Antike und Abendland

Antike und Abendland

Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Die Zukunft der Classics – verwickelt

| 8 Lesermeinungen

Ein aufmerksamer Leser macht mich auf einen aktuellen Artikel von Mary Beard aufmerksam, erschienen in der New York Review of Books, einem amerikanischen...

Ein aufmerksamer Leser macht mich auf einen aktuellen Artikel von Mary Beard aufmerksam, erschienen in der New York Review of Books, einem amerikanischen Gegenstück zum TLS (Do the Classics Have a Future? 12. Jan. 2012). Theoretisch versiert, wie sie ist, geht die Autorin die Frage nicht frontal an, sondern beobachtet die Diskussion darüber, ausgehend von dem in England offenbar bekannten und schon zweimal verfilmten Theaterstück The Browning Version von Terence Rattigan, uraufgeführt 1948. (Der Titel des Stücks spielt auf eine einst gängige Übersetzung von Aischylos‘ Agamemnon an, die für den Protagonisten, einen Lehrer für Griechisch und Latein, Bedeutung hat.) Die Frage, auf die MB hinauswill, ist einfach: Wie machen wir die Alte Welt für uns bedeutsam? Wie übersetzen wir sie?

Ihre eigene, im kulturwissenschaftliche Sprech formulierte Grundposition ist solide und nicht neu: „(T)he cultural language of the classics continues to be an essential and ineradicable dialect of ‘Western culture‘.“ Das ist aber keine Antwort auf die Frage, wie viel in Euro und Cent uns die Pflege dieses Dialektes wert ist. Die zweite Verfilmung von Rattigans Stück setzt die Frage zuspitzend in eine Änderung der Fabel um: Der Nachfolger des Philologen Crook geht im Stück daran, das teaching of classics zu modernisieren, und nimmt damit eine alte Debatte auf – Lehrbücher der lateinischen Grammatik gab es einerseits schon in der Antike, andererseits stellte sich im Zeichen von Lernzieltaxonomien und aktuell Kompetenzenvermittlung stets die Frage nach der Reformfähigkeit des Lateinunterrichts. In der erwähnten Verfilmung von 1994 geht es um die Existenz des altphilologischen Unterrichts schlechthin – der Nachfolger will lieber Deutsch, Französisch und Spanisch gelehrt sehen, angesichts einer multikulturellen Welt.

Beard skizziert die Debatte, nennt einige der zahlreichen Bücher, die sich um die Zukunft der classics Sorgen machen (auch dies beileibe kein neues Phänomen!), und verweist auf die Initiative, die Alten Sprachen zum Weltkulturerbe zu erklären. Und mit Recht benennt sie die Einäugigkeiten in der Debatte: Wo die Befürworter den menschenbildenden, humanen Wert der antiken Gedanken und Texte unterstreichen und mit der Klassikerlektüre von Marx, Freud und der amerikanischen Gründerväter belegen, können die Gegner darauf verweisen, daß die Briten ihr Empire mit Cicero in der Hand bauten und Goebbels zur Nacht griechische Tragödien las. (Ich prüfe letzteres jetzt nicht nach.) Wo die Befürworter hervorheben, die modische Verachtung der classics an Universitäten habe auch mit der Faulheit flinker Kulturwissenschaftler zu tun, sich mit schwer zu erlernenden Sprache abzumühen, verweisen ihre Kontrahenten auf den Unwillen nicht weniger classicists, die Mauern ihrer erhabenen Festung zu verlassen und sich modernen Fragen zu öffnen. Beards Fazit verdient gewiß Zustimmung: „The classical past has never been co-opted by only one political tendency: the classics have probably legitimated as many revolutions as they’ve legitimated conservative dictatorships (and Aeschylus has (…) been performed both as Nazi propaganda and to support liberation movements in sub-Saharan Africa).“ Der Katechismus der Rezeptionsforschung ist ihr selbstverständlich ebenfalls vertraut: Classics sind „a cultural language that we have learned to speak, in dialogue with the idea of antiquity. And to state the obvious, in a way, if they are about anybody, the classics are, of course, about us as much as about the Greeks and Romans.“ Altertumswissenschaften haben es nicht (nur) mit dem Altertum zu tun, sondern mit der Frage, was zwischen dem Altertum und ‘uns‘ mit ersterem passiert ist, daß es immer Einfluß auf die zweiteren hatte. Der Satz „die Athener erfanden die Demokratie“ ist ein falscher Freund, aber Dante las nun einmal Vergil und nicht das Gilgamensch-Epos.

