Wenn sich bekannte Standpunkte laut und mit teils ‘modernen‘ Argumenten Gehör verschaffen, wenn andererseits die Praxis in eine andere Richtung zu weisen scheint, sich aber ihrer Sache in der vielstimmigen öffentlichen Debatte nicht sicher ist, dann bestehen die Voraussetzungen für Bewegung, vielleicht sogar für einen Umschlag. Ob, wann und wie schnell dieser kommen wird, kann noch niemand absehen. Eine solche vorrevolutionäre Erwartung liegt jedenfalls nahe, wenn man liest, was Josef Rabl vom Deutschen Altphilologenverband dankenswerterweise in einem Pressespiegel zusammengestellt hat. Alle Beiträge erschienen Ende April.
Das Primitivste zuerst: ein Kommentar in der Hagener Westfalenpost, eingerahmt von einer griechischen und einer lateinischen Wendung, mit ‘Argumenten‘ auf sehr verschiedenen Ebenen. Veränderung sei „nun einmal ein Grundmuster unseres Daseins“. Dann das sprachlich ungelenk variierte Professor Unrath-Stereotyp wider den Lateinunterricht: „Über leidvolle Gymnasial-Generationen hinweg wurde am Erwerb des (Großen) Latinums als einer vermeintlich unverzichtbaren Säule unserer aufgeklärten Zivilisation festgehalten. Ungezählte Schüler wissen ein dumpf-trauriges Vokabel- und Grammatiklied auf das stundenlange (und nicht selten erfolglose) Pauken einer Sprache zu singen, die schon unsere Altvorderen als ‘tote Sprache‘ einzugestehen hatten.“ Im „Zeitalter der unumkehrbaren Globalisierung“ sei es nicht zu rechtfertigen, den Schulstundenplan mit täglichem Latein-Büffeln anzufüllen. Dann ein wenig Küchenpsychologie: „Wer eine Fremdsprache einigermaßen beherrscht, wünscht sich sehnlichst, mindestens noch eine weitere ähnlich gut zu können.“ Die Nutzwerterwägungen der alles nur nach dem Nutzwert wägenden Wirtschaft schimmern auch schon hindurch: Mit Latein sei „kaum eine Karriere zu machen – sieht man einmal von einigen akademischen Sonderwegen ab“. Sonderwege, das sollten die leidgeprüften Deutschen wissen, haben noch nie zu einem guten Ende geführt. Also lieber zurück in eine Kosten-Nutzen-Abwägung und zurück ins Leben: „Spanisch, Türkisch, Chinesisch oder andere quicklebendige Sprachen sind das Gebot der Stunde. Je mehr, desto besser. Also: Discite moniti! – Lernt, ihr Ermahnten!“ Ihr Lemminge, lauft mit der großen Herde! Und die genannten Sprachen sind ja so leicht zu erlernen, ähnlich wie Englisch oder Französisch, zwei ‘klassische‘ moderne Sprachen, in denen Abiturienten (wie ich als Hochschullehrer sehr genau weiß) ja durchweg fließend parlieren können!
In www.derwesten.de sekundiert ein anderer Journalist: Latein werde nur noch gelernt, „weil es Universitäten in etlichen Studienfächern von Medizin bis Geschichte immer noch verlangen – selbst wenn es gar nicht mehr gebraucht wird. Oft ein überflüssiger Zopf, der abgeschnitten gehört.“ Die Wahl der zweiten Fremdsprache nach Englisch dürfe sich allerdings „nicht nur nach den Forderungen der Wirtschaft richten“. Nicht nur, immerhin. Das Vernünftigste sei es, „ eine weitere Sprache zu lernen, die in möglichst vielen Ländern der Welt gesprochen wird – Spanisch also. Nicht nur, um Geschäfte zu machen. Sondern um Menschen zu verstehen.“
Eine clevere Argumentation. Ihr liegt ein janusgesichtiges Bild von Globalisierung zugrunde: Gut ist diese, wo Menschen zusammenkommen, junge Leute um die Welt reisen, dabei andauernd kommunizieren. (Daß Bildung und Persönlichkeitsbildung auch eine andere Komponente haben können, das stille bei sich und bei einer Sache Sein und die bewußt gesuchte Distanz zur ‘Welt‘ mit ihrem Rauschen und ihren Moden, um einen eigenen Standpunkt zu entwickeln, auch mit Hilfe der geduldig erworbenen Fähigkeit zur kritischen Analyse von Sprechakten – das vergessen wir geflissentlich.) Schlecht ist Globalisierung, wenn sie die Interessen der Kapitalverwertung zum Leitmaßstab werden läßt.
