Lange nichts mehr über Filme geschrieben. Auf dem Themenzettel steht die Sex-und-Gewalt-Soap „Spartacus. Blut und Sand“, die seit Wochen auf Pro Sieben läuft. Ich habe die erste Doppelfolge gesehen. Eigentlich Zeitverschwendung, denn die Miniserie ist auch ästhetisch eine Zumutung. Wer aushält, muß unendlich papierne Sätze aus den Mündern finster dreinblickender Athleten über sich ergehen lassen, um periodisch in den Genuß von zeitlupengedehnten Metzeleien (angelehnt an „300″, aber nicht so gekonnt) und geschmäcklerischen bis schwülstigen Sexszenen zu kommen. (Ein Tip für die Blu-ray-Auswertung: in der Kapiteleinteilung diese Teile gleich gesondert ausweisen, damit man sie ansteuern kann, ohne ertragen zu müssen, was die Macher zwischendurch in Dialog und Dekor für römisch halten!)
Nun läuft die zweite Staffel, und es ist ohnehin zu spät. Das schafft Raum für ein Kontrastprogramm. Dieser Tage läuft in Programmkinos (sicher nur einigen wenigen) der Dokumentarfilm „Parabeton. Pier Luigi Nervi und römischer Beton“ an, koproduziert vom WDR und von 3sat, wo der Streifen deshalb sicher bald zu sehen sein wird. Gedreht hat ihn Heinz Emigholz, im Architekturdokumentarfilm ein bekannter Name.
Ohne kommentierenden Text vorgestellt wird – meine Kunde stammt aus dem aktuellen Heft des Film-Dienstes (11/2012) – der italienische Architekt (1891-1979), der zwischen 1932 und 1971 zahlreiche Bauten in seinem Heimatland errichtete: Sportstätten, Messe- und Fabrikgebäude, aber auch die Audienzhalle des Papstes im Vatikan. Nervi baute mit Beton, dem Baustoff, der ganz selbstverständlich der Moderne zugerechnet wird, erlaubt er es doch, kühnste Konstruktionen, Funktionalität und ästhetische Sachlichkeit zu verbinden. Der Film kontrastiert indes die Betongehäuse von der Hand des modernen Architekten mit Bauten, die mittels der antiken Variante des Betons entstanden. Dazu gehören bekannte Monumente wie das Kolosseum und das Pantheon, aber auch ein Tempel in Baiae, der einst dem Merkur geweiht gewesen sein soll.
Der Verfasser der Rezension im Film-Dienst scheint erst durch den betrachteten Streifen auf den altrömischen Beton aufmerksam geworden zu sein. Dabei hat das opus caementicium ab dem 2. Jahrhundert v.Chr. das Bauwesen in einer Weise revolutioniert, die durchaus mit dem Aufkommen des (Stahl-)Betons in der Moderne vergleichbar ist.
Eine gute Basisinformation bietet H.-O. Lamprecht im Neuen Pauly. Römischer Beton besteht im Prinzip aus Steinen, die durch einen Mörtel zu einer nach Aushärten druckfesten und sehr haltbaren Masse zusammengeklebt wurden. Das Bindemittel Kalkstein wurde zuvor in steinernen Schachtöfen bei etwa 1000 Grad gebrannt und in Wasser „gelöscht“. Nach dem Mischen der Bestandteile wurde das Material in Flechtkörben zur Einbaustelle transportiert, dort in Hohlräume aus zuvor aufgemauerten Außenschalen oder aus Holzschalungen gefüllt und mit Stampfern verdichtet. Durch das Aushärten entstand in einem chemisch-physikalischen Prozeß ein Konglomerat-Gestein mit ähnlichen Eigenschaften wie vergleichbarer Naturstein. Mit opus caementicium baute man Mauern, Wasserbecken und Hafenanlagen. Doch auch ganz neue Konstruktionsformen und Baudimensionen, die mit den klassischen Baustoffen (Stein, Holz, Ziegel) nicht zu verwirklichen gewesen wären, konnten nun in Angriff genommen werden. Bei verschiedenen Druckfestigkeitsprüfungen wurden Werte ermittelt, die einem heutigen ‘Normalbeton‘ entsprechen. Auch die Idee des Stahlbetons – der Baustoff muß außer Druck- auch Zugkräfte aufnehmen können – hatte römische Vorläufer: In einem Wohnhaus in Köln (1. Jh. n.Chr.) stieß man auf ein Wasserbecken, dessen aufgehende Wände mit Rundeisen in den Beckenboden einbetoniert waren. Offenbar sollten dadurch die Wände bei gefülltem Becken so unverrückbar mit dem Boden verbunden werden, daß kein Wasser aussickern konnte. Gleichwohl: Der Stahlbeton bleibt eine moderne Erfindung – die kurioserweise zu einer weit kürzeren Haltbarkeit der damit errichteten Bauten führt, als sie antiken Betonbauten gegeben war. Denn wurden bei der Armierung des Betons keine rostfreien Stähle verbaut, nagt der Rost und macht den Bau ziemlich schnell zum Sanierungsfall. So geschehen mit der kaum vierzig Jahre alten „Neuen Brücke“ in meiner Heimatstadt Rotenburg a.d. Fulda.
