. bei Karl Christ studiert hatte und nach eigenem Bekunden auch aus der Alten Geschichte Angebote hatte, nennt die Nomenklatur, Computer-Eindringlinge als Trojaner zu bezeichnen, „wo doch die Griechen sich der massenmörderischen Kriegslist bedienten“, nicht weniger als „intellektuell falsch und historisch (!) ungerecht“. Und der Autor – der offenbar den Trojanischen Krieg in der homerischen Version für ein geschichtliches Ereignis hält – hat auch gleich eine patente Erklärung für den Fehler zur Hand: Zu vermuten sei, daß ein Computer-Nerd „sich der frühen College-Unterweisung in ‘Western Civ‘ – Westliche Zivilisation – erinnerte und die Geschehnisse durcheinanderbrachte“. Da kennt einer das amerikanische Grundstudiumscurriculum!
Die richtige Erklärung dürfte viel einfacher sein. Im Englischen heißt das Trojanische Pferd, die Ur-Metapher für unbemerktes, fatales Eindringen, „Trojan horse“. Das ist für Kommunikationsgewohnheiten von Computerbegeisterten zu lang. Eine Abkürzung macht phonetisch nichts her. Also kappt man das Pferd, weil ohnehin jeder die Geschichte kennt (und sie richtig verstanden hat). „Trojan“ für sich ist aber auch ein Substantiv, zumal in der Großschreibung als Name. In der deutschen Übersetzung dann eben (fälschlicherweise) der „Trojaner“.
Die Kommentare zum Artikel des ehemaligen Gelehrten stellen das treffend klar.
Fazit: Sprache ist ein quecksilbrig Ding, zumal in den Räumen der Neuen Technologien. Kassandra und westlicher Orienthaß können im Schrank bleiben.
Weiß der Himmel, warum sich...
Weiß der Himmel, warum sich die Fehlbezeichnungen „Trojanisches Pferd“ und „Trojanischer Krieg“ (!) seit Jahrhunderten im Abendland eingebürgert haben.
Korrekt hätte es natürlich „Griechisches Pferd“ und „Griechischer Krieg“ (oder allenfalls „griechisch-trojanischer Krieg“ heißen müssen.
(Analog die punischen Kriege und der Rußlandfeldzug: „Römisch-karthagische Kriege“, bitte schön, und „deutscher Überfall auf Rußland“ — bevor ein Analphabet was falsch versteht.)
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Viel heftiger brennt eine andere Frage auf meiner Seele: Hat sich die schöne Helena nicht vielleicht doch irgendwie mit Absicht ins Morgenland entführen lassen? Und was hätten wir europäischen Männer daraus zu lernen?
Was Scipio der Afrikaner oder...
Was Scipio der Afrikaner oder Cäser der Germanische dazu wohl gesagt hätten?
Wie der Mythos die Geschichte...
Wie der Mythos die Geschichte wieder umschließt
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@HansMeier555: Nun ja, das besagte Pferd wurde in Troja, in dessen Mauern geradezu, wirksam. Daher wohl die auf den Zweck dieses Pferdes, nämlich der Eroberung von innen, gerichtete Bezeichnung. Ich finde das ziemlich korrekt. Doch der Witz scheint mir doch der, wie hier, und das hat Herr Walter ja am Beispiel Michael Stürmer so hervorragend dokumentiert, der Mythos klammheimlich zur Geschichte avanciert ist. Gibt es denn ein schöneres Beispiel für, wie man („Das Abendland“) zum Opfer seiner eigenen Mythen wird. Jetzt mal ganz abgesehen davon, dass ich Griechenland zur Zeit Homers (und Homer dürfte wohl eine reale geschichtliche Gestalt gewesen sein) nicht unbedingt als Abendland bezeichnen würde.
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Wenn diese Trennung nicht selber gar ein Mythos ist, würde ich sie erst mit Alexander beginnen lassen. Mit dessen – solchermaßen dem Abendland zugeschriebenen – Umgang mit Mythen, als dieser bekanntlich den „Gordischen Knoten“ beherzt zerschlug (Achtung: auch das ist ein Mythos!), und damit wohl auch die dahin noch gültige Ununterscheidbarkeit von Morgen- und Abendland (vgl. Ernst Jüngers Erklärung im „Der Gordische Knoten“, wo er der Trennung zwischen Abendland und Morgenland eben keinen geographische Raum zuordnet).
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Und obwohl ich nicht bestreiten mag, wie hier ein Mythos eine reale Geschichte hervorbringt – von welcher Realität wäre das Abendland ohne diesen Mythos vom Gordischen Knoten? – möchte ich doch jetzt darauf verweisen, wie die Geschichte da wohl gerade die Rolle rückwärts macht. Wie uns der Mythos sozusagen wieder umschließt. Wie er quasi die Geschichte in sich zurück nimmt. Oder wie soll ich diesen Mythenglauben eines Herrn Stürmer sonst deuten?
Zum Problem des "Trojan" Horse...
Zum Problem des „Trojan“ Horse könnte man noch auf die Darlegungen Bernard Woolleys, des klassisch gebildeten Permanent Secretary von Minister James Hacker in der Serie „Yes Minister“, verweisen (https://www.youtube.com/watch?v=zL_m5Czneno) – ein schönes Beispiel für den in den 80er Jahren noch stark spürbaren Gegensatz zwischen den in Oxford und Cambridge in „Classics“ ausgebildeten Mandarinen des Civil Service und den Parteipolitikern, die „nur“ auf der LSE waren.
In Stuttgart hat man das...
In Stuttgart hat man das hölzerne Pferd vielleicht hintersinnigerweise in die Stadt geholt:
Da stand ja 2001 das riesige Abbild genau vor der Buckelquadermauer an der Nordseite des Bahnhofs, wo später die erste Stuttgart-21-Bresche in die Bahnhofsmauern geschlagen wurde. Zur Troia-Ausstellung im neuen Bankgebäude nebenan gehörig, das den Bonatz-Bau des Bahnhofs schon damals optisch übertrumpfen sollte, stand das Ross drohend aufgerichtet: der Oberbürgermeister wusste Bescheid – Stuttgart-21 war schon fertiggeplant!