Doch in der gleichen Ausgabe liest es sich ganz anders, wohl auch ehrlicher. Und armiert mit dem angeblichen Wunsch von Arbeitgebern, Lehrern und Wissenschaftlern. Sie raten Schülern ganz ausdrücklich ab, viel Zeit in das Erlernen toter Sprachen zu investieren. „Mit Beschäftigten, die den ‘Ablativus Absolutus‘ beherrschen, ist Arbeitgebern nicht gedient. Sie wollen Sprachkompetenz, die weltweit sofort einsetzbar ist.“ Junge Menschen, so Barbara Dorn von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, „sollten durchaus darüber nachdenken, neben Englisch eine weitere Sprache wie Französisch, Spanisch, Chinesisch, Russisch oder Türkisch in der Schule zu lernen.“ Persönlichkeit und intellektuelle Eigenständigkeit durch den analytischen Umgang mit Sprache und historische Kommunikation? Offenbar überflüssig, gebraucht werden polyglotte Kommunikations-Automaten nach dem Vorbild von R2D2 (das ist ein Protokoll- und Übersetzungsdroide aus „Star Wars“). Noch einmal Dorn: „Unser modernes Wirtschaftsleben ist auf den Austausch mit anderen Ländern ausgerichtet. Viele Wirtschafts-Partner sitzen in Osteuropa, Asien und Lateinamerika. Und viele Kunden, auch im Inland, sprechen nicht Deutsch. Wir brauchen Beschäftigte, die die Sprachen dieser Menschen sprechen.“ Der Chef des Verbandes Moderne Fremdsprachen (nein, da stehen gar keine Interessen dahinter!) verlangt ein größeres Angebot von Sprachen wie Chinesisch oder Niederländisch an den Schulen. Schüler mit solchen Sprachkenntnissen hätten später viel bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als „Lateiner“. Läßt sich das empirisch belegen? Und die „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“, seit Jahrzehnten Sturmtrupp wider das Gymnasium, macht in Mitgefühl: In Latein scheitern Schüler mit am häufigsten. „Es fehlen Anwendungsmöglichkeiten und somit der praktische Nutzen, der Kinder den Sinn des Lernens erschließen lässt.“ Auch Studierende sähen den Sinn von Latein als Voraussetzung für einige Studienfächer nicht ein, so die Leiterin des Fremdsprachen-Zentrums an der Ruhr-Uni Bochum (nicht zufällig eine Neusprachlerin?). Viele Studenten hielten diese Hürden für eine versteckte Zulassungsbeschränkung. Flankiert wird das Statement mit einer Szene aus dem Herzen der Finsternis: „Mittwoch, 8.30 Uhr, Ruhr-Uni Bochum: Im Hörsaal HGB 20 ist die Stimmung nicht nur wegen der frühen Stunde düster. Die Mienen der Studenten passen zum Ambiente. Die Szene wirkt so heiter wie eine Schallschutzmauer an der A 40. Hier sitzen junge Menschen, die wegen diverser Zulassungsbestimmungen ihr Latinum nachholen müssen. Ihr Frust ist groß. Weil sie wissen, dass dieser Kurs im normalen Studienalltag kaum zu bestehen ist. Weil es sich den meisten nicht erschließt, was ihnen dieser Kurs im Studium anderer Fächer bringen soll.“ Die entsprechenden Mathekurse für angehende Psychologen, Ökonomen und Biologen finden hingegen, so ist zu vermuten, zu einer studierendenfreundlicheren Zeit statt, in mediterran anmutenden Lounges, die Gesichter der Teilnehmer fröhlich. Wieviel dumpfe Demagogie sich hinter Journalismus doch immer wieder verbergen kann!
