Der literarische Brief eines Seneca oder Plinius behandelt in der Regel jeweils nur ein Thema und stellt daher im Grunde eine Abhandlung im Gesprächston dar. Anders die – vom Absender nicht zur Publikation bestimmten – Briefe Ciceros: Die Kommunikation durch sie war nicht themengebunden, sondern anlaßgebunden, weswegen meist mehrere, nicht miteinander zusammenhängende Gegenstände in einem Text behandelt werden: der Empfang eines Briefes, aktuelle Politik, Begegnungen und Gespräche, Familiäres, Geschäftliches, Neuerwerbungen, Lesefrüchte, wie es eben gerade anlag.
Die meisten Einträge hier folgen dem ersten Muster. Aber nicht immer trägt eine Beobachtung einen ganzen Eintrag, und schon längst bestellen Menschen im Restaurant einen Vorspeisenteller als Hauptgericht.
Kürzlich war in einem Kommentar der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag der Begriff „lateinische Fraktion“ zu lesen. Der Kommentar bezog sich auf die Umgruppierungen der Staaten der Euro-Gruppe in diesen Wochen, und dazu paßt, was der neue französische Staatspräsident Hollande just im Vorfeld des Gedenkens an die historische Begegnung De Gaulles und Adenauers in der Kathedrale von Reims vor fünfzig Jahren verlauten ließ: Ein deutsch-französisches Direktorium über Europa werde es nicht geben. Nachdem Sarkozy mit dem Lobpreis auf das Modell Deutschland Schiffbruch erlitten hat, verläßt sein Nachfolger die Rolle als faktischer Juniorpartner im Tandem Berlin-Paris. Im Kreis der westlichen Südländer, eben der „lateinischen Fraktion“ (von Griechenland ist in diesem Zusammenhang schon keine Rede mehr) stärkt er die Erpressungsmacht der Schuldner und deren Potential, Gläubiger und Schulden grundsätzlich ins Unrecht zu setzen – wie das David Graeber dem kulturellen Salon unter Verweis auf den römischen (!) Sündenfall vorbuchstabiert hat. Die post-Varus-Konstellation erscheint wiederhergestellt: Deutschland als einziges großes Land ohne eine vollwertige römische Vergangenheit und ohne durchgreifende, flächendeckende Romanisierung steht fast allein da, an seiner Seite nur noch kleine Länder, die dieses Schicksal teilen; wer als Althistoriker an die Niederlande denkt, dem fallen sogleich die widerborstigen Bataver ein.
Nach dieser eher spielerischen Assoziation eine ernsthafte Einrede. Ein Leser macht zur Debatte um das Beschneidungsverbot „eine Anmerkung historischen Inhalts“ (F.A.Z. v. 7. Juli 2012, 8): Der große, nach seinem Anführer Bar Kokhba benannte Aufstand der Juden in Palästina, der die Römer drei Jahre lang, von 132 bis 135 in einen harten Krieg verwickelte, sei ausgebrochen, weil Kaiser Hadrian im Zuge seiner Politik, „die römisch-hellenistische Kultur in dem gesamten Reich zu verbreiten“, den Juden die Beschneidung verboten habe. Der Leser beruft sich auf eine Notiz in der Hadrians-Vita in der sog. Historia Augusta. Die Kausalität erscheint einleuchtend. Leider hält sie der Quellenkritik (s. Jörg Fündling, Kommentar zur Vita Hadriani der Historia Augustua, Bonn 2005, 78ff. 671) und der Prüfung der historischen Plausibilität nicht stand, denn es gibt weder unterstützende Belege außerhalb der generell unzuverlässigen Historia Augusta noch hat Hadrian die ihm unterstellte Politik tatsächlich betrieben. Vorauszusetzen wäre anderenfalls für die römische Regierung ein hohes Maß an Intentionalität und noch dazu auf einem Gebiet, nämlich Kultur und Religion, für das es kaum Steuerungsinstrumente gab, sondern nur Anreize. Es gab aber keine hochgradig vereinheitlichte religiöse Kultur im ganzen Reich oder einen von Rom verordneten Vereinheitlichungsdruck. Die Beschneidungsfrage spielte allerdings in der Tat vor Ausbruch des Aufstandes eine Rolle: Rabbinische Quellen lassen sich so verstehen, daß viele Angehörige der jüdischen sozialen Elite sich aus eigenem Entschluß der schmerzhaften Prozedur einer Wiederherstellung der beschnittenen Vorhaut unterzogen, dem sog. epispasmos, weil sie die Beschneidung als barbarische Sitte ablehnten und sich – auch mit Blick auf das nackte Turnen im Gymnasion – nicht von der Norm der hellenistisch-römischen Welt unterscheiden wollten. Ähnliches war gut 250 Jahre zuvor geschehen, im Vorfeld des Makkabäeraufstandes. Es lag also ein innerjüdischer Konflikt über die Frage vor, ob man sich der ‘Mehrheitszivilisation‘ anpassen wollte und trotzdem Jude bleiben konnte. Der Ausbruch des Aufstandes entschied die Frage: Das Gesetz wurde neu eingeschärft, die epispasmoi wurden durch erneute Beschneidungen rückgängig gemacht. Will man dennoch an der Historia Augusta-Notiz festhalten und tatsächlich ein römisches Beschneidungsverbot postulieren, dann hätte dieses allein als Reaktion auf diese innerjüdische Formierungs- und Homogenisierungsbewegung seinen Platz, also nach Ende des Aufstandes. Vgl. Peter Schäfer, The Bar Kokhba Revolt and Circumcision: Historical Evidence and Modern Apologetics, in: Aharon Oppenheimer (Hg.), Jüdische Geschichte in hellenistisch-römischer Zeit, München 1999, 119-132; das Ergebnis auch in ders., Geschichte der Juden in der Antike, 2. Aufl. Tübingen 2010, 173-177.
