Zur Besprechung für die Zeitschrift des Geschichtslehrerverbandes liegt eine Dissertation auf dem Tisch, die von der Darstellung der antiken griechischen Geschichte in neueren Schulgeschichtsbüchern handelt. Die Autorin scheint anzunehmen, daß tatsächlich vom frühen 19. Jahrhundert, als die alten Hellenen von Wolf und Humboldt zu Modellen geformt wurden, an denen sich der deutsche Geist bilden sollte, bis in den heutigen Geschichtsunterricht für Zwölfjährige eine gerade Linie führt, die auf den Namen Identitätsbildung hört. Diesen Optimismus bewundere ich.
Gleichwohl verschließt sie selbstverständlich nicht die Augen vor der Wirklichkeit: Die alten Griechen haben es zunehmend schwer im Geschichtsunterricht, selbst am Gymnasium. Ihre konkrete Gegenwarts- und Zukunftsrelevanz ist nachzuweisen, zweckfreie Bildung durch die Beschäftigung mit wertvollen Gegenständen hat ausgedient, und wer als Althistoriker dafür eintritt, auch künftig die alten Griechen zu behandeln, sieht sich von einem bekannten Geschichtsdidaktiker als „Epochenlobbyist“ beschimpft. (Allein schon für den Hinweis auf dieses Zitat hat sich die Lektüre gelohnt.) Historikern der NS-Zeit würde wohl kaum derartiges vorgeworfen werden. Auch nicht günstig für die alten Hellenen: Die Gegenstände werden zunehmend beliebig, verstärkt durch die neumodischen sog. Kompetenzen, die von Schülerinnen und Schülern erworben werden sollen, ohne daß gesagt wird, an welchen Gegenständen das am besten geschieht. Aber die Didaktiker haben es leicht: Wer von keiner Epoche wirklich Ahnung hat, kann einzelne leicht zur „Entrümpelung“ freigeben!
Aus der erwähnten Dissertation erfährt man viel Kluges über den Begriff der Identität und über „soziales Identitätsbewusstsein als Zielbestimmung historischen Lernens“. Die Verfasserin muß freilich einräumen, daß ganz unklar ist, ob und wie Schulbücher ein solches Bewußtsein überhaupt zu prägen vermögen. Wozu dann aber der Aufwand? Daß die griechische Antike im Geschichtsunterricht (immer noch) eine gewisse Rolle spielt, hat nach meinen Beobachtungen (leider!) kaum mehr etwas mit einem gründlichen Nachdenken über ihr orientierendes, gegenwartskritisches oder gar Identität stiftendes Potential zu tun, sondern mit Vorgaben (noch!) und Gewohnheit; außerdem lassen sich griechische Mythen und Olympische Spiel wenigstens halbwegs altersgerecht vermitteln.
Lieber läse man etwas über das problematische Genre Schulgeschichtsbuch, das für alle möglichen Arbeitsformen taugen soll, und über die Bedingungen des Entstehens eines solchen. Wenn dann im analytischen Hauptteil der Dissertation davon die Rede ist, dass auch neuere Bücher voll von problematischen Sachdarstellungen und ungeeigneten Visualisierungen sind, so trifft das zu, wird aber nicht ausreichend erklärt. Ich habe vor vielen Jahren einmal an einem Schulbuch für die Sekundarstufe I mitgearbeitet und dabei beobachten können, warum diese Werke so aussehen, wie sie aussehen – und das, obwohl wirklich alle Beteiligten ihr Bestes tun. Die Ursachen sind vielfältig. Mit ihren Merkkästen, Arbeitsfragen und Arbeitsblättern vermitteln Schulgeschichtsbücher den Eindruck, Geschichte sei ein Lerngegenstand wie die unregelmäßigen Verben oder die Mendelschen Vererbungsgesetze. Die Bücher sollen Orientierungswissen vermitteln, Begriffe erklären, Empathie ermöglichen, problemorientiertes Denken einüben, den Status von geschichtlichem Wissen und Urteilen verdeutlichen und den Lernenden mithilfe von Quellen in ganz kleinen Sandkästen die Arbeit des Historikers verdeutlichen. Sie sollen für viele verschiedene Arbeitsformen im Unterricht und zu Hause verwendbar sein. (Die Praxis ist ganz uneinheitlich: Das Buch dienst als Grundlage des Unterrichts, Hilfsmittel zur Vorbereitung, Repetitorium zur Wiederholung; es wird kontinuierlich benutzt oder als Steinbruch. Letzteres macht z.B. alle Bemühungen um rote Fäden, um Querverweise und immanente Wiederholung zunichte.) Obwohl Verlage und Autoren viel Aufwand und Mühe in die Entwicklung neuer Bücher stecken, sind diese sprichwörtlichen eierlegenden Wollmilchsäue einander in den letzten Jahren immer ähnlicher geworden.
