Zhou Yonghua springt leichtfüßig aus seinem Porsche Cayenne, bestellt in einer Pekinger Bar einen doppelten Espresso und telefoniert dann auf Englisch über sein iPhone. „Natürlich bin ich ein Chinese”, sagt der Investmentbanker später, „allerdings ein ganz schön internationaler”. Das ist im Moment nicht nur von Vorteil.
Noch macht die Schuldenmisere der EU und Amerikas Zhou nicht zu schaffen. „Aber irgendwann bekommen wir unser Fett weg”, fürchtet er. Sein Unternehmen bringt in Schanghai und Shenzhen chinesische Aktiengesellschaften an die Börse. Die Nachfrage ist groß, aber die Interessenten sind vorsichtiger geworden. Denn einerseits purzeln auch in China die Kurse und machen Neuemissionen schwieriger. Zum anderen leben viele der Unternehmen von Aufträgen aus den angeschlagenen Industrieländern.
Menschen wie Zhou, wohlhabend, polyglott und amerikanisch orientiert, sind in China eine Minderheit. Und doch hat sich die Gesellschaft als Ganze in der Öffnungspolitik der vergangenen 30 Jahre stark verwestlicht. In Krisenzeiten wie diesen herrscht in den Industrieländern oft die Furcht vor, dass „die Chinesen kommen”, als Lieferanten, Aufkäufer, Weltpolitiker oder laute Touristengruppen. Dabei sind „die Amerikaner” oder „die Europäer” in China viel präsenter. Ihre politischen und moralischen Vorstellungen mögen es schwer haben in Fernost, nicht aber ihre bunte Konsumwelt und der moderne Lebensstil. Selbst in Chinas Dörfern tragen die Bewohner Jeans und T-Shirt, telefonieren mit Handys, schauen Kuppelshows im Fernsehen.
Diese Absorption ist der Ausdruck, ist der Preis für die Einbeziehung Chinas in das globalisierte Wirtschaften. Erst durch diese Öffnung hat sich das Land zur führenden Exportnation und zur zweitgrößten Wirtschaft der Welt aufschwingen können. Dabei liegt in der Stärke des Landes auch seine Schwäche – und umgekehrt. Das zeigt ein Blick auf Chinas abgeschlossene Finanzwelt. Die Kapitalkontrollen, die fehlende Handelbarkeit des Renminbi, die Abhängigkeit der Zentralbank und das Staatsbankwesen haben es nicht zugelassen, dass in China ein wettbewerbsfähiges, international eingebundenes Finanzsystem entstehen konnte.
Zugleich haben diese Beschränkungen aber verhindert, dass die Finanzkrise in die Volksrepublik überschwappte. Auch in der Realwirtschaft lag es nicht zuletzt an der Dollar-Bindung des Renminbi, dass die Ausfuhrindustrie glimpflich davonkam. Zudem wurden die Banken angewiesen, zur Ankurbelung der Wirtschaft so viel Geld zu verleihen wie nie zuvor. Gepaart mit einem gigantischen Konjunkturpaket, haben diese Schritte nicht nur China selbst Halt gegeben, sondern auch dem Rest der Welt. Für die Auto- oder Maschinenbauer stieg China in der Krise zum wichtigsten Markt auf und bewahrte sie so vor dem Untergang.
Lässt sich dieses Wunderwerk wiederholen, falls die Erste Welt jetzt abermals in die Rezession rutscht? Jedenfalls nicht mit derselben Zauberformel. Schon haben namhafte Banken die Wachstumsaussichten Chinas nach unten korrigiert. Die Deutsche Bank hat ausgerechnet, dass der Export 7 Prozentpunkte weniger zulegen würde, falls sich das Wirtschaftswachstum in Amerika und der EU auch nur um einen Prozentpunkt abschwächte. Außerhalb der Ausfuhr träfe es die Rohstoff- und die Immobilienwirtschaft.
Darauf müssen Regierung- und Zentralbank anders reagieren als vor drei Jahren. Die geldpolitischen Zügel lassen sich nicht lockern und die eingeleitete Renminbi-Aufwertung nicht zurückdrehen, ohne dass die Inflation weiter ausuferte. Die Kreditflut und die Infrastrukturprogramme haben zu Überkapazitäten, zur Blasenbildung und zu einem Anstieg fauler Kredite geführt.
Was also ist zu tun? Viel wäre gewonnen, wenn die Regierung statt der Staatskonglomerate diesmal den privaten Mittelstand förderte, etwa mit Darlehen und Steuererleichterungen. Die kleinen und mittleren Unternehmen klagen seit langem über unzureichenden Zugang zu Liquidität. Dabei beschäftigen sie mehr als 60 Prozent aller Arbeitskräfte. Umsteuern kann die Stimuluspolitik auch dort, wo sie bisher auf überdimensionierte Verkehrsprojekte setzte, auf Straßen, Flughäfen, Stadien, Schnellbahnstrecken. Die Projekte haben manche Kommune an den Rand des Ruins gebracht.
Besser wäre es, Dienstleistungen und den Verbrauch zu fördern, dessen Entwicklung hinter dem von Export und Anlageninvestitionen zurückgeblieben ist. Das könnte über Steuerabschläge erfolgen, vor allem aber über den Ausbau des Bildungs- und Gesundheitswesens und der Sozialversicherungen. Das Geld dafür ist da: in Chinas riesigem Fremdwährungsschatz und auch bei den Staatsunternehmen, die völlig unzureichende Dividenden ausschütten.
Noch hat China einige Pfeiler im Köcher, es muss damit aber gut zielen. Zum eigenen und zum Wohle der Weltwirtschaft.