Akte Asien

Akte Asien

In der Welt der Wirtschaft verlagert sich das Gewicht nach Asien. Dreht sie sich deshalb schneller und runder, diese Welt? Oder gerät sie in Unwucht?

Die Wette der Australier

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Australiens Wirtschaft boomt, weil Asien Rohstoffe braucht. Deshalb verdient ein Bergarbeiter "down-under" mehr, als ein Chefarzt in Deutschland. Der Rest der Australier aber bleibt zurück. Und fürchtet die wachsende Abhängigkeit ihres Landes.

Haben Sie Reifen in der Garage stehen? Große Reifen? Solche mit fünf Metern Durchmesser, wie sie auf die Felgen der Minenlaster im Tagebau passen? Dann können Sie ein Vermögen machen. Denn den Bergbaukonzernen fehlt es an Ausrüstung. Reifen, Lastwagen, schwerste Bagger – all dies ist gesucht. In der Pilbara, dem Erzgebiet im Norden Westaustraliens, wollen die Konzerne mehr als 80 Milliarden Australische Dollar investieren, um den Erzabbau auf eine Milliarde Tonne pro Jahr voranzutreiben. Vor zehn Jahren lag der Ausstoß hier noch 180 Millionen Tonnen.

Doch nicht nur der Erzausbau legt in Australien dramatisch zu, auch derjenige von Kohle und von Gas. Um diese Investitionen umzusetzen, fehlt es „down-under” an Arbeitskräften. Die Folge: Ein Lastwagenfahrer in einer abgelegenen Mine kommt auf ein Jahressalär von mehr als 100000 Australischen Dollar (74991 Euro), ein Geotechniker auf rund 200000 Australische Dollar. Kein Klempner oder Baggerfahrer in Melbourne, Perth oder Brisbane könnte jemals soviel verdienen. Also ziehen immer mehr Handwerker hinaus in die Einöde, um dort in ein paar Jahren ihr Glück zu machen.

Das aber hat enorme Folge für die Gesamtwirtschaft. Sie wird immer einseitiger ausgerichtet auf den Bergbau und dessen Export nach Asien. Längst sprechen die Australier von einer „Patchwork-Ökonomie”, von der Zweitteilung ihrer Volkswirtschaft. Der Bergbau brummt. Der Rest der Bevölkerung, die Lehrer und Angestellten, die Verkäuferinnen, Bäcker oder Bandarbeiter aber kommen nicht voran. Die verarbeitende Industrie Australiens wuchs im vergangenen Fiskaljahr (30. Juni) nur noch um 1,6 Prozent, der Bergbau legt seit 2006 um durchschnittlich 8 Prozent zu. „Es ist geht hier schon sehr einfach zu: Wir graben das Erz aus und verschiffen es nach China. Die Chinesen schmelzen es und bauen aus dem Stahl Eisenbahnwaggons. Die kaufen wir dann dort, um darin hier unser Erz zu transportieren”, sagt Peter Wood, der seit gut zehn Jahren im entlegenen Erzhafen Port Headland schuftet. Die Wertschöpfung wandert immer schneller ab. Der „local content” der Großprojekte, die Wertschöpfung innerhalb Australiens, liegt meist bei weniger als 10 Prozent. Innovationen sind – außer im Gesundheitssektor – „down-under” Fehlanzeige.

Kommt es ab dem Herbst zu einer Abkühlung der Konjunktur auch in Asien, wird Australien dies deshalb deutlich zu spüren bekommen. Aus eigener Kraft hätte es ihr nicht mehr viel entgegenzusetzen. Der westaustralische Ministerpräsident Colin Barnett – dessen Bundesland boomt – bringt die Sicht der Bergleute auf den Punkt: „Werfen Sie das nicht China vor, nicht der Bergbauindustrie – schauen Sie auf die Schwäche unserer eigenen Industrie.”

Die allerdings kämpft seit Jahren mit einem Markt von nur knapp 22 Millionen Menschen. Erschwert wird die Lage durch den Außerwert des australischen Dollar. Er steht auf dem höchsten Stand gegenüber dem amerikanischen Dollar seit der Freigabe des Wechselkurses in Australien 1983. In Jahresfrist hat er gegenüber dem Greenback 17 Prozent zugelegt. Das trifft Export und Tourismus gleichermaßen. Oft ist es für die Australier derzeit billiger, die Waren eigener Firmen über das Internet im Ausland zu bestellen, statt in Brisbane, Melbourne oder Sydney einkaufen zu gehen. Und die Europäer, die angesichts der Krise mehr und mehr sparen, werden schnell erkennen, das die Flugreise nach „down-under” in diesem Jahr ihr Ferienbudget bei weitem sprengen würde.

So leidet der Konsum – die Menschen sitzen auf ihrem Geld. Hohe Zinsen belasten die Bauwirtschaft. Die Anträge für Neubauten sind seit Mitte 2010 um 15 Prozent gefallen. Die Masse der Australier antwortet mit Konsumverweigerung. „Der Einzelhandel steht vor dem härtesten Weihnachtsgeschäft seines Lebens”, malt Gerry Harvey von der Elektronikkette Harvey Norman schwarz. Und Schatzkanzler Wayne Swan sagt: „Natürlich lastet Druck auf unserer Volkswirtschaft. Die herstellende Industrie und der Einzelhandel haben es schwer, weil sie mit dem schwachen Konsum und dem hohen Dollar kämpfen.”

Dabei fehlt es dem Land an politischer Führung. Ministerpräsidentin Julia Gillard ist seit ihrer Amtsübernahme vor 14 Monaten nichts gelungen. Ihre Minderheitsregierung steht vor dem Aus. Auf der Seite der Opposition aber ist keine Alternative zu entdecken. Platz die Rohstoffblase in Australien, trifft dies ein Land, das nur auf den ersten Blick strahlt. In Wirklichkeit wettet Australien auf das Wachstum Asiens. Davon profitiert eine Minderheit. Geht die Wette schief, werden alle leiden.

Christoph Hein


1 Lesermeinung

  1. AussieStef sagt:

    Herr Hein, mein Kompliment!...
    Herr Hein, mein Kompliment! Well done, mate. Man liest ja leider nicht so viel über Australien hier (also bitte mehr davon), dabei passieren am Ende der Welt wirklich spannende Sachen. Genau so ist es, wie Sie das beschreiben. Und was haben die sich noch gefreut, als der Aussie Dollar auf gleichem Niveau lag wie der Greenback…

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