Antike und Abendland

Antike und Abendland

Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Gläubiger zu sein ist unanständig! Streichung aller Schulden! Antikes zur anstehenden Revolution

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Wir nähern uns der catilinarischen Schwelle. Während Regierungen und Banken noch nach Lösungen ‘im System' suchen - das meint: Die Schulden an sich...

Wir nähern uns der catilinarischen Schwelle. Während Regierungen und Banken noch nach Lösungen ‘im System‘ suchen – das meint: Die Schulden an sich gelten; es muß nur dafür gesorgt werden, daß Länder und Währungszonen unter ihnen nicht zusammenbrechen -, mehren sich die Stimmen, Verschuldung und Schuldnerstatus grundsätzlich in Frage und Gläubiger unter Generalverdacht zu stellen. Schuldenschnitte, formal gesehen Enteignungen Letzterer, sind durch Abkommen (wie im Falle Griechenland) und gesetzlich geregelte Verfahren (wie bei der Privatinsolvenz) ins System integriert; Verantwortung wird relativiert, weil das Leben auf Pump allzu leicht gemacht worden sei. Auf einer anderen Ebene verliert der Gläubiger dramatisch an Ansehen und Schutz, weil sein akkumuliertes Vermögen kaum mehr etwas mit Arbeit und Gütern zu tun hat, zwei Größen, ohne die Geld und dessen Zirkulation ihren Sinn und ihre Rationalität verloren zu haben scheinen. In diesem Kontext mehren sich die Rekurse auf die Antike.

Kürzlich erschien ein schmaler, aber gehaltvoller Tagungsband mit dem Titel Geld als Medium in der Antike. Ein kurzer Aufsatz von Fabian Wittreck darin behandelt unter dem Titel „Münzmanipulation und Wucher. Gelddiskurse als Gerechtigkeitsdiskurse“ auch die Position des Aristoteles. Dieser behandelte, wie in der Antike üblich, die Ökonomik – die Lehre von der Führung eines Haushaltes, der auch Produktionsstätte war – und die Chrematistik – die Lehre vom Erwerb schlechthin – als Teile der Ethik, der Lehre vom richtigen Verhalten mit dem Ziel, zur Glücksseligkeit (eudaimonía) zu gelangen. Für Aristoteles diente Geld als Mittel der ausgleichenden Gerechtigkeit, „indem es etwa die Leistungen von Vertragspartnern meß- und damit im Interesse eines gerechten Austauschs vergleichbar macht“. Ferner ermögliche Geld den tatsächlichen und gerechten Austausch von Leistungen, aktuell als Zahlungsmittel, potentiell als Wertspeicher. Geld hat demnach eine in jeder Hinsicht dienende Funktion. Von daher konsequent lehnt Aristoteles das Verleihen von Geld gegen Zinsen als naturwidrig ab (Politik 1258a38ff, Übers. E. Schütrumpf):

„Nun gibt es aber zwei Formen von Gütern, wie wir schon sagten: die eine fällt in den Bereich der gewinnsüchtigen Händlertätigkeit, die andere in den der Ökonomik. Aber nur diese (zweite) erfüllt notwendige Bedürfnisse und findet lobende Anerkennung, während die Erwerbskunst nach Art des gewinnsüchtigen Handels mit Recht getadelt wird – denn sie wird nicht entsprechend der Natur ausgeübt, sondern besteht darin, daß Menschen aus (geschäftlichem Verkehr) untereinander Güter ge­winnen. Daher wird mit der allergrößten Berechtigung (eine dritte Form der Erwerbstätigkeit) der Geldverleih gegen Zinsen gehaßt; denn dabei stammt der Gewinn aus dem Münzgeld selber, nicht aus der Verwendung, für die es geschaffen wurde – denn es entstand (zur Erleichterung) des Warenumschlages. (Bei Geldgeschäften) vermehrt jedoch der Zins das Geld, daher hat er ja auch diesen Namen (tokos, Gezeug­tes, von tikto), denn das Erzeugte gleicht dem Erzeuger. Zins ist aber Geld gezeugt von Geld. Daher ist auch diese Form von Erwerb am meisten wider die Natur.“