Geschichtstheoretisch betrachtet verliert auch die folgende Zuspitzung durch MB einiges an Paradoxie: Da die Antike als Referenzrahmen der altertumswissenschaftlichen Fächer als solche vollständig vergangen ist, da ferner ihre Überreste der Gegenwart angehören und von dort aus mit Sinn und Bedeutung zu füllen sind, muß das Grundgefühl eines classicist – alles elitäre Selbstgefühl und allen zeitweise dominanten Fortschrittsoptimismus im Fach einmal fortgelassen – das des kontinuierlichen Verlustes und damit auch des Niedergangs sein:

„The truth is that the classics are by definition in decline; even in what we now call the ‘Renaissance,‘ the humanists were not celebrating the ‘rebirth‘ of the classics; rather (…) they were for the most part engaged in a desperate last-ditch attempt to save the fleeting and fragile traces of the classics from oblivion. There has been no generation since at least the second century AD that has imagined that it was fostering the classical tradition better than its predecessors.“ Verstärkt wurde dieser Zusammenhang seit dem Neuhumanismus durch das ambivalente Verhältnis zur Moderne. Doch die Furcht vor dem drohenden Verlust, dem Abreißen des Fadens der Kultur schlechthin, hat immer wieder Energien und quecksilbriges Suchen nach neuen Fragen und Antworten in alten Texten ausgelöst. MB hätte dafür auf Jacob Burckhardt verweisen können, bei dem dieser Zusammenhang ganz evident ist.

Im Fluß der aufgeklärten Beobachtung zweiter Ordnung überrascht dann freilich ein emphatischer Satz: Das Studium des Altertums zu amputieren „would mean bleeding wounds in the body of Western culture – and a dark future of misunderstanding“.

Mit guten Gründen widerrät MB schließlich der Tonnenideologie mancher Lobbyisten der Alten Sprachen; es gehe um Qualität, nicht Quantität: „(T)he overall strength of the classics is not to be measured by exactly how many young people know Latin and Greek from high school or university. It is better measured by asking how many believe that there should be people in the world who do know Latin and Greek, how many people think that there is an expertise in that worth taking seriously – and ultimately paying for.“ Aber ist beides so leicht zu trennen? Wie groß kann die zweite der genannten Gruppen sein, wenn die erste, die in eine Vertrautheit mit der Antike durch die Schule Hineinsozialisierten, immer kleiner wird, die kritische Masse unterschreitet? Man kann, wie letzten Donnerstag in einem deprimierenden Bildungswelten-Artikel von Heike Schmoll aus Anlaß eines Schüler-Projektes des Berliner altertumswissenschaftlichen Exzellenzclusters TOPOI zu lesen war, die Antike noch so kreativ und engagiert bereitstellen: Wenn auf der anderen Seite gar nichts da ist, fällt jeder Same auf tauben Boden und verdorrt.


8 Lesermeinungen

  1. Oberfrosch sagt:

    Kann jemand das am Ende...
    Kann jemand das am Ende genannte Testimonium Schmoll T 2-6-2012 Walter auflösen? Findet sich der „Bildungswelten-Artikel“ irgendwo on- oder offline??

