Antike und Abendland

Antike und Abendland

Tagesaktualität, wie sie sich mit einem Blog verbindet, und Antike – das scheint nicht zusammenzugehen. Dennoch soll hier der Versuch gewagt

Das Imperium schlägt zurück. Ein Lexikon-Update (2)

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Wenn auf dem Automobilemarkt neue Wettbewerber oder neue Modelle dabei sind, auf den Plan zu treten, betreiben die Marktführer gern Modellpflege, um sich...

Wenn auf dem Automobilemarkt neue Wettbewerber oder neue Modelle dabei sind, auf den Plan zu treten, betreiben die Marktführer gern Modellpflege, um sich ebenfalls wieder ins Gespräch zu bringen und ihren Claim sichtbar neu abzustecken. Wohl auch in diesem Sinne hat Oxford University Press eben eine neue Ausgabe des Oxford Classical Dictionary (OCD) vorgelegt. Es ist die vierte Bearbeitung des weltweit wohl am weitesten verbreiteten wissenschaftlichen Lexikons zur Antike. Nur auf den ersten Blick spielen die nunmehr vollendete englische Ausgabe von Der Neue Pauly (Brill’s New Pauly) sowie die für diesen Herbst angekündigte (Blackwell) Encyclopedia of Ancient History – beide mit mehr als einem Dutzend Bänden sehr viel umfangreicher – in einer ganz anderen Liga als das OCD, machen also allenfalls einander Konkurrenz, nicht aber dem Einbänder von OUP. Es geht hier nämlich nicht nur um Verkaufszahlen, sondern auch um Hegemonien im Alltagsgebrauch: Welchem Werk vertraut der englischsprachige, im weitesten Sinn wissenschaftliche Benutzer am meisten, wenn Aktualität, Solidität und ein zeitgemäßer Zugriff auf die Antike gefragt sind, was empfiehlt er Studierenden? So vergingen zwischen der ersten und der zweiten Ausgabe des OCD 21 Jahre (1949/1970), zwischen der zweiten und dritten gar 26 Jahre (1970/1996), nun aber lediglich deren 16.

Unter den insgesamt über 6700 Stichwörtern sind 70 gänzlich neu hinzugekommen, ferner 20 Artikel, die neu geschrieben wurden und frühere Einträge ersetzen, darunter so gewichtige wie „Homer“, „Troy“, „Catullus“, „kinship“ und „mathematics“. Die Rezeptionsgeschichte ist nunmehr um „film“ erweitert; dabei handelt es sich um eine Art Meta-Artikel, der das Kunststück fertigbringt, keinen einzigen Filmtitel zu nennen! Genderthemen haben jetzt eine eigene Fachgebietsbetreuerin (Esther Eidinow, zugleich neue Mitherausgeberin) und neue Artikel wie „gender“, „masculinity“ und „prostitution, secular (male)“. Schon immer eine Stärke des OCD waren die essayartigen Dachartikel zu größeren Themen; hier sind u.a. „court“, „explanation, historical“ und „migration“ hinzugekommen, aber auch „Hellenistic philosophy“ und „Presocratic philosophy“. „Nature“ gibt einen kurzen Überblick und dient als Wegweiser zu zahlreichen einschlägigen Einträgen. – Die übrigen Artikel wurden durchgesehen und gegebenenfalls verändert. Der Anfang des Jahres verstorbene Ernst Badian z.B. hat die Revision für sein Gebiet, die spätrepublikanische Aristokratie, gewohnt gründlich vorgenommen; der Eintrag zu C. Coelius Caldus (Konsul 94) etwa, den ich kürzlich zu konsultieren hatte, hat erheblich an Informationen und Nützlichkeit gewonnen.

Wieder erweist sich der Vorteil eines konzentrierten Einbänders gegenüber den sehr viel umfangreicheren Werken: Letztere müssen auch weniger ausgewiesene Beiträger heranziehen und können die redaktionelle Kontrolle der eingereichten Manuskripte aufgrund der schieren Masse nicht so gründlich durchführen, was im Ergebnis – wie beim Neuen Pauly gut sichtbar – zu erheblichen Qualitätsunterschieden führt. Und wer mitbekommen hat, wie bei der Encyclopedia of Ancient History ganze Artikelnester mehrmals und fast schrotschußmäßig zur Übernahme angeboten wurden, wird auch in diesem Fall ein ähnliches Ergebnis erwarten: eine große Spannweite zwischen Mustergültigem und weniger Gelungenem.

Auch an Umfang hat des OCD noch einmal zugelegt, aber durch ein etwas größeres Format nicht von seiner Handlichkeit verloren. In den aktualisierten Bibliographien fehlen einschlägige Titel in anderen Sprachen als Englisch sehr oft – ein Konzession an den ‘Zeitgeist‘. Eine Bebilderung hat man sich (glücklicherweise) versagt; dafür ist das Werk nun zeitgemäß in das kostenpflichtige Online-Informationssystem des Verlags eingebunden, das von vielen Bibliotheken abonniert ist.