Witteck skizziert dann die Rezeption dieses Gedanken u.a. bei Thomas von Aquin, übergeht aber die naheliegende Frage, wie konsistent Aristoteles‘ Position in sich war und wie sie zur damals (im 4. Jh. v.Chr.) üblichen Praxis des Geldverkehrs und -gebrauchs stand. Denn Darlehen zu geben erfreute sich im Athen dieser Zeit durchaus öffentlicher Wertschätzung, und der Zusammenhang zwischen Zinsen und Ausfallrisiko (etwa beim Seehandelsdarlehen) war durchaus geläufig. Stattdessen sucht Wittreck einen weiten Bogen in die Gegenwart und deutet auf „unser aristotelisches Erbe“: „Es sollte klargeworden sein, daß das Nachdenken über Geld in seinem Ursprung keinem ökonomischen Detail gilt, sondern mit fundamentalen Fragen der ge­rechten Ordnung menschlichen Zusammenlebens verknüpft ist (…). Lassen sich ungeachtet der (…) Skepsis moderner Wis­senschaftler Spuren dieses Denkens ausmachen? Ich bin mir dessen vergleichs­weise gewiß. Wenn im Rahmen der Aufarbeitung der jüngsten Finanzkrise (oder in Warnungen vor ihren sich abzeichnenden Nachfolgern) die Frage auf­geworfen werden darf, ob sich die Finanzwirtschaft zu weit von der Realwirt­schaft entfernt hat, oder ob Kreditinstrumente, die sich wie die sog. Derivate so weit von Transaktionen mit materiellen (oder sagen wir werthaltigen) Gü­tern losgelöst haben, daß wir sie schlicht nicht mehr verstehen, dann spricht in der Sache Aristoteles aus uns. Und vielleicht ist das auch gut so.“

Wittreck wählt die gängige rezeptionsgeschichtliche Figur der Aktualisierung antiker Wertsetzungen und philosophischer Argumente. Ein anderer Modus beherrscht den Feuilleton-Aufmacher von Michael Hudson in der FAZ vom letzten Samstag (3.11.2011): Was sind Schulden? Der Ökonomieprofessor an der Universität von Missouri nahm vor dem Platzen der amerikanischen Immobilienblase die tragische Rolle der Kassandra ein; er gehört heute der Occupy-Bewegung an und war akademischer Lehrer von David Graeber, dem Autor von Debt: The First 5000 Years. Hudson nimmt Beispiele aus der Weltgeschichte zum Beweis, daß der Schutz von Gläubigerinteressen zur Oligarchie führe und mit Demokratie nicht vereinbar sei. Die kumulative exempla-Evidenz erscheint auf den ersten Blick zwingend – die Herkunft dieser Argumentationsweise aus der Rhetorik ist kein Zufall. Historiker sind zwar von dem Ziel, auf der Ebene der Weltgeschichte Regel- oder gar Gesetzmäßigkeiten mit normativer Stoßrichtung zu destillieren, längst abgekommen. Aber deren methodische Bedenken und mikrologische Fixierungen sind ja nicht zwingend, und Hudson hätte es schlechter machen können. Er skizziert die Situation im Alten Orient durchaus treffend, ebenso den entscheidenden Unterschied zur griechischen und römischen Welt: Hier waren die Gläubiger nicht wie dort mit dem Palast oder Tempel, mithin der ‘öffentlichen Hand‘ identisch, sondern Privatpersonen; so konnten „Schulden zum wichtigsten Instrument der Enteignung von Land“ werden und Gemeinschaften sich spalten in Gläubigeroligarchien und verschuldete Klienten“. Tyrannen als Volksführer und den Schuldenerlaß als Mittel zur Gewinnung der Macht zu bezeichnen ist allerdings eine arge Verkürzung. Den Satz „Auf weniger tyrannische Weise gründete Solon 594 vor Christus die athenische Demokratie durch ein Verbot der Schuldknechtschaft“ kann man nur unterschreiben, wenn man ihn übersetzt: „Solon legte den Grund für den Bürgerstaat und langfristig auch die Demokratie in Athen, indem er die persönliche Freiheit jedes Atheners festschrieb und durch das Verbot der Schuldknechtschaft langfristig verhinderte, daß dauerhafte klientele Abhängigkeiten entstanden, durch welche die Bürger nicht mehr unmittelbar zu ihrem Gemeinwesen gestanden hätten.“