  2. DerMersch sagt:

    Welchen Nutzen bieten die...
    Welchen Nutzen bieten die „Classics“? Die Frage scheint ja ewig sexy zu bleiben. Reihen wir uns also ein in die ehrwürdige Tradition einer Debatte, die seit Petrarca geführt wird, also rund 700 Jahren.
    Beginnen wir mit dem einfachsten Teilaspekt: Wie sollen wir es mit den alten Sprachen halten?
    Für mich sind die Prioritäten klar: Die Forderung der Gegenwart besteht im Erwerb moderner Fremdsprachen. Das Argument, Kenntnisse im Lateinischen erleichterten den Erwerb romanischer Gegenwartssprachen, führt in die Irre, denn der Satz ist umkehrbar: Wer Italienisch beherrscht, tut sich mit Latein leichter. Wesentlicher als die Frage der linguistischen Schützenhilfe im Hirn des Gebildeten aber ist es, sich sprachlich und emotional zunächst einmal mit seinen europäischen Zeitgenossen auseinander zu setzen, alles andere mag anschließend an der Universität erfolgen, dort dann aber bitte gründlich und kompetent! Angesichts dieser Forderung halte ich es für einen Skandal, das bereits vor dreißig Jahren die Universität Tübingen bei Studenten der Philosophie im Hauptfach (!) auf den Nachweis altgriechischer Sprachkenntnisse verzichtete. Damit wird ein Freibrief für das Bohren ganz dünner Bretter ausgestellt.
    Man darf allerdings nicht den Fehler begehen, in der Rückprojektion nichts als die blühenden Landschaften eines goldenen Zeitalter zu erblicken: In der Renaissance waren Kenntnisse des Altgriechischen selbst unter Humanisten auf einen äußerst engen Kreis beschränkt. Es geht nicht um die Pflege des Antiquarischen in der Geschichts- und Altertumswissenschaft, nicht um das Schmücken mit Bildungsfedern, sondern um das Erschließen einer Gedankenquelle, das uns in die Lage versetzt, auf der Grundlage des Alten, und mag es noch so vermittelt, die Jahrhunderte hindurchgereicht und meinetwegen heruntergewirtschaftet sein, Neues zu denken. Dies leisteten die Humanisten der Renaissance durchaus, auch wenn dies in geringerem Maße in Zusammenhang mit ihrer philologischen Kompetenz stand als gemeinhin angenommen.
    In China gibt es gegenwärtig übrigens einen kleinen Kreis von Hochschullehrern, die latinistische und gräzistische Studien nicht aus dem selbstgenügsamen Zweck der Sprachpflege betreiben, sondern als einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis der westlichen Welt verstanden haben. Für äußerst einsichtsvoll und anregend erachte ich auch die Arbeiten von François Jullien, einem Altsprachler, der über das Studium der Sinologie zu äußerst interessanten Vergleichen des chinesischen Denkens mit dem westlichen gelangt. Sein gründliches philologisches Rüstzeug im Lateinischen, Altgriechischen, Japanischen, Altchinesischem und Standardchinesischem bewahrt ihn davor, jemals in die seichten Gewässer der Esoterik zu geraten. Was lernen wir daraus? Man darf nicht faul sein. Lehrende sollten darin immer mit glänzendem Beispiel vorangehen, Nachahmer finden sich dann so sicher wie das Amen in der Kirche.

  3. everwood sagt:

    Werter Oberfrosch, hier die...
    Werter Oberfrosch, hier die gewünschte Angabe:
    Heike Schmoll, Lernen mit der schönsten Frau Berlins. Ein Vergnügen und ein Kampf: An exemplarischen Forschungsorten der Bundeshauptstadt wird Schülern das Altertum nähergebracht, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.02.2012, Nr. 28, S. 8.
    M.W. nicht kostenfrei online.

  4. Das Grundproblem ist doch: Wer...
    Das Grundproblem ist doch: Wer von der Antike nichts weiß, weiß gar nicht, was ihm entgeht. Wie soll man ihn dann aufmerksam machen?
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    Meiner Meinung nach verpassen die Altertumswissenschaften es z.B, sich in aktuelle Debatten einzuschalten, nach dem Motto: „Alles schon mal dagewesen“, und: „Wenn es schon einmal bedacht wurde, wurde damals vielleicht sogar eine bessere, mehr exemplarische Lösung gefunden als heute. Schaut mal her und guckt und staunt!“
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    Beispiele:
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    Richard Dawkins und die Atheismus-Debatte rauschten gehörig durchs Feuilleton. Aber habe ich etwas zu Ciceros De natura deorum gelesen? Oder Platons Mythen? Man hätte Probanden bestimmte Ausschnitte von De natura deorum vorlegen und sie fragen können, ob das aus Richard Dawkins ist – die meisten hätten wohl ja gesagt. In Platons Mythen würde man Ansätze finden, den plumpen Atheismus zu hinterfragen.
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    Allenthalben wird gerade der Ruf nach mehr direkter Demokratie lauter. Vielleicht ist der oben erwähnte falsche Freund („Der Satz „die Athener erfanden die Demokratie“ ist ein falscher Freund“) heute weniger falsch als noch vor 10 Jahren?
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    In der Islam-Debatte wollte es FAZ-Feuillton-Chef Patrick Bahners uns, den freien Bürgern, lustigerweise verbieten, mit antiken Philosophen zu argumentieren. Allein die Tatsache, dass jemand meint, es sei nötig, ein partielles Denkverbot über die Antike zu verhängen, hätte aufhorchen lassen müssen! Was hätten denn die antiken Philosophen so „gefährliches“ zur Islam-Debatte beizutragen, dass Bahners es verbieten möchte?
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    Da herrscht mir zu viel Schweigen im Teutoburger Walde …