Vor gut zwei Wochen wagte die ARD in der Samstagabendunterhaltung ein Experiment. Daß gerade die Römer bei diesem Crossover dran glauben mußten, mag Zufall sein. Ich habe „Brot und Spiele“, live ausgestrahlt aus dem Archäologischen Park in Xanten, also dem einst römischen Teil Deutschlands, nicht gesehen, sondern bin einer Einladung zum Grillen gefolgt, naheliegend in diesen Tagen. In WELT-online war aber ein Bericht zu lesen. Kostümierte Prominente der Unterhaltung, zwei Parteien zugeordnet, traten in zehn Spielrunden gegeneinander an, um sich dem alten Rom zu nähern. Unter ihnen Henry Maske und der Recklinghauser Bodybuilder Ralph Möller, der in Gladiator (2000) einen heroischen Tod gestorben ist. Unter den Teilnehmerinnen führten Franziska van Almsick und Christine Neubauer die Skala des Bekanntheitsgrades an. Nachrichtensprecher Jens Riewa hatte sich schon zuvor als „marianischer Maulesel“, also als Legionär unter vollem Gepäck – 35 Kilo – versucht, ein hartes Stück labor, wie ein Einspieler zeigte. „Überhaupt gehörten vielmehr als irgendwelche Wettkämpfe die kleinen Einspielfilme zu den interessanten Momenten dieser Show. Zu sehen gab es Aufnahmen aktueller archäologischer Ausgrabungen in Xanten. Dort am Niederrhein errichteten die Römer im Jahre 12 vor Christus ein Legionärslager. Später wurde eine Stadt daraus, in der auch ‘romanisierte‘ Germanen und Gallier lebten – und sich gelegentlich in einem Amphitheater unterhalten ließen. Die rekonstruierte Arena, der Schauplatz der Show, ist heute Teil des Archäologischen Parks Xanten. Beim ‘Geschichtsspektakel‘ der ARD zeigten Animationen etwa wie sich der Grenzwall des römischen Reiches, der Limes, aufbaute und wie die Wasserleitungen, die Aquädukte, funktionierten.“ SPIEGEL-online urteilte ungnädiger über die „langatmige Latschenshow“: „Der zum ‚Höhepunkt des Abends‘ hochgejazzte Gladiatorenkampf zwischen Ralf Moeller und Henry Maske glitt unter dem Gekeuche und Gestakse der Protagonisten mit ihren hölzernen Schwertern unfreiwillig ins Komische.“ Ähnlich harsch: der FAZ-Fernsehblogger.
Der antikoide Zehnkampf scheint hingegen zeitweise eine etwas zähe Angelegenheit gewesen zu sein, etwa die Zuordnung archäologischer Funde. Entschleunigung ist ja in aller Munde, aber man möchte sie selbst erleben und nicht anderen dabei zusehen. Immerhin hielt – wie auch beim Grillen – das Wetter, und „die dunklen Wolken boten eine tolle Kulisse über dem Amphitheater. Diese Bilder manifestierten den Eindruck, wer der wirkliche Gewinner des Abends war: die Stadt Xanten und ihr Archäologischer Park. Sie konnten hier überzeugend für sich Werbung machen. Nicht nur kleine und große Asterix-Fans werden neugierig auf die Römerstadt geworden sein. Sie sollten wohl besser einmal persönlich hinreisen, wenn nicht mehr ganz Xanten von der ARD besetzt ist.“ Dem kann ich mich natürlich nur anschließen. Also auf nach CUT (Colonia Ulpia Traiana)!