Hudson folgt dem bereits in der Antike geläufigen, selbstredend nicht interessenfreien Bild vom ‘guten König‘, der für das Volk und im Bunde mit diesem die Gläubigerinteressen zurückdrängt: „Es gehört seit der Antike zu den geschichtlichen Konstanten (!), dass die Interessen von Gläubigern in Widerspruch zu denen der Demokratie wie auch des Kö­nigtums gerieten, die in der Lage gewesen wären, der finanziellen Eroberung der Ge­sellschaft und einer nahezu autonomen Dynamik Grenzen zu setzen, welche den ökonomischen Überschuss in zinstragen­de Schuldtitel verwandelte.“ Diffus bleibt dabei, wer eigentlich die immer wieder beschworenen Gläubiger sind. Hudson suggeriert das Walten (und Wüten) eines Finanzkapitalismus, den es im Altertum indes nur ganz selten und unter ganz bestimmten, stets prekären Umständen gegeben hat – so selten und prekär, daß Max Weber der Epoche insgesamt mit Recht bescheinigte, vereinzelte Konjunkturen kapitalistischen Verkehrs, aber keinen gleichsam selbsttragenden und vor allem habitusbildenden Kapitalismus hervorgebracht zu haben (Agrarverhältnisse im Altertum, 3. Fassung 1908, Einleitung). Gewiß, „der unerbittlichste Schuldeneintreiber der Antike war Rom, dessen Gläubiger sich in Kleinasien, der reichsten Provinz des Reiches, wie eine Plage ausbreiteten“ – allerdings ‘nur‘ für gut ein Jahrhundert. Daß aber „die Brüder Gracchus und deren An­hänger 133 vor Christus versuchten, das Kreditrecht zu reformieren“, ist mir neu, und die Siebenmeilenschritte bis zum Ende des Römischen Reiches – Catilina scheitert 63/62 v.Chr. mit einem Schuldenerlaß, im 2. Jh. n.Chr. sei ein Viertel der Bevölkerung in Leibeigenschaft gewesen, im 5. Jh. sei die römische Wirtschaft am Geldmangel zusammengebrochen – kann man nicht anders als halsbrecherisch nennen. Isolierte Daten und Behauptungen erscheint hier als Magd einer nomologisch und normativ verfahrenden Wirtschaftswissenschaft – wobei gegen die aktuellen Analysen Hudsons und v.a. gegen seine Kritik an Banken, Staaten und Mainstream-Akademikern gar nichts gesagt ist. Auch seine Prognose mag zutreffen: „Da die Wünsche der Wähler nicht be­rücksichtigt wurden, steht die Staatsver­schuldung politisch und rechtlich auf schwankendem Boden. Schulden, die auf bloßen Beschluss durch Regierungen oder ausländische Finanzinstitutionen ge­gen starken Widerstand im Volk gemacht wurden, sind möglicherweise ebenso unsicher wie die der Habsburger und ande­rer Despoten vergangener Zeiten. Neue Regierungen werden vielleicht auf demo­kratischem Wege dafür sorgen, dass Ban­ken und Finanzsektor wieder der Wirt­schaft dienen statt umgekehrt. (…) Schulden, die nicht bezahlt werden kön­nen, sind keine.“