Den Standard bildet – der Not des knappen Raumes gehorchend – eine dichte, stark reflektierende, jede unmittelbare Evidenz vermeidende Mitteilungsprosa, ergänzt durch sog. Arbeitsteile, in denen mehr oder weniger stark bearbeitete Quellenstücke meist auf ein einziges, bestimmtes Erkenntnisziel hin auszuwerten sind. Es überrascht nicht, daß nach Untersuchungen das Schulgeschichtsbuch das unbeliebteste und zugleich am häufigsten eingesetzte Medium des Geschichtsunterrichts ist. Hinzu kommt als ein neuerer Aspekt, daß wohl in allen Schulformen die Lesefähigkeit, die Lesebereitschaft und das durchschnittliche Lesequantum der Schülerinnen und Schüler geringer geworden sind. Wenn der Geschichtsunterricht in der sechsten oder gar fünften Klasse beginnt, verschärft sich das Problem, doch schon vor über zwanzig Jahren habe ich über ein renommiertes Buch verschiedentlich den Satz gehört: vorzüglich, aber nur für die Unterrichtenden. Für SchülerInnen ungeeignet, da man fast jeden Satz des darstellenden Textes wie aus einer Fremdsprache entschlüsseln und buchstäblich übersetzen muß. In einer Neuauflage hat man sich dann um Vereinfachung bemüht.
Meine eigenen Erfahrungen: Als einzelner Autor kann man wirkliche Neuerungen nur schwer durchsetzen. Gewünscht war eine deutlich erkennbare Kontinuität zum Vorgängerbuch, damit die Unterrichtenden nicht zu viel Arbeit hätten und im Neuen genügend Altes wiederfänden. Ich habe anfangs versucht, eine Idee meines Kollegen Justus Cobet umzusetzen und den Griechenlandabschnitt mit Alexander d.Gr. zu beginnen, was viele Vorteile hätte, u.a.:
– Einstieg über eine konkrete Person, die einen Namen und ein Gesicht hat und etwas Außergewöhnliches tut;
– Alexander war jung;
– Rückverweis auf den Alten Orient: immanente Wiederholung; Einbindung der Griechen in eine größeren geographischen und historischen Zusammenhang;
– Grundzüge griechischer Existenz ließen sich bereits hier ganz zwanglos aufzeigen: Mythosbezug, Wettbewerbsethik, Verhältnis Mensch und Götter u.v.a.m.
– wesentliche Dimension des Historischen: Mythisierung einer historischen Person.
Das wurde mit der Begründung abgelehnt, das Verlassen der Chronologie würde die Unterrichtenden verwirren. Im Detail war es immer wieder interessant zu sehen, was geht und was nicht geht. Perikles ist offenbar unverzichtbar, und die irrige Vorstellung, er sei in der Demokratie eine quasi-monarchische Führergestalt gewesen und Initiator des großen Bauprogramms, hält sich zäh. Als Kompromiß wurde er im fertigen Kapitel dann zwar genannt, aber reduziert auf seinen unstrittigen Rang als militärischer Führer und zeitweilig einflußreicher Politiker, der jedoch schon kurz nach Beginn des Krieges gescheitert war. Stichwort Krieg: Der Peloponnesische Krieg muß so genannt werden, trotz der guten Argumente dagegen (noch Studierende schreiben das Attribut oft falsch). Unverzichtbar erscheinen offenbar auch die Verfassungsschemata, die bei der athenischen Demokratie weder sach- noch altersgemäß sind. Ich konnte erreichen, daß darauf verzichtet und stattdessen ein Schaubild gezeigt wurde, das den Bürger mit seinen Rechten und Pflichten in den Mittelpunkt rückt. In einigen Regionalausgaben sind später – offenbar auf Vorgaben des dortigen Lehrplanes hin – solche Schemata hinzugefügt und die neue Darstellung durch Addition von alten Mustern ‘ergänzt‘ worden.
Großer Konformitätsdruck ging jedenfalls damals von den kaum berechenbaren Genehmigungsgremien aus, die ein eingereichtes SB auf Richtlinienkonformität, sachliche und politische Korrektheit und ein gutes Stück auch nach eigenem Gusto begutachteten; hier ging es für die Verlage um erhebliche finanzielle Risiken. Ob das heute noch so ist, weiß ich nicht.