  5. DerMersch sagt:

    Lieber Herr Franke, ich greife...
    Lieber Herr Franke, ich greife Ihre Stellungnahme auf:
    „Meiner Meinung nach verpassen die Altertumswissenschaften es z.B, sich in aktuelle Debatten einzuschalten.“
    Unser verehrter Blogger als Gastgeber unternimmt ja ansatzweise diesen dankenswerten Versuch. Ob er gelingt, vermag ich nicht zu entscheiden. Die Zahl der Kommentare scheint eher dagegen zu sprechen. Aber das muss nicht das einzig gültige Kriterium sein. Vielleicht gibt es unzählige stille Genießer dieses Blogs.
    Ich glaube, dass Ressortpatriotismus, Departementalisierung des Geistes, Betriebsblindheit infolge übermäßiger Spezialisierung und schlicht Desinteresse an Gegenwartsfragen im Kreise der Experten dazu beitragen, dass sich Wissen der Antike und über die Antike nicht in wünschenswertem Umfang nutzbar machen lassen.
    Erlauben Sie mir noch, „das Schweigen des Teutoburger Waldes“ zu brechen, obwohl mir das als Südbayer kaum zustehen dürfte, waren meine Stammlande doch schon sehr früh unter welsche Fremdherrschaft gefallen. Davon profitieren sie bis heute, was nebenbei bemerkt sogar auf die notorisch rückständigen Nordgebiete der heutigen Bundesrepublik ausstrahlt.
    Habe ich etwas übersehen, oder spielen Sie mit dem Hinweis auf Patrick Bahners auf folgende Stelle in seiner letztjährigen Schrift „Die Panikmacher“ an?
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    „Wie sollen Christdemokraten, die sich vom Wortlaut des Leitantrags des Karlsruher Parteitags leiten lassen, die 58,4 Prozent der Deutschen ernst nehmen, die sich nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung der Aussage zustimmen, dass für Muslime die Religionsausübung erheblich eingeschränkt werden sollte? Indem sie ihnen sagen: «Schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Lesen Sie noch einmal im Grundgesetz nach, studieren Sie die Klassiker der Aufklärung und bedenken Sie unsere historische Erfahrung, insbesondere was die Behandlung der Juden durch die Christen betrifft. Und wenn Sie einen Philosophen der Antike zitieren wollen, dann erinnern Sie sich daran, dass die Stadtstaaten des Altertums Staatsreligionen hatten und der eigentliche Gegenstand der Verehrung der Staat selbst war. Das wollen wir in Deutschland nicht.» Wenn die Politiker meinen, die Wunschbilder eines Deutschland ohne Muslime würden schon wieder verfliegen, wenn nur weiterhin hierzulande kein großer Terroranschlag geschehe und irgendwann die Imamausbildung an hiesigen Universitäten beginne, dann nehmen sie die Bürger nicht ernst. Wo Ernstnehmen bedeutet, Vorurteile stehenzulassen, schwelen zu lassen, wuchern zu lassen, da schließt sich ein rhetorischer Teufelskreis: Die Politiker beteiligen sich am Aufwiegeln um abzuwiegeln, aus Angst vor der Angst.“ (S. 45)
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    Wenn Sie daraus ein „Denkverbot“ lesen, lieber Herr Franke, sollten Sie danach trachten, Ihr Textverständnis zu verbessern. Wenn es darum allerdings gut bestellt sein sollte, handeln Sie mit Vorsatz und gebrauchen das Argument eines Rabulisten. Aber nichts für ungut, vielleicht spielen Sie ja auch auf etwas ganz anderes an.