In der begleitenden gesellschaftlichen Diskussion sollten indes die Überlegungen des Aristoteles vielleicht doch besser eine größere Rolle spielen als der Rekurs auf Catilinas mit Gewalt angestrebten tabulae novae oder die in Bürgerkriegskonstellationen vereinzelt propagierte „Schuldentilgung“ (chreôn apokopê), wie sie Aelian ausmalt (var. hist. 14,24): „In Korinth zeichneten sich Theokles und Thrasonides, in Mitylene Praxis aus, indem sie – selbst reich – im Hinblick auf die Armut der Mitbürger ihre Habe verachteten und Hochherzigkeit an den Tag legten und auch anderen rieten, die Armut der Dürftigen zu erleichtern. Sie konnten nun zwar die anderen nicht bereden, ließen aber selbst ihre Darlehen nach und retteten damit allerdings nicht ihr Geld, aber ihr Leben. Denn diejenigen, denen die Schulden nicht nachgelassen wurden, fielen über ihre Gläubiger her und ermordeten sie.“

 

Johannes Renger, Schulden, Schuldenerlaß I. Alter Orient. In: Der Neue Pauly 11, 2001, 257-258.

Michael H. Crawford, Schulden, Schuldenerlaß. II. Griechenland und Rom. ebd., 258-263.

Fridolf Kudlien, Zur Frühgeschichte des Schulden-Machens I. In: Münstersche Beiträge zur antiken Handelsgeschichte 22, 2003, H. 2, 68-84.

Maren Rennpferdt, Lex Anastasiana. Schuldnerschutz im Wandel der Zeiten. Göttingen/Zürich 1991.

Marina Ioannatou, Affaires d‘ argent dans la correspondance de Cicéron. L‘ aristocratie sénatoriale face à ses dettes. Paris 2006 (Romanité et modernité du droit)

Adalberto Giovannini, Catilina et le problème des dettes. In: Leaders and Masses in the Roman World. Studies in Honor of Zvi Yavetz. Ed. by I. Malkin and Z.W.Rubinsohn. Leiden/New York/Köln 1995, 15-32.

Christian Rollinger, Solvendi sunt nummi. Die Schuldenkultur der Späten Römischen Republik im Spiegel der Schriften Ciceros. Berlin 2009.