In minutiöser Kleinarbeit und mit dem Besteck der Ideologiekritik identifiziert die Verfasserin die mehr oder minder verborgenen, polarisierenden, stereotypen, ursprungsmythischen sowie ethno- und eurozentrischen Deutungsmuster, die von den Schulbüchern – trotz aller Differenzierungen – immer noch transportiert würden. Das Resultat dürfte zutreffender sein als die Frage. Die Verfasserin verweist einleitend auf eine ähnliche Untersuchung, die vor knapp vierzig Jahren erschien. Warten wir auf die nächste Bestandsaufnahme in, sagen wir: zwanzig Jahren. Wenn es den Gegenstand dann überhaupt noch gibt.
Katja Gorbahn, Die Geschichte des antiken Griechenland als Identifikationsangebot. Untersuchungen zur Konstruktion sozialer Identität in neueren Schulgeschichtsbüchern (Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, 3). 401 S., einige Abb. und Graphiken, geb., € 53,90, V&R unipress, Göttingen 2011.
"Genehmigungsgremien, die ein...
„Genehmigungsgremien, die ein eingereichtes SB auf sachliche und politische Korrektheit begutachteten“
Oh je. Wie will man diese beiden Faktoren zusammenbekommen? „Unsere Kultur beruht auf den großen Leistungen von militaristischen, rassistischen, frauenverachtenden, oligarchischen Organisationen“ (Sie wissen schon, griechische Philosophie, römisches Recht, christliche Tradition)
Ein zentraler Denkfehler oder...
Ein zentraler Denkfehler oder eine Sinnestäuschung scheint mir die Wahrnehmung zu sein, dass der Focus in der Schule heute immer mehr auf kurzfristige ökonomische Verwertbarkeit der Schulbildung gerichtet würde. Ich behaupte: Das ist gar nicht so! Wie komme ich dazu, solches zu behaupten, und warum ist das ein Denkfehler bzw. eine Sinnestäuschung?
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In Wahrheit ist es doch eher so, dass sich heute niemand mehr traut, einen intellektuellen Anspruch zu formulieren. Denn sobald man dies täte, käme man in Teufels Küche. Die Politische Korrektheit schneidet hier sehr viele Wege ab. Jeglicher intellektuelle Anspruch rund um die Antike gilt doch inzwischen als „konstruiert“ und damit „entlarvt“, und zwar als eurozentrisch, ewiggestrig oder am besten gleich faschistisch. Diese Angst sitzt jedem im Nacken, der Schulpläne formuliert.
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Was folgt daraus? Ganz einfach: Die direkte ökonomische Verwertbarkeit ist der einzige politisch ungefährliche Anspruch, der *übrig* bleibt (!), wenn man alle höheren Ansprüche wegnimmt. Der Focus auf die Verwertbarkeit ist gar kein Focus, sondern ein Ausweich-Programm.
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Die Strategie derer, die eigentlich gerne einen Anspruch formulieren wollten, sich dies aber nicht getrauen, ist: Am besten nicht an den bestehenden Stoff rühren, am besten einfach fortschreiben, wie es bisher war, dann bleibt wenigstens noch etwas davon erhalten. Und die Strategie derer, die keinen Anspruch mehr haben wollen, lautet: Weg damit. In Kombination ergibt sich genau das, was wir beobachten: Von Mal zu Mal werden die alten Bildungsinhalte mehr abgeschliffen, bleiben aber immer noch stehen. Neues kommt nicht hinzu. Eine neue Perspektive wird auch nicht eröffnet. Es ist doch klar, dass Perikles noch in alter Weise drin steht! Denn es besteht die Gefahr, dass er ersatzlos gestrichen wird, wenn man die Debatte eröffnen würde!
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Man müsste mit der Frage „Was ist unser intellektueller Anspruch, unsere Identität und unser Stolz?“ in die Debatte um so ein Schulbuch gehen. Unmöglich? Undenkbar? Lächerlich? Da sage ich nur trocken: q.e.d.
Die Korrekturmöglichkeit...
Die Korrekturmöglichkeit liegt nur in der Zukunft
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@Tberger: Da Sie „große Leistungen“ nicht in Anführungszeichen gesetzt haben, gehe ich davon aus, dass Sie es so meinen, wie Sie schreiben. „Politische Korrektheit“ ist allerdings ein semantisches Ungetüm, denn „korrekt“, im Sinne von „wahr“, darf nur die Betrachtung einer solchen (Politik) sein. Wenn die zu beschreibende Politik aber selber „korrekt“ sein sollte, dann wäre dies gleichzusetzen mit geschönt. Und genau dies ist nicht Aufgabe eines Geschichtsbuches.