  6. @DerMersch:
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    Unser Blogger...

    @DerMersch:
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    Unser Blogger leistet in der Tat einen dankenswerten Beitrag, aber mir schwebte anderes vor, größeres, aggressiveres: Ein Netzwerk von eloquenten und fotogenen Altertumswissenschaftlern, die sich unter einer einheitlichen Telefonnummer und einheitlicher Homepage für Journalisten anbieten, Themen des Zeitgeschehens aus ihrer Perspektive zu kommentieren. Mir wäre jedenfalls keine solche Telefonnummer bekannt, unter der ich auf die Schnelle einen passenden Interviewpartner oder Talkshow-Gast organisieren könnte. Wenn ein Journalist das heute will, muss er sich schon ein wenig auskennen und herumtelefonieren – eine Hürde, die bereits zu hoch ist. Zudem würde so ein Angebot überhaupt erst das Bewusstsein schaffen, dass man Altertumswissenschaftler auch zu Gegenwartsthemen befragen kann. Auf die Idee kommt doch heute kaum ein Journalist.
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    Das nur zur Klärung, was mir vorschwebte. Der Blog hier ist aber auch gut, keine Frage. Allein die Tatsache, dass wir das hier diskutieren können, ist schon unendlich wertvoll. Dank an Uwe Walter!
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    Zu Bahners & Co.:
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    Ich bin zunächst anders als Bahners nicht der Auffassung, dass eine nennenswerte Zahl von Deutschen die Religionsausübung für Muslime einschränken möchte, wie die Friedrich-Ebert-Stiftung laut Bahners behauptet. Das ist leicht zu erkennen als eine bewusst nicht differenzierende Fangfrage von politisch einseitig interessierten Pseudo-Demoskopen, die weniger gebildeten Menschen wie ein Knochen vorgeworen wurde, damit diese dann danach schnappen wie ein Hund, ohne zu bemerken, was das eigentlich heißt – und schwupps – können die Demoskopen behaupten, sie hätten Islamfeindlichkeit und antidemokratisches Denken gefunden, wo in Wahrheit nur gewöhnliche, niemals besiegbare Gedankenlosigkeit herrscht – oder auch schlicht ein Mangel an differenzierenden Auswahlmöglichkeiten: Wir kennen das alle von den Online-Umfragen großer Zeitungen: Die Wahl, die man gerne treffen würde, liegt meist irgendwo zwischen den angebotenen Möglichkeiten. Haben Sie da noch nie eine Meinung angeklickt, die ein wenig extremer ist, als sie eigentlich meinen würden, weil Ihre Meinung sonst völlig unter den Tisch fällt? Gewiss haben Sie das, denn auch Sie sind kein Heiliger. – Außerdem frage ich mich, ob es korrekt ist, dass die Friedrich-Ebert-Stiftung von „Deutschen“ spricht – hat sie sich bei der Befragung den Pass zeigen lassen? Wohl kaum. Kürzlich hieß es ja auch, 20% der „Deutschen“ seien Antisemiten … gerade dann, wenn es Sinn machen würde, von „Bevölkerung“ statt von „Volk“ zu sprechen, unterlassen diese Pseudo-Demoskopen es, wie peinlich! Denn wir alle wissen ganz ohne Demoskopie, in welchem Bevölkerungsteil der Antisemitismus am stärksten ausgeprägt ist; da haben aber noch nicht alle den deutschen Pass. Soviel zum Thema Pseudo-Demoskopie, und Bahners verwendet das unbesehen!
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    Das Problem mit dem traditionalistischen Teil des Islam ist bekanntlich nicht der religiöse Aspekt, und das wissen die meisten Menschen hierzulande sehr genau. Das Problem mit dem traditionalistischen Spektrum des Islam, das nun einmal leider immer noch den islamischen Mainstream repräsentiert, ist doch gerade alles das, was über Religion im herkömmlichen Sinne hinausgeht, und deshalb definitiv nicht durch die Religionsfreiheit geschützt ist, wie immer wieder fälschlich behauptet wird. Die euro-islamischen Gegenbeispiele sind nun einmal in der Minderzahl, vgl. z.B. http://www.vdem.eu, und werden von Politik und Medien interessanterweise stiefmütterlich behandelt. Vielleicht deshalb, weil Reformer sinnfällig werden lassen würden, dass es da etwas gibt, was Reformen nötig hätte?