4 Lesermeinungen

  1. Devin08 sagt:

    Hoffnungen wo keine sein...
    Hoffnungen wo keine sein dürfen
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    Es ist sehr bedenklich wenn im Angesicht der aktuellen Krise des Kapitals – des Finanzkapitals – auf offensichtlich populistische Weise Rekurs genommen wird auf den antiken Gegensatz von Gläubiger und Schuldner. Marx schreibt im „Kapital“ darüber: „Der Charakter von Gläubiger oder Schuldner entspringt hier aus der einfachen Warenzirkulation… Dieselben Charaktere können aber auch von der Warenzirkulation unabhängig auftreten. Der Klassenkampf der antiken Welt z.B. bewegt sich hauptsächlich in der Form eines Kampfes zwischen Gläubiger und Schuldner und endet in Rom mit dem Untergang des plebejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird. Im Mittelalter endet der Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners, der seine politische Macht mit ihrer ökonomischen Basis einbüßt. Indes spiegelt die Geldform – und das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner besitzt die Form eines Geldverhältnisses – hier nur den Antagonismus tiefer liegender ökonomischer Lebensbedingungen wider.“ (MEW 23, Abschnitt I, Ware und Geld, S. 149 ff.)
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    „Tiefer liegende ökonomische Lebensbedingungen.“ Im 4. Kapital – Verwandlung von Geld in Kapital beschreibt Marx diese zum Beispiel so: „Die unmittelbare Form der Warenzirkulation ist W = G = W, Verwandlung von Ware in Geld und Rückverwandlung von Geld in Ware, verkaufen um zu kaufen. Neben dieser Form finden wir aber eine zweite, spezifisch unterschiedne vor, die Form G = W = G, Verwandlung von Geld in Ware und Rückverwandlung von Ware in Geld, kaufen um zu verkaufen. Geld, das in seiner Bewegung diese letztre Zirkulation beschreibt, verwandelt sich in Kapital, wird Kapital und ist schon seiner Bestimmung nach Kapital.“ (S. 162)
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    Im weiteren Verlauf finden wir dann die Analyse dessen, was das Wesen dieses Verwandlungsprozesses ausmacht – die Entstehung von Mehrwert, dessen Aneignung, wie überhaupt alles über den Verwertungsprozess des Kapitals.
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    Der Zweck der Kapitalbewegung ist somit von Beging an = Geldbewegung.
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    Wer als „Kapitalismuskritiker“ nun den Anschein zu erwecken sucht, als gäbe es einen anderen Kapitalismus, einen der sozusagen nicht verunreinigt sei – eben durch den Selbstzweck dieser Geldbewegung -, der bewegt sich haarscharf entlang dessen, was wir spätestens seit dem Holocaust mit Antisemitismus bezeichnen. Sinn hatte recht, als er die ganze Polemik gegen das „Geldkapital“ infolge der Finanzkrise 2008 – als antisemitisch denunzierte. Doch da es ihm nicht gelingen wollte oder konnte, das so zu begründen, wie Marx das zum Beispiel tut, z.B. in Form einer umfassenden Kapitalismuskritik, ließ er sich wieder einschüchtern und zog seine Kritik zurück.
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    Denn auch wenn sich der Kapitalismus nunmehr in der Form des Finanzkapitalismus zeigt, heißt das eben nicht, dass dieser dem Kapitalismus entgegen gesetzt sei, oder gar etwas völlig neues. Die Warenbewegung – die „Bedürfnisbefriedigung“ (der reale Markt) – war von Anfang an nur Nebensache. Diesen Vorwurf dürfen sich alle Kapitalisten gleichermaßen gefallen lassen. Wäre es anders, wäre der Kapitalismus nie über die Stufe des Merkantilismus hinausgelangt.
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    Ja, Kapitalismus blamiert die Klassengesellschaft. Aber eben nicht in der Form, dass er bewiese, dass es jemals eine bessere oder schlechtere Klassengesellschaft gegeben hätte. Nein, er blamiert die Klassengesellschaft ganz generell. Und es ist daher auch kein Zufall, dass mit Beginn des Finanzkapitalismus die Kritik auf falsche Bahnen geleitet wird. Da wähnt sich ein schaffendes gegen ein raffendes Kapital, da denunziert ein sauberes Kapital ein schmutziges. Und wo die Gläubiger gesteinigt werden, da grinst die listige Konkurrenz.
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    Wir alle sind die „Idioten“ des Systems – die Marktidioten. Der Schuldner nicht weniger als der Gläubiger. Nicht erst mit der Finanzindustrie glaubt sich ein „automatisches Subjekt“ im Besitz einer Weisheit zu sein, die letztlich darauf hinausläuft Wirtschaftskreisläufe in Stile eines „perpetuum mobilem“ (https://blog.herold-binsack.eu/?p=1886) generieren zu können. Geld wie Arbeitskraft sind aufeinander bezogen und sie sind endlich, selbst wenn es gelingen wollte, ihre wechselseitige Bewegung in Richtung „unendlich“ kleine Teile zu konfigurieren. Der Kapitalismus endet schließlich dort, quasi analog physikalischer Prozesse – wo die Arbeitskraft – entropisch besehen – am Ende ist. Wo ein Umsatz von Energie in Arbeitskraft nicht mehr möglich. (Die Überausbeutung verweist auf eine negative Produktivität und die Verschuldung auf eine dementsprechende Konsumtion entlang dieser Entwicklung.) Die Unterbeschäftigung (als Gegenstück zur Unterkonsumtionskrise) und eben nicht die Überbeschäftigung (als Gegenstück zur Überproduktionskrise) referiert auf das schließliche Ende. Schuldner nicht Gläubiger sind die diesbezüglichen Vorboten. Sie verweisen auf einen Zustand, wo ihnen selbst die Entschuldigung nicht mehr hülfe. Wo sie trotzdem verhungerten. Denn die Produktion nicht die Konsumtion wäre dann in ihrem ultimativen Kollaps.
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    Genau dies nicht erkennen zu wollen, treibt die sog. antisemitisch konnotierte Kapitalismuskritik vor sich her. Was den Zustand des Leidens, den der falschen Hoffnungen, nur verlängert.

