Antike und Abendland

Antike und Abendland

Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Second to none. Companions heißen hierzulande Handbücher

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In der amerikanischen Publikationswelt gibt es, was die Classics angeht, seit einigen Jahren einen markanten Trend hin zu den sog. Companions. Unter diesen...

In der amerikanischen Publikationswelt gibt es, was die Classics angeht, seit einigen Jahren einen markanten Trend hin zu den sog. Companions. Unter diesen „Begleitern“ sind Sammelbände zu verstehen, die einen antiken Autor oder ein Themengebiet umfassend erschließen. Während im deutschsprachigen Raum in erster Linie der Beck-Verlag erfolgreich bemüht ist, mit verschiedenen Formaten – vom „Beck Wissen“-Bändchen bis zum „Handbuch der Altertumswissenschaft“ – unterschiedliche Lesergruppen außerhalb wie innerhalb der Universität anzusprechen, streben dort einige Häuser noch viel energischer danach, die gesamte Antike systematisch und seriell zu erschließen. Das ist möglich, weil der Markt um ein Mehrfaches größer ist, potentielle Autoren zahlreicher und Herausgeber durch professionelle Mitarbeiter in den Verlagen unterstützt werden. Reihenwerke blühen, und besonders der Großverlag Wiley-Blackwell ist dabei, den Colleges und Universitäten, die zumindest im undergraduate-Bereich standarisierte Curricula haben, mit präzise ineinandergreifenden Formaten eine Art ‘Rundumversorgung‘ zu bieten, darauf angelegt, das gesamte Studium möglichst nur mit Angeboten aus einem einzigen Verlag zu bestreiten. Im Bibliotheks-Intranet wachsen die Angebote zu einem großen Informationspool zusammen: Die durchlaufenden Darstellungen (Blackwell History of the Ancient World) und die kürzeren Einführungen (Blackwell Introductions to the Classical World) sind dann verlinkt zum einen mit Quellensammlungen (Blackwell Sourcebooks in Ancient History), zum anderen mit den informierenden Artikeln der dreizehnbändigen Encyclopedia of Ancient History, die Ende 2012 erscheinen soll. Hinzu kommen speziellere, gründlich geplante und edierte Sammelbände zu übergreifenden Gebieten. Ein wichtiges Element in diesem Gefüge bilden die genannten Companions zu einzelnen Epochen, antiken Autoren und Themengebieten, die in zahlreichen Essays systematisch und umfassend auf dem neuesten Stand der Forschung erschlossen werden.

Das integrale Konzept orientiert sich stark an der Studienkultur in den anglophonen Ländern, und die Aussicht, daß es demnächst allein von Wiley-Blackwell sechzig oder siebzig Companions nur zur Alten Welt geben wird, mag befremden (und Bibliothekare angesichts der stolzen Preise für die Hardcovers aufseufzen lassen). Andererseits: Noch nie stand Interessierten mit englischer Lesefähigkeit so viel wohlorganisiertes und fundiertes Wissen in lesbarer Prosa bereit, um sich ein eigenes Bild zu machen und eigenen Fragen nachzugehen. Das gilt auch für Ägypten und den Alten Orient. Zur durchgehenden Grundqualität der Werke trägt bei, daß vielfach erstrangige Gelehrte als Beiträger gewonnen werden.

Diese Welle ist nun auch nach Deutschland geschwappt. In seiner Handbuch-Reihe zu einzelnen Autoren hat der Metzler-Verlag jetzt Bände zu Homer und Aristoteles herausgebracht. Beide sind ganz vorzüglich geraten. Der Homer-Band behandelt zunächst alle wesentlichen Aspekte von „Dichter und Werk“: Homers Person (von J. Latacz; Lebenszeit des Dichters zwischen 750 und 650; Werk längere Zeit vor 600 sowohl in Ostionien als auch auf dem griechischen Festland bekannt); Metrik (setzt gute Griechischkenntnisse voraus, was aber kaum zu vermeiden ist, will man über Elementares und Gemeinplätze hinauskommen); sprachwissenschaftlicher Hintergrund (ebenfalls notgedrungen recht technisch, aber höchst instruktiv). Zwei Beiträge erschließen die zusammenhängenden Gebiete Formelsprache und poetische Technik; ein Stück über „Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ findet sich erst im nächsten Abschnitt. Umfangreiche Artikel erschließen Ilias (W. Kullmann) und Odyssee (A. Rengakos), kürzere die (nicht erhaltenen) sog. Kyklischen Epen und die Homerischen Hymnen (jeweils von M. Hirschberger). Abschnitte zur Überlieferungsgeschichte und zur Geschichte der Homerforschung beschließen diesen Teil. In fünf Kapiteln werden dann die Kontexte vorgestellt, mit den Fragen, die zuletzt auch außerhalb der Forschung Interesse gefunden haben: Altorientalische Einflüsse (R. Rollinger), der Troianische Krieg (G. Weber, mit einem eindeutigen Resultat: „Insgesamt lassen sich die homerischen Epen nicht schichtweise historisch sezieren, sie entziehen sich geradezu einer solchen Betrachtung: Im Falle der Ilias handelt es sich weder um einen Führer durch Troia und den Troianischen Krieg noch um ein Ge­schichtsbuch; auch ist Homer »kein Historiker, der bronzezeitliche Traditionen be­saß und bewahrte«. Allerdings ist es ein Fehlschluss zu glauben, die ho­merischen Epen würden erst dann ernst genommen, wenn man von der Historizität des Berichteten aus­geht. Deshalb wird man daran festhalten müssen, dass der Troianische Krieg als his­torisches Ereignis, der unmittelbar in die Vorlage für die Ilias eingeflossen ist, so nicht stattgefunden ha­ben kann, auch wenn der Ort an den Dardanellen, den wir für Troia halten, etliche Zerstörungen erfuhr und Homer in seine Epen punktuelle Reminiszen­zen an die Bronzezeit integrierte.“); Strukturen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik (Chr. Ulf) sowie die Welt der Götter (M. Hirschberger).

