Wie bitte? Auf den ersten Blick haben Sex und Erz und Kohle nun wirklich gar nichts mit einander zu tun. Auf den zweiten schon. Denn Reichtum macht bekanntlich sexy – und reich wurde in den vergangenen Jahren, wer Bodenschätze ausgrub und verkaufte. Auch hat die Suche nach den Schätzen der Erde durchaus etwas mit Trieb und Sucht zu tun, man kann ihr verfallen. Nicht grundlos finden sich beim derzeitigen Goldpreis mehr und mehr Australier, die mit Spaten und Metalldetektor versandete Bachbetten durchkämmen, auf der Suche nach dem einen Nugget.
Das Graben in der Wildnis aber hat seinen Preis. Weniger für diejenigen, die graben lassen, als für jene, die wirklich in die Grube steigen. Denn die Bergwerke liegen zumeist in entlegenen Gegenden – in Afrika, in Papua Neuguinea, der Mongolei, dem Nordwesten Australiens, oder weit vor der Küste. Arbeitskräfte gibt es dort nicht. Also werden sie über tausende von Kilometern eingeflogen, kampieren in Wellblechdörfern. Dort schlafen die Kumpels oftmals in Mehrbett-Containern. Ein solches Camp im Nirgendwo hat den maskulinen Charme eines Militärlagers, nur ohne Waffen. Auf den Straßen nur schwere Toyota-Geländewagen. Im Ortskern der Woolworth-Markt, der Rugby-Platz, eine Pizzeria, die Videothek. Abends ist hier der Hund begraben. Weil weder Minenkonzerne noch Staat Anstrengungen machen, im outback eine Infrastruktur zu schaffen und für teures Geld Kindergärten oder Schulen zu bauen, bleibt für die Kumpel nur Fifo: fly in, fly out. Eine Woche Zwölf-Stunden-Schicht tagsüber, eine weitere Woche zwölf Stunden nachts, dann eine Woche frei. Womit wir wieder beim Geschlechtsleben wären. Das nämlich leidet unter Fifo.
Und nicht nur das: Familien zerbrechen, die Kumpel in ihren entlegenen Containerdörfern leiden unter Einsamkeit und Depression. „Ich schätze mal, dass rund 70 Prozent der Leute draußen in den Minen mindestens eine Scheidung hinter sich haben”, sagt ein Bergwerksingenieur, der jahrelang im entlegenen Nordwesten Australiens nach Kohle und Erz grub.
Längst ist das Thema aus der Schmuddelecke heraus: Die Konzerne müssen sich damit auseinandersetzen. Denn ein unmotivierter Kumpel, von Heimweh geprägt, ist ein Sicherheitsrisiko und ein Kostenfaktor. So jemanden sieht man nicht gerne mit Sprengstoff hantieren oder schweres Gerät bewegen. Deshalb beschäftigen die Konzerne Psychologen und Counsellor, die sich um das Seelenheil der Männer kümmern. Die aber sind schwer zu erreichen. Weil sie harte Kerle sind. Und weil sie sich nicht ausgerechnet dem Betriebspsychologen offenbaren wollen. Denn der könnte ja einen kurzen Draht zum Personalchef haben.
Also greifen die Frauen zur Selbsthilfe. Alicia Ranford hat jahrelang unter Fifo gelitten: „Wir sind innerhalb von zehn Jahren sechsmal umgezogen” erzählt sie. „Ich habe gelernt, eine glückliche Familie zu führen, obwohl mein Mann als Bergbauingenieur lange Zeit Fifo machen musste.” Von ihren Lektionen will sie nun etwas abgeben. Deshalb hat die Australierin zusammen mit der Psychologin Angie Willcocks den „Überlebensführer für Familien von Bergleuten” geschrieben. Darin geben die beiden den zerrissenen Familien handfeste Tipps: Einmal im Monat etwa sollten die Eheleute eine Nacht zu zweit ohne Kinder zu verbringen. Und sie sollten den anderen per Telefon oder Skype nach seinem Tagesablauf zu fragen – auch wenn der noch so eintönig war.
„Das Thema Frauen und Familie steht bei allen ganz obenan”, erzählt der Bergwerksingenieur in Newman, der entlegenen größten offenen Erzmine der Welt im australischen Outback. „Aber wie soll man hier eine Frau kennenlernen? Leben sie hier, sind sie mit einem unserer Kumpels verheiratet.” Es hilft das Internet. „Immer mehr Bergleute heiraten philippinischen Frauen, die sie über das Netz kennengelernt haben”, erzählt er. „Das passt schon, da sind die Ansprüche an die Lebensumstände nicht ganz so ausgeprägt.”
Dabei bleibt nach einigen Jahre genug übrig, um ein schönes Leben zu führen. Denn eben weil nur wenige Bergleute bereit sind, sich auf ein Leben fernab der Zivilisation einzulassen, greifen die Rohstoffriesen richtig tief in ihre Taschen. 120000 australische Dollar (90850 Euro) bekommt ein Lastwagenfahrer mit Leichtigkeit in den Minen im Nordwesten Australiens. Arbeitet seine Frau zum selben Salär und wechseln sie sich ab, können sie in fünf Jahren Arbeit rund eine Million verdienen. Kein Wunder, dass in der Bergwerksmetropole Perth jüngst ein Flagship-Store von Louis Vuitton eröffnet hat.
Christoph Hein