  2. Ishar sagt:

    Gustav Ruhland, Volkswirt,...
    Gustav Ruhland, Volkswirt, eine Geschichte des Handels-Kapitals
    https://www.vergessene-buecher.de
    Bernd Senf nach Wilhelm Reich, psychosoziale Hintergründe
    https://www.berndsenf.de
    Deutscher Freiwirtschaftsbund
    https://www.freiwirte.de

  3. Devin08 sagt:

    Absurde Tragik
    .
    @Ishar: Der...

    Absurde Tragik
    .
    @Ishar: Der Kurzbiografie zu Ruhland entnehme ich folgende Beschreibung dessen Ziele:
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    „Ausschluß der Mitwirkung des spekulativen Privatkapitals bei der Preisbildung und öffentlich-rechtliche Organisation der Gesellschaft neben dem Staate als planmäßige Zusammenfassung der lokalen Genossenschaften in nationale Syndikate — unter Beibehaltung des Privateigentums an den Produktionsmitteln — zu einer Regulierung der Preise auf der mittleren Linie. Ruhland will damit die Lösung der uralten Frage nach der gerechten Entlohnung der Arbeit auch durch die allgemeine Einführung des „gerechten“ Preises für alle Arbeitsprodukte wie für alle Arbeitswerkzeuge.“ (https://www.vergessene-buecher.de/ruhland.html)
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    Auch ich komme aus dem Spessart. Mir ist daher die dort weithin verbreitete Dickköpfigkeit, die man fälschlicherweise für Realitätssinn hält, durchaus vertraut. Die absurde Tragik einer solchen Verkennung dürfen wir gerade an einem fränkischen Baron von und zu Guttenberg genießen. Doch schon Lassalle – mit seinem „gerechten Lohn“ – wurde aus der Kriegskasse Bismarcks (gegen die revolutionären Sozialisten) gespeist. Und nun finden wir hier ein Gegenstück – im Lager des sog. bäuerlichen Mittelstandes.
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    Die „agrarische Theorie“ feilscht hier nicht nur mit eines Marx‘ Kritik der politischen Ökonomie um sowas wie Wahrheitsgehalt, sondern ausgerechnet mit einer feudalen Aristokratie um den gerechten Preis. Doch der „gerechte Preis“ ist dort eine Fiktion, wo er die Wertbestimmtheit nicht zu erkennen vermag. Diese Erfahrung macht nämlich auch der Proletarier, der um den „gerechten Lohn“ kämpft, der also Lohn für so etwas wie einen gerechten Preis hält – für seine Arbeitskraft. Dieser hat schließlich zu lernen, dass das ganze Lohnsystem das Übel ist. Und wo Puhland gegen den Klassenkampf eines Marx wettert, da zeigt ihm gerade die deutsche Geschichte gleich mehrfach die Unmöglichkeit eines anderen Weges.
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    So bot Hitler schließlich den – vom Finanzkapital – ruinierten Bauern nur noch eine Entschädigung an – die auf Kosten der Völker des Ostens. Verweigerten sie den diesbezüglichen „Heldentod“, verblieb ihnen nur noch der Hungertod – ähnlich darin dem Proletariat. – Die Suche nach dem dritten Weg – weg vom Klassenkampf – führt also direkt in den Krieg.