Einen großen Raum, fast ein Drittel des Bandes, nimmt die „Nachwirkung“ ein, wobei ein abschließender Beitrag alle vorigen zusammenfaßt.

Durch den Zweispaltendruck eignet den Bänden stärker als den Companions die Anmutung einer Enzyklopädie. Das ist noch stärker im „Aristoteles-Handbuch“ mit fast 90 Beiträgen der Fall. Auf eine Skizze der bekannten Tatsachen der Biographie folgen Großkapitel über die Vorgänger sowie das Werk. Ein alphabetisch angeordneter, also lexikalischer Teil kondensiert 44 Themen von „Akt und Potenz“ bis „Zeit“. Die schier unermeßlich vielfältige und tiefe „Wirkung“ ist durch eine Gliederung nach „Schulen und Epochen“ chronologisch, nach „Disziplinen und Bereichen“ systematisch erschlossen und gebändigt. Besonders lehrreich finde ich, was C. Kauffmann zur Wirkung der politischen Philosophie des Aristoteles in aktuellen Debatten mitteilt, z.B.: „Die Wirkungsgeschichte der Politischen Phi­losophie des Aristoteles hat eine Bandbreite, die von der direkten Übernahme bis zur vollständigen Ab­lehnung reicht. Aber selbst in der Ablehnung bleibt Aristoteles noch ein wichtiger Bezugspunkt für die Konturierung neuer Ansätze. Die zahllosen Filiationen der Wirkungsgeschichte lassen sich nicht zu ei­ner linearen Tradition zusammenführen. Sie zerfal­len in einen Strauß von Aneignungen, selbständigen Applikationen, Metamorphosen, Transformationen und Verfälschungen, deren Gesamtheit nahezu mit der Geschichte der abendländischen Philosophie überhaupt zusammenfällt. In der komplexen Kontinuität kommt deshalb den Mo­menten fundamentaler Herausforderungen der phi­losophischen Tradition eine Schlüsselstellung zu, wie sie die geschichtliche Herausforderung der Of­fenbarungsreligion, die Neuorientierung des moder­nen Denkens im 16. und 17. Jh., die Herausbildung der technisch-industriellen Zivilisation im 18. und 19. Jh. oder die einschneidenden politischen Kata­strophen des 20. Jh.s darstellen.“

In der Terminologie des Wettbewerbs ausgedrückt: Diese Bände müssen keinen Vergleich mit den Companions scheuen, ja, sie teilen deren Tugenden, vermeiden aber Verirrungen ins Modische. Zudem sind sie mit knapp fünfzig Euro wesentlich preiswerter – und das offenbar ohne Subvention durch einen Druckkostenzuschuß. Ein kleines Wunder auch dies.


1 Lesermeinung

  1. "Companion" ist eigentlich...
    „Companion“ ist eigentlich eine sehr schöne Bezeichnung: Ein „Begleiter“ – also jemand oder etwas, das einen nicht allein lässt, sondern an die Hand nimmt und führt, oder wenigstens immer mit dabei ist und ein Gefühl von Sicherheit vermittelt auf dem einsamen Weg des Lernens und Forschens.
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    Vom Metzler-Handbuch „Platon“ kann ich ebenfalls Lobendes erwähnen: Auch hier erstklassige Autoren, die jeden Aspekt unter ihrer Perspektive durchleuchten. Wenn es allerdings nur ein Autor zu einem Thema ist, besteht die akute Gefahr, dass die Sache einseitig wird. So jedenfalls meine Erfahrung in diesem Fall. Aber auch zwischen verschiedensten Themen gibt es Überschneidungen. Dabei bleibt es dann nicht aus, dass sich die Gelehrten gegenseitig widersprechen, was nicht nur der Forschung gut tut, sondern auch einen amüsanten Aspekt hat.
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    Natürlich finden sich gegenseitig aufspießende Aussagen insbesondere auch bei meinen Lieblingsthemen Platonischer Mythos und Atlantis. Die virtuelle Landkarte des Möglichkeitsraumes der Erfindungsthesen zu Atlantis ist mit mindestens ebenso vielen „Lokalisierungsflaggen“ bepinnt wie die reale Landkarte der Existenzhypothesen. Wer hätte es gedacht? Das sollte eigentlich stutzig machen …

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