Antike und Abendland

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Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Wege zum antiken Begräbniswesen. Und ein neues Buch dazu

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ür die Wochenendbeilage „Bilder und Zeiten" ist zum Totensonntag ein orientierender Beitrag über Begräbnisriten und den Umgang mit den Toten in der...

ür die Wochenendbeilage „Bilder und Zeiten“ ist zum Totensonntag ein orientierender Beitrag über Begräbnisriten und den Umgang mit den Toten in der griechischen, römischen und christlichen Antike zu schreiben.

Verschiedene Disziplinen befassen sich mit dem Thema. Es gehört traditionell zu den sog. Altertümern; in diesem Rahmen wurden Inventar und Ablauf der Handlungen untersucht (hier ein einschlägiger Artikel aus: Anthony Rich, Illustrirtes Wörterbuch der römischen Alterthümer unter steter Berücksichtigung der griechischen. Enthaltend zwei tausend Holzschnitte nach Denkmälern der alten Kunst und Industrie. Paris/Leipzig 1862).

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Religionsgeschichte und -wissenschaft befassen sich mit den hinter der Praxis stehenden Vorstellungen: vom Charakter der Existenz nach dem Tode, von den Bedrohungen, die von den Toten ausgeht, von den Schnittstellen zwischen Lebenden und Verstorbenen. Liebe und Furcht, Trennung und Zwiesprache – aus diesen spannungsvollen Beziehungen erklärt sich, warum die antiken Grabstätten strikt außerhalb der Siedlung, doch in der Nähe lagen, in der Regel an den großen Straßen. Die Sozialgeschichte schließlich fragt, wie Angehörige unterschiedlicher Schichten und Gruppen verfuhren. Die Reichen und Vornehmen errichteten Familiengräber mit hoher Sichtbarkeit; weniger Begüterte traten einem Verein bei, der nicht nur Geselligkeit bot, sondern die Bestattung eines verstorbenen Mitglieds aus der gemeinsamen Kasse bezahlte. Bestattungs- und Grabsitten orientierten sich nicht allein an religiösen Vorstellungen, sondern trugen auch dem sozialen Status der Verstorbenen und ihrer Hinterbliebenen Rechnung. Nur in der Sicht mancher Philosophenlehre konnte der Tod zugleich radikal individuell und ein großer Gleichmacher sein.

Auch Konjunkturen lassen sich beobachten. Von Homer bis Hadrian gab es sowohl Körper- als auch Brandbestattungen (nicht selten in einer und derselben Nekropole, zugleich mit starken regionalen Akzentuierungen), bevor im dritten Jahrhundert n.Chr. die Kremation so gut wie ganz verschwand. Ihr gehören jedoch einige spektakulären Fälle zu. Homer läßt den enthemmten Achilleus am Scheiterhaufen des Patroklos gefangene Trojaner opfern, und bei der tumultuarischen Verbrennung von Caesars Leichnam auf dem Forum warf die weinende Menge ins Feuer, was sie hatte: Schmuck, Musikinstrumente, Kleider und Waffen.

Auch eine strukturalistische Sicht ist möglich: Da der Weg vom letzten Atemzug bis ins Grab und darüber hinaus zum Totengedenken so viele Stationen enthielt, waren im Einzelfall der kreativen Expansion kaum Grenzen gesetzt. So füllt die Schilderung der erwähnten Leichenfeiern für Patroklos den gesamten vorletzten Gesang der Ilias, und um das Begräbnis eines römischen Kaisers in all seinen politischen, symbolischen und religiös-kultischen Facetten zu analysieren, bedarf es einer ausgewachsenen Monographie.

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Bei der Vorbereitung des Artikels halfen Lexika. Und zufällig erschien vor kurzem ein einschlägiges Buch. Verfaßt von drei Archäologen bietet es vielfache Belehrung und war mir hochwillkommen. Gleichwohl wirft es die Frage auf, wie (Lese-)Publikum und (Buch-)Publikationen eigentlich zueinander stehen. Das Buch trägt den Untertitel: Grab und Bestattung bei Ägyptern, Griechen, Etruskern und Römern. Ägypten aufzunehmen liegt einerseits nahe, denn über den Umgang der Menschen am Nil mit ihren Toten wissen wir einfach sehr viel, und die Faszination, die von den Artefakten wie von den Praktiken ausgeht, wird aktuell wieder in der nachgebauten und mit prachtvollen Replikaten ausgestatteten Grabkammer des Tutanchamun in Frankfurt von zahlreichen Besuchern bestaunt. Andererseits aber waren die Ägypter „beispiellos für den Totenkult der antiken Völker“ (Vorwort), also letztlich isoliert, eine Größe (und Klasse) für sich. Sieht man einmal von imitativen Randphänomenen wie der Cestius-Pyramide ab, blieben ägyptische Begräbnisriten und Jenseitsvorstellungen auf Ägypten beschränkt. Der Interessierte kann hier allenfalls Vergleiche anstellen, was durch die Anlage des Buches erleichtert wird. Aber warum wurden die frühen Christen nicht systematisch einbezogen? Damit hätte man einen spannenden historischen Prozeß verfolgen können. Anfangs nämlich und für ziemlich lange Zeit pflegten die Christen die Rituale ihrer paganen Umwelt, ergänzt durch Symbol e(wie den Fisch)  und Variationen, die ihre Besonderheit dokumentierten. So gab es in antiken Begräbnisstätten oft Inschriften, die vor einer Zerstörung oder Entweihung warnten. Christen übernahmen auch diesen Brauch, manchmal mit Insiderbemerkungen: Im Namen Christi, so heißt es einmal, geschehe ihm (dem Grabschänder), was im 108. Psalm steht. Gott ist die Kraft, die unsere Gegner zertritt, heißt es dort tatsächlich.