Doch – ähnlich wie es vereinzelt immer noch unbelehrbare Familien geben soll, die ihre kleinen Kinder zu Hause erziehen wollen -, hat Latein noch „bisher allen Versuchen, es als Schulfach zu beerdigen oder zumindest in seiner Wichtigkeit zu beschneiden, getrotzt. Eine Viertelmillion Schüler lernen in NRW Latein, viel mehr als vor zehn Jahren. Weil es allgemein den Umgang mit Sprache schulen und das Lernen weiterer Sprachen erleichtern soll. Und weil viele glauben: Vielleicht brauche ich das Latinum ja später an der Uni. Laut neuester Erkenntnisse helfen Lateinkenntnisse sogar beim Erlernen und Verstehen des Deutschen, laut Altphilologen-Verband eine große Chance insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund.“
Noch einmal die Warnung vor dem Sonderweg. Doch der Präsident des Gesamtverbandes Moderne Fremdsprachen zieht eine gefährliche Karte: „In Frankreich lernt vielleicht ein Prozent der Schüler Latein, in Bayern sind es 50 Prozent der Gymnasiasten.“ Vielleicht gibt es deshalb in Bayern, gemessen an der Bevölkerungszahl, so viel höhere Schulden und mehr Arbeitslose als in Frankreich. (Das war sarkastisch gemeint; in Wirklichkeit ist es natürlich genau umgekehrt. Hier einen Kausalzusammenhang in der einen wie der anderen Richtung herstellen zu wollen, ist schlicht abwegig.)
Lateinlehrerinnen und -lehrer müssen in dieser Gemengelage wahrscheinlich vorsichtig argumentieren, dürfen also nicht deutlich darauf hinweisen, daß hinter den „Latinum in latrinam“-Rufen handfeste wirtschaftliche und verbandshegemoniale Interessen stehen, die mit dem Bedürfnis von Kindern nach gründlicher und vielfältiger Bildung zu einer kritischen und eigenständigen Persönlichkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Immerhin, eine Vertreterin und ein Vertreter des Faches bringen im Interview nicht nur die alten Begründungen („Transport, Nase, Nivea – das sind alles lateinische Worte.“; Schulung kognitiver Fähigkeiten usw.), sie halten – in Maßen – gegen den lauten Sound der Verwerter und Small-talk-Vorkämpfer. Auf die Frage, ob es für Schüler, die ihre berufliche Zukunft in der Wirtschaft sehen, vertane Zeit sei, Lateinvokabeln zu pauken, kommt eine maßvolle, aber klare Antwort: „Wer das sagt, denkt nur an ökonomische Gesichtspunkte. Die Bildung eines Menschen hängt aber nicht nur davon ab. Es ist ein verkürzter Bildungsbegriff, allein von der Wertung von Wissen auszugehen.“ Latein sei historische Kommunikation. „Wir kommunizieren aus unserer Zeit mit der Vergangenheit. In der Oberstufe werden etwa philosophische und ethische Texte gelesen, die einen neuen Blick auf unsere heutige Zeit und die Auseinandersetzung mit der Gegenwart ermöglichen.“ In der Tat! Texte für sich genau zu lesen, versteckte Annahmen, fadenscheinige Argumente und schlicht Abwegiges erkennen zu können, das sind Fähigkeiten, die umso wichtiger werden, als ansonsten vielfach die an Orwell gemahnende Parole „Arbeite! Konsumiere! Kommuniziere!“ als alternativlose Zukunft verkauft wird. Latein kann demgegenüber widerstrebig sein: „Man muss sich die Sätze erknobeln. Jeder Buchstabe zählt. Man muss genau hinschauen. Wir nennen das mikroskopisches Lesen. Das benötigen beispielsweise auch Bauingenieure. Latein erfordert zugleich Geduld und eine hohe Frustrationstoleranz.“
