Antike und Abendland

Antike und Abendland

Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Gekreuzigt durch Pontius Pilatus: Alexander Demandt seziert die Passionsgeschichte und denkt sich das Kreuz weg

| 2 Lesermeinungen

Nietzsche nannte ihn im Antichrist die einzige Figur des neuen Testaments, die man ehren müsse: Pontius Pilatus. Passend zur vorösterlichen Zeit hat Alexander...

Nietzsche nannte ihn im Antichrist die einzige Figur des neuen Testaments, die man ehren müsse: Pontius Pilatus. Passend zur vorösterlichen Zeit hat Alexander Demandt diesem soeben ein höchst lesenswertes und lesbares Büchlein gewidmet. Es beruht auf seiner 1999 vorgelegten, inzwischen vergriffenen Darstellung Hände in Unschuld. Pontius Pilatus in der Geschichte; die Kapitelüberschriften sind teilweise identisch. Demandt historisiert die Frage nach dem römischen Statthalter, um als Historiker diesem selbst nachspüren zu können – solange die biblische Überlieferung als Gottes Wort galt, konnte nach Pilatus nicht gefragt werden, war er doch Teil des Heilsplans: Er mußte dem Begehren der Feinde des Galiläers in der jüdischen Elite nachgeben, damit Jesus gekreuzigt werden konnte. Als chronologischer Anker ist er ins Glaubensbekenntnis eingegangen („gekreuzigt unter Pontius Pilatus“), wie Augustus in den Anfang des Lukasevangeliums. Daß er als römischer Statthalter handelte, mit einer scheinbar von Brutalität, Gleichgültigkeit und Verachtung geprägten Einstellung, hat dem Römischen Reich bei Theologen bis heute eine denkbar schlechte Presse eingetragen. Die Frage, ob Pilatus so handeln mußte, wie er handelte, ist eine allein historische – Optionen und daraus ermöglichte andere Geschehensverläufe können in einer Heilsgeschichte keinen Platz haben.

Demandt ist nun aber Historiker, und als solcher kreist er die Konstellation, in der Jesus verhaftet, verhört, gefoltert und gekreuzigt wurde, behutsam ein. Wie agierten die Römer im Osten? Wie war die religiöse Situation in Judäa zur Zeit Jesu beschaffen? Im dritten Kapitel dann Pilatus selbst, doch noch nicht als Akteur, sondern – streng nach Methode – zunächst im Spiegel der außerbiblischen Quellen. Denn: „Über Pontius Pilatus sind wir viel verläßlicher informiert als über Jesus.“ Jüdische Autoren berichten über ihn, es gibt Münzen und Inschriften, darunter die vor gut fünfzig Jahren in Caesarea Maritima aufgefundene sog. Pilatus-Inschrift, die den Statthalter des an die Provinz Syria angehängten Judäa als Präfekten bezeichnet. Demgegenüber kaum eine zeitgenössische Spur zu Jesus außerhalb der mündlichen Überlieferung der frühen Gemeinden, die dann in die Evangelien einging. Unter Tiberius in Judäa nichts Neues, vermerkt Tacitus. „Die Kreuzigung eines galiläischen Winkelpropheten und Möchtegern-Messias“ war in dieser Sicht „eine Bagatelle“.

Dann ein sachlicher Bericht über Pilatus als Statthalter, eine Funktion, die er zehn Jahre lang innehatte:

„Das Charakterbild, das die zeitgenössischen Quellen von Pila­tus entwerfen, steht im Zeichen seiner Einstellung zu den Juden und ist tendenziös. Er gilt in den jüdischen Quellen als brutaler Judenfeind, bei Philo im Unterschied zu dem wohlwollenden Kaiser Tiberius, bei Josephus im Hinblick auf die wachsenden Spannungen, die sich 66 n.Chr. im Jüdischen Krieg entluden. In der Bibel hingegen ist Pilatus weichherzig, er will den Juden Je­sus schonen, beugt sich dann aber den Forderungen des Hohen Rats und des «Volkes», gibt indessen den Leichnam zur Bestat­tung frei. Beide Charakterisierungen widersprechen einander und sind erkennbar gefärbt. Berücksichtigen wir die Gesamt­situation, fällt das Bild von der Amtsführung des Präfekten kei­neswegs aus dem Rahmen römischer Verwaltungspraxis.

