Industriepolitik hat in Japan eine lange Tradition. Ohne sie, so lautet eine weit verbreitete These, hätte es den enormen wirtschaftlichen Aufschwung Japans nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. Die Japaner haben in ihrer Sprache zwei schöne Begriffe dafür, was gute staatliche Wirtschaftsplanung fördern sollte – und was nicht: „Shinko Sangyoo”, die Sonnenaufgangsindustrien, soll der Staat fördern. Für „Shayoo Sangyoo”, die Sonnenuntergangsindustrien, dagegen sollten staatliche Subventionen abgebaut werden. Doch wer weiß heute schon, welche Industrie morgen Zukunft hat und mit großen Schritten dem Sonnenaufgang entgegeneilt? In Japan glaubt das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (Meti), dass es diese Rolle am besten übernehmen kann. Schließlich habe es in den 50er, 60er, 70er und 80er Jahren ja gut geklappt. Das Meti gilt in Japan bis heute wohl zu recht als die einflussreichste Bürokratie im Land. Aber der Ruhm verblasst, je mehr südkoreanische und taiwanesische Unternehmen ihren japanischen Konkurrenten weltweit Marktanteile abjagen. Viele Manager und Bürger sehen Japans Unternehmen eher dem Sonnenuntergang entgegen gehen als neue Sonnenaufgangsindustrien heraufdämmern. Vor allem die Elektronikkonzerne wie Sony, Hitachi, Toshiba, Sharp stehen unter Druck. Wettbewerber wie Samsung aus Südkorea oder Chimei aus Taiwan haben zum Beispiel bei kleinen und mittleren LC-Bildschirmen, wie sie für Mobiltelefone und Tablet-Computer benötigt werden, technisch aufgeholt, sind preiswerter und erobern mit rasantem Tempo neue Märkte.
Was ist tun, damit Japans Elektroindustrie nicht zur Sonnenuntergangsindustrie wird? Das fragten sich auch die Meti-Bürokraten. Und sie dachten sich etwas Neues aus, eine neue, aggressive Form der Industriepolitik. Die tragende Rolle im neuen Akt des altbekannten Stücks „Industriepolitik japanisch” hat ein in der Öffentlichkeit nahezu unbekannter staatsnaher Fonds. „Innovation Network Corp. Japan” (INCJ), heißt er. Wurden japanische Unternehmen bislang vom Staat subventioniert, hat INCJ in Tokio eine neue Phase der Industriepolitik eingeläutet. Als Sony und Toshiba im Frühling begannen, über eine Zusammenlegung ihrer verlustbringenden Display-Sparten zu verhandeln, mischten sich die staatsnahen Fondsmanager umgehend ein – selbstredend mit Wissen des Meti. Hitachi, das mit den kleinen Bildschirmen ebenfalls nichts mehr verdient, trat dem Bund als Dritter bei. Die drei Konzerne trennen sich von ihren schwächelnden Display-Sparten, INCJ gründet die Japan Display für kleine LC-Bildschirme, investiert rund 1,8 Milliarden Euro in die neue Firma, hält dafür 70 Prozent der Anteile und schafft einen neuen, staatlich finanzierten und kontrollierten Weltmarktführer.
Japans Unternehmen haben schon oft ihren technischen Vorsprung und dann die Fertigung an Wettbewerber in Südkorea oder Taiwan verloren, sobald ein Hightech- zum Massenprodukt geworden ist. Das beobachteten die Meti-Bürokraten in der Vergangenheit schon bei den Bildschirmen für Fernseher oder Computer. Jetzt droht sich diese Entwicklung auf den boomenden Märkten für kleine LC-Bildschirme für Smartphones und Tablet-Computer zu wiederholen. Das soll INCJ mit Japan Display verhindern. Die Fondsmanager geben sich eifrig Mühe, ihr Engagement als reine Finanzinvestition erscheinen zu lassen. Das klingt harmlos. Mit Japan-Display schafft der Staatsfonds aber ein quasi-staatliches Unternehmen, das die Nummer eins in der Welt sein will. 20 Prozent Marktanteil erhält neue Weltmarktführer nach der Fusion aus dem Stand.
Japans Elektroindustrie hat heute viel zu viele Akteure. Fusionen sind nötig, wollen die Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben. INCJ treibt diese Entwicklung jetzt voran, verspricht aber gleichzeitig, dass der Umbau niemandem weh tun werde, dass es keine Entlassungen gebe. Aber soll es in Japan in Zukunft wirklich Aufgabe des Staates sein, die notwendigen strukturellen Veränderungen als Staatsunternehmer voranzutreiben und gleichzeitig sozial abzufedern? Oder verfestigt der Staatsfonds am Ende nur Strukturen, die schließlich doch untergehen müssen? Über die Konsolidierung der Japan AG, die Anpassung an den globalen Wettbewerb sollten besser die Unternehmensführer nachdenken, die Anteilseigner, nicht die Bürokraten im Meti. Vor allem, wenn der Staat dabei möglicherweise diejenigen zerstört, die es bislang erfolgreich aus eigener Kraft schaffen. Das erfolgreichste Unternehmen für kleine und mittlere LC-Bildschirme hat seinen Sitz nämlich auch in Japan. Sharp ist – noch – mit knapp 15 Prozent Weltmarktführer. Und Sharp hat im Sommer angekündigt, wie es aus eigener Kraft auf die Konkurrenz aus Südkorea und Taiwan reagieren und seinen technischen Vorsprung verteidigen will. Bislang hat das gut geklappt. Apple ist einer der größten Kunden der Japaner. Jetzt muss ausgerechnet dieses japanische Unternehmen, das im Markt für die kleinen Displays bislang am erfolgreichsten war, mit einem quasi-staatlichen neuen Giganten aus dem eigenen Land konkurrieren. Es wird spannend sein, in den kommenden Jahren zu beobachten, ob die Meti-Strategen wirklich schlauer sind. Sharp ist ein Sonnenaufgangsunternehmen, auch noch bei kleinen Flachbildschirmen. Es zeigt die möglichen Konstruktionsfehler der neuen japanischen Industriepolitik, dass Japan Display bald vielleicht gerade dem Unternehmen das Licht nehmen wird, das im Wettbewerb am erfolgreichsten ist. Dann ginge die Sonne, staatlich gefördert, gerade dort unter, wo sie bislang noch in schöner Morgenröte strahlte.