Vielleicht bleibt die Revolution ja aus, die Vielfalt bestehen. Hoffnung macht ein kreativer Lateinunterricht, der mit den oben zitierten Paukschulübungen nichts mehr zu tun hat. Und so halten sich Nischen, die ja auch Schutzräume gegen das Schieben der Masse in eine Richtung darstellen. An der Otto-Pankok-Schule in Mülheim etwa haben unlängst 32 Schülerinnen und Schüler in Klasse fünf mit Latein als zweiter Fremdsprache begonnen. Zwei Kurse, im nächsten Schuljahr ebenso. Das macht Mut. Und selbstverständlich fordert kein Lateinlehrer, den Französisch- oder Spanischunterricht oder die Mandarin-AG abzuschaffen. Das ist wahre Liberalität im europäischen Geist – auch wenn sie kein Gegenstück auf der anderen Seite hat.
Vielen Dank, Herr Walter, für...
Vielen Dank, Herr Walter, für Ihre ebenso geharnischte wie amüsante Philippika gegen die Feinde des Lateinunterrichts, die mir aus dem Herzen spricht.
(Das „mikroskopische Lesen“, das mir zur zweiten Natur geworden ist, bringt allerdings auch so manches Mal einen banalen Tippfehler und dergleichen ins Blickfeld. Daß ich Sie hier auf einen solchen aufmerksam mache, werden Sie hoffentlich nicht als Pedanterie empfinden: Im Satz „Sonderwege, das sollten die leidgeprüften Deutschen wissen, haben noch zu einem guten Ende geführt.“ fehlt das „nie“, das ihn erst sinnvoll macht.)
Nachdem die (vorletzte, glaube ich) PISA-Studie erbracht hatte, daß Grundschulkinder nicht ausreichend firm in Deutsch sind, war ja eine der hektischen Reaktionen, mit dem Fremdsprach-Unterricht bereits in der Grundschule und Kindergärten zu beginnen…
Daß hier Latein die einzige Fremdsprache wäre, die NICHT zu einer Verwirrung der Phonem/Graphem-Verknüpfung führen, sondern diese (wegen der höheren Lauttreue des Lateinischen) fördern würde, also auch schwächer Begabten und Kindern mit Teilleistungsstörungen (wie den mit Legasthenie Geschlagenen) den Schriftspracherwerb erleichtern könnte, müßte den Verantwortlichen eigentlich einleuchten.
Aber die Sonntagsreden unserer Politiker sind halt eine Sache, die Realität eine andere. In NRW geht man gerade mit Hillary Clintons „No child left behind“ Werbe-Slogan auf Stimmenfang, während den 8% Legasthenikern pro Jahrgang in Grund-, Haupt- und Realschulen mit Englisch und/oder Französisch das Leben schwergemacht wird. Latein gibt es nur am Gymnasium.
Würde das eine Jahr Französisch (6. Klasse), das in der Realschule von den meisten als „notwendiges Übel“ irgendwie mit Ach und Krach hinter sich gebracht wird, durch Latein ersetzt, hätten die Kinder weit mehr davon. Nicht nur in Bezug auf die Verbesserung ihrer Lese- und Rechtschreibleistungen (in Deutsch und Englisch!), sondern auch im Hinblick auf das bessere Verständnis der Grammatik.
Es ist geradezu paradox, daß Latein als „elitär“ verschrieen ist, wo es doch die einzige Fremdsprache ist, die auch bei nicht vorhandenem Sprachgefühl allein durch Fleiß erlernbar ist.