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Die Interpretation einer Geschichtsepoche kann aber kritisch wie auch apologetisch sein (im Sinne von verherrlichend, unkritisch übernehmend…). Und in diesem Sinne, finde ich, gehören viele Geschichtsbücher, insbesondere Schulgeschichtsbücher, überarbeitet.
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Die Fakten sollen nicht geleugnet, oder gar verheimlicht, werden, sondern gewertet. Allerdings vor dem Hintergrund des mit vorgefundenen „Zeitgeistes“. Also nicht nachträglich „korrigiert“. Und wie groß dann gewisse Leistungen gewesen sind, lässt sich eben auch nur ermessen, im Kontext jenes Zeitgeistes, und den womöglich verhinderten Möglichkeiten. Verhindert in der Wirklichkeit des damaligen Klassenkampfes.
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Die griechische Antike kann man nicht (kritisch) verstehen ohne das junge griechische Patriarchat. Bedauerlicherweise wird aber genau dies nicht selten versucht.
Und da dem so ist, bleibt sie den meisten Schülern ein einziges Orakel. Ein Mythos. Und wie ein Mythos Identität stiftet – im negativen Sinne des Wortes – lässt sich an den Irrungen gerade der deutschen Romantik gut ablesen. Vom Peloponnesischen Krieg bis zum 2. Weltkrieg eine einzige „Nabelschau“ männlich-germanischer (christlich-abendländischer) Provenienz.
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Denn auch gerade die komplizierte Rolle Spartas wird verflacht. Obwohl untergehende, ja „reaktionäre“ Macht (gerade auch im Verhältnis zu Athen), wäre sie auch und gerade im Kontext des Übergangs von matrilinearen (Sparta) zu patrilinearen Gesellschaften eine wertvolle Quelle gerade für die modernste Geschichtsforschung, wie eben für die Kritik des „Patriarchats“. Eine Kritik, die in der Retrospektive auch und gerade diesbezüglich Sparta hätte gerechter werden können. (Spartas Militarismus muss nicht unbedingt nur im männlichen Sinne zu verstehen – und darin zu verherrlichen/oder abzulehnen – sein!)
So wie das Patriarchat begann, zumindest in Griechenland, so scheint es irgendwie enden zu wollen – seine homoerotisch konnotierten Komplexe (Die Risse in seiner Männlichkeit/die Fehlstrukturen in seiner Identität) nunmehr in der (vielleicht gar selbst gewählten) „Androgynität“ (Bornemann/Das Patriarchat, https://blog.herold-binsack.eu/?p=1989) aufhebend. Dennoch darin nicht mehr Tragisches, „Unabwendbares“ (https://blog.herold-binsack.eu/?p=1981), denn eigentlich Vermeidbares. Wo aber der Klassenkampf als Motor der Geschichte geleugnet wird, und womöglich durch Gender Mainstreaming ersetzt, da wirken dennoch die historisch gesetzten Vektoren.
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So will es mir kein Zufall , sondern geradezu ein Beleg für die vielleicht gar über die Jahrtausende aufgehobene Rache eines Weibes sein, dass ausgerechnet eine Frau nunmehr den Zugriff sich verschafft auf eben diese „Uridentität“ ihres verhassten Gegners. Wo sie nunmehr, darin gar ihre Chance nutzend, diese nachträglich ein wenig zu „korrigieren“ sucht. Korrekte Sprache wie korrekte Politik Synonyme quasi für die (nachträgliche) weibliche Betrachtung einer Geschichte, welche dennoch ihr als Geschichte nicht mehr korrigierbar sein will. Es wäre eine böse Ironie, im Übrigen auch für das Weib. Die Korrekturmöglichkeit liegt nur in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit.
Einfach mal so als Mutter...
Einfach mal so als Mutter gesagt: So isses!
Wir alle wissen, dass Kinder immer mehr lernen müssten, gerade weil Geschichte ja jeden Tag passiert. Statt dessen werden ihnen „Kompetenzen“ beigebracht. – Von Lehrern, die oft selbst keine Ahnung von diesen Kompetenzen haben. Zusätzlich werden gerade in den Realschulen Geschichtsstunden zusammengekürzt. Da leiden nicht nur die alten Griechen, auch die anderen Hochkulturen
Obwohl Sie, Herr Walter,...