Der Ausbau des Hafens von Caesarea und die Anlage einer Wasserleitung für Jerusalempilger zeigen einen umsichtigen, pflichtbewußten Statthalter. Dies gilt ebenso für die Anbrin­gung der kaiserlichen Ehrenschilde im Prätorium zu Jerusalem. Dem jüdischen Protest gegen den staatlichen Hoheitsakt hat Pilatus so wie später Petronius nachgegeben, und ebenso hat er bei den Unruhen wegen der Wasserleitung Blutvergießen zu ver­meiden getrachtet. Das «Blut der Galiläer» wird Pilatus nicht zur Last gelegt. Über die Verurteilung Jesu haben sich dessen Anhänger weder in Antiochia noch beim Kaiser beschwert, (…). Pilatus verurteilte Jesus als rex Iudaeorum und entsprach damit dem Wunsch der jüdischen Behörden, (…). (…) Umgerechnet auf die zehnjährige Amtszeit des Pilatus ergeben die zwei oder drei Konflikte mit den Juden doch wahrlich keine schwarze Li­ste!“

Die biblischen Berichte über die Passion unterzieht Demandt eindringlicher historischer Kritik. Er zeigt, daß die jüdische Elite, namentlich der Hohepriester Kaiphas, mit Gründen in Jesus einen Gotteslästerer und Aufrührer wider die Priesterschaft sah. Doch in Anwesenheit des Präfekten war es nicht möglich, Jesus nach mosaischem Gesetz zu steinigen. Den Bericht über Pilatus‘ Umgang mit Jesus hat die Forschung längst als in weiten Teilen unhistorisch, durch retardierende Elemente und kunstvolle Steigerungen überformt erkannt. Das gilt auch für das berühmte Verhör. Der Statthalter mußte mit dem als Aufrührer und Königsprätendenten Ausgelieferten nicht einmal ‘kurzen Prozeß‘ machen; als Nicht-Bürger und Rebell hatte dieser keinen Anspruch auf einen solchen. Wenn Pilatus im Rahmen seines Ermessensspielraums, der von einer Freilassung nach erfolgter Züchtigung bis zur Hinrichtung reichte, die extreme Option wählte, so muß dies aus der Sicht der römischen Interessen verstanden werden. Jesus, mit dem er ohne Dolmetscher gar nicht hätte sprechen können, war ihm völlig egal. Aber die römische Herrschaft in Judäa konnte sich, das wußte er, nur behaupten, wenn sie das Einvernehmen mit den lokalen Eliten suchte und so den traditionellen Gehorsam der Bevölkerung dieser gegenüber in eine wenigstens faktische Akzeptanz der römischen Präsenz umzumünzen verstand. Hätte er Jesus freigelassen, waren unabsehbare Weiterungen zu befürchten. Pilatus konnte die Stimmung in Jerusalem nur nach den Aussagen des Kaiphas und seiner Leute abschätzen. Hätte Jesus weiter agitiert? Welche Eskalationen waren möglich, wenn er im Tumult gelyncht worden wäre? Demandt: „Pilatus hat die Anzeige durch die jüdische Geistlichkeit als Be­weis gewertet. Als Polizeimaßnahme nach Kriegsrecht (coercitio) hat er ohne weiteres die Exekution verfügt. Sie lag in seinem Ermessensbereich und war gedeckt durch die Lex Julia maiestatis aus dem Jahre 46 v.Chr. Seit Tiberius stand auf Hochverrat die Todesstrafe. Spätere Ausführungsbestimmungen in den Sen­tenzen des Juristen Julius Paulus lauten: «Wer einen Tumult erregt und das Volk verhetzt, wird, je nach Personenstand, gekreuzigt, den Zirkusbestien vorgeworfen oder auf eine Insel verbannt.» Näherhin heißt es: «Wer eine neue Sekte oder eine unvernünftige Religion einführt und dadurch allgemeine Unruhe erregt, wird verbannt, wenn er zu den Standespersonen gehört, oder hingerichtet, wenn dies nicht der Fall ist.»“

Die so lange und so heftig erörterte Frage nach der Schuld am Tode Jesu hat eine historische und eine theologische Dimension. In die historische gehört das Verhältnis zwischen Christen und Juden, in die theologische die Annahme von Jesu Unschuld. Diese anzunehmen „fordert die christliche Dogmatik, denn anderenfalls wäre sein Ende kein Opfertod. Es gibt aber auch andere Perspektiven. Nach jü­dischem Sakralrecht war die Todesstrafe fällig. Die Schuldzuweisung an die Juden bei den Evangelisten und gemäß diesen durch Jesus selbst (Joh. 19,11) ist immerhin insoweit be­gründet, als das Interesse an seiner Beseitigung und die Initia­tive zu seiner Verhaftung auf jüdischer Seite lag.“ Für Pilatus war Sicherheit wichtiger als Billigkeit; das Bündnis mit der jüdischen Elite aufzugeben wäre höchst riskant gewesen. So ließ er Jesus kreuzigen und vollzog damit „ein schwach begründetes, politisch motiviertes Gefälligkeitsurteil gegenüber Kaiphas“. Demandts Quellenkritik und historische Rekonstruktion sind höchst lehrreich: Erst wenn alle Akteure aus dem Prokrustesbett von Schuld oder Unschuld befreit sind, lassen sich ihre Motive, Interessen, Verflechtungen und Spielräume erkennen.