Allerdings gibt es immer noch allzu viele Lateinlehrer, die ihr Fach als Mittel zur „Trennung der Spreu vom Weizen“ empfinden und sich entsprechend verhalten, statt den Schülern die Freude an der für sie neuen „Alten Welt“ zu vermitteln und zu erhalten.
Diese schaden leider nicht nur sich selbst.
Auch von mir vielen Dank für...
Auch von mir vielen Dank für diesen Beitrag, Herr Walter. Man könnte ihm vieles hinzufügen, ich beschränke mich auf wenig.
Kann denn ein Abiturient mit einer guten Englisch-Note die Times und den Economist und die Sun lesen? Und Shakespeare und Johnson und Hornby? Und kann er eine Konversation mit einem Cockney, Schotten, Irländer, Waliser, Australier oder Texaner problemlos führen? Kann er den englischen Text des Emissionsprospektes eines Finanzproduktes verstehen? Im letzteren Fall stammt ein Großteil der Fachausdrücke aus dem Lateinischen, und die generelle Regel caveat emptor sollte ihm auch geläufig sein. Die Englischkenntnisse der Deutschen entsprechen nicht annähernd der hohen eigenen Einschätzung, die Schule kann doch auch in dem Fall nur ein Anstoß sein und Grundkenntnisse vermitteln.
Mit ist zu Ohren gekommen, daß die wieder steigende Zahl der Lateinklassen auch damit zusammenhängt, daß die Stützen der Gesellschaft auf diesem (Um-)Wege ihre Kinder von den Kindern der anderen Schichten trennen.
Der Terminus ‚mikroskopisches Lesen‘ hat mir sehr gut gefallen, die Frage ist, ob die Beherrschung desselben konsensfähig ist. Man könnte und sollte es in vielen Fächern üben.
Gruß K
@Kalchas
"Kann denn ein...
@Kalchas
„Kann denn ein Abiturient mit einer guten Englisch-Note die Times und den Economist und die Sun lesen?“
Vermutlich nur mit Mühe und Anstrengung, weshalb es imho dringend zu empfehlen wäre für die die Meisten den Lateinunterricht im Gymnasium zu Gunsten einer wirkungsvolleren Sprachausbildung in Englisch abzuschaffen.
Nur wer im späteren Studium tatsächlich Latein braucht, also z.B. Altphilologie etc. studieren will, sollte sich als Gymnasiast noch damit befassen.
Cogito ergo sum und dergleichen müsste man in den Lehrgängen zur „allgemeinen Reife“ längst anderswo nutzbringend eingebaut haben!
In der Geschäftswelt zählt...
In der Geschäftswelt zählt heute allein Englisch. Innerhalb Europas und auch im business mit dem Rest der Welt, werden Verhandlungen nur auf Englisch geführt und die Verträge auf Englisch ausformuliert. Das Argument der Neusprachler, in der „globalisierten Welt“ würden die modernen Fremdsprachen immer wichtiger, stimmt also nicht. Nützlichkeitserwägungen greifen allein in Bezug auf Englisch. Latein ist aber ein hervorragendes Training für sprachanalytische Fähigkeiten, auf die es im Leben immer ankommt (z.B. auch bei so „modernen“ Sachen wie Programmiercode). Im übrigen ist Sprache aber bloß Kommunikationsmittel, entscheidend sind aber die Inhalte. Ich habe schon häufiger meetings erlebt, in denen jemand mit mittelmäßigen Englishkenntnissen die Verhandlungen bestimmt hat, während Muttersprachler bloß Statisten waren. Es kommt auf Fachkenntnisse, Ideen, Kreativität an. Diese Inhalte müssen dann effektiv kommununiziert werden, d.h. so dass es ankommt, wobei eine bewusst einfache Sprache von Vorteil ist. Ich würde meinen Kindern abraten, sich aufs Sprachenlernen zu konzentrieren, denn die tollsten Sprachkenntnisse nützen nichts, wenn man keine Inhalte hat. Chinesisch anstelle von Französisch wäre sinnvoll, denn Chinesisch lernen ist Kognitionstraining. Es ist vielleicht kein Zufall, dass Schüler aus Hong Kong, Taiwan, Mainland China, Japan besser in den Naturwissenschaften sind, obwohl sie in jungen Jahren nicht bloß 26 Buchstaben lernen müssen, sondern 2000 Schriftzeichen.