Zurück in die Antike. Ganz neue Möglichkeiten ergaben sich im Hafenbau, von dem Vitruv in De architectura handelt (5,12,1-6) berichtet u.a. ausführlich über Planung und Ausführung von Großhäfen. Für Molen, Schiffsanleger und Hafenmauern empfiehlt er Konstruktionen aus opus caementicium. Damit der verwendete Beton auch unter Wasser aushärte und wasserfest bleibe, seien Beimischungen aus Ziegelmehl und vulkanische Aschen wie Puzzolan-Erde notwendig.
Auch Gewölbe und Kuppeln wären in den verwirklichten Dimensionen ohne Beton nicht möglich gewesen. Als erster größerer Baukomplex, der von Gewölbe- und Kuppelkonstruktionen geprägt war, kann Neros Domus Aurea gelten, die durch Ausgrabungen in jüngerer Zeit genauer bekannt ist. Die Maxentius-Basilika, errichtet im 4. Jahrhundert n.Chr., hatte ursprünglich eine Grundfläche von rund 100 auf 60 m sowie ein 35 m hohes Kreuzgewölbe. Die Kuppel des Pantheon überspannt stützenfrei eine Weite von über 43 m, was erst 1911 übertroffen wurde, durch die Jahrhunderthalle in Breslau, eine Stahlbetonkonstruktion. Durch verschiedene sog. Zuschläge ist die Kuppel im unteren Bereich schwerer und massiver, weil sie die Last der darüberliegenden Teile tragen muß, während die oberen Zonen, die nur sich selbst zu tragen haben, zur Gewichtsersparnis aus „Leichtbeton“ mit Bimssteinzusatz errichtet wurden.
Nicht nur die Technik, auch die Baulogistik änderte sich. Nicht länger mußten große behauene Quadersteine aufwendig von weither beigeschafft werden. Gußbeton war mittels Holzverschalung fast beliebig formbar. Seine Verarbeitung erforderte überdies nur wenige hochspezialisierte Fachleute für Planung, Baustellenlogistik und den Bau der Holzverschalungen, darüber hinaus lediglich eine große Zahl angelernter Hilfskräfte. Nun waren auch Geschoßbauten mit bis zu sieben Stockwerken möglich. Brücken und Wasserleitungen überspannten Täler und Flüsse; sie waren zugleich Ausdruck einer genuin römischen Auffassung von Naturbeherrschung.
Im Film erhält das vom weiteren Verfall bedrohte Kolosseum ein modernes Pendant, das der Rezensent Holger Römers im Film-Dienst mit einem modernen vanitas-Bild schildert: „Angesichts der strengen Nüchternheit von Emigholz‘ Ästhetik wirkt es umso eindringlicher, wenn seine Kamera im Turiner Palast der Arbeit, der dem Verfall preisgegeben scheint, stoisch den Kadaver eines streunenden Hundes ins Bild rückt, der das majestätische Bauwerk neben zahlreich umherflatternden Tauben offenbar zu seinem Quartier erkoren hat.“
– Heinz-Otto Lamprecht, Opus caementitium. Bautechnik der Römer. Düsseldorf: Beton-Verlag (!) 1985
– Asa Ringbom/Robert L. Hohlfelder (Hgg.), Building Roma aeterna. Current research on Roman mortar and concrete (Proceedings of the conference, March 27-29, 2008). Helsinki: Societas Scientiarum Fennica 2011