Spannend ist es, das Fortwirken antiker Bräuche zu verfolgen, ihre Transformation und das Aufkommen christlicher Äquivalente ohne erkennbare Genealogie. So scheinen im spätantiken Rom auch Christen die Parentalia als allgemeines Totengedenkfest gefeiert zu haben. Danach verliert sich die Spur im Dunkel des Frühmittelalters, sieht man von einzelnen Nachrichten zu wechselnden Terminen im Umfeld von Ostern einmal ab. Der Tag nach Allerheiligen setzte sich erst um 1000 von Cluny aus durch. Ziel war es, die Verstorbenen auf ihrem Weg zur Erlösung zu unterstützen, durch gute Werke zumal für die Armen Seelen, deren Anwesenheit oder zeitweilige Rückkehr zu dieser Zeit geglaubt wurde.

Und an welchen Leser haben Autoren und Verlag gedacht? Tod und Sterben in der Antike ist formal einerseits ein Sachbuch. Es informiert nüchtern und gut lesbar, setzt keine Kenntnis einer antiken Sprache voraus und enthält keine Anmerkungen, sondern summarische Literaturhinweise. Mehr als 100 s/w-Abbildungen lockern die gut 250 Seiten Text auf. Aufmachung und Disposition andererseits sind eher die eines Handbuches: Zweispaltendruck und eine strenge Systematik – Jenseitsvorstellungen, Bestattungsarten, Bestattungsriten, Friedhöfe, Bestattungsformen, Grabbauten, Grabmonumente und, etwas angeklebt wirkend, Todesursachen. Beschreibungen einzelner Monumente. Vielfach weitet sich die Darstellung aus zu einer Stilkunde und Stilgeschichte bestimmter Artefaktgruppen, etwa der Grabbauten oder der Sarkophage – alles sehr informativ, aber doch recht weit vom Buchthema entfernt. (Hier kommt auch einmal das frühe Christentum vor, mit dem bekannten Sarkophagrelief des „Guten Hirten“.)

Innerhalb der Kapitel werden die Einzelphänomene gegliedert nach den vier behandelten Kulturen vorgestellt. Der Abschnitt über die ägyptischen Jenseitsvorstellungen beginnt mit einem Herodotzitat und einer knappen Quellenkunde. Offenbar ist also an einen Leser gedacht, der schon ein starkes Interesse mitbringt und sich nun allgemein oder gezielt informieren möchte. Warum das ganze Thema Neugierde und Nachdenken verdient, wird im allenfalls im Vorwort angesprochen, und da nur andeutungsweise:

„Im Gegensatz zu unserer heutigen Gesellschaft, in der wir den Tod weitgehend aus unserem direkten Blickfeld verbannt haben oder es zumindest versuchen, spielte er in der Antike eine unvergleichlich größere Rolle. Trotz des hohen zivilisatorischen Niveaus der großen anti­ken Kulturen des Mittelmeerraumes war der Tod ein ständiger Begleiter der Menschen. (…) Diese immerwährende Präsenz des Todes hat dazu geführt, dass die antiken Gesellschaften den Verstorbenen besondere Aufmerksamkeit widmeten. Gerade durch die Hoffnung auf große Ehrungen in Form einer prächtigen Bei­setzung und in Form von regelmäßigen Opfer­mahlen am Grab im Kreise der Familie und vor allem durch die Vorstellung eines glückseligen Weiterlebens in einer jenseitigen Welt wurde den Menschen weitgehend die Angst vor dem Tod genommen. (…) Der unglaubliche Aufwand, den die alten Grie­chen, Etrusker, Römer und vor allem die Ägypter für die Versorgung ihrer Toten betrieben, übt auf uns heute eine eigentümliche Faszination aus.“

Daraus ließe sich etwas machen: Woher kommt die zuletzt erwähnte Faszination? Läßt sich aus der Antike auch in diesem Bereich ein gegenwartskritisches Moment gewinnen? Hatten Bestattungsaufwand und familiale Feiern am Grab wirklich nur die Funktion, den Lebenden die Angst vor dem Tod zu nehmen? Selbst die hier und da angeführte wirtschaftliche Dimension von Tod und Bestattung wird nirgendwo zusammenhängend erörtert. Das Buch aber unterwirft seinen Stoff kaum je einer eigenständigen – oder meinetwegen auch abgeleiteten, etwa anthropologischen oder religionsvergleichenden – Frage- und Problemstellung, sondern folgt ganz und gar einer schon vorhandenen Systematik, die sich großenteils aus dem Material ergibt. Wie gesagt: reiche Belehrung, gut aufbereitet, aber der Leser sollte eigene Fragen haben, nicht bloß antiquarisches Interesse.

Dennis Graen (Hrsg.), mit Beiträgen von Jana Brückner und Henning Wabersich: Tod und Sterben in der Antike. Grab und Bestattung bei Ägyptern, Griechen, Etruskern und Römern. 272, S., 108 Abb., geb. € 39,95. Theiss-Verlag, Stuttgart 2011.

Für Neugierige:

Hans-Peter Hasenfratz, Leben mit den Toten. Eine Kultur- und Religionsgeschichte der anderen Art. Herder, Freiburg/Br. 1998.


1 Lesermeinung

  1. Paideia sagt:

    Ein kleines Schmankerl am...
    Ein kleines Schmankerl am Rande: Es gab in der römischen Kaiserzeit Grabsteine mit der aufschrift „Pinkeln verboten“ – ne quis hic urina(m) faciat (Dessau, Nr.8203) und der homo novus Trimalchio stiftete testamentarisch einen Grabwärter, um Schlimmeres als das Pinkeln zu verhindern, ne in monumentum meum populus cacatum currat (Petron, 71)

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