Am blödesten finde ich immer...
Am blödesten finde ich immer das Argument, dass man Latein „später nicht braucht“.
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Das ist das Lieblingsargument der verbohrten Klein- und Spießbürger, welche Gymnasium und Doktortitel als Prestigefetisch anbeten, ohne ihren Sinn begriffen zu haben.
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Was braucht man scho wirklich?
Im Grunde doch nur Lesen und Schreiben, Simple English, WindowsOffice und einen Führerschein Klasse Drei. (Und die letzten beiden Skills stehen nicht mal auf dem Lehrplan…).
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Für alles, was darüber hinausgeht, gilt dasselbe wie für Latein: Nur eine klitzekleine Minderheit der Schüler wird das je im Beruf brauchen. Reckturnen, Blockflöte, Farblehre, der Zitronensäurezyklus, Infinitesimalrechnung oder Schwingungsphysik, das alles wurde mir zugemutet und hat mir im Beruf nie nie nie was gebracht! Auch hat mich nie einer gebeten, ihm mal Goethe zu rezitieren.
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Denkt man sich das ARgument der Lateingegner zuende, dann müsste man zur Volksschule unserer Urgroßeltern zurückkehren, vielleicht ein bissel aktualisiert auf die aktuellen Softwareversionen.
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So um 1950 war die Masse der 14-16 jährigen schon fit für die Wirtschaft.
Dahin müsste man zurück: Staatliche Schulbildung für die Kleinkinder, und danach, hopps, gleich in die Firma, wo sie ihm schon zeigen werden, wie es läuft.
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Spanisch und Französisch braucht auch kein Mensch, die jungen Leute verständigen sich heute alle auf Englisch und der Business sowieso. In den USA lernen viele Kinder überhaupt keine Fremdsprachen mehr, wozu auch? Das ist noch nur eine unnötige Quälerei.
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Wenn man wider Erwarten jemals in die Verlegenheit kommen sollte, Chinesisch zu brauchen, dann kann man halt einen Dolmetscher engagieren. Kostet Geld, aber in jedem Falle billiger als die Kinder jahrelang zu quälen (die es am Ende ja noch nicht können werden).
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Darum denke ich, dass die Verteidiger des Lateinunterrichts (wie der Schulbildung überhaupt) sich nicht auf die utilitaristische Argumentation einlassen sollten. Sinn und Zweck der Bildung besteht gar nicht darin, die Wirtschaftskraft zu steigern.
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Sie ist, jawohl, ein Luxus, den wir als Gesellschaft uns aber leisten wollen. Das ist die in unserer Kultur übliche Form, gesellschaftlichen Reichtum zu realisieren, und die allgemeine Lebensqualität zu steigern.
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Und das sollte man ganz offensiv genau so vertreten.
Und den Gegnern ruhig zu verstehen geben, dass man sie für asoziale Proleten hält — auch wenn sie im Mercedes anrollen.
@erichnabokov
Dazu gibt es...
@erichnabokov
Dazu gibt es verschiedene Gegenargumente. Erstens sind sehr gute Sprachkenntnisse (insbesondere des jeweils gerade aktuellen newspeak) das Mittel der Wahl, die inhaltliche Leere zu übertünchen. Das Medium ist nämlich die Botschaft. Ein meeting ist eben kein Diskurs, sondern ein Vehikel zur Durchsetzung eigener Interessen.