Die allein bei Johannes bezeugten Frage des Pilatus an Jesus, was denn Wahrheit sei, veranlaßt Demandt zu einem für ihn typischen geistesgeschichtlichen Privatissimum, übervoll an Lesefrüchten, Gedanken und Verknüpfungen. Anschließend verfolgt er im Kapitel „Pilatus-Legenden“ die Rezeptionsgeschichte von den antiken christlichen Schriftstellern bis hin zu neuesten literarischen Versuchen.

Wie um Jesus der einlinigen Heilsgeschichte zu entreißen, greift Demandt auf eine alte Leidenschaft zurück, grundsätzlichen Alternativen zum tatsächlichen Geschichtsverlauf nachzuspüren. Grundsätzlich meint: indem man sich Jesu fanalhaften Tod wegdenkt, ihn verbürgerlicht mit einer Ehefrau Maria Magdalena ein friedliches Ende nehmen läßt. Völlig zu Recht: Ein kreuz- und auferstehungsloses Christentum ist undenkbar. Demandt spielt Alternativen verschiedener Reichweite durch. Ein anderer Messias? Dann wäre vielleicht der jüdische Aufstand früher ausgebrochen. Auf einer anderen Ebene liegt die Vermutung, das Vakuum des dann fehlenden Christentums hätte die jüdische Religion ausfüllen können – die sich allerdings so sehr hätte verwässern müssen, daß viele Juden selbst sie nicht wiedererkannt hätten. Demandt belegt mit seinen Überlegungen indirekt, daß eine methodisch gezügelte kontrafaktische Analyse historischer Ereignisse und Prozesse nichts zu tun hat mit Spekulationen, ob bei einem milder gestimmten Pontius Pilatus das Mittelater ausgefallen wäre, das Römische Reich noch immer existierte und es keinen Antisemitismus gäbe. Zu diesem Punkt wußte schon Hannah Arendt eine illusionslose Antwort: „Vor Antisemitismus ist man nur auf dem Mond sicher.“

 


2 Lesermeinungen

  1. HansMeier555 sagt:

    "Für Pilatus war Sicherheit...
    „Für Pilatus war Sicherheit wichtiger als Billigkeit; das Bündnis mit der jüdischen Elite aufzugeben wäre höchst riskant gewesen. So ließ er Jesus kreuzigen und vollzog damit „ein schwach begründetes, politisch motiviertes Gefälligkeitsurteil gegenüber Kaiphas“.
    .
    Nun, das ist wirklich nicht neu. Im Kern geht es genau so auch aus der Bibel hervor.
    .
    Das simple Judentum, so „verwässert, daß viele Juden selbst sich nicht darin wiedererkennen“, gibt es doch längst — den Islam. Und darf auch noch gesteinigt werden.
    .
    Schade dass das Vakuum nicht durch Brian ausgefüllt wurde.
    (Always look on the bright side of life.)

  2. Karfreitag und Ostern sind...
    Karfreitag und Ostern sind auch eine gute Zeit, um an Platons Jenseitsvorstellungen und das Martyrium des Sokrates zu erinnern, die bei der Formung der biblischen Geschichte eine entscheidende Rolle gespielt haben. Manche meinen sogar, Jesus sei eine Erfindung auf dieser Grundlage, aber das ist wohl etwas zu hoch gegriffen.
    .
    Jedenfalls lesenswert ist die Apologie des Sokrates und folgende Dialoge, wo Sokrates unschuldig zum Tode verurteilt wird, und Sokrates eine Flucht vor der Hinrichtung ablehnt. Wenn man das Wort martyrium im eigentlichen Sinn nimmt: Zeugnis ablegen für die Wahrheit einer Sache, dann ist Sokrates ohne Zweifel ein Märtryrer in Sachen Philosophie.
    .
    In dem Platonischen Mythos von Er dem Pamphylier am Ende der Politeia wird ein Jenseitspanorama eröffnet, das – christlich gesprochen – Himmel, Hölle, Fegefeuer und auch Auferstehung umfasst. Diese Vorstellungen wiederum fußen maßgeblich auf den süditalischen Mysterienkulten, die Platon in seinen Platonischen Mythos hinein verwoben hat. Klassische griechische, pythagoreische und andere Elemente kommen hier zusammen, und natürlich auch eine gewisse Eigenleistung Platons, die man vornehmlich in den Webregeln, weniger in den Inhalten suchen sollte, so meine ich.
    .
    Ostern ist aber auch ganz einfach das Frühlingsfest: Denn Ostara war die germanische Göttin des Frühlings, eine Art Persephone, die bekanntlich nach dem Winter wieder aus dem Hades zur Erde hinaufsteigt und alles zum Blühen bringt. Hier sind wir wohl am Dichtesten an dem elementaren Grund für die Festtage, denn das Aufblühen des Lebens im Frühling dürfte schon in der Steinzeit ein Grund zum Feiern gewesen sein, jenseits aller uns heute bekannten weltanschaulichen Deutungen.

Hinterlasse eine Lesermeinung