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    Ich gehe davon aus, dass Bahners das alles sehr genau wusste, als er das von Ihnen gebrachte Zitat schrieb. Sagen tut er all das jedoch nicht. Überhaupt gibt es vieles, was Bahners nicht sagt. Bahners antiaufklärerischen Vernebelungen unter dem Anschein von Bildung sind unsäglich. Bahners weiß ohne Frage viel und kann reden – gebildet ist er jedoch nicht. Bildung ist mehr als Sachwissen und Rhetorik, das lernen wir z.B. … von antiken Philosophen.
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    Den Staatskult der Antike als Argument dagegen anzuführen, Gedanken antiker Philosophen im Zusammenhang mit einer Religion aufzugreifen, ist ebenfalls eine solche Vernebelung. Hier spricht einer, der weder das Wesen dieser Staatskulte begriffen hat (haben wir denn heute keine „Staatskulte“? Gerade in Deutschland haben wir in der Tat wenig „Staatskult“, aber dass dies keine Errungenschaft sondern ein Problem sein könnte, kommt Bahners nicht in den Sinn) – und es spricht hier einer, der auch nicht begriffen hat, dass Aufklärung ein Prozess ist: Ein Prozess, an dessen Anfang natürlich noch nicht die reine Lehre herrschte, die später erreicht wurde; das Entscheidende ist doch nicht das Entwickelte, sondern die Entwicklung selbst. Eine Entwicklung, die im traditionalistischen Spektrum des Islam, wie gesagt dem islamischen Mainstream, leider nicht zu beobachten ist. Manche wollen von Athenischen Philosophen ja auch deshalb nichts wissen, weil es keine Frauen waren, oder weil sie Weiße waren, oder weil es damals noch Sklaverei gab – so klein kann man denken, und Bahners tut es!
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    Ursprünglich bezog ich mich auf eine andere Stelle, die ich jetzt aber nicht zur Hand habe. Ihre Stelle ist aber auch gut genug, um das falsche Denken von Bahners aufzuzeigen. Und ja: Das sind ganz klar Denkverbote bezüglich der Antike, bezüglich der Wurzel der Aufklärung. Gegenüber islamfeindlichen Rabulisten hat das lediglich den Vorteil, dass der Anschein von Bildung und Aufklärung suggeriert wird.
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    Was Bayern betrifft: Dass Bayern und Nordwürttemberg besser dastehen als Norddeutschland ist eine relativ neue Entwicklung, die mit „welscher Fremdherrschaft“ (Ihre Wortwahl) nichts zu tun hat – vielleicht eher mit amerikanischer Besatzung nach 1945, wenn überhaupt mit einer Besatzung? Vielleicht. Danken Sie Amerika! … übrigens ein multikulturelles Land mit einem außerordentlich kräftig entwickelten „Staatskult“, der extrem viel mit der Antike zu tun hat. Da könnten wir uns manche Scheibe davon abschneiden.

  7. "DerMersch
    07. Februar 2012,...

    „DerMersch
    07. Februar 2012, 08:24
    Vielleicht gibt es unzählige stille Genießer dieses Blogs.“
    Ich bin eine ganz stille Genießerin und würde gerne dem Blog-Autor meine Anerkennung aussprechen.
    Mitreden kann ich nicht, aber fast jeder Beitrag ist für mich eine Bereicherung.

  8. Der Artikel von Heike Schmoll,...
    Der Artikel von Heike Schmoll, Lernen mit der schönsten Frau Berlins. Ein Vergnügen und ein Kampf: An exemplarischen Forschungsorten der Bundeshauptstadt wird Schülern das Altertum nähergebracht, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.02.2012, Nr. 28, S. 8. ist jetzt auf den Seiten des Topoi-„Exzellenzclusters“ frei verfügbar (PDF, ca. 400 KB). https://www.topoi.org/wp-content/uploads/2010/12/f1202021.008-Kopie-o-Bild.pdf

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