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    Die wahre Tragik liegt also darin begründet, dass die Bauern, die (besonders in Deutschland) stets Objekt des Handelns zwischen Aristokratie und Finanzoligarchie gewesen sind (und weiterhin sind) nicht erkennen (wollen/können), dass das sozialistische Proletariat nicht ihr Feind ist – auch wenn sie vom Finanzkapital dazu verdammt scheinen, dieses billig zu verköstigen (billige Butter und fester Milchpreis etc.) –, sondern dessen „natürlicher Verbündeter“, wie Marx sich ausdrückte. Überhaupt hielt Marx die „ganze sozialistische Sache“ für erfolgreich nur im Bündnis mit einer „Neuauflage eines Bauernkrieges“. (Lenin: Marx-Engels-Marxismus, siehe auch: https://blog.herold-binsack.eu/?p=301)
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    Und auch die neuere deutsche – wie europäische – Geschichte beweist, dass es eine Nationalökonomie für einen dritten Weg nicht gibt. Die Industrialisierung der Landwirtschaft ist eine unumstößliche Tatsache. Und dies nicht nur vor dem Hintergrund des Strebens nach Maximalprofite eines Kapitals, also letztlich ob der Abhängigkeit auch der Landwirtschaft vom Finanzkapital (was wir gegenwärtig ganz deutlich in der Produktion von Energierohstoffen versus Nahrungsmitteln beobachten), sondern vor allem vor dem Hintergrund der sich längst gezeigt habenden Unmöglichkeit die wachsende Weltbevölkerung mit bäuerlichen Produkten, resp. aufgrund bäuerlicher Produktionsweisen, zu ernähren. Synthetisch hergestellte Nahrungsmittel sind nicht mehr aufzuhalten. Sowenig wie synthetisch gewonnene Wirkstoffe für die Gesundheitsmittelindustrie. Ja beides wird sich recht bald als identisch herausgestellt haben. Die Nahrungsmittelproduktion, so wie wir sie jetzt noch kennen, ja Nahrungsmittel überhaupt in der Form natürlicher Rohstoffe, wird bald Geschichte sein. – Und mit dieser der Bauer.
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    Der diesbezügliche Zynismus des Kapitalismus, liegt (wahrscheinlich „nur“) darin begründet, dass die durch ihn betriebene Rohstoffausplünderung, wenn vielleicht nicht Ursache, so doch Beschleuniger einer eben solchen Entwicklung ist. Das heißt, diese Entwicklung wäre (vermutlich) auch – wenn man sich das mal rein abstrakt vorstellen möchte – unabhängig vom kapitalistischen Weg einer Verwertung (des Werts) auf die eine oder andere Art notwendig geworden. Dennoch ist genau diese Art und Weise der kapitalistischen Ausplünderung des ganzen Erdballs nicht nur der einzig wirkliche bisherige Weg, sondern einer, der zunehmend zur existenziellen Gefahr für diesen Erdball und seine Bewohner wird. Es ist schon absehbar, dass nicht mehr nur Millionen, sondern Milliarden von Menschen einen jährlichen Hungertod erleiden. Und einen abstrakten Weg gibt es nicht, ebenso wenig wie den „dritten“. Das Kapital ist somit des Bauern natürlichster Feind. Die Beziehung des Kapitals zur Landwirtschaft ist die des Erbschleichers, nicht die des Mäzens. – Privateigentum hin, Privateigentum her. An der Seite des Kapitals gibt es für diesen Bauern nur den Untergang, wahlweise durch Hunger oder Krieg. An der Seite des sozialistischen Proletariats die Option hingegen auf Befreiung von solch grässlichem Schicksal, nicht aber die Garantie auf Privateigentum.

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