Asiaten gelten als zurückhaltend, feinfühliger als Menschen des Westens. Beim Euro aber nehmen die asiatischen Politiker kein Blatt mehr vor den Mund. Sie wollen ihren Bürgern reinen Wein einschenken. Suchen ihre Vorteile. Und manche haben noch eine Rechnung mit dem Westen offen.
Nehmen wir zunächst Lee Kuan Yew. Der 88 Jahre alte Gründer des Finanzplatzes Singapur weiß bekanntermaßen sein Wort zu machen. Je älter er wird, umso deutlicher wird er – als habe er keine Zeit mehr, drumherum zu reden. Vergangene Woche saß er auf dem Podium der nach ihm benannten Lee Kuan Yew School of Public Policy, der Karriereschmiede für spätere Spitzenbeamte und Diplomaten. Sein Gegenüber, Kishore Mahbubani, Dean der Hochschule und unter Europäern gefürchtet für seinen Thesen über den Untergang des Abendlandes, gab die Steilvorlagen. Und Lee holte aus: Die Eurozone sei nicht mehr zu retten, sagte der alte Herr, der in Asien und Amerika als Vordenker gilt. Ihr Zusammenbruch werde „ein sehr schmerzhaftes Geschäft”. Der Zusammenbruch werde für die europäischen Politiker „ein Eingeständnis, dass ihre Erwartung des geeinten Europa unerreichbar ist”. Dann zog er sein Fazit: „Ich kann nicht erkennen, wie die Eurozone gerettet werden sollte. Aber sie versuchen es und wollen es weiterlaufen lassen.”
Einem Kauf europäischer Anleihen erteilte Lee, dessen Sohn Ministerpräsident von Singapur ist und dessen Schwiegertochter den reichen Staatsfonds Temasek leitet, eine Absage. „Singapur ist nicht in der Lage, die Europäer zu retten. Ich denke auch nicht, dass der Kauf von Bonds sie notwendigerweise retten würde.”
Damit brüskierte er den europäischen Rettungsfonds ESFS. Denn praktisch zeitgleich verhandelte Christophe Frankel, der Finanzchef des Fonds, in Singapur mit Investoren. „Wir erfahren viel Unterstützung in Asien und wissen, dass das so bleiben wird”, sprach sich Frankel selbst Mut zu. „Wir glauben, Asien wird sehr aktiv auf unsere Bonds zugreifen.” Dabei werden Singapur und seine Denkfabrik für die Europäer Singapur immer mehr zum Schicksalsort: Denn an der Lee-School hatte vor Jahresfrist auch Klaus Regling, der heutige Chef des Rettungsfonds und frühere deutsche Spitzenbeamte, forsch erklärt: „Die Deutschen stehen den Hilfszahlungen nicht positiv gegenüber, weil sie das System nicht vollständig verstehen. Es handelt sich um Kredite, die zurückgezahlt werden müssen. Die Zinsen, die Griechenland oder Irland zu zahlen haben, liegen höher als die Kapitalkosten. Also ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Deutschland damit einen Gewinn macht, als dass es einen Verlust schreibt.”
Lee sieht auch dies nüchterner: Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao hatte sich am Dienstag bereiterklärt, den Industrieländern mit Investitionen und dem Kauf von Staatsanleihen zu helfen, dafür aber Zugeständnisse verlangt. Lee ordnete die Offerte nun ein: „Ich denke nicht, dass (die Chinesen) Europa um Europa willen retten wollen.” Ein gemeinsames Europa liege im übrigen gar nicht im Interesse Chinas: „Es ist leichter, mit 27 schwachen europäischen Länder umzugehen als mit 27 vereinten Ländern Europas”, erklärte Lee.
Aus Sicht des ehemaligen Ministerpräsidenten Singapurs scheint die Europäische Währungsunion ein totgeborenes Kind: „Ein grundlegendes Problem des Euro ist, dass er jeden, jedes europäische Land zwingt, in die selbe Richtung zu marschieren. Dabei hat jedes Land sein eigenes Tempo und man kann nicht von den Griechen erwarten, genauso voranzumarschieren wie von den Deutschen. Dieses Problem wird sich nicht lösen lassen.” Lee hält ein zweigleisiges oder sogar dreigleisiges Europa für denkbar. „Ein gemeinsames Europa mit unterschiedlichen Ausgabe- und Sparverhalten sowie Unterschieden in der Disziplin ist zu schwierig zu erreichen.” Was Lee indes nicht sagte: Singapur seinerseits dürfte als Finanzstandort von den Problemen der Industrieländer profitieren – immer mehr Geld wandert an den südostasiatischen Finanzplatz, der steuerlich attraktiv ist, als sicher und verschwiegen gilt – eben die Schweiz Asiens.
Lee steht mit seiner Skepsis nicht allein dar: Auch die Chinesen gingen direkt nach der Sonntagsrede Wens wieder auf Abstand: Nur einen Tag, nachdem Wen Europa die „helfenden Hand” entgegenstreckte, ruderten die Spitzenbanker Chinas zurück – und kamen damit in der von Lee in Singapur skizzierten Realität an. „Wenn die Europäer sich nicht selbst helfen, warum sollten wir es tun?”, sagte beispielsweise der ehemalige Zentralbanker und amtierende Vorstandsvorsitzende der halbstaatlichen China Merchants Bank (CMB), Ma Weihua, im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung auf dem Weltwirtschaftsforum in Dalian. Mit Blick auf griechische Schuldtitel sagte Ma: „Die haben keinerlei Wert. Niemand, der klug ist, investiert in solche Anleihen. Wir können nicht unsere eigenen Interessen opfern, um anderen zu helfen. China kann nicht die letzte Rettung sein. Wir haben dazu weder die Möglichkeiten, noch wollen wir es.” Seine Kollegen stießen ins selbe Horn.
Wenn schon das Aussprechen nüchterner Wahrheiten Hilfe ist, leisten die Asiaten derzeit eine Menge – möglicherweise mehr, als europäische Politiker. Niemand mag ihnen verdenken, dass sie ihre Offerten das eine oder andere Mal mit einer gehörigen Portion Sarkasmus würzen: Die Krise in Europa spiele Asien in die Hände, sagte zum Beispiel Surin Pitsuwan, Generalsekretär der Vereinigung der südostasiatischen Staaten (Asean), im Gespräch mit der F.A.Z.: „Sie erhöht die Aufmerksamkeit für unsere Region, denn die ist inzwischen der gut geölte Motor der Welt.” Spitzer noch formulierte es Mari Pangestu, Handelsministerin der größten südostasiatischen Volkswirtschaft Indonesien: „Wir bieten Europa gerne Rezepte und Ideen an, wie es mit der Krise fertig werden kann. Denn wir haben schon manche erfolgreich gemeistert”, sagte sie mit Blick auf die Asienkrise 1998. Damals hatten die Industrieländer Asien geholfen – mit Krediten, die an harten Konditionen gebunden waren. Diese Gängelung hat in Asien niemand vergessen.