Obwohl Sie, Herr Walter, wahrlich viel Interessantes und Richtiges schreiben, ist es ein Satz, der mir immer wieder durch den Kopf zieht, und ich frage ich mich, ob nicht vielleicht das kleine Wörtchen „zu“ darin fehlen könnte. Ich meine den Satz:
„Das [der Einstieg ins Thema ‚Altes Griechenland‘ über Alexander d. Gr.] wurde mit der Begründung abgelehnt, das Verlassen der Chronologie würde die Unterrichtenden verwirren.“
Bestimmt sind die „zu Unterrichtenden“ gemeint.
– Alles andere würde mich ja gleich noch viel tiefer erschüttern.
Lieber Kolma_Puschi,
ja,...
Lieber Kolma_Puschi,
ja, manchmal vergesse ich ein Wort, was dann zu ungrammatischen Sätzen führt und wofür ich um Entschuldigung bitte.
Hier aber nicht. Das ‚Argument‘ des Redakteurs lautete tatsächlich, eine solche Neugruppierung des Stoffes würde die Lehrerinnen und Lehrer verwirren. Die Kinder ja nicht, denn für sie ist das ja alles neu und interessant und muß sich nicht gegen eine eingerastete kognitive Matrix (oder einfacher: gegen Bequemlichkeit) durchsetzen, sondern nur eine gewisse Evidenz besitzen. und anregend sein.
Dass vor dem Erwerb jeder Art...
Dass vor dem Erwerb jeder Art von “Kompetenzen” in den Geschichtswissenschaften immer eine hohe Dosis an Faktenhuberei steht, ist eine vielleicht lästige, aber nichtsdestoweniger unumstößliche Tatsache. Dass diese Fakten aber immer noch als unumstößliche präsentiert werden anstatt als von der Wissenschaft aufgestellte, ist geeignet, die Schüler noch nachhaltiger dem Stoff zu entfremden.
Folgt man den sehr konkreten und plastisch geschilderten Erlebnissen des Bloggers in einer Schulbuchkommission, wird klar, dass dem Lehrplan weder Didaktik noch Liebe zum Fach zugrunde liegen. Natürlich wäre der vorgeschlagene Ansatz, den Kursus mit Alexander dem Großen beginnen zu lassen, ein vernünftiges Konzept. Es ist doch genauso, wie es der Blogger in seinem vorletzten Beitrag über den angeblichen Widerspruch zwischen antiker Welt als Vorbild und kritischem Befragen dieser Welt durch philologische Kärrnerarbeit geschrieben hat: “Das Schöne ist nicht weniger schön, wenn seine Entstehung ebenso wie unsere Wahrnehmung als historisch bedingt erwiesen sind und wir uns bemühen, beider Bedingungen so umfassend wie möglich zu erfassen.”
Eine bestimmte, hoffentlich möglichst hohe Affinität zum Gegenstand sollte stets die Initialzündung für wissenschaftliches Interesse sein. Warum aber sollte es unzumutbar sein, sich im Verlauf der Beschäftigung dann eines Besseren belehren zu lassen und romantische Verklärung fahren zu lassen? Ich hänge der altmodischen Auffassung an, dass erst aus diesem Prozess Menschlichkeit und Wissenschaft hervorgehen und bin zuversichtlich, dass man den Gegenstand schon nicht hassen lernen wird.
Was die Erlebniswelt der “Unterrichtenden” (vulgo Lehrkräfte an weiterführenden Schulen) betrifft, habe ich zwei Anekdoten beizusteuern: Ich habe vor 25 Jahren in Baden-Württemberg Gymnasiallehrer verschiedener Fächerkombinationen unterwiesen, die als Ethiklehrer eingesetzt werden wollten. Sie hatten samt und sonders ein akademisches Studium absolviert, und dies mehrheitlich auf geisteswissenschaftlichem Gebiet. Die Empfehlung, über meine Vorträge hinaus zur gebotenen Ergänzung vielleicht einmal das eine oder andere lesenswerte Buch in die Hand zu nehmen, das – horribile dictu – vielleicht sogar in einer “Fremdsprache” verfasst war, wurde als schlechter Scherz beziehungsweise Zumutung gewertet. Das hat mich erstaunt. Schon nicht mehr erstaunt hat mich dann zwanzig Jahre später im Geschichtsstudium in München das wiederholt auftauchende Phänomen, dass Kommilitonen unter Verweis auf ihren vorgeblich inferioren Status als Lehramtskandidaten von den Dozenten irgendeinen “Komplexitätsnachlass” beim Erwerb ihrer Scheine erbaten. Auch das ließ mich nicht unbeeindruckt und formte mein Vorurteil über die Qualität des Unterrichts, den die dann ausgewachsenen Studiosi für den langen Rest ihres Berufslebens arglosen Schülern zumuten würden.