Akte Asien

Paukt Asien uns raus?

Die Jahrtausendwende hat dem Westen nicht gut getan, dem Osten schon.

Nach dem Fall der Mauer und dem Heraufziehen der neuen, westlich dominierten Boomwirtschaft des Internet hatte es zunächst so ausgesehen, als ob nichts den Siegeszug des abendländischen Modells aufhalten könnte. Doch seit dem Platzen der Internetblase, den Terroranschlägen und den darauf folgenden unbezahlbaren Kriegen reiht sich ein Abschwung an den nächsten.

Die Industrieländer haben ein „verlorenes Jahrzehnt” hinter sich, und niemand weiß, wie lange der Niedergang dauern wird. An der Überschuldungskrise könnten Amerika und Europa noch Generationen zu knabbern haben.

Je mehr aber der Westen an Bedeutung verliert, umso stärker wird der asiatisch-pazifische Raum – relativ, weil die alt gedienten Mächte gelitten haben, aber auch in absoluten Zahlen. Wuchs die Wirtschaftsleistung der OECD-Länder zwischen 1990 und 2008 um durchschnittlich 2,8 Prozent im Jahr, legten die Entwicklungs- und Schwellenländer Asiens Jahr für Jahr um 8,6 Prozent zu.

Um die wirtschaftliche Bedeutung dieser Weltgegend soll es in diesem Blog gehen, von der Mandschurei bis nach Tasmanien, von Peschawar bis Hokkaido. Um Menschen, die wir auf unseren Reisen treffen, um ihre Schicksale und diejenigen ihrer Länder. Wie fühlt sich der Aufschwung an? Wo bleiben jene, die zurückbleiben? Was lösen die Katastrophen aus, die in Asien kein Ende nehmen? Wie stellt sich die deutsche Industrie auf die neuen Märkte ein? Und was will die neue, asiatische Mittelschicht?

Zur ersten Folge begrüßen wir, die drei Wirtschaftskorrespondenten der F.A.Z. in Asien, Sie ganz herzlich aus Tokio, Singapur und Peking. Wir werden uns in unregelmäßigen Abständen und loser Autorenfolge melden und freuen uns dabei auf Ihre Reaktionen, Anregungen, Ihre Kritik und Sicht der Dinge.

In diesen Wochen treibt auch die asiatischen Länder vor allem eines um: die Schuldenkrise in Amerika und in der EU. Wieder einmal zeigt sich, dass Asien kein monolithischer Wirtschaftsblock ist. Japan etwa, das seinerseits hoch verschuldet ist und nicht erst seit der Fukushima-Katastrophe mit einer schwächelnden Konjunktur kämpft, sieht sich von den Verwerfungen ganz anders getroffen als die reiche Boomnation China.

Japan hat sich von dem Erdbeben und der atomaren Katastrophe nach dem 11. März schneller erholt, als alle Experten erwartet hatten. Das zeigt zum einen, welches Potential die Wirtschaft noch hat. Zum anderen wird deutlich, dass sich Japan trotz seiner Nähe zu den Industrieländern auch dann wieder aufrappeln kann, wenn im Westen schwierige Zeiten herrschen: Der asiatische Markt ist heute wichtiger als Amerika und Europa. Das verändert das Land, langsam, aber spürbar.

Derweil gehen die Uhren in Delhi ganz anders. Indien ringt vor allem mit sich selbst. Die Lebensmittelpreise steigen zweistellig, die junge Mittelschicht macht mobil gegen die grassierende Korruption. Und die Regierung? Sie verfällt einmal mehr in die sowjetische Attitüde, verabschiedet den nächsten Fünfjahresplan, verlässt sich allem auf die Binnennachfrage und verspricht 9 Prozent Wachstum – Krise im Westen hin oder her.

Die Antwort darauf, wo Indien, die drittgrößte Wirtschaftsmacht Asiens, Hunderte Milliarden Dollar hernehmen will, um Straßen, Häfen oder Stromnetze auszubauen, bleiben die Verantwortlichen schuldig.

Während Indiens Elite noch selbstbewusst auftritt, schaut Südostasien gebannt nach Westen, da es sich um seinen Export sorgt, und nach Nordosten, weil es bald schon auf weitere Hilfen vom großen Nachbarn China angewiesen sein dürfte. Und auch Australien hofft auf Chinas Kraft – denn in der zweigeteilten Wirtschaft „down-under” brummen nur die Bergwerke so richtig.

China strotzt zwar vor Kraft und wertet die Schuldenkrise als einen weiteren Punktsieg im Systemvergleich mit dem Westen. Tatsächlich aber ist Peking auf Gedeih und Verderb mit den Industrieländern verbunden. Solange die Binnennachfrage nicht annähernd dieselbe Dynamik entfaltet wie der Export und solange China seine riesigen Geldzuflüsse in keiner anderen Währung anlegen kann als dem Dollar, fürchten die Chinesen den Zusammenbruch des Westens als Vorboten des eigenen Niedergangs.

Anders als in der ersten Krisenwelle nach 2008 können sich die Chinesen diesmal nicht auf eine lockere Geld- und Kreditpolitik oder auf die Impulse eines milliardenschweren Konjunkturpakets verlassen. Denn die Inflation ist auf den höchsten Stand seit Jahren gestiegen, die Kommunen sind überschuldet. In der Industrie sind Überkapazitäten entstanden, in der Immobilienwirtschaft Spekulationsblasen. In den Banken wächst die Furcht vor Kreditausfällen.

Die Hoffnung, dass Asien – und hier vor allem China – die Welt auch diesmal rauspaukt, könnte also verfrüht sein.

In den folgenden Beiträgen wollen wir auf die Wachstumsperspektiven in unserer Region näher eingehen.

Von Carsten Germis, Christoph Hein, Christian Geinitz

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