Sprache ist genausowenig nur ein Kommunikationsmittel, wie ein Auto nicht nur ein Fortbewegungsmittel und ein Handy nicht nur ein Fernsprechgerät ist.
All business is local. Die Firma Winzigweich aka Microsoft gibt sich große Mühe mit ihren landessprachlichen Bedienoberflächen. Vielleicht kaschiert sie so die Produktmängel (s. o.). Auf MS geht z. B. das Wort Einfügemarke für cursor zurück.
Das mögen keine Argumente für das Erlernen von Latein sein, aber hoffentlich doch für mindestens die Muttersprache und 2 weitere. Denn ob Englisch in einer Generation weltweit noch das Maß der Dinge ist, who knows?
Gruß K
@HansMeyer555
Ich bin...
@HansMeyer555
Ich bin verblüfft! Spanisch und Französisch soll kein Mensch brauchen? Wie wollen Sie sich denn im Beisein des Personals über delikate Themen unterhalten? Etwa auf deutsch?
Und im Süden der USA sind die Spanischsprecher inzwischen in der Mehrheit. Da ist es nicht schlecht, 2sprachig zu sein, was auch die Wahlkämpfer entdeckt haben.
Daß sich Latein einer quartalsbasierten Kosten-Nutzen-Rechnung entzieht, ist klar. Aber das gilt für das iPhone usw. auch..
Gruß K
Frage in die Runde:
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Was ist...
Frage in die Runde:
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Was ist wichtiger? Dass Latein gelernt wird, oder dass die antiken Texte in Übersetzung gelesen und diskutiert werden?
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(Der Blogbeitrag steuert auf einen Kommentar-Rekord zu 🙂
Für den Lateinunterricht und...
Für den Lateinunterricht und speziell die Lektürephase spricht noch etwas für mich selbst Überraschendendes. Er macht durchweg anspruchsvolle, folgenreiche Texte zu seinem Gegenstand. Man liest antike Reden, Geschichtsschreiber, Lyrik und Graffiti, politische und philosophische Texte, epische Dichtung, Liebeslyrik und eben keine Zeitungsartikel und überflüssige Infos über die ehemaligen britischen Provinzen, Dinge die man in jeem Zeitungsarchiv finden kann etc.
Was mich am Englischunterricht am meisten enttäuscht, ist, dass er kein Anwalt der Literatur ist und sehr stark in Belanglosigkeiten abgleitet. Shakespeare zu lesen, ist für Englischlehrer – so hört man immer häufiger – ein Horrortrip. Wenn man die Schüler nicht mehr zu einem solchen Gipfel der Literatur führen mag, was soll dann das Wahnsinnsgetue, dass möglichst schon die schwangere Mutter den Bauch mit Englisch-Kassetten beschallen soll.
Und zurück zum Ausgangspunkt: der Lateinunterricht ist ein kompromissloser Anwalt anspruchsvoller Literatur und damit des europäischen Erbes. Diese Rolle scheint dringend notwendig und unersetzbar.
@Dr.Noo:
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Der...
@Dr.Noo:
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Der Englischunterricht könnte in der Tat kulturell aufrüsten. Auch da kann die Antike helfen. War es nicht so, dass die Hauptstadt der ehem. „britishen Provinzen“, wie Sie es nennen, zuerst Rom hieß? Ist die ganze Verfassung dieses Landes ohne antike Vorbilder überhaupt denkbar? Und ist nicht die Apotheose Washingtons, die im neuesten Roman von Dan Brown eine so große Rolle spielt, der Apotheose des Romulus nachgebildet? (Was man in diesem Roman allerdings nicht erfährt.)
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Man sollte gerade auch im Latein-Unterricht auf die ehem. „britischen Provinzen“ schauen! Antiamerikanismus und Humanismus sind nun einmal unvereinbare Gegensätze. Englisch und Latein, das muss die Standard-Sprachenfolge der Zukunft sein.