 

Fast gleichzeitig auf den Weg in die Bibliotheken geschickt wurde eine Neubearbeitung des Oxford Latin Dictionary von P.G.W. Glare, dessen erste Ausgabe nach mehr als dreißigjähriger Vorbereitung (!) 1968 zu erscheinen begann und 1982 abgeschlossen wurde. Unter den zweisprachigen Wörterbüchern, die gewissermaßen zwischen dem einsprachigen, das gesamte Sprachmaterial umfassend erschließenden Thesaurus Linguae Latinae (seit 1900, z.Zt. beim Buchstaben p) und den knapperen, einbändigen Schulwörterbüchern stehen (in England seit 1879 vor allem das Lexikon von Lewis und Short und seine Derivate), kann es als das englische Gegenstück zum ebenfalls zweibändigen, jedoch sehr viel älteren „Handwörterbuch“ von Georges gelten. Diesem voraus hat es eine sorgfältige Dokumentation mit genauen Belegstellenangaben; auch die Inschriften sind breit berücksichtigt. Die rund 40000 Einträge sind mit der gut zehnfachen Zahl an Zitaten unterfüttert. Allerdings erfaßten Glare und sein Team nur die nichtchristliche lateinischen Literatur bis etwa 200 n.Chr. – mehr wäre kaum möglich gewesen, basierte das Werk doch auf einer selbständigen Sammlung von Belegstellen („entirely fresh reading of the Latin sources“) nach dem Vorbild des monumentalen Oxford English Dictionary. Kritisiert wurde überdies die Anordnung der Bedeutungen, hatte man doch auf das lexikographische Stammbaumprinzip verzichtet: verschiedene Bedeutungen zu wenigen übergeordneten Gruppen zusammenzufassen bzw. umgekehrt die verschiedenen Bedeutungsvarianten unter Grundbedeutungen zu subsumieren; in der lexikographischen Anordnung der Bedeutungen werden auf diese Weise auch Entwicklungen der Wortgeschichte sichtbar. Stattdessen im OLD eine einfache Reihung von keineswegs gleichrangigen Gruppen. Der Unterschied mag nicht immer problematisch erscheinen, ist aber auch in einem einfachen (hier ohne die Belege gegebenen) Beispiel erkennbar. So bietet das OLD für celeritas: 1 Speed of movement, quickness, rapidity b (of things),  2 Speed of action, dispatch b (of things) swiftness of action c (of speech or writing) rapidity, speed d (of duration) quickness in passing  3 Quickness, nimbleness (of mind, intelligence)  4 Excessive speed, haste, hurry  5 Early date, earliness, speediness. Im Georges hingegen eine (hier nur formale) Hierarchisierung: Schnelligkeit, Raschheit, I) eig.: – II) übtr.: 1) der rasche Gang, die Geläufigkeit der Rede usw., 2) die Raschheit, Eile im Verfahren, das rasche 3) die Raschheit im Fortgange, im Verlauf, in der Wirkung, der rasche Fortgang od. Verlauf, das rasche (schnelle) Vorübergehen, die rasche (schnelle) Wirkung, 4) die Schnelligkeit, Raschheit im Auffassen, Denken, Beschließen, die geistige Regsamkeit, – u. im Antworten usw., die Schlagfertigkeit.

Das Werk basierte auf den Oxford-Ausgaben der zitierten Autoren; es gab daher die Buchstaben J und V nicht, die von I und U vertreten wurden.

Aus der nunmehr vorgenommenen Erfassung in einer Datenbank ergaben sich zahlreiche Verbesserungen, und veraltete englische Ausdrücke wurden durch neuere ersetzt. Das Layout ist übersichtlicher geworden. Doch in Substanz und Aufbau blieben die Einträge unverändert; auch veränderte Textkonstitutionen in neueren kritischen Ausgaben blieben unberücksichtigt- bei einem Auto würde man von einem Facelift sprechen. Spannend und zugleich amüsant zu lesen ist ein Essay von Christopher Stray zur verwickelten Geschichte des OLD. So schrieb ein langjähriger editor, der sich mit dem Verlag überworfen hatte, ein Pamphlet gegen letzteren – in Form eines Versepos, betitelt The Clarendon Press. So etwas ist wohl nur in England denkbar. Ein „learned excentric“, A.H. Buck, habe beim Lesen der Druckfahnen unzählige Male geflucht – ein Mann, dessen Lieblingswort sich auf seinen Nachnamen reimte.

Neben lobenden Rezensionen erfuhr das fertige OLD auch harte Verrisse; der Tacitus-Spezialist F.R.D. Goodyear bilanzierte nach sieben Seiten Einzelkritik: „This is not a very good dictionary.“ Gleichwohl erreichte das Werk fünfstellige Auflagenzahlen und wird in neuer Gestalt, nun auch in digitaler Form, gewiß seine Alleinherrschaft im englischsprachigen Raum und den guten Platz in der internationalen Altertumswissenschaft neu befestigen. Gleichzeitig dürfte diese Neuausgabe auch die letzte in Papierform sein.


1 Lesermeinung

  1. Tennes sagt:

    Vielen Dank für Ihre...
    Vielen Dank für Ihre anregende Rezension,
    nachdem ich die älteren Ausgaben des OCD noch stets an der Uni genutzt habe, steht nun das aktuelle Modell in meinem privaten Handapparat einträchtig neben den anderen Dinos: Lexikon des Hellenismus (2006), Kleiner Pauly & Lexikon der griechischen und römischen Mythologie (2006). Wer bisher noch nicht in den Genuss der Anschaffung gekommen ist, hat nun die Chance eine Option auf die Antike zu erwerben – Preis- & Wertverfall garantiert ausgeschlossen 🙂

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